Leichtbaukraft Aerographen nützt als unverwüstlicher Nano-„Sprengstoff“
Die kohlenstoffbasierte Struktur Aerographen ist leicht wie Luft, elektrisch leitfähig, aber auch ziemlich kräftig, wenn man tut, was ein Forschungsteam von der Uni Kiel damit macht.
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Vom Aerographen genannten Material braucht es theoretisch nur 450 Gramm, um einen Elefanten anzuheben, haben die Forscher aus Kiel berechnet. Diese Fähigkeit verdankt Aerographen seiner einzigartigen Nanostruktur, die ihm eine sehr große Oberfläche gibt. Optisch sieht es aus wie ein Knäuel Mikrostacheldraht. Aerographen gehört zu den Aeromaterialien und besteht aus einem feingliedrigen Röhrchengeflecht auf Graphenbasis, das zahlreiche Hohlräume hat. Jetzt ist man praktischen Anwendungen ein Stück näher gerückt, heißt es.
Und zwar ist es jetzt einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Materialwissenschaftlern der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gelungen, Aerographen und die darin enthaltende Luft in extrem kurzer Zeit wiederholt sehr stark zu erhitzen und abzukühlen. So könnten extrem leistungsfähige Pumpen, Druckluftsysteme oder entkeimende Luftfilter im Miniformat realisiert werden, meinen die Beteiligten. Ein entsprechender Titelbeitrag dazu erschien in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Materials Today.
Die „Bombe“, die hunderttausendmal zündet
Als die Kieler das Material zum ersten Mal vorgestellt haben, war es das bis dato leichteste seiner Klasse in der Welt. Seine Dichte ist nur 0,2 Milligramm pro Kubikzentimeter – also praktisch Luft! Deshalb erhielt die Klasse den Namen Aeromaterialien genannt. Ihre faszinierenden Eigenschaften sorgten schon damals für weltweites Interesse und wurden seitdem intensiv weiter erforscht, unter anderem in der europäischen Großforschungsinitiative „Graphene Flagship“
In neuen Experimenten hat man nun festgestellt, dass sich Aeromaterialien aus Graphen und anderen leitfähigen Nanomaterialien in einer Schnelligkeit mit bis zu mehreren hundert Grad pro Millisekunde elektrisch aufheizen lassen, ohne zerstört zu werden. Dafür kam speziell Aerographen ins Spiel, das aus wenigen Lagen Kohlenstoffatomen und zu 99,9 Prozent aus Luft besteht. Beim Erwärmen des Materials wird auch die enthaltene Luft extrem schnell erhitzt und dehnt sich natürlich aus. Geschieht das sehr schnell, komme es zu einer rapiden Volumenausdehnung, die einer Explosion gleichkomme. Mit Aerographen könne man also kontrolliert und auch noch wiederholt kleine und saubere Explosionen auslösen, die keine chemische Reaktion benötigten. Das Material, betonen die Experten, kann nachweislich über 100.000 Zyklen überstehen.
Extreme Druckluft ohne Kompressor & Co.
Und fast genauso schnell wie es sich erwärmt, kühlt Aerographen auch wieder ab, sobald die Stromzufuhr abgeschaltet wird, führen die Kieler weiter aus. Aufgrund seiner extrem niedrigen Wärmekapazität kann das Material nämlich kaum Wärme speichern und gibt sie deshalb über seine Netzwerkstruktur sehr schnell wieder an die enthaltende Luft ab. Das schnelle Erwärmen und Abkühlen des Materials ermögliche es den Forschenden, nacheinander mehrere Explosionen in der Sekunde auszulösen. Das erzeuge extrem leistungsfähige Druckluft auf Knopfdruck, ohne die sonst benötigten Kompressoren und Gaszuführungen.
Diesen Effekt nutzte das Forschungsteam bereits, um sowohl neue Pumpen, die sich gezielt einstellen lassen, als auch leistungsstarke Aktuatoren im Miniformat zu entwickeln. So reichten 10 Milligramm Aerographen, um 2 Kilogramm Gewicht in wenigen Millisekunden anzuheben. Die mit Aerographen entwickelten Aktuatoren verfügen also über hohe Leistungsdichten bei gleichzeitig großen Volumenänderungen, machen die Forscher klar.
Bakterien- und Virentod im schwarzen Graphenkäfig
Als weiteres Anwendungsbeispiel von Aerographen stehen neue Luftfiltermaterialen und -systeme im Forschungsfokus, die unter anderem mit dem Luftfahrtzulieferer Lufthansa Technik und, gefördert vom Graphene Flagship, entwickelt werden. Denn durch die offene Netzstruktur des Materials ließen sich sehr gut Luftströme leiten und für kurze Zeit stark erhitzen. So könnten beispielsweise Bakterien und Viren aus der Luft gefiltert und abgetötet werden. Damit könnten diese Filteranlagen selbstreinigend funktionieren und eine aufwendige Wartung überflüssig machen.
Die Arbeit wurde finanziell unterstützt vom Graphene Flagship, dem Graduiertenkolleg 2154 Materials for Brain und von der Förderinitiative „Experiment! – Auf der Suche nach gewagten Forschungsideen“ der Volkswagenstiftung.
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