Basiswissen Additive Fertigung –  eine erste Bestandsaufnahme

Autor Simone Käfer

Was Ihnen die Additive Fertigung jetzt schon bieten kann und worauf wir noch warten müssen.

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Was Ihnen die Additive Fertigung jetzt schon bieten kann und worauf wir noch warten müssen.
Was Ihnen die Additive Fertigung jetzt schon bieten kann und worauf wir noch warten müssen.
(Bild: Solidteq)

Die Additive Fertigung ist die industrielle Version des 3D-Drucks und Oberbegriff für ein Sammelsurium an auftragenden Verfahren. Sie eignet sich für die Fertigung von Proto­typen (Rapid Prototyping), Endprodukten (Rapid Manufacturing) sowie Werkzeugen und Formen (Rapid Tooling). Ihre Besonderheit liegt darin, dass Bauteile ohne Werkzeuge und Formen entstehen, lediglich ein entsprechend aufbereiteter Datensatz ist notwendig. Der offensichtlichste Unterschied der Additiven Fertigung zu subtrak­tiven Verfahren ist, dass sie den Werkstoff hinzufügt, anstatt ihn zu entfernen. So wird nicht aus einem Klotz ein Objekt herausgefräst oder -gebohrt, sondern das Objekt entsteht durch punktuelles Verschmelzen oder Verkleben von Pulver beziehungsweise Material­schnüren, Filament bei Kunststoff und Draht bei Metall. Auch beim Spritzguss entsteht ein Objekt durch Zufügen von Material. Allerdings benötigt er Formen, in die er den erhitzten Kunststoff spritzt. Der 3D-Druck arbeitet auf freier Fläche, nimmt höchstens Stützstrukturen zurhilfe, die später abgebrochen oder -gewaschen werden. Zudem kann das überschüssige Material der Pulverbettverfahren im nächsten Druckprozess wiederverwendet werden – nach entsprechender Aufbereitung.

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Dieser gezielte Aufbau eines Objektes erweitert die Freiheiten der Konstruktion. Die Grenzen der Konstrukteure und Designer enden nun nicht mehr in den Möglichkeiten der abtragenden Fertigungsmethoden oder des Formenbaus. Ihre Arbeit ist wesentlich näher an der späteren Funktion des Bauteils angelegt als bisher. Dadurch sind derzeit nicht produzierbare Geometrien möglich, die das Bauteil nicht nur funktionsfähiger, sondern auch leichter machen. Das können Teile mit Hohlräumen, integrierten Funktionen, unterschiedlichen Wandstärken oder Freiformflächen sein. Aber auch hier sind dem Design Grenzen gesetzt: Aus einem haarfeinen Kühlkanal mit Biegung lassen sich schlecht die Stützstrukturen entfernen, auf die er angewiesen ist. Eine solche Anwendung wird nur mit einem additiven Verfahren funktionieren, das ohne Stützstrukturen auskommt. Oder einem Verfahren, dessen Stützen mit Wachs aufgebaut sind, wie bei dem Multijet-Drucker von 3D Systems. Das Wachs kann in der Nachbearbeitung weggeschmolzen werden. Allerdings ist das Verfahren nicht für jede Anwendung geeignet, nicht alle Werkstoffe sind nutzbar.

