Umformen Elektromobilität treibt die Umformtechnik weiter an
Noch ist die Elektromobilität nicht auf dem Massenmarkt angekommen, doch hält sie die Umformtechniker bereits in Atem. Was der automobile Wandel für die Branche bedeutet, wurde auf dem 13. Umformtechnischen Kolloquium Darmstadt diskutiert.
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Um den aktuellen Wandel zu bewältigen, ist in der Automobilindustrie eine komplexe Systemintegration notwendig, wie Dr. Johannes Staeves, Projektleiter Hybridbauweisen bei BMW, berichtet. Erstens müssen die neuen Kundenanforderungen – neben Elektromobilität auch autonomes Fahren oder Digitalisierung des Fahrzeugs –in ein Karosseriekonzept integriert werden, zweitens müssen die neuen Karosserien in den 60-s-Takt der Fertigung integriert werden und drittens müssen neue Produkte in die bestehenden Werke integriert werden. „Wollen wir auf derselben Linie Verbrenner, Hybrid- und Batteriefahrzeuge produzieren, müssen wir die Arbeitsinhalte zeitlich harmonisieren“, sagt Staeves.
Platz für Batterien in der Karosserie gesucht
Die wichtigste Veränderung für den Karosseriebau ist nach Auskunft des BMW-Projektleiters die Integration des Batteriespeichers. Der Münchener Hersteller setzt dabei nur für kleinere Fahrzeuge, Plug-In-Hybride oder flache Sportfahrzeuge darauf, die Batterie an die Stelle des bisherigen Tanks oder – wie beim i8 – im Bereich des Tunnels unterzubringen. Für eine größere elektrische Reichweite integriert BMW die Batterien als Flachspeicher im Unterboden. Diese Batteriespeicher sind modular aufgebaut und skalierbar, weshalb künftige Karosseriekonzepte flexibel sein müssen, um sie aufzunehmen.
Mit der steigenden Zahl von Varianten wird zudem im Presswerk mehr Flexibilität erforderlich, wie Staeves weiter erläutert. Daraus ergibt sich einerseits die Anforderung, die Standzeiten der Pressen weiter zu senken, beispielsweise durch automatische Werkzeugwechsler. Andererseits müssen die Pressen Funktionen übernehmen, die bisher in den einzelnen Werkzeugen enthalten waren. Als Beispiel nennt der BMW-Manager Crossbar-Feeder, die ein Bauteil um alle Achsen schwenken können, was wiederum teure Schieber in den Umformwerkzeugen erspart. „Wenn wir nicht genau wissen, wie viele Bauteile wir mit einem Werkzeug produzieren werden, investieren wir lieber in die Presse“, sagt er.
Kaltmassivumformer fürchten den Wandel durch Elektromobilität
Wie sich die Nachfrage nach Kaltmassivprodukten zwischen Verbrenner und Elektromobilität entwickelt, war Thema des Vortrags von Prof. Mathias Liewald, Direktor des Instituts für Umformtechnik (IFU Stuttgart). Er geht davon aus, dass in globaler Betrachtung die Verkäufe von Autos mit Verbrennungsmotor bis 2020 beim Diesel beziehungsweise bis 2025 beim Benziner noch wachsen. „Die weltweite Spitzenanzahl an Verbrennungsmotoren haben wir noch nicht erreicht, auch wenn der Anteil prozentual abnimmt“, sagt Liewald. Auch die Wertschöpfung mit Komponenten von Verbrennungsmotoren steigt weiter, wenngleich auch hier der Prozentanteil sinkt.
