Nachhaltige Kunststoffe Biokunststoffe boomen im Sog des European Green Deal

Autor / Redakteur: Thomas Isenburg / Peter Königsreuther

Bioökonomie ist das Thema des Wissenschaftsjahres 2020. Sie steht beim Bundesforschungministerium (BMBF) sowie beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BML) ganz oben, um Antworten auf die Nachhaltigkeitsfrage zu liefern.

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Eine Rohstoffbasis für Kautschuk, der für Fahrzeugreifen genutzt werden kann, ist eine besondere Art von Löwenzahn namens Taraxacum. Contitech hat dazu bereits erfolgreich geforscht, wie dieses Exponat beweist: der Versuchsreifen Taraxagum, abgeleitet von der botanischen Bezeichnung der Pflanze.
Eine Rohstoffbasis für Kautschuk, der für Fahrzeugreifen genutzt werden kann, ist eine besondere Art von Löwenzahn namens Taraxacum. Contitech hat dazu bereits erfolgreich geforscht, wie dieses Exponat beweist: der Versuchsreifen Taraxagum, abgeleitet von der botanischen Bezeichnung der Pflanze.
(Bild: Continental Reifen Deutschland)

Zum Arbeitskomplex der allgegenwärtigen Bioökonomieanstrengungen gehören in Zeiten einer medienpräsenten Fridays-for-Future-Bewegung auch der Klimawandel, die Vermüllung der Meere, schwindende landwirtschaftliche Nutzflächen sowie zur Neige gehende fossile Rohstoffe.

Zu den Fragen, die sich daraus ergeben, gibt es bereits einige prominente Antworten, forciert auf der Basis von neuen biotechnologischen Verfahren. Dazu gehören etwa Bau- und Dämmstoffe aus Pflanzenfasern, Mikroorganismen, die Schadstoffe abbauen, aus Algen gewonnenes Kerosin und Kunststoffe, die sich selbst abbauen.

Die Kunststoffindustrie etwa interessiert sich seit gut 15 Jahren verstärkt für Biokunststoffe. Der Begriff versteht sich als Sammelbezeichnung für Kunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen aufgebaut sind – deswegen auch biobasiert genannt. Diese Kunststoffe können biologisch abgebaut werden.

Die momentane Entwicklung wurde auch durch Bemühungen der Bundesregierung begleitet. Und am 15. Januar 2020 hat sie die nationale Bioökonomiestrategie verabschiedet. Im Rahmen derer sollen technische Lösungen auf der Basis der Biologie diskutiert und entwickelt werden, damit alles kompatibel zu den zu erwartenden Veränderungen werde. Hierzu wurden zwei Leitlinien definiert: Zum einen sollen das biologische Wissen und fortschrittliche Technologien als Pfeiler eines nachhaltigen Wirtschaftssystems mit Blick auf die Anwendung stärker erforscht werden. Und die zweite Leitlinie bezieht sich auf die Rohstoffbasis der Wirtschaft, ausgerichtet auf biogene Ressourcen. Im Fokus steht bei Letzterem die Biomasse als nachwachsender Rohstoff.

Milliardenschwere Pseudomaßnahmen?

Unkritisiert bleibt dieses Vorgehen jedoch nicht, wie Christiane Grefe es in ihrem Buch Global Gardening darstellt. Dort nimmt sie Stellung zum Rennwagen Bioconcept-Car, das zu einem großen Teil aus nachwachsenden Rohstoffen, also auch Biokunststoffen, bestehen soll. Es wurde umfangreich vom Bundesforschungsministerium und Bundesagrarministerium gefördert. Sie schreibt zur Vorstellung mit den Ministern, dass man das Bild auch anders sehen kann. Und zwar als Nachhaltigkeitsbetrug. Denn um den Status quo der Konsumkultur – größer, schneller, weiter, mehr – noch einmal verlängern zu können, werde die Ausbeutung der ohnehin strapazierten Natur so womöglich noch weiter verschärft.

Es reiche außerdem nicht, nur ein bisschen nachhaltiger zu produzieren und einzukaufen. Biositze, Biotüren, Bioauspuff, Biosprit sind ein toller Fortschritt, wenn er in Biobussen und -zügen als Teil einer umfassenden umweltpolitischen Wende geschehe, die weg vom Auto, auf deutlich verbesserte öffentliche Verkehrssysteme abziele. Diese Kontroverse lässt ahnen, wie komplex die Debatte seit etwa zehn Jahren ist.

