Sonderkonstruktion Manövrier- und leistungsfähiger Gefahren unter Wasser beseitigen

17 Meter länger und um 13 Stundenkilometer schneller. Mit diesem Upgrade nimmt der Nachfolger des Taucherglockenschiffs Carl Straat abgerissene Anker, verloren gegangene Ladung und Wracks in Angriff und hält so den Schiffsverkehr auf dem Rhein am Laufen.

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Konstruktion und Bau der neuen Taucherglockenanlage übernahm die Haux-Life-Support GmbH.
Konstruktion und Bau der neuen Taucherglockenanlage übernahm die Haux-Life-Support GmbH.
(Bild: Jebens/Haux)

Die Bergung tonnenschwerer Hindernisse im Rhein und seinen Nebenflüssen in bis zu zehn Meter Wassertiefe ist angesichts der starken Strömung durch Taucher nicht zu leisten. Seit 1963 gehört dies deshalb zu den Aufgaben eines europaweit einzigartigen Spezialschiffes, der Carl Straat. Arbeiten am Flussbett, Inspektionen von Schleusenbauwerken sowie Tonnenverankerungen zur Markierung der Fahrrinne für die Binnenschiffer kennzeichnen überdies das Einsatzspektrum des Taucherglockenschiffs. Ende 2018 gab die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) den Bau eines Nachfolgeschiffs in Auftrag, das mit 69 Meter Länge die Carl Straat um 17 Meter übertrifft. Manövrier- und leistungsfähiger sowie mit einer konstanten Fahrgeschwindigkeit von 13 Stundenkilometern auch erheblich schneller, kann das neue Schiff künftig ohne Schlepphilfe auf dem Rhein eingesetzt werden. Auf dem Vorschiff sind neben der Kommandobrücke die Unterkünfte für die rund zehnköpfige Besatzung.

Herzstück des Schiffs ist die große Taucherglockenanlage mit Druckkammer und Schleusenrohr in der Mitte des Schiffs. Sie wurde von der Haux-Life-Support GmbH entworfen und gebaut.

Das 1980 in Waldbronn als Konstruktionsbüro von Gerhard Haux gegründete Unternehmen ist heute Weltmarktführer für medizinische Druckkammersysteme und Technologieführer in der Tauchtechnik. Dazu zählen neben Druckkammern für die Taucherbehandlung auch Taucherglocken, Tieftauchanlagen, Tauchsimulatoren und Lebenserhaltungssysteme. Abgerundet wird das Leistungsportfolio durch Tunnelbaukomponenten wie Druckluftbaustellen und Druckschleusen sowie Explosionsdruckkammern für Forschungseinrichtungen – beispielsweise in der Chemie- und Automobilindustrie.

Tonnenschwere Bauteile fertigen und handhaben

In den Fertigungsstätten können Einzelstücke mit Gewichten von bis zu 70 Tonnen bearbeitet werden, weit über 100 Tonnen schwere Stückgewichte gehandhabt und bis zu 20 Meter langen Komponenten gefertigt werden. Alle Kernkomponenten entwickelt das technikgetriebene Unternehmen selber. So werden in den eigenen Werken neben den Druckbehältern auch sämtliche Komponenten für deren Nutzung wie Atemregler, Ventile und Infusionspumpen entwickelt und produziert.

Zur Kernkompetenz von Haux zählen überdies eigene Berechnungsmethoden für die speziellen Druckbehälter. Denn Haux baut – anders als sonst üblich – nicht nur runde, sondern auch eckige Druckbehälter sowie solche mit Schiebetüren, Taschen und Flachböden.