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Massivumformung
Massivumformer müssen auf Elektromobilität reagieren
Allerdings rechnet Liewald auf längere Sicht mit mehr Elektrofahrzeugen und damit weniger Komponenten für Verbrennungsmotoren sowie konventionelle Antriebsstränge. Damit können massivumgeformte Bauteile wie Kolben, Pleuel, Ventile, Nocken- oder Kurbelwellen und andere entfallen. Andere Produkte der Massivumformung wie Achsen, Zahnräder, Wellen, Fahrwerkskomponenten, Getriebestufen mit konstanter Übersetzung oder auch schaltbare Getriebestufen bleiben im rein elektrisch angetriebenen Fahrzeug dagegen erhalten. Zudem bieten Elektromotoren und ihre Antriebsstränge Potenzial für neuartige Bauteile, die ebenfalls mit Verfahren der Massivumformung gefertigt werden könnten. Um weiter erfolgreich zu sein, müssten die Unternehmen in ihrer Strategie flexibler werden, empfiehlt der Institutsdirektor.
Massivumformer müssen Prozesse für neue Märkte anpassen
Grundsätzlich stehen den Massivumformern dafür drei Möglichkeiten offen: technische Verbesserungen, das Erschließen neuer Geschäftsfelder oder neuartige Fertigungsprozesse für neue Märkte. Mit technischen Verbesserungen können sich Unternehmen der Massivumformung von Mitbewerbern abheben, beispielsweise indem sie bestehende Verfahren verbessern und die Anwendungsgebiete ausweiten. Aus technischen Verbesserungen hervorgegangene Produkte sind beispielsweise verzahnte Hohlbauteile mit einer speziellen Vorformgeometrie oder Leichtbau-Zahnräder, bei denen der Zahnradkörper mit einem vorgefertigten Zahnkranz umformtechnisch in einem Hub gefügt wird. Der Umformprozess ist dabei eine Kombination aus Napf-Rückwärts-, Napf-Vorwärts- und Quer-Fließpressen.
Eine größere Herausforderung sieht Liewald in der Erschließung neuer Geschäftsfelder für die Massivumformung. Der Grund: In dieser Branche sind die Produktionsstrukturen besonders kapitalintensiv und benötigen daher besonders große Losgrößen. Damit kleinere Stückzahlen für die Massivumformer rentabler werden, müssen sie ihre Fertigung effizienter, flexibler und automatisierter gestalten. Liewald veranschaulichte das auf dem Kolloquium anhand eines Konzepts für eine digital unterstützte Fertigung im Schmiedebetrieb: Dabei wird zuerst die CAD-Zeichnung der Zielgeometrie eines Kunden in eine Deep-Learning-Software eingegeben. Diese erstellt automatisch einen Stadienplan zur Herstellung des Produktes.
Digitalisierung kann den Massivumformern neue Absatzmärkte eröffnen
Nachdem ein Mitarbeiter den Stadienplan überprüft, eventuell angepasst und freigegeben hat, errechnet die Software eine Prozesssimulation, die wiederum ein Mitarbeiter freigibt. Danach erfolgt eine teilautomatisierte Konstruktion des Werkzeugs. Für Bauteile, die in ähnlicher Form bereits produziert wurden, kann die Software das Werkzeug selbstständig konstruieren. Dabei lernt sie mit jeder Konstruktion besser, die Prozesse und Konstruktionen mit einzubeziehen – insbesondere, wenn ein Mensch zuvor eingegriffen und korrigiert hat.
Nach Freigabe der Werkzeugkonstruktion durch einen Mitarbeiter wird entschieden, ob das Werkzeug konventionell oder mit additiven Verfahren – einschließlich Nacharbeiten – gefertigt wird. Letztere ermöglichen eine schnellere und flexiblere Werkzeuggestaltung, führen aber eventuell zu einer geringeren Standzeit. Bei der Fertigung des Kundenproduktes werden die Werkzeuge automatisch zur Presse transportiert und eingewechselt.
Mit diesem Gesamtkonzept lassen sich laut Liewald die Kosten senken, Aufträge schneller abwickeln und auch kleinere Losgrößen wirtschaftlich fertigen. Als Nachteile nennt er den Entwicklungsaufwand für die Ausrichtung aller Prozesschritte entlang des digitalen Zwillings und die hohen Anfangsinvestitionen für die Automatisierung.
