Leichtbau Hochbelastete CFK-Strukturteile kosteneffizient im Spritzguss fertigen
Durch die Kombination aus intelligenter Geometrieentwicklung und werkstoffgerechter Materialmodellierung ist es möglich, Strukturbauteile aus Kunststoff fertigungsgerecht zu designen und dennoch nahezu den gleichen Anforderungen eines Referenzbauteils aus Metall gerecht zu werden
Anbieter zum Thema

Faserverbundkunststoffe bestimmen heute Leichtbaukonzepte in der Luft- und Raumfahrt, im Motorsport, bei Sportgeräten und in der Automobilindustrie [1, 2]. Durch hohe gewichtsspezifische Steifigkeiten und Festigkeiten in Faserrichtung [3] sowie lastpfadgerechte Konstruktion können Bauteile höchsten Anforderungen gerecht werden [4, 5].
Durch die langen Zykluszeiten von duroplastischen Verbundwerkstoffen, die aus dem Aushärteprozess resultieren bzw. durch die aufwändige Prozesstechnik und Designrestriktionen bei thermoplastischen Organoblechen, haben sich entsprechende Bauteile bisher überwiegend in Kleinserien durchgesetzt [6, 7].
Für Großserienanwendungen ist der Spritzgießprozess für Thermoplaste durch vor allem kurze Zykluszeiten viel interessanter. Mit den dort verwendeten kurz- und langfaserverstärkten Materialien ist es aufgrund der geringeren mechanischen Eigenschaften im Vergleich zu endlosfaserverstärkten Kunststoffen [8] jedoch eine große Herausforderung, hochbelastete Strukturbauteile kosteneffizient zu entwickeln.
Projekt substituiert Aluminium durch CFK
Dieser Herausforderung hat sich ein Projektkonsortium rund um die Hochschule Osnabrück angenommen. Ziel ist es, eine aus Aluminium hergestellte Federbeinaufnahme (Bild 1), welche beispielhaft für ein hochbelastetes Strukturbauteil in einer Großserienanwendung steht, durch langkohlefaserverstärkten Polyamid zu substituieren.
Um den Anforderungen gerecht zu werden, liegt der Fokus des Forschungsprojektes in einer Kombination aus intelligenter Geometrieentwicklung in Verknüpfung mit werkstoffgerechten Struktursimulationen. Die Schwerpunkte an der Hochschule Osnabrück liegen hierbei in den Bereichen Kunststoffverarbeitung und Integrative Simulation (Prof. Thorsten Krumpholz, Philipp Land), Werkstoffdesign und Betriebsfestigkeit (Prof. Viktor Prediger, Alexander Pluznikov) sowie der Materialcharakterisierung (Javad Mola, Jan-Marc Tiemann).
Topologieoptimierung ist Ausgangspunkt
Die Designentwicklung der Federbeinaufnahme aus Kunststoff, welche neben 21 statischen Lastfällen auch Lebensdaueranforderungen mit drei verschiedenen Laststufen standhalten muss, ist hierbei in verschiedenen Stufen abgelaufen (Bild 2). Auf Basis der CAD-Daten zum Serienfahrzeug vom Projektpartner Volkswagen Osnabrück GmbH wurde ausgehend von der Aluminium-Federbeinaufnahme (Bild 2a) ein Bauraummodell entwickelt (Bild 2b), das als Designraum zur Topologieoptimierung dient.
In einer ersten Optimierungsstufe mit der Software Tosca Structure von Dassault Systèmes wurden 13 der 21 statischen Lastfälle in einem Viertelfahrzeug-Simulationsmodell berücksichtigt. Ziel war die Maximierung der Steifigkeit bei einem vorgegebenen reduzierten Volumen, wodurch die Hauptlastpfade der Federbeinaufnahme identifiziert werden konnten (Bild 2c.).
Das Ergebnis der ersten Topologieoptimierung zeigt auch die Herausforderungen bei diesem Strukturbauteil auf:
- Durch extrem hohe Lasten im Bereich der Lageraufnahme kommt es zu großen Materialanhäufungen (Wanddicken im Bereich von 30 mm), die für Spritzgießbauteile aufgrund von langen Zykluszeiten, Verzug und Lunkern nicht umsetzbar sind.
- Ferner zeigen sich viele Aussparungen im restlichen Bereich der Federbeinaufnahme. Diese sind für das Leichtbaupotenzial des Bauteils generell positiv, führen jedoch zu Bindenähten und damit zu möglichen Schwachstellen [9].
