3D-Druck Die neue Freiheit der Konstrukteure

Autor Simone Käfer

Alles ist nun möglich, dem Design sind kaum noch Grenzen gesetzt, endlich geht es um Funktion. Also müssten überall frohlockende Konstrukteure stehen, die sich auf die Additive Fertigung stürzen. Aber dem ist nicht so.

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Additive Fertigung bringt viele Vorteile. Aber Konstrukteure fehlt noch das passende Wissen.
Additive Fertigung bringt viele Vorteile. Aber Konstrukteure fehlt noch das passende Wissen.
(Bild: © vege - Fotolia.com)

Viele Unternehmen beginnen mit der Ersatzteilfertigung. Doch sind wir mal ehrlich: Der simple Nachbau eines konventionell gefertigten Bauteils ist eine Beleidigung für jeden, der mit 3D-Druck arbeitet. Denn die Vorteile liegen in den ungekannten Möglichkeiten, die eine grenzenlos scheinende Konstruktionsfreiheit bietet. Das bedeutet: Komponenten dürfen neu gedacht werden. Für den Konstrukteur wiederum heißt das: „Vergiss alles, was du gelernt hast!“ Das jahrelang erarbeitete Wissen, das gesamte Know-how – alles ist obsolet. In den Worten von Dr. Elisabeth Bauer, Pressesprecherin bei Fit: „Kochen Sie ein perfektes Frühstücksei statt mit einem Metalltopf mit Gras.“ Dazu ergänzt Michael Werner, Simulia Portfolio Introduction Specialist bei Dassault Systèmes: „Ausreden wie ,Das lässt sich nicht fertigen‘ sind nicht mehr gültig.“ Der Preis der Freiheit.

Neue Freiheiten bringen neue Erfahrungen mit sich. So gibt es auch bei der Additiven Fertigung viel zu lernen. Denn es kann durchaus passieren, dass das erfolgreich geplante Kunststoff-Tray, auf dessen Design man sehr stolz ist, weil es genau den Anforderungen entspricht, die man so lange gestellt hatte, völlig verzogen aus dem Drucker kommt. Wie konnte das passieren? Das Tray wurde per Schmelzschichtverfahren gedruckt. Es gab eine Stelle, an welcher der Laser eine komplette Fläche aufschmelzen musste, wodurch die Temperatur stieg. Eine kleine Änderung löste das Problem. Konstrukteure müssen also auch in der Additiven Fertigung viel können. Die Voraussetzung ist, dass sie den Prozess verstehen, mit dem sie arbeiten. Nur so können sie die kleinen Defizite, an denen Softwarehersteller noch arbeiten, ausgleichen. Werner drückt die Anforderung an Softwarehersteller so aus: „Durchgehende, digital verknüpfte Softwarelösungen für den kollaborativen Produktentwicklungsprozess sind wichtiger denn je, um diesen Komplexitäten erfolgreich zu begegnen.“

All-in-One-Lösungen der Softwarehäuser

Die Anforderung will Dassault mit seiner 3D-Experience-Plattform lösen. Dort finden Konstrukteure von der Materialauslegung über Konstruktion und Simulation bis zur Fertigungsplanung die benötigten Softwarevarianten. Sogar das Problem mit dem verzogenen Kunststoff-Tray will Dassault gelöst haben. „Durch physikalische Simulationen lassen sich neben der Stabilität des Bauteils auch die Verformungen während des Druckprozesses vorab untersuchen“, erzählt Werner. „So sind frühzeitig mögliche Design­anpassungen erkennbar oder die entsprechenden Druckpfade und Stützstrukturen lassen sich optimieren.“ Ein Plus ist auf jeden Fall, dass die Konstruktionsplattform mit allen Fertigungsmaschinen und 3D-Druckern kompatibel ist, die Industriestandardformate verwenden.

Autodesk geht den gleichen Weg. Auch seine Software ist für alle Materialien und Verfahren sowie für alle aktuell erhältlichen 3D-Drucker geeignet, die Metalle oder Polymere drucken. Außerdem bündelt das Unternehmen in seinem Programm Netfabb Werkzeuge für Konstruktion und Fertigung. „Konstrukteuren stehen damit alle Tools, die für die Optimierung, Validierung und erfolgreiche Herstellung von Modellen im Rahmen eines additiven Fertigungsprozesses notwendig sind, zur Verfügung“, spezifiziert Karl Osti, Industry Manager Manufacturing bei Autodesk. Wer weniger Technik haben will und mehr auf Eigenleistung setzt, der kann sich mit dem Print-Studio sein 3D-Modell für den Druck vorbereiten lassen; die Simulation des Druckes bleibt dem eigenen Wissen überlassen. Materialise darf in dem Reigen nicht fehlen. Auch seine Magics 3D Print Suite ist für alle und alles, mit allen Tools ausgestattet. Das besondere Element in dieser Softwareplattform ist der Build Processor. Er sichert die richtige Kommunikation zwischen Software und Drucker. Dafür wird er regelmäßig angepasst, so arbeitet Materialise zurzeit mit HP zusammen.

