Thermoformen Aus Organoblechen werden Großserienteile

Autor / Redakteur: Helga Krieger und andere / Josef-Martin Kraus

Das Thermoformen von Organoblechen bietet gute Ausgangsbedingungen für eine effiziente Herstellung von Großserienteilen aus faserverstärkten Kunststoffen. Gearbeitet wird aktuell an der Prozessbeherrschung. Im Fokus steht dabei das temperaturabhängige Material- und Prozessverhalten.

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In einer Presse mit temperiertem Positiv- und Negativwerkzeug werden Organobleche um-geformt. Vor dem Umformprozess findet ein Aufheizen der flächigen Halbzeuge bis auf die Schmelztemperatur der Thermoplastmatrix statt.
In einer Presse mit temperiertem Positiv- und Negativwerkzeug werden Organobleche um-geformt. Vor dem Umformprozess findet ein Aufheizen der flächigen Halbzeuge bis auf die Schmelztemperatur der Thermoplastmatrix statt.
(Bild: Fibre)

Im Thermoformverfahren werden Leichtbauteile aus textilverstärkten thermoplastischen Kunststoffen hergestellt. Die verwendeten Halbzeuge, auch Organobleche genannt, liegen in Form von vollständig imprägnierten und konsolidierten Textilien vor. Im Prozess wird das Organoblech in einer Infrarotzone bis auf die Schmelztemperatur der Thermoplastmatrix aufgeheizt. Anschließend wird das Halbzeug in einer Presse mit Positiv- und Negativwerkzeug in die Bauteilgeometrie umgeformt und erstarrt.

Großes Potenzial bei Serienteilen aufgrund kurzer Zykluszeiten

Zu den aktuellen Produkten zählen hochwertige Bauteile, die in kleinen Serien oder mit einer hohen Variantenvielfalt in größeren Stückzahlen gefertigt werden, meist für hochpreisige Branchen wie die Luft- und Raumfahrttechnik sowie den Sportfahrzeugbau [1]. Ein Anwendungsbeispiel sind Clips, die im Flugzeugbau verwendet werden.

Diese Verbindungselemente zwischen Rumpfschalen und Spanten sind beispielsweise für die Montage der vorderen und hinteren Rumpfsektion in einer Stückzahl von mehr als 4000 Clips pro Flugzeug beim Airbus A350 XWB erforderlich [2]. Der Pressprozess kann in weniger als 1 min realisiert werden. Bei paralleler Aufheizung von mehreren Halbzeugen sind daher Zykluszeiten von 1 min pro Bauteil möglich. [1]

Die kurzen Zykluszeiten des Fertigungsprozesses und die Verwendung von platinenartigen Halbzeugen bieten ein großes Potenzial für die Anwendung des Thermoformens von Organoblechen im Großserienmaßstab. Potenzielle Anwendungsmärkte sind daher nicht nur die Luftfahrttechnik, sondern auch der Automobilbau sowie der Sport- und Freizeitbereich [3].

Defizite in der Prozessbeherrschung verhindern aktuell jedoch die wirtschaftliche Durchsetzung des Verfahrens im Vergleich zu konventionellen Fertigungstechniken. Problematisch sind häufig werkstoffabhängige Bauteilverzüge und nicht vorhersagbare Springback-Effekte.

Diese Probleme können dazu führen, dass nach dem Erstarren und Entformen des Bauteils Winkel nicht der Sollgeometrie entsprechen. Weil derartige Phänomene weitgehend temperaturinduziert sind, verlangt die reproduzierbare Herstellung von Serienbauteilen eine schnelle, lokale Temperaturführung oder Temperaturregelung von Halbzeug und Werkzeug.

Das Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderten Forschungsprojektes „Prozessbeherrschung des Thermoformens von Organoblechen“ (Proton) ist es, die Defizite in der Prozessbeherrschung zu überwinden und das Thermoformverfahren zur Herstellung von Leichtbaukomponenten für Großserienanwendungen in der Luftfahrttechnik und im Automobilbau attraktiv zu machen. Im Rahmen dieses Projektes werden zwei branchentypische Materialsysteme untersucht: Kohlenstofffasergewebe kombiniert mit Polyphenylensulfid (PPS) für Luftfahrtanwendungen sowie Glasfasergewebe in Kombination mit Polyamid (PA).

