Werkstoffe Keramikkompetenz aus dem Allgäu
Mit der Entwicklung keramischer Hochleistungsprodukte hat das Elektroschmelzwerk Kempten Technikgeschichte geschrieben. Heute feiert es als Geschäftsbereich Technical Ceramics von 3M Jubiläum, denn auch 100 Jahre später werden hier Hightech-Werkstoffe für die Industrie entwickelt.
Anbieter zum Thema

Wer an Kempten denkt, wird vermutlich erst einmal das Allgäu oder die Berge vor Augen haben. Doch die Region ist seit vielen Jahrzehnten auch ein wichtiger Industriestandort. Eines der Unternehmen, 3M mit dem Geschäftsbereich Technical Ceramics, feiert nun Jubiläum: Seit 100 Jahren werden hier keramische Hochleistungswerkstoffe und -bauteile hergestellt.
Es war der 23. Januar 1922, als der Chemiker Max Schaidhauf das Elektroschmelzwerk Kempten (ESK) gründete. Er hatte bei der Degussa in Rheinfelden gearbeitet und sah in der Produktion von Siliziumcarbid einen großen Wachstumsmarkt: Der Werkstoff wurde in Deutschland nicht produziert, war aber erforderlich für die Herstellung von Schleifscheiben und Schleifpapier, vor allem für den Fahrzeug- und Maschinenbau. Die Degussa wollte in diesen Markt nicht einsteigen, Schaidhauf aber schon – und er setzte das gemeinsam mit Investoren in die Tat um. Warum wählte er aber ausgerechnet Kempten als Firmenstandort? Zum einen war Strom durch die nahen Wasserkraftwerke vorhanden. Zum anderen berichtete das Staatliche Bauamt Kempten zum Jubiläum, dass die beteiligten Investoren, die Firmen Dr. Rudolf Schönherr und die Tüllfabrik Flöha, einen Standort in Bayern zur Bedingung machten.
So beginnt das Unternehmen 1923 mit der Produktion von Korund und 1925 mit der von Siliziumcarbid. Das Allgäuer Überlandwerk – für einige Jahre ebenfalls ein kleiner Aktionär der ESK – sicherte dafür zu Beginn eine Stromleistung von 1000 Kilowatt vertraglich zu. Der Anfang war dennoch nicht einfach: erst die Devisenknappheit nach dem Ersten Weltkrieg, dann Währungskrise, Rohstoffmangel, Mangel an Maschinenkomponenten sowie Änderungen an den Zöllen. Die Produktion ging zwar immer weiter, doch erst mit der Übernahme durch die Dr. Alexander Wacker Gesellschaft für elektrochemische Industrie (heute: Wacker Chemie) 1933 setzte nachhaltiges Wachstum und die Gründung von weiteren Zweigwerken ein. Nach einem Brand im Jahr 1936 wurde der Betrieb mit einer höheren Beschäftigtenzahl wiederaufgebaut.
Neue Werkstoffe erweitern das Portfolio
Zu den innovativen Meilensteinen des Standortes gehört 1940 die erstmalige Herstellung von Borcarbid – einer industriellen Alternative für Arbeitsdiamanten. Erste Sinterversuche führen zur serienreifen Herstellung von Sandstrahldüsen aus Borcarbid (B4C), die mittels Heißpressen erstellt werden und zu den ersten Nichtoxidkeramik-Produkten des ESK zählen. Schnell kommt nicht nur die Herstellung und Verarbeitung von Aluminium- und Titanborid hinzu, das Werk etabliert sich auch als Lieferant für ingenieurkeramische Bauteile.
Ab 1960 begann man, Mischkeramiken zum Verdampfen von Aluminium herzustellen, in den 1970er-Jahren kam die Oberflächenveredelung mit Nickel-Diamant sowie die Fertigung von Bauteilen aus Silizium- und Borcarbid hinzu. Auf Basis von Drucklos-Sintern gelang 1977 die Produktion von Silizium- und Borcarbid-Bauteilen. Zwei Jahre später wurde die weltweit erste Heißisostatpresse bei Temperaturen über 1900 Grad Celsius in Betrieb genommen, um Nichtoxidkeramik herzustellen.