Von der Topologieoptimierung zur Rippenstruktur
Für ein erstes kunststoffgerechtes Design der Federbeinaufnahme wurde auf Basis der Optimierungsergebnisse ein zweiteiliges Modell entwickelt (Bild 2-d). Dieses besteht aus einer geschlossenen Schale mit einer konstanten Wanddicke (blauer Bereich) und einem Design-Raum (grauer Bereich) an den inneren und äußeren Bereichen der Schale. Bei der äußeren Schale, die entlang der Lastpfade aus der Topologieoptimierung verläuft, wurden die Aussparungen geschlossen um Bindenähte zu verhindern. Weiterhin wurde eine konstante Wanddicke gewählt um u.a. Verzug und ungleichmäßiges Füllen zu verhindern [10].
Fertigungsrestriktionen integriert
Der Design-Raum wurde aus Bereichen entwickelt, bei denen hohe Wanddicken das Ergebnis der Strukturoptimierung waren. Da dieser als Basis für eine Rippenstruktur an der inneren und äußeren Seite der Schale dienen soll, wurden hier bereits Fertigungsrestriktionen berücksichtigt. Analog zu der ersten Topologieoptimierung wurde jetzt das neue Modell der Federbeinaufnahme bei gleichbleibenden Simulationsrandbedingungen optimiert.
Um eine kunststoffgerechte Rippenstruktur zu generieren wurde dem Design-Raum eine maximale Wanddicke sowie eine Entformungsrichtung vorgegeben. Das Ergebnis der Topologieoptimierung wurde zu einer Rippenstruktur umgesetzt und ist in Bild 2e dargestellt. Die grauen Bereiche sind die generischen Strukturen aus der Topologieoptimierung und bilden die Basis für die konstruierte Rippenstruktur.
Reduzierung der hochbelasteten Bereiche des Bauteils
Eine lineare isotrope Simulation eines synthetischen Lastfalles zeigt, dass die neu entwickelte Geometrie im Vergleich zur Aluminium-Federbeinaufnahme einen homogeneren Spannungsverlauf aufweist (Bild 3). Die hohen Belastungsbereiche des Bauteils werden durch die normierten Spannungen aufgezeigt. Das optimierte Design weist deutlich weniger hochbelastete Bereiche auf.
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Belastungsgrenzen des Kunststoffes geringer als bei Aluminium sind und dass die hohen Spannungen aufgrund des spröden Materialverhaltens kritischer als beim Referenzmaterial sind. Außerdem lässt sich der Abbildung entnehmen, dass Bereiche in der Federbeinaufnahme existieren, die das Material noch nicht optimal ausnutzen. Der Bereich der Lageraufnahme selbst ist als besonders belastet wahrzunehmen. Dieser Bereich rund um die Krafteinleitung wird im weiteren Projektverlauf separat betrachtet und optimiert.
Validierungsbauteil: Kombination aus Topologie- und Wanddickenoptimierungen
Bevor im Rahmen des Forschungsschwerpunktes Light Connect die Federbeinaufnahme als realer Demonstrator hergestellt wird, muss sowohl das Bauteil den geforderten Lasten in der Simulation standhalten als auch Gewichtsvorteile aufweisen. Um zu zeigen, dass Material- und Designkonzept der Federbeinaufnahme den statischen und auch den Lebensdaueranforderungen standhalten, wurde aus dem Bereich der Lageraufnahme ein Demonstratorbauteil entwickelt (Bild 4). Neben dem Nachweis der Bauteilfestigkeit sollen auch die Materialmodelle für verschiedene Belastungsarten validiert werden.
Rotationssymmetrie reduziert geometrische Schwachstellen
Um bei der Entwicklung dieses Demonstratorbauteils geometrische Schwachstellen durch beispielsweise Asymmetrien zu minimieren, wurde eine rotationssymmetrische Geometrie gewählt. Die finale Struktur ist hierbei durch eine Kombination aus Topologie- und Wanddickenoptimierungen sowie intelligenter Konstruktion entwickelt worden. Um die Steifigkeit und Festigkeit des Bauteils zu bewerten, können direkte Kenngrößen aus dem Zugversuch in der Simulation nur bedingt verwendet werden, da sowohl kurz- als auch langfaserverstärkte Kunststoffe verarbeitungsbedingt anisotrope und inhomogene Materialeigenschaften aufweisen.