Auf die andauernde Diskussion zum Thema Klimawandel und Ressourcenverknappung hat die EU reagiert und den Green Deal präsentiert. Das 1 Billion Euro schwere Vorhaben ist quasi ein Fahrplan für die nachhaltige EU-Wirtschaft der Zukunft. Im Dezember 2019 wurde dazu eine Timeline vorgelegt.

Das Hauptziel soll eine effiziente Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft sein. Deswegen werden Investition in umweltfreundliche Technologien großgeschrieben. Zu den weiteren Absichten gehören eine Wiederherstellung der Biodiversität und die Bekämpfung der Umweltverschmutzung.

Verglichen hat Ursula von der Leyen dieses finanzgewaltige Vorhaben mit Kennedys Apollo-Projekt in der 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und der RWE-Vorstand Jürgen Großmann sieht Parallelen im Hinblick auf das Desertec-Vorhaben vor zehn Jahren, in das geschätzt 400 Mrd. Euro investiert wurden. Dazu äußerte der derzeit amtierende EU-Kommissar für Energie, Günter Öttinger: „Kapital ist eine knappe Ressource in der EU“. Kritik kam natürlich auch von Greta Thunberg. Ihr sind die Zielkorridore 2030 und 2050 zu abstrakt. Sie fordert konkrete Maßnahmen Monat für Monat sowie Jahr für Jahr. Anders die deutsche Industrie, denn sie hat Angst vor den Forderungen, durch die die Kohlendioxidemissionen weiter gesenkt werden sollen. Was kommt, muss man abwarten.

Kunststoffrecycling steht hoch im Kurs

Konkret will die EU auch das Kunststoffrecycling, ein weiterer Sektor der Kreislauflösung, fördern. Deswegen sollen Kunststoffverpackungen bis 2030 recycelt respektive wiederverwertbar sein. Zur letztendlichen Strategie gibt es aber noch Klärungsbedarf. Die konkreten Aktivitäten der Biokunststoff-Industrie wurden auf der jährlichen Tagung des Branchenverbandes European Biolastic am 4. und 5. Dezember 2019 in Berlin vorgestellt, zu der sich etwa 400 leitende Angestellte aus Industrie und Forschung zum Erfahrungsaustausch trafen.

Die Wertschöpfungsketten von Biokunststoffen interessieren sowohl Marken, politische Entscheidungsträger und Hochschulen als auch Produzenten und NGOs. Ein Thema größter Brisanz ist dabei die Reduktion des sogenannten Marine-Litter (Vermüllung der Meere), also die Verringerung der Plastikrückstände in den europäischen Meeren. Hierzu gehört nicht nur der bekannte Kunststoffabfall, sondern etwa auch Zigarettenkippen wegen des Filtermaterials. Mögliche Abhilfe könnte die Entwicklung nachhaltiger Alternativen sein – wieder eine Chance für Biokunststoffe.

Deswegen gewährt Werner Basmann von der Europäischen Kommission einen Ausblick auf die Initiativen der EU mit Blick auf eine Kreislaufwirtschaft sowie die Bioökonomie. Ihm zufolge haben Biokunststoffe einen hohen Stellenwert auf den politischen Agenden der EU, um die Kreislaufwirtschaft lückenlos zu schließen. Das heißt konkret, die Wiederverwertung, das Recycling sowie die biologische Abbaubarkeit weiterzuentwickeln. Innerhalb der Kreislaufwirtschaft soll der Wert der Materialien dabei erhalten bleiben. Doch sind noch weitere Studien nötig, die mehr Aufschluss darüber bringen, heißt es. Die EU will also Antworten. Etwa auf die Frage: Können wir durch Biokunststoffe unsere Abhängigkeit von fossilen Kunststoffen verringern? François de Bie von Total ist Chairman beim Branchenverband European Bioplastics. Der Biokunststoff-Manager kommentiert die Konferenz so: „Es ist eine entscheidende Zeit für unsere Branche, weil die Europäische Union es ernst meint.“