So ist auch die Taucherglockenanlage für das Nachfolgeschiff der Carl Straat eine Sonderkonstruktion, die unter Berücksichtigung der spezifischen Strömungskräfte im Rhein ausgelegt wurde. Konstruktion, Design und Festigkeitsberechnungen der Anlage erfolgten im Konstruktionsbüro von Haux in Karlsbad. Die Taucherglockenanlage hat ein Gesamtgewicht von ca. 160 Tonnen und eine Seitentür zum Beladen. Ihre Konstruktion besteht aus vier Elementen: Die in einem Kipprahmen drehbar gelagerte Schleusenkammer stellt den für die Arbeitstauchtiefe notwendigen Arbeitsdruck her. Sie ist zugleich als Tauchdruck-Behandlungskammer ausgelegt, um bei einem eventuellen Druckluft-Unfall das erforderliche Rettungsmittel sofort an Bord zu haben. Das 15 Meter lange Tauchrohr verbindet die Schleusenkammer über eine lange Treppe mit dem Caisson, jenem Druckraum, wo die Unterwasserarbeiten am Flussbett stattfinden. Große Kompressoren leiten Luft in die Kammer und das Tauchrohr, um den für die jeweilige Arbeitstiefe notwendigen Überdruck aufzubauen. Dieser auch Diving Bell genannte Caisson – vier Meter lang, sechs Meter breit und 2,7 Meter hoch – ist für sechs Personen zugelassen. Durch eine Zugstange oberhalb des Tauchrohrs entsteht ein Kräfteparallelogramm, das das gesamte System in Position hält. So ist gewährleistet, dass die an einen umgestülpten Karton erinnernde Taucherglocke immer waagerecht zum Schiffsgrund bleibt.

Taucherglocke wird auf dem Flussgrund aufgesetzt und der Druck nochmals erhöht

Die Arbeiter stehen auf einem Steg am unteren Rand der Glocke und suchen mit langen Stangen im Flussbett nach Hindernissen. Für deren Bergung wird die Taucherglocke auf dem Flussgrund aufgesetzt und der Druck nochmals erhöht, damit das restliche Wasser herausgedrückt wird. Danach können die Männer die Rheinsohle betreten und trockenen Fußes mit dem notwendigen Gerät bearbeiten.

Dazu dienen auch drei an der Kammerdecke befestigte Krananlagen sowie mehrere Anschlagpunkte mit einer Tragkraft von bis zu 15 Tonnen. Für Arbeitseinsätze in bis zu zehn Meter Tiefe unter dem Wasserspiegel wird die Taucherglocke zwischen den Schenkeln am Katamaran ähnlichen Heck mit einem Seilwindensystem herabgelassen und wieder empor gehievt. Der Hubbalken über dem Caisson ist umklappbar, sodass das neue Schiff künftig auch Brücken passieren und in Seitenarme des Rheins einfahren kann. Neben modernen Kommunikations- und Überwachungssystemen entwickelte und integrierte Haux auch eine Brandbekämpfungsanlage mit Sprühnebel-Löschanlage im oberen und Sprinklern im unteren Bereich. Ebenso stammen die gesamte Versorgungstechnik, die Programmierung der Steuerung, die Elektrotechnik und die Schaltschränke aus der Fertigung von Haux. Um den Auftrieb der Anlage sicher zu überwinden, waren jedoch auch 55 Tonnen Ballastgewicht erforderlich – eine Aufgabe, deren Umsetzung einen Spezialisten mit Erfahrung im Handling von Lasthebemitteln erforderte. Über die Anfrage von Haux in Cuxhaven bei der Ancofer Stahlhandel GmbH kam der Kontakt zu deren Schwesterunternehmen Jebens zustande.

Statt dünne Bleche aus Baustahl nach 10025 wurden 250 Millimeter dicke Bleche in Brammenqualität eingesetzt

Der Auftrag an Jebens umfasste 33 Teile mit sieben verschiedenen Ballastgewichten in unterschiedlichen Formaten. Der Brennschneidexperte mit ausgewiesener Expertise in Lasthebemitteln für Kranhersteller erhielt von Haux eine Schemazeichnung mit Vorgaben zum Design der Ballastelemente. Auf einen Blick erkannte er weitreichendes Optimierungspotenzial, das neben Werkstoffgüte und Materialdicken auch konstruktive Änderungen betraf.