Spezifische Tools für einzelne Aufgaben

Auch wenn die Hersteller der Software sagen, dass ihre Programme für alle Drucker, alle Materialien und alle Verfahren anwendbar sind, dürfen Sie als Anwender trotzdem nicht vergessen, dass verschiedene Verfahren und Materialien sehr wohl unterschiedlich zu behandeln sind. Hilfestellung bietet hier der VDI, der für jedes Verfahren eine eigene Konstruktionsanweisung erarbeitet hat.

Wer den All-in-one-Systemen der Softwarehäuser nicht traut, schon genügend verschiedene Softwaretools im Haus hat oder sich lieber selbst in die Eingeweide der Additiven Fertigung begibt, der sollte sich bei den Druckerherstellern umsehen. Voxeljet hat mit der Uni Passau seine eigene Software entwickelt. Über diese kann auch der Drucker konfiguriert werden. „Beispielsweise so, dass nur die zu druckenden Flächen pro Schicht angefahren oder Verfahrbewegungen angepasst werden“, erklärt Tobias King, Director Marketing & Applications bei Voxeljet. „An sich müssen auch Workflows boxbasierter Systeme hinterfragt werden“, erklärt er weiter. „Wir haben bereits ein System, das nicht mehr auf Bauboxen basiert, sondern am Fließband Teile produziert, wodurch deutlich weniger Standzeiten entstehen.“ Sie arbeiten auch an weiteren Möglichkeiten, um den Automatisierungsgrad zu erhöhen, so King weiter, wie am Post-Prozess, also dem Auspacken und Finishen der Teile. Auch an Tools, welche die Auslastung, die Bauraumbelegung und den Zustand des Drucks analysieren, arbeitet der Druckerhersteller.

Welche Daten muss ein Konstrukteur eigentlich liefern? King antwortet: „Prinzipiell benötigen wir volumenbasierte CAD-Daten. Dabei ist das Format entscheidend: die gängigsten sind STL, Step & Iges. Generell lassen sich heutzutage aber alle Formate umwandeln.“ Dabei ist die Datendurchgängigkeit der Prozesskette ein wichtiger Faktor. Viele verschiedene Programme bedeuten meistens auch viele verschiedene Datenformate. „Bisher haben Ex- und Import von Daten an Programmschnittstellen, die Konvertierung in das STL-Format sowie die hohen Datengrößen für ein äußerst ineffizientes Datenhandling gesorgt“, erklärt Julian Gruber, Produktmanager für Additive Fertigung bei Trumpf. Deswegen arbeitet der Werkzeugmaschinenbauer mit Siemens zusammen: „Siemens NX bietet mit dem Convergent Modeling die Möglichkeit, die gesamte Prozesskette, auch die Datenvorbereitung, durchgängig auf Basis von gemischten Modellen, aus CAD- und triangulierten Geometrien, abzubilden“, so Gruber.

Ein Bauteil neu zudenken fällt schwer

Aber das Problem mit der Konstruktion ist erst im zweiten Schritt ein technisches. Es beginnt bereits bei demjenigen, der die Anforderungen an den Konstrukteur stellt. „Wir haben bisher sehr positive Erfahrungen mit Kunden und Partnern gemacht, die offen für die Neukonstruktion ihrer Bauteile sind“, erzählt Gruber. In Zusammenarbeit mit Grindaix und Bionic Production konnte Trumpf so individualisierte Kühlschmierstoff-Düsen konstruieren und drucken, die rein auf ihre Funktion hin gestaltet wurden. Schwierig für den Konstrukteur ist es, dass in der Additiven Fertigung in Freiformflächen gedacht wird, gerade Linien und rechteckige Strukturen sind nicht nötig. Deswegen beginnt der 3D-­Druck-Konstrukteur mit den Elementen, die unverzichtbar sind. Zwischen diese Konturen kommt nur so viel Material, wie unbedingt notwendig ist. Das ist gerade in der Luft- und Raumfahrt wichtig, wo jedes Gramm zählt. „Wir sehen hier immer komplexere Bauteile“, ergänzt King. „Zum Teil können dabei Bauteile und Komponenten kombiniert werden.“ Außerhalb der Fertigungsindustrie kommt es zu einer anderen Problematik, wie King berichtet: „Bei flächenbasierten CAD-Daten, wie sie Architekten liefern, sind die Flächen meist nicht miteinander verbunden. Da würde das Druckteil beim Auspacken wie ein Kartenhaus auseinanderfallen.“

Ein weiteres Problem sind falsche Flächennormalen, doppelte Flächen oder zu dünne Wände. Dagegen hilft Cur3D von Ruhrsource. „Die Software behebt diese Probleme automatisch“, erzählt Jörg Heusler, Vertriebsleiter. „Dabei zerlegt ein Slicer das Modell in Scheiben und berechnet die Bahnen für den Drucker.“ Wie lang sie dafür braucht, hängt vom Modell ab beziehungsweise davon, wie viel zu beheben ist. Das kann von einer Stunde bis zehn Stunden dauern. Kompatibel ist die Repair-Software mit jedem CAD-System und jeder Hardware. Deswegen ist eine fundierte Ausbildung in diesem Bereich so wichtig. Dazu gehört auch, die Prozessparameter der Verfahren zu kennen. Und zwar jedes Verfahrens, denn „jede Methode hat ihre eigenen speziellen Anwendungsgebiete, Besonderheiten und Anforderungen an das Design“, erklärt Werner von Dassault.