In neuen Bauteilen für die Elektromobilität sieht der Institutsdirektor ausdrücklich Chancen für die Branche, wenn sie mit neuartigen Verfahren der Massivumformung gefertigt werden. Diese Bauteile müssen allerdings erst identifiziert und analysiert werden. Eine Möglichkeit sind Komponenten von Asynchronmotoren: So könnten Blechpakete im Stator durch das kompaktierte Walzen und kompaktierte Schneiden hergestellt werden. Beim kompaktierten Walzen erfolgt der Walzvorgang nach dem Isolieren sowie das Fügen von mehreren Elektroblechen zu einem Blechpaket. Durch das Walzen wird die Dicke der einzelnen Blechlagen verringert, was den Motorwirkungsgrad erhöht. Auch das kompaktierte Schneiden beginnt mit dem Isolieren und Fügen der Elektrobleche zu kleineren Blechpaketen, anschließend werden sie auf die gewünschte Größe geschnitten. Dadurch können dünne Bleche, die einzeln nicht schneidbar sind, im Verbund geschnitten werden. Diese dünnen Bleche führen wiederum zu einem hohen Wirkungsgrad des Elektromotors.
Elektromobilität bietet der Massivumformung auch Chancen
Ein anderes Beispiel für neuartige Bauteile sind Kurzschluss-Käfigläufer. Derzeit werden sie durch eine gebaute Ausführung oder durch Aluminiumdruckguss auf das Blechpaket hergestellt – Druckguss mit Kupfer ist nicht wirtschaftlich. Für eine einfachere Montage und Herstellung kann der Käfig in einem neuen Konzept durch Voll-Vorwärts-Fließpressen gefertigt werden. In einem weiteren Konzept wird der Käfig direkt auf die Blechpakete gepresst, was die Formfüllung und damit den Wirkungsgrad erhöht.
Wie sich Leichtbau mit Blech, beispielsweise für die Elektromobilität, in der Praxis realisieren lässt, zeigten Stefan Köhler vom Institut für Produktionstechnik und Umformmaschinen (PTU) Darmstadt und Martin Heckmann von Läpple Automotive in ihrem Vortrag. Die Versteifung durch Rippen oder Stege findet man als Leichtbauprinzip in der Natur, wie Köhler erläutert. „Damit lässt sich ein konventionelles Blech um bis zu dem Faktor 43 versteifen“, sagt der Wissenschaftler. Die Stege werden mittels Laserschweißen aufgebracht, in einem zweiten Schritt wird das Blech umgeformt. Die Versuche am PTU starteten zunächst mit Hochdruck-Blechumformung, mittlerweile arbeiten die Forscher mit starren Werkzeugen. „Die Ausbringung ist höher und es gibt die Möglichkeit zur Stegunterstützung, was die Prozessgrenzen etwas verschiebt“, berichtet Köhler.
In einem Transferprojekt mit Läpple hat er einen ersten Prototypen erstellt; als Bauteil wurde ein Unterfahrschutz ausgewählt – das Strukturbauteil hat keine Sichtfläche, bisher eine hohe Blechdicke und bietet auch mit einer geringen Umformung der Stege eine Möglichkeit zur Versteifung. „Wir haben mit Stegblechen entweder den Versteifungsfaktor verdreifachen können oder mit dünnerem Blech eine Gewichtsersparnis von 20 % erreicht“, bilanziert Köhler.
„Aus der Versteifung und Verstärkung der Bleche resultiert ein Karosserieleichtbau mit etablierten Werkstoffen zu moderaten Kosten“, ergänzt Heckmann. Betrachtet man die Wirtschaftlichkeit des Prototypen, ergeben sich bei einer Produktion von 5000 Stück pro Jahr geschätzte Leichtbaukosten von 2,28 Euro pro Kilogramm, bei 25.000 Stück pro Jahr sinken sie auf 1,07 Euro pro Kilogramm und bei 120.000 Stück pro Jahr auf 0,66 Euro pro Kilogramm. Damit liegt man stets in dem Rahmen, den die Automobilindustrie als Leichtbaukosten akzeptiert.
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