Titanbearbeitung Komplexe Werkstücke aus Titan effizient zerspanen

Autor / Redakteur: Josef Giessler und Siegfried Bohnet / Bernhard Kuttkat

Titanwerkstoffe sind auf dem Vormarsch. Geringes Gewicht, hohe Festigkeit und gute Korrosionsbeständigkeit sind willkommene Eigenschaften, erschweren aber die Bearbeitung. Doch darauf abgestimmte Werkzeuge zerspanen auch widerspenstige Titanlegierungen.

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Folgt man den Aussagen der Flugzeughersteller, dann wird künftig doppelt so viel Titan durch die Lüfte fliegen wie bisher. Die neue Generation der Passagierjets wie der Boeing Dreamliner oder der Airbus A350 XWB bestehen zu rund 15 bis 20% aus Titanlegierungen. Bei der aktuellen Generation liegt der Anteil bei lediglich 7%.

Mehr Bauteile und neue Legierungen aus Titan

Die steigende Menge Titanbauteile ist dabei nur die eine Seite. Die andere ist die Einführung moderner Legierungen. Neben der klassischen Flugzeugbaulegierung Ti6Al4V gewinnt das neue Material Ti5553 (Ti5Al5V5Mo3Cr) an Bedeutung.

Der Hauptvorteil dieses Highend-Werkstoffs ist eine erhöhte Warmfestigkeit. Die ersten Bauteile aus „Titan triple-five three“, wie Insider sagen, werden bereits gefertigt. Die weltweite Verbreitung wird noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.

In der Luft- und Raumfahrt braucht alles Neue seine Zeit, weil jeder Veränderung umfangreiche Laboruntersuchungen und Genehmigungsverfahren vorausgehen. Dass die Diskussion um Titanwerkstoffe wie selbstverständlich bei der Luft- und Raumfahrt ansetzt, wird schnell klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass etwa 80% der Anwendungen diesem Bereich zugeordnet werden können.

Bauteile aus Titan meist mit hohem Zerspanvolumen

Zur hohen Anzahl der Anwendungen gesellt sich ein hohes Zerspanvolumen. Das liegt an den typischen Konturen. Die Wanddicken der fertigen Bauteile sind dünn, die Formen äußerst komplex; ein häufiger Prozess ist das Fräsen tiefer Taschen.

Weitere wichtige Sparten, für die Titan bearbeitet wird, sind Medizintechnik, Motorsport und die chemische Industrie. In der Medizintechnik wird unter anderem die Flugzeugbaulegierung Ti6Al4V für Gelenkimplantate verwendet. Der Werkstoff ist nicht nur flugtüchtig, er hat auch eine gute Gewebeverträglichkeit.

Schlechte Wärmeleitfähigkeit, niedrige Elstizität und Neigung zum Kleben erschweren Titanzerspanung

Drei Dinge machen den Werkzeugen bei der Ti-Zerspanung das Leben schwer:

  • Eine extrem schlechte Wärmeleitfähigkeit (Ti6Al4V = 7,56 W/mK, Stahl Ck45 = 51,9 W/mK);
  • ein vergleichsweise niedriger Elastizitätsmodul (Ti6Al4V = 110 kN/mm2, Stahl Ck45 = 210 kN/mm2) und
  • eine ausgeprägte Neigung zum Kleben.

Die Wärme wird zu einem erheblichen Teil über die Schneide abgeführt, nicht wie bei Stahl über die Späne. Weil die Spantiefen eher gering sind, muss ein kleiner Teil des Schneidkeils äußerst hohe thermische und mechanische Beanspruchungen aushalten können.

Zerspanen von Titan nur mit Nassbearbeitung

Diese Umstände machen die Nassbearbeitung zwingend. Der niedrige E-Modul führt sehr schnell zu Schwingungen. Aufbauschneiden aufgrund der Klebeneigung verstärken den Effekt. Die Folge: Die Schnittgeschwindigkeit muss stark reduziert werden.

Mit dem neuen Werkstoff Ti5553 wird es nicht einfacher, sondern die Probleme haben sich verschärft. Ti6Al4V ist eine Alpha-Beta-Legierung mit ausgeglichenem Verhältnis der Gefügeanteile (Alpha = hexagonale Gefügestruktur, Beta = kubisch raumzentrierte Gefügestruktur). Ti5553 hat dagegen einen höheren Beta-Anteil, wird deshalb auch als Near-Beta-Legierung bezeichnet.

