Engineering Größte mobile Bearbeitungsmaschine: Teamwork in der Konstruktion

Ein Gastbeitrag von Dipl.-Ing. Jochen Krismeyer, freier Fachjournalist Lesedauer: 5 min |

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Für die Revision von Kraftwerksteilen mit Konturen von bis zu 8000 Millimetern konstruierten zwei Schweizer Unternehmen die weltgrößte mobile CNC-Bearbeitungsmaschine. Schaeffler übernahm dabei die Auslegung der anspruchsvollen Lagertechnik und sorgte mit unkomplizierter Unterstützung für die fristgerechte Fertigstellung.

Links eine Frässpindel, rechts in Gelb das Gegengewicht. Beide Achsen werden mithilfe von Rollenumlaufeinheiten von Schaeffler präzise geführt. Auf der Hauptwelle sind vier Rollenumlaufeinheiten RUE in Baugröße 65 mit Corrotect-Beschichtung verschraubt.
Links eine Frässpindel, rechts in Gelb das Gegengewicht. Beide Achsen werden mithilfe von Rollenumlaufeinheiten von Schaeffler präzise geführt. Auf der Hauptwelle sind vier Rollenumlaufeinheiten RUE in Baugröße 65 mit Corrotect-Beschichtung verschraubt.
(Bild: Wysshus Engineering GmbH)

Die Entwicklung des „Turningator 6000C“, der größten mobilen Drehmaschine, ist eine Geschichte von Menschen, die für außergewöhnliche Herausforderungen immer wieder innovative Lösungen finden – agil, lösungsorientiert und mit Teamgeist über die Unternehmensgrenzen hinaus. Während die Schweizer Wysshus als Lösungsfinder die gesamte Projektplanung und -organisation innehatte, übernahm Bunorm – ebenfalls in der Schweiz ansässig – als Partner alle konstruktiven Aufgaben von der Fertigung über die Montage bis zur Inbetriebnahme.

Die beiden Unternehmen entwickelten bisher die Standardbaugrößen des Turningators: 2000, 4000 und 6000. Schaeffler betreute in der Vergangenheit auch diese Projekte. Der hier vorgestellte Turningator 6000C übertrifft mit bis zu 8.000 Millimetern Bearbeitungsdurchmesser alle bekannten Dimensionen und sollte in knapp einem Jahr auf die Beine gestellt werden. Hierzu musste die Konstruktion des Turningators allerdings an die neuen Größenverhältnisse grundsätzlich angepasst und neu ausgelegt werden.

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Markus Havrda, Projektleiter von Wysshus: „Der normale, serielle Ablauf, wie er im Maschinenbau üblich ist, war aus Zeitgründen bei diesem Projekt nicht möglich. Mit unseren Lieferanten, unter anderem auch mit Schaeffler, wurden Komponenten und Baugruppen mit langen Lieferzeiten identifiziert und in der Konstruktionsphase vorgezogen, ausgelegt und frühzeitig bestellt. Denn ein vermeintliches C-Teil wird schnell zum A-Teil, wenn es den zeitlichen und logistischen Ablauf stört.“ Zu wissen, was die nächsten Schritte sind und was wann geklärt und beschafft sein muss, das ist das Kerngeschäft der Wysshus Engineering. Havrda ergänzt: „Dieser eher unorthodoxe, aber sehr effektive Projektverlauf war nur realisierbar, weil Bunorm und Schaeffler zeitgleich an Auslegung, Konstruktion, Fertigung, Beschaffung und Montage wirklich optimal zusammengearbeitet haben. Das funktioniert nur mit Experten, die auch unter Druck einen kühlen Kopf bewahren.“

Mobile Bearbeitung von großen Guss- und Schweißkonstruktionen

Die mobile Bearbeitung von großen Teilen im Meterbereich ist eine sehr anspruchsvolle Nische. Dahinter steckt eine einfache Idee: Nicht das zu bearbeitende Teil kommt zur Werkzeugmaschine, sondern die Werkzeugmaschine zum Bauteil. Diese Technik wird unter anderem bei der Revision von Turbinen in Wasserkraftwerken eingesetzt.

Mit der mobilen CNC-Maschine, dem Turningator, kann der Originalzustand der Turbine wiederhergestellt werden. Die Bearbeitungsgenauigkeit entspricht der von großen Karusselldrehmaschinen und auch komplexe Konturen bis 8.000 mm Durchmesser können bearbeitet werden. Drehen, Fräsen, Bohren, Gewindeschneiden ohne Ausgleichsfutter und Gewindefräsen, sogar das Außendrehen von großen Wellenzapfen ist möglich.

Aufgrund der erreichten Präzision und Flexibilität ist dieses Maschinenkonzept auch für die Rohteilbearbeitung beim Turbinenhersteller einsetzbar.