Materialverhalten im Umformprozess ist komplexer als bei Metallen

Faserverstärkte Kunststoffe (FVK) haben aufgrund ihrer Anisotropie ein wesentlich komplexeres Werkstoffverhalten bei der Umformung als metallische Werkstoffe. Dies führt dazu, dass selbst leichte Steigerungen in der Komplexität der Bauteilgeometrie eine sichere Prozessführung und Reproduzierbarkeit deutlich erschweren können. Bei der Fertigung von FVK-Bauteilen in großen Stückzahlen ist ein stabiler Prozess wichtig, um hohe Verluste durch Ausschussproduktion zu vermeiden.

Zusätzlich ist die Prozessstabilität entscheidend für den Einsatz automatisierter Fertigungsanlagen. Um dies zu erreichen, müssen nicht nur die materialabhängigen Prozessparameter definiert eingestellt und geregelt werden, sondern auch die temperaturabhängigen Werkstoffeigenschaften umfassend charakterisiert sein.

Im Thermoformprozess erstarrt die schmelzförmige Matrix unmittelbar beim Kontakt mit dem kühleren Werkzeug. Damit nehmen die lokale Drapierfähigkeit des Verstärkungstextils und die Abgleitmöglichkeiten der Laminatlagen zueinander schlagartig ab. Diese Phänomene werden zusätzlich sowohl von lokal abhängigen Wärmeausdehnungen als auch von lokalen Kristallisationsunterschieden überlagert.

Die für die Prozessbeherrschung notwendigen Kenntnisse über diese prozessabhängigen Wechselwirkungen der Einzelphänomene sind bislang nur unzureichend erfasst. Aufgrund von Inhomogenitäten können bereits kleine Prozessschwankungen zu unvorhersehbaren Form- sowie Winkelabweichungen und somit unter Umständen zum Bauteilausschuss führen.

Oberflächennahe Kanäle zur lokalen Werkzeugtemperierung

Durch Analyse der Wechselwirkungen und der Mechanismen, die zu Form- und Winkelabweichungen im Thermoformprozess führen, kann bereits ein großer Beitrag zur Prozessbeherrschung geleistet werden. So beeinflusst nicht nur die Gestaltung der Bauteil- und Werkzeuggeometrie, sondern auch die Temperaturverteilung im Werkzeug den lokalen Kristallinitätsgrad des thermoplastischen Materials.

Die daraus resultierenden inneren Spannungen und Schwindungen im Material können unbeabsichtigte Form- und Winkelabweichungen der Bauteile verursachen. Eine gezielte Steuerung der Werkzeugwandtemperatur ermöglicht, die oben genannten Kriterien gezielt zu beeinflussen.

Im Rahmen des Projektes wird daher ein Werkzeug entwickelt, bei dem oberflächennahe Heiz- und Kühlkanäle eine lokale Temperierung gewährleisten. Die dafür notwendige Temperaturregelung basiert auf Daten einer berührungslosen, flächenhaften, ortsaufgelösten und dynamischen Temperaturmessung, die ebenfalls Gegenstand der Entwicklungen innerhalb des Vorhabens ist.

Erschwerend sind dabei jedoch die stark unterschiedlichen Emissionsfaktoren der verwendeten Werkstoffe für Werkzeug und Werkstück sowie die Einflüsse der Oberflächenbeschaffenheit. Durch die Anwendung von sprühbaren semipermanenten Trennmitteln lassen sich die gewünschten Oberflächeneigenschaften einstellen.

Darüber hinaus sollen die spezifisch angepassten Trennmittel eine sichere Entformung gewährleisten sowie zu einer Erhöhung der Werkzeugstandzeiten beitragen. Hieraus resultiert eine Erleichterung der gesamten Prozessführung. Entwickelt und erprobt werden dazu ein System auf Basis sprühbarer semipermanenter Trennmittel sowie eine plasmapolymere Trennschicht zur Entformung der Organobleche im Rahmen des Projektes.

