Drehen CO2-Prozesskühlung macht Trockenbearbeitung produktiver

Autor / Redakteur: Dirk Biermann, Fabian Felderhoff und Markus Heilmann / Bernhard Kuttkat

Ergebnisse am Institut für Spanende Fertigung (ISF) zeigen, dass die CO2-Prozesskühlung bei der Trockenbearbeitung ein Verfahren mit großem technologischen und wirtschaftlichen Potenzial auch für die Bearbeitung von schwerzerspanbaren Werkstoffen wie schwefelarmen Vergütungsstählen ist. Die CO2-Prozesskühlung vereinigt zahlreiche Vorteile der Trockenbearbeitung mit den Vorteilen der konventionellen Überflutungskühlschmierung.

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Die Technologie der Trockenbearbeitung und Minimalmengenkühlschmierung ist bekannter Stand der Technik und in vielen Bereichen der spanenden Bearbeitung industrieller Bauteile etabliert. Wesentliche Verfahrensvorteile sind außer dem Entfall der kühlschmierstoffbezogenen Kosten die trockenen und sauberen Werkstücke, Späne und Maschineninnenräume. Während zahlreiche Werkstoff- und Verfahrenskombinationen unter reduziertem Kühlschmierstoffeinsatz sicher beherrscht werden, kann es bei anderen Bearbeitungsaufgaben zu einer hohen, verschleißbestimmenden Wärmeentwicklung kommen. Der Einsatz neuer Kühlkonzepte, wie die Prozesskonditionierung mit Kohlendioxid, bietet an dieser Stelle die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit von Zerspanprozessen unter den Randbedingungen der Trockenbearbeitung zu steigern.

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CO2-Kühlung schwefelarmer Vergütungsstähle

Das Hauptanwendungsgebiet von Kohlendioxid für den technischen Einsatz liegt in der Reinigungstechnik [1 und 2]. Kohlendioxid ist ein geruchloser, nicht korrosiver, ungiftiger und nicht brennbarer Stoff. Um die thermodynamischen und physikalischen Effekte des technischen Gases auch für die Prozessgestaltung von Drehprozessen zu nutzen, wurde eine spezielle Vorrichtung in eine Versuchsmaschine am Institut für Spanende Fertigung (ISF) an der Technischen Universität Dortmund integriert (Bild 1). Diese ermöglicht die Zuführung des Gases aus einer Steigrohrflasche zur Wirkzone des Zerspanprozesses. Es ist ebenfalls möglich, den Anstellwinkel der Zuführdüse wie auch die Kühlleistung der Zuführdüse zu variieren.

Die Möglichkeiten der Prozessoptimierung durch die CO2-Schneestrahlkühlung wurden am ISF bislang für die Zerspanung nichtrostender Stähle nachgewiesen [3 bis 5]. Um die Möglichkeiten des Einsatzgebietes zu erweitern, wurde die Prozesskühlung im Rahmen dieser Untersuchung für die Drehbearbeitung des schwefelarmen Vergütungsstahls 42CrMo4+QT mit einer Härte von 27 HRC analysiert. Schwefelarme Vergütungsstähle besitzen insbesondere für die Herstellung antriebstechnischer Bauteile eine große Bedeutung.

In den Zerspanungsexperimenten zum Einfluss des KSS-Konzeptes wurden die Schnittwerte Schnittgeschwindigkeit vc = 250 m/min, Vorschub f = 0,3 mm und Schnitttiefe ap = 2 mm konstant gehalten, um die Wirkung auf Verschleiß, Werkstückqualität und Spanbruch aufzeigen zu können. Hinsichtlich des Schneidstoffs wurden die Gestalt der Wendeschneidplatte und die Kombination von Substrat und Beschichtung nicht verändert. In allen Versuchen wurden Wendeschneidplatten vom Typ CNMG120408 genutzt. Dabei entspricht die Kombination von Hartmetallsubstrat und Beschichtung der Anwendungsklasse P10.

Bei Experimenten zum Einfluss des KSS-Konzeptes dienen Ergebnisse als Referenz, die für die Bearbeitung unter Zuführung von Emulsion ermittelt wurden. Das Verschleißverhalten der Werkzeuge wird anhand von rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen (REM) beurteilt, die zur Drehbearbeitung des schwefelarmen Vergütungsstahls eingesetzt wurden (Bild 2).

Geringer Verschleiß bei hohem Zerspanvolumen

In den Aufnahmen ist eindeutig zu erkennen, dass für die Schnittgeschwindigkeit von vc = 250 m/min ein geringer Werkzeugverschleiß vorhanden ist und das angestrebte Zerspanvolumen von Vz = 1000 cm³ erreicht wird. Die Verschleißmarkenbreite beträgt VBmax = 0,312 mm. Die Möglichkeit zu einer weiteren Steigerung der Schnittgeschwindigkeit besteht nicht. Die Aufnahme der Wendeschneidplatte, die bei einer Schnittgeschwindigkeit von vc = 300 m/min eingesetzt wurde, zeigt bereits nach dem Einsatz für ein Zerspanvolumen von Vz = 750 cm³ einen Ausbruch an der Schneidkante. Dieser Teilversuch wurde deshalb nicht weitergeführt.

