Werkzeugmaschinen Industrie 4.0 in Vorschubachsen

Autor / Redakteur: Jürgen Fleischer und Andreas Spohrer / M.A. Frauke Finus

Industrie 4.0 ist das allgegenwärtige Schlagwort. Wie man als Unternehmen erfolgreich mit dem Strom schwimmt hat ein Team des Karlsruher Instituts für Technologie an praxisrelevanten Anwendungsbeispielen identifiziert und hinsichtlich ihrer Einsatzfähigkeit und Praktikabilität für den industriellen Einsatz in Werkzeugmaschinen erforscht.

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Die Industrie 4.0-Pyramide.
Die Industrie 4.0-Pyramide.
(Bild: KIT/wbk)

Um mit Industrie 4.0 unternehmerische Erfolge erzielen zu können ist die Identifikation konkreter, praxisrelevanter Anwendungsbeispiele notwendig. Dieser Artikel präsentiert am Beispiel mechatronischer Vorschubachsen (VSA) aktuelle Industrie 4.0-Anwendungsbeispiele aus der Forschung am wbk Institut für Produktionstechnik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), die mittelfristig Anwendung in der industriellen Praxis finden sollen. Wesentliches Forschungsziel der Arbeitsgruppe WZMM (Werkzeugmaschinen und Mechatronik) am wbk ist es, praxisrelevante Anwendungsbeispiele im Themenfeld Industrie 4.0 zu identifizieren und hinsichtlich ihrer Einsatzfähigkeit und Praktikabilität für den industriellen Einsatz in Werkzeugmaschinen vorzubereiten. Fokus der Forschungstätigkeiten liegt hierbei auf der Optimierung der Verfügbarkeit und der Vernetzung smarter, mechatronischer VSA in Werkzeugmaschinen. Um die Forschungsansätze erfolgreich industriell implementieren können, ist es notwendig für jedes spezifische Unternehmen und jede Maschine eine Potenzialanalyse hinsichtlich gegebener Randbedingungen durchzuführen. Die in Abbildung 1 dargestellte Industrie-4.0-Pyramide bildet hierbei das methodische Kernelement zur Analyse gegebener Randbedingungen und ermöglicht das Aufzeigen von spezifischen Entwicklungspotenzialen.

Mechatronische Vorschubachsen mit Industrie 4.0-Funktionalität

Die Basis von Industrie 4.0 bilden in diesem Kontext integrierte Sensoren und Aktoren, die sowohl die aktuell vorliegenden Gegebenheiten von Komponenten und Systemen sensorisch erfassen, als auch bei Bedarf aktorisch beeinflussen können. In der darauf folgenden, übergeordneten Ebene „Devices“ sind alle technischen Systeme angeordnet, die auf Basis ihrer integrierten Sensoren und Aktoren Industrie 4.0-Funktionalität besitzen. Die darauffolgende Ebene „Connectivity“ umfasst die informationstechnische Vernetzung und Kommunikation der einzelnen Systeme. Die Spitze der Pyramide bildet schließlich der „Service“, mit dem sich für Unternehmen wirtschaftlicher Mehrwert und langfristiger Erfolg generieren lässt. Die vorgestellte Methodik zur Identifikation und Implementierung von Industrie 4.0 in Werkzeugmaschinen wurde im Rahmen von Industrie-Workshops bereits mehrfach sowohl im Mittelstand als auch in Großunternehmen erfolgreich angewandt. In den folgen Abschnitten werden am exemplarischen Beispiel von mechatronischen Vorschubachsen aktuelle Anwendungsbeispiele für die Implementierung von Industrie 4.0 in der Produktion vorgestellt.