Durchgängige Prozesssimulation muss Materialverhalten beachten

Zur Auslegung verzugskompensierender Prozessparameter und Werkzeuge ist eine durchgängige Simulation des Thermoformprozesses erforderlich. Hierzu wird innerhalb des Projektes eine Simulationsoftware entwickelt, mit der sich das Umformen von Organoblechen zu Strukturbauteilen modellieren lässt.

Die Simulation wird sowohl die thermische Prozessführung als auch den Bauteilverzug bei Entnahme aus dem Umformwerkzeug berücksichtigen. Bei der Entwicklung des Simulationssystems besteht die wesentliche Herausforderung daher in der Modellierung und Ermittlung des im Vergleich zu metallischen Werkstoffen komplexeren Materialverhaltens der Organobleche.

In der Materialmodellierung werden das Drapierverhalten, die vom Kristallisationsgrad abhängigen Materialeigenschaften sowie die Schwindung berücksichtigt. Ein umfangreiches Programm zur Prüfung der Organobleche, deren Matrix und deren textiler Faserstruktur wird zum besseren Verständnis hinsichtlich des Werkstoffverhaltens der thermoplastischen platinenförmigen Halbzeuge beitragen. Die Prüfungsergebnisse dienen als Eingangsgrößen für die Simulation.

Umsetzung von Simulations- und Regelungsverfahrenwird die Prozesssicherheit verbessern

Im Zuge der Einführung von FVK in Großserienanwendungen müssen neue Ziele bezüglich der Automatisierung und der Zykluszeiten erreicht werden. Das Thermoformen von Organoblechen bietet hierfür hervorragende Ausgangsbedingungen. Die Prozessbeherrschung muss dazu noch erhöht werden. Dies lässt sich auf Basis genauer Material- und Prozesskenntnisse sowie durch Umsetzung entsprechender Simulationsverfahren und Regelungstechniken erreichen.

Zu diesem Zweck wurden die verwendeten Halbzeuge und der Thermoformprozess analysiert. Die Bereiche, an denen in den Prozess zur Stabilisierung eingegriffen werden kann, sind bereits identifiziert. Hauptkriterien sind das Materialverhalten bezüglich Kristallisation und Drapierbarkeit, die Werkstück-Werkzeug-Interaktion sowie die genaue Temperaturmessung und -regelung.

Das Projekt wird zusammen mit Industrieunternehmen durchgeführt. Projektpartner sind die Acmos Chemie KG in Bremen, die LMS Samtech Deutschland GmbH in Hamburg, die GWK Gesellschaft Wärme Kältetechnik mbH in Kierspe und die Opto-Precision GmbH in Bremen.

Die Arbeiten werden von einem projektbegleitenden Ausschuss unterstützt, der die Kirchhoff Automotive Deutschland GmbH in Attendorn, die Krauss-Maffei Technologies GmbH in München, die Premium Aerotec GmbH in Bremen und die Ten Cate Advanced Composites B.V. in Nijverdal (Niederlande) angehören. Das BMWi fördert die Arbeiten im Rahmen der ZIM-Initiative (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand). ■

Literatur

[1] Edelmann, K.: CFK-Thermoplast-Fertigung für den A350 XWB. Lightweight Design 2/2012, S. 42–47.

[2] Wouters, R.: Thermoplastic panels help aircraft construction slim down. Airtec 1/2011, S. 28–31.

[3] Lutter, F., R. Zimnol, C. Obermann und H. Rothe: Leicht und hoch belastbar. Kunststoffe 11/2010, S. 74–77.

* Dipl.-Ing. Helga Krieger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen University. Prof. Dr.-Ing. Thomas Gries leitet das ITA. Dipl.-Ing. Mirko Christ und Christian Peters, M. Sc., arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter am Faserinstitut Bremen e. V. (Fibre). Dipl.-Ing. Henning Hasselbruch und Dr.-Ing. Kai Schimanski sind wissenschaftliche Mitarbeiter am IWT Stiftung Institut für Werkstofftechnik in Bremen.

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