Das sollen Konstrukteure wissen

Auch Basiswissen über die erhältlichen Materialien ist wichtig. „Viele neue Erkenntnisse aus der Materialforschung und die daraus resultierenden Innovationen werden noch immer zu wenig genutzt. Häufig sind einzelne Neuheiten noch nicht mal bekannt”, so Osti. Aber auch ein gutes Gespür für ansprechendes und funktionales Design ist jetzt wichtiger als vorher. „Die Anforderungen an das physikalische Verständnis und die Verwendung von Simulation und virtuellen Tests in der frühen Konstruktionsphase nehmen dabei zu“, führt Werner aus.

Wie stellt man sich nun dem großen Thema? Schulungen bieten die meisten Hersteller additiver Technik an oder auch Auftragsfertiger wie Fit. Ruhrsource rückt in seinen Seminaren die Anforderungen der Additiven Fertigung ins Licht. Aber Ausbildungsgänge gibt es noch nicht sehr viele. Immerhin startete diesen Mai das berufsbegleitende Studium „Anwendungstechniker für Additive Verfahren/Rapid-Technologien“ an der Hochschule Schmalkalden. Mit elf Studenten. Wer sich auf eigene Faust an das Konstruieren heranwagen will, für den hat Jürgen Kraus folgenden Tipp: „Gehen Sie Schritt für Schritt vor.“ Kraus ist Senior Consultant und Projektleiter Additive Fertigung bei MTU Aero Engines. 2013 begann der Triebwerkshersteller damit, Serienteile additiv zu fertigen. Aber nicht gleich komplexe Bauteile, sondern Werkzeuge wie Spritzdüsen oder Schleifscheiben. Im zweiten Schritt stellte er bekannte Serienteile nach dem neuen Verfahren her. „Erst im dritten Schritt sollen Leichtbauteile neu entwickelt und gefertigt werden. Es geht um neue Designs, neue Bauteile und neue Werkstoffe“, sagt Kraus.

Dieses Vorgehen hat sich laut Kraus ausgezahlt: „In kleinen Schritten vorzugehen, hat sich absolut bewährt. Die Konstrukteure konnten bei der Substitution von einfachen Bauteilen bereits die neuen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des Verfahrens kennenlernen. Bei der Serienfertigung hatten die Fertigungsingenieure die Möglichkeit, die charakteristischen Eigenschaften des neuen Materials zu verstehen und wertvolle Hinweise für zukünftige, komplexere Bauteile zu sammeln. Mit zu komplexen Teilen zu beginnen, hätte die Organisation überfordert.“ Am A320neo-Getriebefan-Triebwerk haben sie gelernt, wie Additive Fertigung funktioniert, jetzt können sie mit anderen Bauteilen und Triebwerkstypen starten. Die Deutsche Bahn geht einen ähnlichen Weg: Angefangen mit 1:1-Kopien vom Original über die Kombination von zwei Komponenten druckt sie nun Ersatzteile, die durch neue Elemente ergänzt werden.

Als größte Herausforderung bezeichnete Kraus einen eher überraschenden Aspekt: „Im Zuge der Additiven Fertigung wurde die MTU zum Rohteilhersteller.“ Früher wurden die Rohteile zugekauft, aber durch den 3D-Druck müssen sich die Konstrukteure nun damit befassen. Außerdem galt es, Werkstoffe und Anlagen für die neue Art der Herstellung in den Griff zu bekommen. „Bauteile, die die MTU seit Jahrzehnten kannte, mussten neu berechnet werden. Zudem traten Fehlerquellen auf, die konventionelle Prüfverfahren nicht erfassen. Abweichungen müssen bereits während der Herstellung erkannt werden“, zählt Kraus die Probleme auf, die plötzlich auftauchten. Man habe diese durch eine Zusammenarbeit mit dem Druckanlagenhersteller EOS gelöst.

Das wollen Konstrukteure wissen

Weiterbildungsangebote für eine fertigungsgerechte Konstruktion, Seminare, die die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des 3D-Drucks zeigen, sowie Schulungen in CAD-Arbeitsvorbereitungen für die Additive Fertigung fehlen Konstrukteuren. Aber das Wichtigste ist: neu denken zu lernen.

„Konstrukteure müssen die konventionellen Einschränkungen und Denkweisen aus den Köpfen kriegen. Wir müssen weg von Vorstellungen wie blockigen, wuchtigen Objekten“, so Bauer von Fit. Der Prozess ist komplett umgedreht: Bei einem konventionellen Verfahren steht am Anfang Material, von dem ich viel wegnehme. Jetzt ist da nichts, aus dem sich Material aufbaut. Ein Salto im Kopf. Deswegen ist es wichtig zu lernen, „die benötigte Funktion kreativ querzudenken und sich von den nicht mehr gültigen konventionellen Restriktionen nicht beeinflussen zu lassen“, erklärt Bauer.

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