Ab 1983 werden schließlich hochwertige Sinterteile auf Siliziumnitrid-Basis entwickelt und produziert. Das Werk erschließt sich zudem durch die Rohstoffherstellung für Körperschutzplatten den wehrtechnischen Markt. In den 2000er-Jahren folgen Kernprodukte wie Wärmetauscher, keramische Additive für Kosmetika, Lösungen zur Sandkontrolle für die Öl- und Gasindustrie sowie wärmeleitfähige Füllstoffe für Kunststoffe. 2001 wurden zwei Heißpressen mit einer Presskraft von 600 Tonnen fertiggestellt.
Heute produziert Kempten für die Welt
Über die Jahrzehnte war Wacker lange der Eigentümer des Werks. Ende der 1990er-Jahre prägten jedoch einige Veränderungen die Entwicklung. 1998 gründete das Unternehmen zunächst die ESK-SIC GmbH mit Sitz in Frechen als 100-prozentige Tochter der Elektroschmelzwerk Kempten GmbH innerhalb des Chemiekonzerns. Während dieser Geschäftszweig durch ein Management-Buy-out ab 2001 selbstständig agierte, verkaufte Wacker 2004 das Kemptener Werk an den kalifornischen Konzern Ceradyne, eines der weltweit führenden Unternehmen in der Entwicklung und Produktion technischer Keramik.
Mehr Ruhe kehrte erst wieder ein, nachdem der Technologiekonzern 3M Ceradyne 2012 übernommen hatte. Durch diesen Zusammenschluss war die Entwicklung neuer Technologien und Innovationen für spezielle, maßgeschneiderte Werkstoffe möglich, die den Einsatz von Hochleistungskeramik voraussetzen. Zunächst wurde Ceradyne und damit auch das Kemptener Werk in die 3M Advanced Materials Division des 3M-Geschäftsbereichs Industrial and Transportation aufgenommen und zählt heute zum Geschäftsbereich Transportation & Energy des Unternehmens.
Zeitleiste | |
---|---|
1922 | Der Chemiker Max Schaidhauf gründet das Elektroschmelzwerk Kempten (ESK) in Kempten. |
1925 | Das ESK startet die Produktion von Siliziumcarbid, das vor für Schleifprozesse in der Industrie benötigt wurde. |
1933 | Das ESK wird von Wacker-Chemie übernommen. |
1940 | Das Unternehmen stellt am Standort Kempten erstmals Borcarbid, eine industrielle Alternative für Arbeitsdiamanten, her. |
1977 | Beginn der Produktion von Silizium- und Borcarbid-Bauteilen auf Basis von Drucklos-Sintern. |
1983 | Herstellung von Sinterteilen auf Siliziumnitrit-Basis. |
2004 | Der kalifornische Konzern Ceradyne kauft das ESK-Werk in Kempten von Wacker-Chemie. |
2012 | Der 3M-Konzern übernimmt Ceradyne, das Werk wird Teil von 3M Deutschland. |
Heute, 100 Jahre nach Firmengründung, ist der Standort Kempten eine Zweigniederlassung der 3M Deutschland GmbH und Sitz des Geschäftsbereichs Technical Ceramics. Noch immer beschäftigen sich die Mitarbeiter mit technischer Keramik: Ob im Maschinen- oder Anlagenbau, in der Öl- und Gasindustrie, beim Automobil oder in der Luft- und Raumfahrt – sie kommt weltweit in zahlreichen Industrien zum Einsatz.
Mit Mut, Innovationskraft und mit einem Blick für die Bedürfnisse des Marktes hat der Standort Kempten bei der Entwicklung von Werkstoffen aus Hochleistungskeramik eine entscheidende Rolle gespielt – und wird diese Rolle auch weiterhin ausfüllen.
Literatur:
Wikipedia: 3M Thechnical Ceramics
Chemietechnik: ESK Ceramics wird zu 3M Technical Ceramics
Allgäu Online: Wacker Chemie stellt Produktion in Kempten ein
Pressemeldung: Ceradyne, Inc. to Acquire ESK Ceramics
(ID:48059937)