Statt der Kundenvorgabe von dünnen Blechen aus Baustahl nach 10025 empfahlen die Experten von Jebens 250 Millimeter dicke Bleche in Brammenqualität einzusetzen. Das ersparte zusätzliche Walzungen, um auf die gewünschte Dicke zu kommen. Zudem war die geringere Anarbeitung des Derivats für den Einsatz als Ballastgewicht völlig ausreichend. Beide Punkte ergaben erhebliches Kosteneinsparungspotenzial für Haux.

Jebens hatte die benötigten Bleche im mit 30.000 Tonnen Blech in Dicken bis zu 650 Millimeter stets sehr üppig bestückten Lager vorrätig, sodass eine entsprechend schnelle Umsetzung möglich war. Damit der Schiffskran die Gewichte selber von Bord heben kann, durfte kein Gewicht schwerer als 2,5 Tonnen sein – eine Anforderung die Jebens mit ausgeklügelter Dickenstückelung der Bleche beantwortete: So wurden von dem Brennschneidspezialisten 20 Ballastelemente aus 250 Millimeter dickem Blech in der geforderten Präzision mit Toleranzen im Millimeterbereich geschnitten und gefast. Deren Längen reichten von 720 bis 2.870 Millimeter bei 370 bis 650 Millimeter Breite. Weitere 13 Bleche, jeweils 1.400 Millimeter lang, 1.200 Millimeter breit und 180 Millimeter dick, komplettierten das Ballastgewicht.

Da Haux erstmals derartige Gewichte bei einem Tauchsystem einsetzte, wurde die konkrete Ausführung der Elemente im engen Schulterschluss von Haux und Jebens überarbeitet und auch vor Ort in Korntal-Münchingen diskutiert. Das von dem Tauchtechnikexperten entwickelte ursprüngliche Design der Gewichte sah anschraubbare Befestigungen mit Schäkeln für die Seilschlaufen vor. Dafür hätte jedoch die Kontur von jedem der 33 Bauteile bis zu vier Mal entsprechend angeschnitten und mechanisch bearbeitet werden müssen. Das hätte enorm hohe Fertigungskosten verursacht. Jebens schlug deshalb alternativ die im Kranbau gängige Variante für Seilpoller vor: Pilzförmige Elemente, die an taschenförmig ausgeschnittene Konturen der Gewichte angeschweißt werden und eine zusätzliche mechanische Bearbeitung erübrigen. Durch die Einbettung der Pilze in Taschenausschnitte ist ein sicherer Stand der Elemente gewährleistet.

Auch in einem weiteren Punkt brachte Jebens das Know-how als Schweißunternehmen für Lasthebemittel ein: So empfahl der Verarbeiter statt der von Haux vorgesehenen geschweißten Gewichtsangaben Prägeschilder anzubringen. Beide Vorschläge überzeugten die Konstrukteure von Haux sofort. Die pilzförmigen Seilpoller fertigte der Maschinenbauer im eigenen Werk in Cuxhaven aus hochwertigem Edelstahl, um Korrosion im rauen Arbeitseinsatz vorzubeugen. Jebens brannte die Konturen der Taschenausschnitte exakt nach Vorgabe und schweißte anschließend die Seilpoller an.

„Die technische Schneidkompetenz war wie schon die zuvor bewiesene Entwicklungskompetenz wirklich beeindruckend“, lobt Geschäftsführer Jochen Haux. Dieser Kompetenz verdankt das Ballastgewicht aus seiner Sicht auch das „schöne Design.“ Entsprechend positiv fällt sein Fazit zu dieser „sehr professionellen Zusammenarbeit auf extrem hohem Niveau“ aus: „Das war eine tolle Symbiose von unseren Anforderungen mit dem Know-how und der Umsetzung von Jebens!“

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