Dieser Umstand bewirkt die höhere Warmfestigkeit, aber auch eine noch schwierigere Zerspanbarkeit. Bei 430 °C beträgt die Festigkeit von Ti5553 immer noch etwa 900 N/mm2. Die Neigung zum Kleben wird durch die Beta-Gefügeanteile verstärkt.

Titanzerspanung erfordert optimierte Werkzeuge

Aufgrund dieser Tatsachen erfordert die professionelle Titanzerspanung optimierte Werkzeuge. Bis zu einem Durchmesser von etwa 20 bis 25 mm sind das in aller Regel Vollhartmetallwerkzeuge, die so ausgelegt werden müssen, dass sie möglichst wenig schwingen und der Bildung von Aufbauschneiden entgegenwirken. Gefordert wird ein sogenanntes Chatterfree-Design.

Die wichtigsten Stellschrauben sind Makrogeometrie, Mikrogeometrie und Oberflächengüte. Die Ungleichteilung der Zähne und schmale Stützfasen an der Schneidkante mit Null-Freiwinkel haben sich bewährt. Polierte Spanflächen lassen die Späne besser abfließen.

Werkzeuge mit interner Kühlmittelzufuhr zum Zerspanen von Titan unabdingbar

Die Beschichtungen basieren auf AlCrN, die bei Stahl üblichen Ti-basierten Hartschichten kommen bei Vollhartmetall-Werkzeugen nicht in Frage. Ebenfalls wichtig ist eine interne Kühlmittelzufuhr, um beim Schruppen die Wärme an der Schneide möglichst effektiv abzuführen.

Alle erforderlichen Merkmale bietet beispielsweise das Vollhartmetall-Schaftfräser-Duo Protostar Ti40 und Ti45 von Walter Prototyp. Der Ti40 ist ein Schruppwerkzeug mit Innenkühlung (Bild 1), der Ti45 ein Schlichtwerkzeug. Bei seiner Markteinführung markierte der Ti40 den Beginn einer neuen Ära in der Ti-Zerspanungstechnik.

Ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit Airbus durchgeführt wurde, erbrachte ein für die Zerspaner erfreuliches Ergebnis: Der Ti40 führt beim Schruppen von Ti6Al4V mindestens zu einer Verdoppelung des Zerspanungsvolumens. Bis dahin belief sich das maximale Zerspanungsvolumen auf etwa 80 cm3/min (Vc = 25 m/min), realisierbar mit HSS-E-Werkzeugen mit 32 mm Durchmesser. Dieser Wert pendelte sich bei Airbus bereits Mitte der 90er-Jahre ein, seither konnte keine Verbesserung erzielt werden – eine lange Zeit ohne Schritt nach vorne.

Titangeeignete Hartmetallsubstrate steigern Zerspanvolumen

Die neue Vollhartmetall-Generation legt die Messlatte deutlich höher, nämlich auf 160 bis 200 cm3/min (Vc = 50 bis 60 m/min), bezogen auf einen Werkzeugdurchmesser von 25 mm. Dieser Sachverhalt zeigt, dass die Weiterentwicklung von HSS-Schaftfräsern eine Grenze erreicht hat. Steigerungen bedürfen völlig neuer Konzepte. Der entscheidende Schritt ist durch die Entwicklung neuer, titangeeigneter Hartmetallsubstrate möglich geworden.

Die Vollhartmetall-Fräser der jüngsten Generation, Ti40 und Ti45, werden aus einem extrem zähen, relativ schwingungsunempfindlichen Hartmetall hergestellt. Dieses steht erst seit wenigen Jahren zur Verfügung.

Werkzeuge zur Zerspanung von Ti5553 entwickelt

In weiteren Versuchen nahmen sich die Spezialisten bei Walter im hauseigenen Technology Center das Material Ti5553 vor. Ziel war es, zu ermitteln, wie die neue Vollhartmetall-Werkzeuggeneration damit zurechtkommt.