Hauptgewinner des Biokunststoff-Booms

Rechtzeitig zu dieser Veranstaltung veröffentlicht der Branchenverband jährlich seine Marktzahlen: Die weltweite Produktionskapazität für Biokunststoff soll von rund 2,1 Mio. t im Jahr 2019 auf 2,4 Mio. t 2024 steigen. Weltweit waren es 2019 359 Mio. t Kunststoff. Die Biokunststoffe haben somit einen Anteil von kleiner 1 % an der gesamten Kunststoffmenge. Hierzu der langjährige Geschäftsführer von European Bioplastics Hasso von Pogrell: „In einem zunehmend umweltbewussteren Kontext wird der globale Markt für Biokunststoffe in den nächsten fünf Jahren voraussichtlich um über 15 % wachsen.“ Ursächlich für den Trend sei die stetig steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten sowie die kontinuierlichen Bemühungen der Biokunststoff-Industrie, innovative Materialien mit verbesserten Eigenschaften und neuen Funktionen zu entwickeln. Der Boom wird sich laut von Pogrell fortsetzen.

Das Hauptwachstum genießen biobasiertes PP (Polypropylen) und PHAs (Polyhydroxyharz). Speziell die Produktionskapazitäten dieser Biokunststoffe könnten sich in den nächsten Jahren verdreifachen. PHAs sind übrigens biobasierte und zugleich biologisch abbaubare Kunststoffe. Sie passen deshalb gut zu den Vorstellungen des Green Deals der EU. Trotz ihrer Abbaubarkeit dürfen aber auch sie nicht im Übermaß als Abfall in unsere Umwelt gelangen, betonen die Entscheider.

Polyetyhlen (PE) lässt sich alternativ zu seinem fossilen Pendant auch aus Zucker und dem daraus erzeugbaren Alkohol produzieren. Polyethylen statt Rum also! Es zersetzt sich allerdings nur sehr langsam in der Umwelt. Das „End-of-life-Szenario“ ist daher die Verbrennung. Gelangt biobasiertes PP in die Umwelt, steigt so der Plastikmüll in der Umwelt biobasiert.

Der Löwenanteil dieser Produkte stammt aus Produktionen in Asien, gefolgt von Europa sowie Nord- und Südamerika. Ein häufig wiederkehrendes Streitthema ist der Landverbrauch durch Bioplastik. Im Jahr 2019 lag dieser bei etwa 0,016 %. Im Vergleich dazu schlagen die Biokraftstoffe bei einem Landverbrauch von 53 Mio. ha mit rund 1 % zu Buche.

Der Begriff Dekarbonisierung ist Unsinn

Michael Carus ist Geschäftsführer des Nova-Institutes, das schon lange als Influencer der Branche gilt. Auch in Berlin war der Institutsleiter ein gefragter und gut vernetzter Gesprächspartner. Seit Jahren beklagt der Wissenschaftsmanager, dass es keine Förderung für erneuerbaren Kohlenstoff seitens der EU gäbe. Steuere man bei den erneuerbaren Energien zwar auf eine komplette Umstellung politisch zu, würden analog dazu die Werkstoffe aber kaum gefördert. Carus stellt klar: „Der Begriff Dekarbonisierung ist Unsinn, weil die ganze organische Chemie und damit Kunststoffe auf Kohlenstoff basieren.“ Der Begriff werde aber ständig analog zu seiner Verwendung in der Energiewirtschaft benutzt. Das ist irreführend, betont der Bioökonomieexperte.

Deswegen führt Carus den Begriff „Erneuerbaren Kohlenstoff“ ein. Diesen teilt er mit Blick auf die Kohlenstoffquellen aus dem Kunststoffrecycling, der Biomasse sowie der CO2-Nutzung auf. In diesem Kontext warnt er auch vor einem Bruderkrieg und appelliert für einen smarten Mix der Kunststoffarten. Denn diese Kohlenstoffquellen seien im Vergleich zu denen von Metallen und Mineralien unerschöpflich. Deswegen will er ein entsprechendes Label einfordern und verlangt eine Steuer auf den Verbrauch von fossilem Kohlenstoff.

Bei allen Bemühungen bleibt abzuwarten, wie sich die Corona-Krise und die aus ihr noch resultierenden Kosten und Konjunktureinbrüche, auf das Ganze auswirken werden. Das jedoch ist auch noch ergebnisoffen. MM

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