Materialvielfalt wächst, anisotrope Eigenschaften machen Probleme

Vereinfacht ausgedrückt kann jedes Material gedruckt werden, das verklebt, verschweißt oder zusammengeschmolzen werden kann. Für industrielle Zwecke sind Metalle, Kunststoffe, Sand und Keramik üblich, die für das jeweilige additive Verfahren entsprechend aufbereitet werden. Oft bieten die Maschinenhersteller angeblich speziell für ihre Maschinen maßgeschneiderte Werkstoffe an, doch auch bei Materialherstellern sind passende Werkstoffe erhältlich. Ein derzeit noch besonderes Projekt hat Ultimaker ins Leben gerufen. Der niederländische Hersteller von 3D-Desktopdruckern hat sich zu einer Allianz mit mehreren Werkstoffherstellern und seinen Kunden zusammengefunden, mit denen er Kunststoffe auf Kundenwunsch erarbeitet. Die Profile der Werkstoffe werden in die Software Cura eingepflegt und sind somit zugänglich. In puncto Weiterentwicklung von Werkstoffen scheint die Additive Fertigung eine Welle losgetreten zu haben, regelmäßig werden neue Materialien – oder auch bekannte mit weiterent­wickelten Eigenschaften – auf den Markt gebracht und immer mehr Unternehmen steigen in die Herstellung 3D-Druck-geeigneter Werkstoffe ein.

Eine Herausforderung an die Konstruktion ist die anisotrope Eigenschaft der Werkstoffe, bedingt durch die additive Technik. Anisotrop bedeutet, dass sich das Material in Aufbaurichtung, also in der Z-Achse, anders verhält als in X/Y-Richtung. Um Verzug und Schrumpfen zu vermeiden, sollten sowohl Konstrukteure als auch die Konstruktions- und Simulationssoftware über die Eigenschaften des jeweiligen Materials informiert sein.

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Info
Die sechs Wettbewerbsvorteile durch 3D-Druck

Stephan Kegelmann, Geschäftsführer des Auftragsfertigers Kegelmann Technik.
Stephan Kegelmann, Geschäftsführer des Auftragsfertigers Kegelmann Technik.
( Bild: Kegelmann Technik )

Stephan Kegelmann, Geschäftsführer des Auftragsfertigers Kegelmann Technik, sieht folgende Vorteile in der Additiven Fertigung.

  • Verbesserung bestehender Produkte und Dienstleistungen: Additive Fertigung macht Dinge möglich, die anders gar nicht oder nicht zu diesen Kosten möglich sind. Komplexität gibt es im Bauteil gratis, man kann also vor- und nachgelagerte Prozesse möglicherweise in das herkömmliche Bauteil integrieren und so enorme Kostenvorteile realisieren.
  • Erschließung von neuen Kundengruppen: Mit Additiver Fertigung sind Losgrößen von n = 1 auch in der Serie möglich – das ist kein Widerspruch. Und mit dem Wettbewerbsvorteil Flexibilität zeigen plötzlich auch neue Kundengruppen Interesse an Ihren Produkten.
  • Entwicklung von kundenspezifischen Lösungen: Personalisierung und Individualisierung sind mit Additiver Fertigung überhaupt kein Problem.
  • Anpassung von Geschäftsprozessen und betrieblichen Abläufen im Rahmen der Digitalisierung: Mit Additiver Fertigung wird Komplexität aus dem Bauteil vor- und nachgelagerten Geschäftsprozessen entnommen und in das Bauteil eingebaut – denn an dieser Stelle ist Komplexität gratis. Die Vereinfachung von vor- und nachgelagerten Prozessen kommt voll dem Unternehmensgewinn zugute.
  • Anpassung des Geschäftsmodells im Rahmen der Digitalisierung: Auch bei der Anpassung von Geschäfts­modellen kann die Additive Fertigung helfen. Ein Beispiel ist die professionelle Ersatzteilbevorratung, ein anderes die Herausforderung, sich und seinen Kunden mehr Möglichkeiten zu schaffen, flexibler und schneller auf volatile Märkte, geringere Planbarkeit und höhere Komplexität reagieren zu können.
  • Einführung von völlig neuen Produkten und Dienstleistungen: Nur ein Beispiel für die additive Transformation, die auf uns zukommt: Goodyear hat zum Genfer Auto-Salon einen moos­bewachsenen, luftverbessernden, 3D-gedruckten, recycelbaren, strom­erzeugenden, beleuchteten, kommunizierenden und mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteten Konzeptreifen namens Oxygene präsentiert. Bisher ist es zwar nur ein Konzept, dennoch unglaublich, welche Energien und Ideen freigesetzt werden, wenn man sich geistig von den Restriktionen herkömmlicher Fertigungsverfahren löst. Ein Konzept wie dieses kann man sich nur mit dem Wissen um 3D-Druck und die additive Transformation überhaupt vorstellen.