  • Condition Monitoring 4.0

Im Bereich der VSA werden am wbk Condition-Monitoring-Methodiken, die sich bei Wälzlagern bereits industriell bewährt haben, für Kugelgewindetriebe und Ritzel-Zahnstangen-Triebe angepasst und erweitert. Die in den Konstruktionselementen integrierte Sensorik, zum Beispiel ein kabelloser CM-Sensor, ermöglicht über den kompletten Lebenszyklus eine eindeutige Aussage zum Verschleißzustand, was bevorstehende Wartungsarbeiten besser planbar macht und ungeplante Maschinenausfälle verhindert. Durch die in der mechanischen Komponente integrierte Kommunikationstechnologie lassen sich die erfassten Daten bedarfsgerecht und ortsunabhängig auswerten. Diese Ortsunabhängigkeit der Datenauswertung ermöglicht wiederum neue Geschäftsmodelle, wie die durch den Komponentenhersteller beim Endkunden durchführbare Zustandsüberwachung.

  • Adaptive Schmierung von Kugelgewindetrieben

Abgedichtete, verschleißbehaftete Konstruktionselemente wie Kugelgewindetriebe sind aufgrund ihrer Bauart permanent der Gefahr einer Über- oder Unterschmierung ausgesetzt. Die industrielle Praxis weist aufgrund manuell oder zeitabhängig gewählter Nachschmierintervalle eine Tendenz zur Überschmierung auf, was die erreichbare Komponentenlebensdauer reduziert. Ein am wbk entwickeltes Verfahren zur adaptiven und bedarfsgerechten Nachschmierung von Kugelgewindetrieben vergleicht auf Basis eines Soll-Ist-Abgleichs real vorliegende Werte von Reibmoment und Temperatur mit deren idealen Soll-Werten. Beim Überschreiten der Soll-Grenze kann so automatisiert eine Nachschmierung angestoßen werden, wodurch der Kugelgewindetrieb sich über den kompletten Lebenszyklus in einem verschleißminimalen Schmierzustand befindet. Unter Laborbedingungen konnte so bei konstanten Belastungen eine durchschnittliche Lebensdauererhöhung um 70 % nachgewiesen werden.

  • Selbstbeschreibung von Vorschubachsenkomponenten

In vielen Bereichen der Produktion ist auch heute noch analoger, papierbasierter Informationsaustausch anzutreffen. Dies trifft beispielsweise auf die Übermittlung qualitätsrelevanter Geometriedaten von Kugelgewindetrieben vom Komponentenhersteller an den Endkunden zu, was bei der Maschineninbetriebnahme zu hohem Aufwand und hoher Fehleranfälligkeit durch manuelle Dateneingabe führt. Am wbk wurde zur Lösung dieses Problems ein speicherbasiertes System entwickelt, mit der die Komponente ihre qualitätsrelevanten Daten über den kompletten Lebenszyklus digital mit sich mitführt. Diese Methodik gewährleistet, dass alle relevanten Daten wie achsspezifische Steigungsfehler, organisatorische Informationen wie Teile- und Zeichnungsnummern oder durchgeführte Wartungen jederzeit unmittelbar verfügbar sind, was sowohl dem Maschinenhersteller als auch dem Maschinennutzer sowohl eine Reduzierung der Inbetriebnahmezeit als auch eine höhere Prozesssicherheit gewährleistet.

Anhand der dargestellten Anwendungsbeispiele kann gezeigt werden, dass sich Industrie 4.0-Ansätze mit überschaubarem Aufwand in der Produktionsumgebung implementieren und zum Lösen praxisrelevanter Problemstellungen einsetzen lassen. Dies veranschaulicht, dass Industrie 4.0 nicht nur Großunternehmen vorbehalten bleibt, sondern auch im Mittelstand wirtschaftlich sinnvoll ist.

* Prof. Dr.-Ing. Jürgen Fleischer ist Institutsleiter des wbk Instituts für Produktionstechnik in 76131 Karlsruhe, Tel. (07 21) 6 08-4 40 09, Juergen.Fleischer@kit edu, Dipl.-Ing. Andreas Spohrer ist akademischer Mitarbeiter am wbk Institut für Produktionstechnik in 76131 Karlsruhe, Tel. (07 21) 6 08-4 42 89, Andreas.Spohrer@kit.edu

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