Rittal Die Digitalisierung ist in der Fertigung angekommen
Wie die Zukunft in der Fertigung aussehen wird, kann man sich schon heute in der Produktion eines Schaltschrankherstellers ansehen. In seiner Fabrik in Valeggio (Italien), in der besonders energieeffiziente Kühlaggregate für die Schaltschränke hergestellt werden, ist bereits eine Fertigungslinie fast vollständig digitalisiert.
Anbieter zum Thema

Vorsicht, bitte halten Sie Abstand von den schwarzen Linien“, warnt mich Andre Benner, Projekt Manager, Rittal Manufacturing Engineering, als ich dieser Linie beim Rundgang in einer mit vier Fertigungslinien für Kühlgeräte fassenden Halle etwas zu nahe komme. „Dort fahren immer wieder fast lautlos fahrerlose Transportsysteme, die Teile für die Fertigung bringen.“ Zwar würden die Transportfahrzeuge sofort anhalten, wenn man in ihre Nähe komme, aber man wolle ja nicht, dass es zu einer Unterbrechung des Betriebes kommt. Und schon nähert sich eines dieser Fahrzeuge im gemächlichen Tempo mit einem auf einem Gestell montierten Kühlgerät, hält kurz an einer Arbeitsplatzlinie an, setzt das Gestell samt Gerät ab und fährt anschließend weiter. Derzeit fertige man auf einer der vier Linien fast vollständig nach Industrie-4.0-Gesichtspunkten.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1075100/1075164/original.jpg)
Rittal
Grundsteinlegung: Kompaktgehäuse-Produktionswerk von Rittal auf Basis von Industrie-4.0-Strukturen
„Alle Unterlagen, die sonst bei der Fertigung des Gerätes angehängt waren, sind nur in digitaler Form vorhanden und können vom Arbeitnehmer direkt am Arbeitsplatz abgerufen werden.“ Einzig ein kleiner, handgroßer Zettel ist noch am Gerät angeheftet. Dieser soll aber spätestens Ende des Jahres auch noch durch einen RFID-Chip ersetzt werden, der alle notwendigen Fertigungsdaten enthält.
Plötzlich kommt es zu einem Stopp eines Transportwagens: Der Fotograf von Rittal hatte seine Tasche in einer Kurve zu nahe an der Linie abgestellt und nicht berechnet, dass die Fahrzeuge dort viel weiter ausscheren, als man dies vermutet. „Sie sehen, die Sicherheitseinrichtung des Fahrzeugs funktioniert“, kommentiert Benner und zieht die Kameratasche etwas zur Seite, worauf das Fahrzeug nach einer kurzen Pause seinen Weg fortsetzt.
Bei den anderen drei Linien gibt es noch gedruckte Montageanweisungen, doch auch dies soll sich in naher Zukunft ändern. Diese Linien werden nach Aussage von Benner sukzessive umgestellt.
Energieeffizienz spielt eine große Rolle
Wie wichtig die Produktion dieser hocheffizienten Kühlaggregate der Baureihe Blue e+ ist, erläutert Dr. Thomas Steffen, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung bei Rittal in Herborn: „Europaweit sind rund 2 Mio. Schaltschrank-Kühlgeräte am Netz, die mit 2 GW ein gesamtwirtschaftlich relevantes Verbrauchspotenzial darstellen und für einen CO2-Ausstoß von rund 4 Mio. t pro Jahr verantwortlich sind. Und mit den hier in Valeggio gefertigten Kühlgeräten der Baureihe Blue e+ kann der Energieverbrauch in der Spitze um 75 % gesenkt werden.“ Würde man alle Kühlgeräte durch die neue Baureihe ersetzen, könne man also nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch den CO2-Ausstoß in Europa deutlich senken. „Dann ließen sich 3 Mio. t CO2 einsparen. Theoretisch könnte man aufgrund der deutlich reduzierten Leistungsaufnahme ein Kernkraftwerk mittlerer Größe abschalten“, verdeutlicht Steffen.
Wie effizient die Kühlgeräte arbeiten, das bestätigen – laut Steffen – auch andere Unternehmen, die die Kühlgeräte von Rittal einsetzen: Der Automobilproduzent Daimler habe damit 91,2 %, Audi 79,4 %, Volkswagen 76,3 % und Renault 53 % einsparen können. Selbst das sehr effizient aufgebaute Werk von Volvo meldete einen Rückgang von 17,1 %. Ähnlich sei dies auch bei Werkzeugmaschinenherstellern gewesen.
„Die Energieeinsparungen lagen immer im Bereich von 75 %.“ Das Besondere der Kühlgeräte sei auch die genaue Regelung. Der Rittal-Geschäftsführer erläutert: „Die Kühleinheiten sorgen für eine konstante Temperatur im Schaltschrank. Die Hysterese geht bei diesen Geräten gegen null. Das trägt zu einer hohen Lebensdauer der Bauteile bei, die gekühlt werden sollen.“ Früher habe die Hysterese bei 5 K gelegen. Womit die Bauteile natürlich einem gewissen Temperaturstress ausgesetzt waren.