Naheliegend ist, dass der Bruch der Schneidkante nach einer plastischen Deformation entstanden ist. Diese Deformation wird durch höhere Wirkzonentemperaturen bei der eingestellten Schnittgeschwindigkeitssteigerung begünstigt. Eine mechanische Überbeanspruchung kann nicht die einzige Ursache des frühzeitigen Schneidkantenbruchs sein, da eine Auswertung der Zerspankraftkomponenten vergleichbare Belastungen in Abhängigkeit von der Schnittgeschwindigkeit ergeben hat.

Weitere Versuche bei Variation von Schnittgeschwindigkeit und Vorschub zeigen, dass die Schnittgeschwindigkeit vc = 250 m/min ein Erreichen des angestrebten Zerspanvolumens von Vz = 1000 cm³ gewährleistet. Daher wurde diese Schnittgeschwindigkeit für die Versuche zur Variation des KSS-Konzeptes ausgewählt. Verglichen wurden die Prozesskühlung mit Einsatz des CO2-Schneestrahlens und die reine Trockenbearbeitung. Wiederum verdeutlichen REM-Aufnahmen das Verschleißverhalten der eingesetzten Wendeschneidplatten (Bild 3).

Wendeschneidplatte zeigt deutliche Verschleißspuren bei reiner Trockenbearbeitung

Die Aufnahmen der Wendeschneidplatte, die bei der reinen Trockenbearbeitung eingesetzt wurde, zeigt deutliche Verschleißspuren. Im vorderen Bereich der Spanfläche ist Beschichtung abgetragen und so das Hartmetallsubstrat freigelegt worden. Im hinteren Bereich der Spanleitstufe ist eine Materialanhaftung zu erkennen. Die Schneidkante ist während des Zerspanprozesses plastisch deformiert worden. Dies wird besonders bei der Betrachtung des Freiflächenverschleißes sichtbar. Die Deformation der Schneidkante würde bei einem weiteren Einsatz der Schneidplatte einen größeren Ausbruch und das Versagen des Werkzeugs hervorrufen.

Die REM-Aufnahmen zeigen für die Wendeschneidplatte, die bei einer CO2-Prozesskühlung eingesetzt wurde, ein grundsätzlich anderes Verschleißverhalten. Der ablaufende Span hat die Beschichtung auf der Spanfläche abgetragen, jedoch ist der Verschleiß geringer ausgebildet. Ebenfalls sind nur geringfügige Materialanhaftungen zu erkennen. Die Schneidkante weist keine Anzeichen für eine plastische Deformation auf. Das Verschleißniveau ist vergleichbar zu dem Ergebnis der Emulsionszuführung. Die Ausbildung des Freiflächenverschleißes ist zwar ungleichmäßiger, jedoch beträgt die maximale Verschleißmarkenbreite VBmax = 0,335 mm, was nur eine geringe Zunahme gegenüber dem Versuch mit Emulsion ergibt.

Bei der Bearbeitung schwefelarmer Stähle ist die erzeugte Spanform von großer Bedeutung. Durch die Minderung des Schwefelanteils sind im Gefüge weniger mangansulfidische Einschlüsse vorhanden, die den Spanbruch begünstigen. Die Bildung einer ungünstigen Spanform kann insbesondere die automatisierte Fertigung behindern. Die Spanformen wurden nach dem ersten Teilversuch nach einem Zerspanvolumen von Vz = 250 cm³ verglichen. Dabei ist der Werkzeugverschleiß noch nicht ausgeprägt, sodass ausschließlich der Einfluss des KSS-Konzepts erfasst werden kann (Bild 4).

Vorschub und Spanleitstufe erzeugen günstige Spanform

Die Aufnahmen der Späne verdeutlichen, dass durch die Kombination aus der gewählten Spanleitstufe und dem Vorschub von f = 0,3 mm eine günstige Spanform erzeugt wird. Es bilden sich einzelne Spanlocken, die sich auf einfache Art und Weise aus der Werkzeugmaschine abtransportieren lassen. Spanformen, die für die Bearbeitung von Stählen mit üblichem Schwefelgehalt erzeugt werden, zeigen eine vergleichbare Form auf. Folglich kann der Einfluss des geringeren Schwefelgehaltes auf die Spanform nahezu kompensiert werden.

Bei Bearbeitung unter Emulsion zeigen Spanlocken ausgeprägte Blaufärbung

Bei der Bearbeitung unter Emulsion weisen die Spanlocken eine ausgeprägte Blaufärbung auf. Bei Einsatz der CO2-Prozesskühlung werden Späne mit einer vergleichbaren thermischen Verfärbung erzeugt. Im Gegensatz dazu zeigen die Späne der Trockenbearbeitung keine Blaufärbung, sondern eine Färbung, die auf eine noch höhere thermische Einwirkung hindeutet. Diese Annahme ist soweit schlüssig, da die Prozesswärme bei der Trockenbearbeitung primär über den Span abgeführt werden muss.