Das Probewerkstück hatte eine Festigkeit von 1400 N/mm2 und eine Brinellhärte von 430. Als Testwerkzeug kam ein Protostar-Ti40-Fräser mit 16 mm Durchmesser und z = 4 zum Einsatz.

Wie zu erwarten, mussten die Schnittwerte im Vergleich zu Ti6Al4V nochmals deutlich gesenkt werden. Für unterschiedliche Einsatzarten wurden, bezogen auf Werkzeugdurchmesser 16 mm, folgende Empfehlungen ermittelt:

  • Vollnutfräsen: ae = 16 mm, ap = 8 mm, Vc = 25 m/min, fz = 0,06 mm;
  • seitliches Fräsen (Schruppen): ae = 4 mm, ap = 8 mm, Vc = 50 m/min, fz= 0,08 mm;
  • seitliches Fräsen (Schlichten): ae = 0,3 mm, ap = 50 mm, Vc= 100 m/min, fz= 0,12 mm.

Die Ergebnisse zeigt Bild 2 (siehe Bildergalerie). Die Schnittgeschwindigkeiten bei Ti6Al4V und Ti5553 sind über der radialen Schnitttiefe (ae/D) aufgetragen. Der Werkstoff Ti5553 verlangt eine Reduzierung der Schnittgeschwindigkeit um rund 50% (mittlere Bearbeitung). In der Tendenz zeigt sich, dass beim Vollnutfräsen eher mehr reduziert werden muss, beim seitlichen Schlichten kann es weniger sein.

Große Titan-Zerspanvolumina erfordern Wendeschneidplattenwerkzeuge

Bei großen Bauteilen beziehungsweise wo große Spanmengen abzutragen sind, werden große Werkzeuge benötigt, das heißt Wendeplattenwerkzeuge. Die Wendeplatten-Entwicklung beschritt in den zurückliegenden Jahren einen ähnlichen Weg wie die Entwicklung der Vollhartmetall-Werkzeuge.

Das Augenmerk lag vor allem auf den schwer zerspanbaren Werkstoffen. Zu dieser Gruppe (ISO-S) gehören auch Titanlegierungen. Die aktuellen Benchmarkschneidstoffe von Walter sind Tigertec-Qualitäten mit PVD-Aluminiumoxidbeschichtung.

Derzeit sind zwei Sorten verfügbar: WSM35 mit hoher Verschleißfestigkeit für gute Bearbeitungsbedingungen und WSP45 mit hoher Zähigkeit für schwierige Bedingungen. Bei Ti5553 zeichnet sich die PVD-Tigertec-Sorte WSP45 aufgrund ihres hohen Zähigkeitspotenzials als erste Wahl ab, weil diese Legierung beim Schruppen ein sehr hohes Zähigkeitspotenzial benötigt.

Neues Projekt entwickelt optimierte Geometrien für Aerospace-Zerspanungswerkzeuge

Mit der Einführung dieser Sorten riefen die Spezialisten in Tübingen ein zusätzliches Projekt ins Leben, das die Entwicklung optimierter Geometrien für Aerospace-Anwendungen zur Aufgabe hatte. Für Titanlegierungen als Hauptanwendung wurde die Geometrie G77 konzipiert.

Die Besonderheit dieser Geometrie ist ein großer Spanwinkel von 20°. Hinzu kommt eine besondere Mikrogeometrie.

Der Entwicklung ist es gelungen, mehrere Merkmale beziehungsweise Technologien zu bündeln: die Tigertec-Technik, die PVD-Beschichtungstechnik, eine hoch positive Geometrieform und eine spezielle Kantenverrundung. Neu ist, dass diese vier Aspekte nun in einem Paket vorliegen. Dieses Paket ist noch brandneu und erst seit Kurzem in Gestalt neuer Wendeplatten der Form ADGT (Eckfräser, Igelfräser) und ROX (Rundplattenfräser) verfügbar (Bilder 3 und 4). In Anbetracht der zusammengeflossenen Merkmale repräsentiert es den momentanen Stand der Technik im Bereich Wendeplattenlösungen für Aerospace- beziehungsweise Titan-Anwendungen.

Josef Giessler ist Entwicklungsleiter Round Tools der Walter AG in Tübingen; Siegfried Bohnet ist Mitarbeiter Entwicklung Wendeplattenwerkzeuge im selben Unternehmen.

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