Diese prozessbedingten Einflüsse auf die lokalen Materialeigenschaften wie Faserorientierung, Faserlänge oder Faserkonzentration können bei Struktursimulationen durch die sogenannte „Integrative Simulation“ berücksichtigt werden. [11]
Integrative Simulation mit anisotropem Materialverhalten
Durch steigende Erwartungen an die Prognosegüte von strukturmechanischen Berechnungen reicht es oftmals nicht mehr aus, faserverstärkte Bauteile mit „verschmierten“ Materialansätzen zu berechnen. Bei diesen Ansätzen wird das anisotrope Materialverhalten durch ein isotropes Materialmodell beschrieben, bei denen die Eigenschaften längs und quer zur Spritzrichtung gemittelt werden [12]. Um den Anforderungen gerecht zu werden und Bauteile materialeffizient zu gestalten, muss die Anisotropie in der Struktursimulation berücksichtigt werden. Diese richtungsabhängigen Eigenschaften von kurz- und langfaserverstärkten Kunststoffen, die im Spritzgießprozess verarbeitet werden, ergeben sich durch die Strömungsgegebenheiten im Werkzeug.
Mehr Wissen dank Spritzgießsimulation
Die Faserorientierung kann in der Spritzgießsimulation berechnet und anschließend durch sogenanntes Mapping in die Struktursimulation übertragen werden.
Beim Mapping werden Daten zwischen verschiedenen FE-Netzen, die sich in der Vernetzungsart (Volumenelemente, Schalenelemente, Hybridnetze), der lokalen Diskretisierung und oftmals auch in der Orientierung im Raum unterscheiden, übertragen [11].
Mit Informationen über die vorliegende Faserorientierung kann das anisotrope Materialverhalten in der Struktursimulation berücksichtigt werden. Im Rahmen dieser Untersuchungen erfolgt die anisotrope Materialmodellierung durch die sogenannte „Mean-Field-Theorie“ [13], bei der das nichtlineare Materialverhalten des Verbundes durch Homogenisierungen auf Mikrostrukturebene berechnet wird [11]. Die Basis dieser Homogenisierung bilden die Materialmodelle von Faser und Matrix.
Um hierbei das elastoplastische Materialverhalten der Matrix berücksichtigen zu können, wird deren Spannungs-Dehnungs-Verhalten durch einen linear-elastischen und einen elastoplastischen Anteil beschrieben. Das mechanische Verhalten der Faser wird durch ein isotropes linearelastisches Materialmodell ausreichend berücksichtigt. Die anisotrope Festigkeitsbewertung erfolgt durch die Anwendung eines dehnungsbasierten Tsai-Hill-Kriteriums [14, 15]
Langkohlefaserverstärktes Polyamid im Einsatz
Bei dem im Rahmen des Projektes eingesetzten Materials handelt es sich um ein langkohlefaserverstärktes Polyamid mit 40 % Fasergewichtsgehalt und einer Ausgangsfaserlänge von 10 mm vom Typ EMS Grivory GCL-4H der Ems-Chemie AG, Domat/Ems, Schweiz. Die Kalibrierung des Materialmodells erfolgt auf Basis von Zugstäben in Fließrichtung und quer dazu, die aus einer Platte mit den Abmessungen 250 mm x 200 mm x 4 mm gefertigt wurden. Durch die langen Fließwege und die Wanddicke von 4 mm sind bei der Platte ähnliche geometrische Relationen wie am Validierungsbauteil bzw. der Federbeinaufnahme gegeben.
Simulation und Versuch im Vergleich
Bild 5 zeigt die Spannungs-Dehnungs-Verläufe der Versuche bei 23 und 80 °C im Vergleich mit den Simulationsergebnissen.
- Die graue Fläche zeigt hierbei das mechanische Verhalten in Fließrichtung und die orangene Fläche in transversaler Richtung, jeweils mit der einfachen Standardabweichung. Der E-Modul beträgt in Fließrichtung 20.200 MPa (23 °C) bzw. 11.800 MPa (80 °C) und quer dazu 14.400 MPa (23 °C) bzw. 7.900 MPa (80 °C).
- Die Festigkeiten liegen bei Raumtemperatur bei 246 MPa bzw. 202 MPa und bei 80 °C bei 148 MPa bzw. 112 MPa.
- Zusätzlich zu den Prüfergebnissen sind die entsprechenden Simulationsergebnisse in 0° und 90° mit verwendetem Versagenskriterium abgebildet.