Immer eine Alternative parat

Werner Locher, Head of Field Sales bei Schaeffler in der Schweiz, erinnert sich an die ersten Konzepte: „Wir haben diverse Lagerbauarten für die Hauptachse diskutiert und auch berechnet. Ausgangspunkt waren YRT-Lager, zweiseitig wirkende Axiallager mit radialem Führungslager, die bei den beiden kleineren Maschinen, Turningator 2000 und 4000, mit Erfolg seit Jahren im Einsatz sind. Allerdings waren diese Lager nicht in der Größe von über 1.200 mm Wellendurchmesser verfügbar. Am Ende entschieden wir uns für das Kreuzrollenlager mit einem Innendurchmesser von 1.270 mm.“

Diese Lager haben, bezogen auf ihre Tragfähigkeit, einen sehr kleinen Querschnitt. Das war wichtig, denn durch den Innenring des oberen Hauptlagers mussten die Hauptwelle und zwei Kugelgewindetriebe geführt werden.

Systemverständnis und Erfahrung machen den Unterschied

Die in schwarzen Faltenbälgen gekapselten und elektronisch synchronisierten Kugelgewindetriebe tragen die 20 t schwere Z-Achse und positionieren sie. Locher erklärt: „Mit normalen Lösungen für die Axiallagerung der Kugelgewindespindeln der hängenden Achse kommt man bei diesen Kräften nicht weit. Wir haben in Projekten mit ähnlich großen Kräften gute Erfahrungen mit zweireihigen Axial-Pendelrollenlagern gemacht und diese deshalb auch den Bunorm-Konstrukteuren empfohlen.“

Eine Besonderheit dieser mobilen Bearbeitungsmaschine im Vergleich zu ihren stationären „Geschwistern“ besteht darin, dass der Turningator sowohl mit senkrechter Hauptwelle als auch mit waagrechter Hauptwelle einsetzbar ist. Das hat Konsequenzen für die Lagerbelastung: In senkrechter Position müssen die Gewindetriebe und zweireihigen Axiallager der Z-Achse die Zentrifugalkräfte und die Zerspanungskräfte übertragen.

Bei horizontaler Hauptachse überlagern sich zu diesen Kräften die Gewichte der Z-Achs-Schlitten: Die zweireihigen Axiallager der Gewindespindeln werden bei jeder Umdrehung durch das Eigengewicht der Achse wechselnd belastet – einmal in Zug- und einmal in Druckrichtung. Die Herausforderung besteht darin, konstruktiv dafür Sorge zu tragen, dass unter allen Belastungszuständen kein Spiel in den Axiallagerungen und somit weder Schlupf noch ein Umkehrspiel entsteht. Nur so sind präzise Bearbeitungen im Meterbereich mit H7-Toleranz zu realisieren. Dass dies einiges an Know-how erfordert, darin sind sich die Spezialisten von Bunorm und Schaeffler einig.

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Havrda betont: „Es war von Anfang an unser Ziel, einen Partner zu beauftragen, der wirklich alle Fragen rund um die Lagerungen mitentwickelt und betreut – für diese eine Maschine. Und es gibt nur einen Versuch. Nach dem Motto: ‚Bitte schön, machen Sie mal, wir verlassen uns darauf, dass es funktioniert.’ Und das hat es – egal, ob es um die Konzeption und Auswahl der Lagerbauarten und -größen, die Auslegung, die konstruktive Ausführung oder die Lagerpassungen ging. Auch bei Detailfragen zur optimalen Schmierfettmenge, zu Dichtungslösungen oder zum Montageprozess für das Hauptlager haben uns sowohl Werner Locher als auch Gil Schuhmacher von der Berechnungsabteilung von Schaeffler, ebenfalls in der Schweiz, sehr gut unterstützt.“

Berechnungsprogramm Bearinx vereinfacht den Montageprozess

Schaeffler-Ingenieure setzen das eigene Berechnungsprogramm Bearinx nicht nur zur Auslegung einzelner Lagerstellen ein. Es können auch komplexe Lagersysteme modelliert und deren Parameter automatisiert variiert werden.

Das spielte bei der Montage des Turningator 6000C eine entscheidende Rolle, wie Werner Locher erzählt: „Nach der Erstmontage der Hauptwelle war das Drehmoment des Hauptlagers zu hoch. Es war zu weit vorgespannt. Die Frage war nun, wie weit die Vorspannung am zweiteiligen Innenring mittels Passscheiben reduziert werden muss, um auf das gewünschte Drehmoment zu kommen. Hierzu habe ich meinen Kollegen Gil Schuhmacher angerufen und ihn gebeten, eine Parameteranalyse in unserem Berechnungsprogramm Bearinx durchzuführen. Das hat er gemacht; die Maschine war ja schon in Bearinx modelliert worden. Noch am Telefon konnten wir das notwendige Maß bestimmen. Bunorm hat das Lager gezogen, die entsprechende Passscheibe auf Maß geschliffen und nach der Montage lief das Lager mit dem gewünschten Drehmoment. Das Ganze war innerhalb von knapp vier Stunden erledigt. So einfach geht das.“

Markus Havrda: „Diesen Service findet man in keinem Katalog. Schnell und unbürokratisch zu handeln, ist entscheidend in unserem Projektgeschäft, in dem enormer Zeitdruck herrscht. Der Turningator 6000C wurde wie geplant fertiggestellt und wir denken bereits jetzt über ein Nachfolgeprojekt nach. Eine erneute Zusammenarbeit können wir uns sehr gut vorstellen.“

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