Eine Machine druckt mehrere unterschiedliche Bauteile gleichzeitig

Da die additiven Verfahren ohne Formen und spezielle Werkzeuge zur Herstellung eines jeden Bauteils auskommen, können auf einer Maschine mehrere unterschiedliche, individualisierte Objekte gedruckt werden – gleichzeitig. Lediglich der Werkstoff muss oft, speziell bei Metallen, derselbe sein. Arbeitet ein Kunststoffdrucker mit mehreren Düsen, sind verschiedene Filamente möglich. Unterschiedliche Aufträge zeitgleich auf einer Maschine zu bearbeiten, ist besonders für die Auftragsfertigung ein wirtschaftlicher Pluspunkt, denn hier kann der Bauraum von Maschinen bei guter Auftragslage komplett ausgelastet werden. Doch diesen Vorteil können nicht alle Verfahren ausspielen. Speziell im 3D-Metalldruck gibt es Verfahren, bei denen der Aufbau der Maschine die Bearbeitung nur eines Bauobjektes zur gleichen Zeit erlaubt. Auch Hybridmaschinen, also eine Kombination von 3D-Drucker und zerspanender Maschine, sind nicht in der Lage, mehrere Bauteile zeitgleich zu fertigen.

Ein weiterer Punkt fällt der Geschwindigkeit zu. Die Additive Fertigung produziert Prototypen und Kleinserien nicht nur schneller, weil für Arbeitsaufträge keine speziellen Werkzeuge oder Formen hergestellt werden müssen. Da der Druckprozess an sich automatisiert ist, muss kein Maschinenbediener ihn überwachen, es kann also auch über Nacht und ohne Aufsicht gefertigt werden. Dadurch schrumpfen Herstellungszeiten von mehreren Wochen auf wenige Tage. Auswirkung haben diese Vorteile auch auf den Prototypenbau. Denn ist der Prototyp noch nicht ideal, ändert man die entsprechende Stelle in den Konstruktionsdaten und druckt das nächste Modell. Oder gleich mehrere, um verschiedene Ideen zu testen. Hilfreich ist natürlich auch, dass die Qualität des Prototyps der des Endbauteils entspricht.

Von Kleinserie bis Losgröße 1 sind alle Varianten unkompliziert möglich

Auch die Vision von Losgröße 1 gehört zu den Vorteilen der Additiven Fertigung. Eine personalisierte Fertigung von Brillen, Schuhen, Schmuck oder Uhren wird bereits umgesetzt. Auch die Medizin profitiert davon, Implantate für Knochen und Zähne sind auf den jeweiligen Patienten abgestimmt druckbar. Hier spielt der 3D-Druck seinen Vorteil, ohne Werkzeuge und Formen zu produzieren, voll aus; zudem ist es ein entscheidender Punkt für das industrielle Umfeld im Vergleich mit Spritzguss. „Ohne Zweifel liefert der Spritzguss die schnellsten Herstellungszeiten, bezogen auf Stückzahl pro Minute. Allerdings darf hier die Zeit für die Vorbereitung und die Herstellung der Gussform nicht außer Acht gelassen werden”, erklärt Apium Additive Technologies. „Im Vergleich dazu liegt die reine Herstellungszeit für ein 3D-gedrucktes Teil zwar ungleich höher, die Herstellung bedarf allerdings keiner Vorbereitungszeit, da lediglich die Datei des Bauteils eingelesen werden muss.” Deswegen sieht der Kunststoffhersteller die Stärke der Additiven Fertigung in kleinen Stückzahlen oder individuellen Teilen, die von Spritzgussverfahren hingegen bei größeren Mengen. Das CNC-Fräsen verliere in einem solchen Vergleich allein schon, weil ein Bauteil dabei öfter umgespannt werden müsse.

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