Es lässt sich erkennen, dass sowohl das Spannungs-Dehnungs-Verhalten als auch das Versagenskriterium gut mit den Versuchen übereinstimmen.
Materialmodell ermöglicht Vorhersagen
Mit diesem Materialmodell kann nun eine Aussage über das Konzept des Demobauteils bzw. der Federbeinaufnahme unter Berücksichtigung der Anisotropie getroffen werden. Um Bindenähte im Bereich der Lageraufnahme zu vermeiden, soll das Bauteil über einen Schirmanguss gefüllt werden. Der Schirmanguss führt neben der gleichmäßigen Füllung auch zu einer geringeren Scherung der Schmelze als beispielsweise Punktangüsse, wodurch die Fasern weniger geschädigt werden und bessere mechanische Eigenschaften im Bauteil vorhanden sind.
Weiterhin kann der Nachdruck durch ein solches Angusssystem flächig und lange wirken. Das Angusssystem und die prognostizierte Faserorientierung für das Demobauteil sind in Bild 6a zu sehen. Hier zeigt sich, dass der Schirmanguss zu einer gleichmäßigen Faserorientierung führt und die Fasern weiterhin in den Rippen entlang des Lastpfades orientiert sind. Die Faserorientierung in Kombination mit den hohen mechanischen Eigenschaften der Langkohlefasern sorgt dafür, dass der Auslastungsgrad beim kritischen statischen Lastfall und 80 °C kleiner als 1 ist und kein Versagen prognostiziert wird (Bild 6b). Es ist zu sehen, dass die Materialausnutzung relativ homogen ist bei stets ausreichender Sicherheit für die Betriebsfestigkeitsanforderungen.
Im Rahmen dieser Ergebnisse erfolgte
- die Spritzgießsimulation mit Moldflow, Autodesk, Inc., San Rafael, USA,
- die Struktursimulation mit Abaqus, Dassault Systèmes SE, Vélizy-Villacoublay, Frankreich und
- das Mapping und die Materialmodellierung mit Digimat, MSC Software Corporation, Santa Ana, USA.
Fazit und Ausblick
Zusammengefasst konnte durch eine zweistufige Topologieoptimierung ein erstes, kunststoffgerechtes Design der Federbeinaufnahme entwickelt werden, welches eine homogenere Spannungsverteilung als das Referenzbauteil aufweist. Der kritische Bereich rund um die Lageraufnahme wurde losgelöst von der gesamten Federbeinaufnahme weiter optimiert und Simulationen unter Berücksichtigung der anisotropen Eigenschaften zeigen, dass die optimierte Geometrie den statischen Lastfällen bei 80 °C Stand hält.
Diese verwendeten Materialmodelle weisen eine gute Übereinstimmung mit uniaxialen Zugversuchen auf und sollen an diesem Bauteil mit dreidimensionalen praxisnahen Spannungszustände validiert werden.
Leichtbaupotenzial weiter ausschöpfen
Aktuell wird das Werkzeug gefertigt. Neben der Validierung der quasi-statischen Materialmodelle für Raumtemperatur und 80 °C sollen auch Lebensdauer und Crash-Versuche an diesem Bauteil durchgeführt werden. Diese Ergebnisse sollen dann auch mit Simulationsmodellen zur Bewertung der Betriebsfestigkeit (isotrop und anisotrop) und mit dehnratenabhängigen Materialmodellen verglichen werden.
Die an diesem Bauteil gewonnen Erkenntnisse sollen anschließend auf die Federbeinaufnahme übertragen werden, sodass beispielsweise die Wanddicken für größeres Leichtbaupotenzial weiter optimiert werden können. Bei der Übertragung auf die Federbeinaufnahme ist zu berücksichtigen, dass die Lasten dort lastfallabhängig teilweise asymmetrisch eingeleitet werden und die rotationssymmetrische Struktur daher nicht direkt übertragen werden kann.
* Prof. Dr.-Ing. Thorsten Krumpholz, Professur für Kunststofftechnik, Leiter des Labors für Kunststoff-CAE und Faserverbundkunststoffe, Hochschule Osnabrück; Philipp Land, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Kunststoff-CAE und Faserverbundkunststoffe, Hochschule Osnabrück; Alexander Pluznikov, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Mechanik und Messtechnik, Hochschule Osnabrück; Jan-Marc Tiemann, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Materialdesign und Werkstoffzuverlässigkeit, Hochschule Osnabrück
(ID:46664629)