Außer dem Verschleißverhalten ist die erzeugte Oberflächengüte für industrielle Fertigungsprozesse von großer Bedeutung. Es gilt, die Qualitätsanforderungen, die in Bauteilzeichnungen angegeben werden, einzuhalten. Zusätzlich zu der makroskopischen Gestaltung des Werkzeugs und der Schnittwerte beeinflussen die Prozessrandbedingungen wie das KSS-Konzept die Bauteiloberflächen. Bei einem Zerspanvolumen von Vz = 250 cm³ ist die Rauheit der Werkstücke gemessen worden, um den Einfluss des KSS-Konzeptes darzustellen und die Beeinflussung durch den Werkzeugverschleiß gering zu halten (Bild 5).

Es zeigt sich deutlich, dass die Rauheit vom KSS-Konzept abhängig ist. Die höchste gemittelte Rautiefe von Rz = 11,7 µm wurde bei der Trockenbearbeitung gemessen. Die Überflutungsschmierung mit Emulsion mindert die Werkstückrauheit, der geringste Wert von Rz = 9,1 µm wird für die Prozesskühlung mit Kohlendioxid erreicht.

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CO2-Prozesskühlung hat großes Potenzial

Die Ergebnisse der vorgestellten Untersuchung zeigen, dass die CO2-Prozesskühlung ein Verfahren der Trockenbearbeitung mit großem technologischen und wirtschaftlichen Potenzial auch für die Bearbeitung von schwerzerspanbaren Werkstoffen wie schwefelarmen Vergütungsstählen ist. Die CO2-Prozesskühlung vereinigt zahlreiche Vorteile der Trockenbearbeitung mit den Vorteilen der konventionellen Überflutungskühlschmierung. Nach der Bearbeitung unter Zuführung des Kühlmediums sind trockene und saubere Bauteile, Späne und Maschineninnenräume vorhanden. Die Oberflächengüte ist im Vergleich zur Trockenbearbeitung deutlich verbessert. Das Verschleißverhalten der analysierten Wendeschneidplatten deutet darauf hin, dass die Prozesskühlung ein zur Überflutungskühlschmierung vergleichbares Niveau erreicht.

Demnach kann durch die Prozesskühlung eine Produktivitätssteigerung gegenüber der Trockenbearbeitung erreicht werden. Ob diese Steigerung eine wirtschaftliche Verbesserung erzielt, kann nur durch eine prozessbezogene Wirtschaftlichkeitsanalyse unter Berücksichtung der Kosten für die Bereitstellung des technischen Gases festgestellt werden. In weiteren Untersuchungen sollen durch eine wirkzonennahe Temperaturmessung und die Analyse des Gefüges die Auswirkungen der verschiedenen KSS-Konzepte weiter analysiert werden. Ebenfalls ist eine Variation des Schneidstoffs sinnvoll, um herauszufinden, ob besonders hochwarmfeste oder zähere Schneidstoffe mit geringerer Warmfestigkeit Vorteile bieten.

Literatur

  • [1] Haberland, J.: Reinigen und Entschichten mit Trockeneisstrahlen – grundlegende Untersuchungen des CO2-Strahlwerkzeuges und der Verfahrensweise. Fortschritt-Berichte VDI, Reihe 2: Fertigungstechnik, Band 502. Düsseldorf: VDI-Verlag 1999.
  • [2] Papcke, B., und M. Paetsch: Umweltverträgliche Reinigung mit Trockeneis. Gießerei 1999/6, S. 94—95.
  • [3] Hesterberg, S., und S. Wittkop: Prozesskonditionierung mittels Kohlendioxid bei der Drehbearbeitung nicht rostender Stähle. In: Spanende Fertigung, 4. Ausgabe, S. 465—473. Essen: Vulkan Verlag 2005.
  • [4] Hesterberg, S.: Trockenbearbeitung nichtrostender Stähle — Prozessgestaltung für das Drehen und Bohren mit Wendeschneidplatten. Dissertation Universität Dortmund 2006.
  • [5] Biermann, D., F. Kahleyß und M. Heilmann: Bohren mit CO2-Prozesskühlung. Kühlschmierstoffkonzept für die Bohrbearbeitung eines Duplex-Stahls. VDI-Z Integrierte Produktion 2007/8, S. 78—80.

Prof. Dr.-Ing. Dirk Biermann ist Leiter des Instituts für Spanende Fertigung (ISF) der Technischen Universität Dortmund; Dipl.-Ing. Fabian Felderhoff und Dipl.-Ing. Markus Heilmann sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut. Dieser Beitrag basiert auf dem Forschungsprojekt P 689 „Untersuchungen zum Drehen und Tiefbohren schwefelarmer Edelbaustähle“, das von der Forschungsvereinigung Stahlanwendung e.V. (Fosta) gefördert wurde.

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