Technisches Herzstück der neuen Gerätegeneration ist die patentierte Integration einer Heat Pipe in den klassischen Kompressionskältekreislauf. Sie ermöglicht eine passive Kühlung von Schaltschränken. Falls die Kühlleistung nicht ausreicht, haben die Geräte zusätzlich ein herkömmliches, aktives Kühlsystem mit Kompressor an Bord. Der Clou: Das aktive Kühlsystem ist stufenlos regelbar und lässt sich somit genau auf die individuellen Anforderungen einstellen. Dieses Hybridsystem aus Heat Pipe und drehzahlgeregeltem Kompressor – und Lüftern – hat dabei nicht nur einen positiven Effekt auf den Energieverbrauch.
„Herkömmliche Schaltschrank-Kühlgeräte arbeiten gewöhnlich mit einer Zweipunktregelung, die den Kompressionskältekreislauf bei Bedarf an- und ausschaltet“, erklärt Steffen. Das heißt: Das System kühlt so lange unter Volllast, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist, und wird dann komplett ausgeschaltet. Steigt die Temperatur erneut, muss der Motor unter höchster Leistung wieder anlaufen, was außer einem hohen Energieverbrauch auch eine enorme Belastung für Motor, Lüfter und sonstige Bauteile bedeutet. Zudem werden die zu kühlenden Schaltschrankkomponenten dadurch einem permanenten thermischen Stress ausgesetzt, der ihre Lebensdauer deutlich reduziert.
Kontinuierlicher Teillastbetrieb
Bei den Geräten Blue e+ ist ein kontinuierlicher Teillastbetrieb möglich, führt Steffen weiter aus. Das bedeute weniger Energieverbrauch, weniger thermischen Stress, weniger Belastung für Motoren und Lüfter und viel weniger Service- und Instandhaltungskosten als bisher. Die Regelbarkeit der Motorenleistung werde durch die Invertertechnik ermöglicht.
Positiver Nebeneffekt: „Während wir bislang für jeden Spannungsbereich unterschiedliche Geräte im Portfolio haben mussten, sind die neuen Kühlgeräte durch die Invertertechnologie mehrspannungsfähig“, sagt Steffen. Für den Nutzer bedeutet dies, dass er Geräte problemlos weltweit betreiben kann, ohne sich Gedanken über den verfügbaren Spannungsbereich machen zu müssen.
Durch diese technischen Innovationen lassen sich die Klimageräte der Serie Blue e+ deutlich flexibler einsetzen als bisher. Damit war es Rittal möglich, die bislang vorhandene Modellvielfalt deutlich zu reduzieren.
Neben der technischen Evolution der bewährten Technik Blue e legten die Entwickler bei den neuen Geräten viel Augenmerk auf die Verbesserung der Bedienerfreundlichkeit. Deshalb sei die neue Kühlgerätegeneration von Rittal erstmals mit einem intelligenten TFT-Touchdisplay an der Front ausgestattet. Das zweisprachige Display biete eine übersichtliche Statusanzeige des Geräts und ermögliche eine einfache Bedienung und Konfigurierung.
Die besonders energiesparende Gerätefamilie Blue e+ wird seit Anfang 2015 gebaut. Sie wurde in Herborn entwickelt, und zukünftig sollen alle Kühlgeräte von Rittal ausschließlich in Valeggio gebaut werden. Es wird damit zum Kühlgerätezentrum des Unternehmens.
Norditalien: „Zentrum“ der Kühltechnik
In Norditalien konzentriert sich viel Know-how rund um die Kühltechnik. Die University of Padua ist weltweit anerkanntes Forschungszentrum für Kühltechnik. „Im Veneto District ist europaweit die größte Anzahl an Unternehmen im Kühlsektor angesiedelt“, erklärt Steffen. Die Produktionskapazität dieser etwa 150 Unternehmen beträgt 60 % der gesamteuropäischen. Auch Rittal habe dort seit Jahren eine leistungsfähige Kühlgerätefertigung, die nun ausgebaut und modernisiert werde.
Das Unternehmen Kelvin – Anbieter von Chillern und kundenspezifischen Kühllösungen – wurde 1985 gegründet. Im Jahr 2000 wurde es von der Friedhelm Loh Group, zu der Rittal als größtes Unternehmen gehört, akquiriert. Heute beschäftigt Rittal im Werk in Valeggio 255 Mitarbeiter auf einer Gebäudegrundfläche von 9000 m2.
„Wir haben 2015 rund 120.000 Einheiten, also Kühlgeräte, Chiller, Wärmetauscher und thermoelektrische Kühler, produziert“, berichtet Nicola Salandini, Anlagendirektor bei Rittal Italy in Valeggio. Die Industrie-4.0-gerechte Fertigungsstrategie habe zusammen mit dem Rittal Production System viele Vorteile: „Die Papierflut ist aus der Fabrik komplett verschwunden und alle Dokumente sind nun digital vorhanden.“ Abschließend sagt er: „Mehr Transparenz, höhere Qualität, mehr Flexibilität und sicherere Prozesse – dies sind alles Vorteile, die uns Industrie 4.0 gebracht hat.“
* Weitere Informationen: Rittal GmbH & Co. KG in 35745 Herborn
(ID:44278493)