Automatisierung Neue Entwicklungen in der mobilen Assistenzrobotik

Autor / Redakteur: Norbert Elkmann, Christoph Walter, José Saenz und Christian Vogel / Mag. Victoria Sonnenberg

Assistenzroboter stellen eine unverzichtbare Zukunftstechnologie bei der Umgestaltung und Optimierung von Produktion und Logistik auf flexiblere und effizientere Prozesse dar. Insbesondere bei mobilen Assistenzrobotern bestehen dabei hohe Anforderungen.

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Valeri ist ein mobiler Assistenzroboter in der Flugzeugindustrie und arbeitet im direkten Umfeld des Menschen.
Valeri ist ein mobiler Assistenzroboter in der Flugzeugindustrie und arbeitet im direkten Umfeld des Menschen.
(Bild: Kuka)

Die produzierende Industrie in Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Um die weltweit führende Position zum Beispiel im Maschinen- und Automobilbau zu halten, muss Herausforderungen wie dem demografischen Wandel und der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch erhöhte Flexibilität und Effizienz begegnet werden. Ein wesentlicher Ansatz zur Bewältigung der Herausforderungen und Erreichung der vorgenannten Ziele besteht in der Assistenzrobotik und der Mensch-Roboter-Kollaboration: Durch das Zusammenführen der Stärken der Automatisierungs- beziehungsweise Robotertechnik, wie Präzision, hohe Handhabungslasten und ununterbrochener Einsatz, mit den motorischen, sensorischen sowie perzeptiven und kognitiven Fähigkeiten des Menschen besteht ein immenses Verbesserungspotential für zukünftige Produktions- und Montagesysteme und der Logistik.

Die Assistenzrobotik mit stationären Robotern hält bereits Einzug in die Produktion. Neue technische Entwicklungen aus der Robotik und Sensorik ermöglichen erste Applikationen. Zudem wurden die relevanten Normen überarbeitet und die Randbedingungen für die Umsetzung von Anwendungen mit Mensch-Roboter-Kollaboration konkretisiert. Darüber hinaus besteht großer Bedarf an autonomen, mobilen Assistenzrobotern, die in der Produktion zum Einsatz kommen und komplexe und vielfältige Aufgaben übernehmen beziehungsweise den Menschen unterstützen. Um mobile Assistenzroboter im industriellen Umfeld zum Einsatz zu bringen, müssen weit mehr Herausforderungen als bei stationären Robotern beherrscht werden, wie die zuverlässige Navigation, die Umgebungs- und Objekterkennung bei unterschiedlichsten Umgebungs- und Lichtbedingungen und die Aufgabenplanung und -ausführung mit hoher Zuverlässigkeit. Gleichzeitig werden kognitive Funktionen des Assistenzroboters unverzichtbar, um die notwendigen Anforderungen an die Autonomie des Systems zu erfüllen und die Systeme wirtschaftlich für unterschiedliche Anwendungen einsetzen zu können. Die Einsatzbereiche der mobilen Assistenzroboter umfassen zum Beispiel die Intralogistik, Hol- und Bringdienste, die Bestückung von Maschinen sowie Montage- und Prüfaufgaben. Auch hinsichtlich der intuitiven Mensch-Roboter-Interaktion und der sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration müssen bei mobilen Assistenzrobotern neue technische Lösungen gefunden und umgesetzt werden.

Das Fraunhofer-IFF forscht seit vielen Jahren erfolgreich auf den Gebieten der intelligenten Robotik, der sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration und der mobilen Assistenzrobotik und verfolgt dabei einen ganzheitlichen Einsatz. Dabei entstehen neue Technologien, die in naher Zukunft ihren Weg in die Industrie finden werden.

Nachfolgend werden aktuelle Projekte und Entwicklungen zur mobilen Assistenzrobotik und sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration am Fraunhofer-IFF vorgestellt.

Annie, der intelligente Assistenzroboter der Zukunft

Die Umsetzung eines technisch hochkomplexen mobilen Assistenzroboters für vielfältige industrielle Applikationen stellt eine große Herausforderung dar. Unter anderem sind intelligente Softwaresysteme notwendig, die eine Vielzahl von Basisfertigkeiten des Assistenzroboters wie Navigation, Objekterkennung, Bahnplanung und vieles mehr zuverlässig zur Verfügung stellen. Diese Basisfertigkeiten unterscheiden sich grundlegend von typischen Grundfunktionen der heutigen Roboterprogrammierung. Beispielsweise müssen Autonomiefunktionen die jeweilige Adaption von situationsabhängigen Roboterbewegungen mithilfe von automatischen Planungsverfahren auf Basis der Sensordaten umsetzen. Um diese Forschungsaufgaben umfassend anzugehen, hat das Fraunhofer-IFF den Assistenzroboter Annie entwickelt. Als leistungsfähige Assistenzroboterplattform auf dem neusten Stand der Technik kombiniert sie universelle Aktorik, leistungsfähige Sensorik und eine intelligente Softwareumgebung inklusive integrierter Entwicklungswerkzeuge. Bei der Entwicklung von Annie fließen auch umfangreiche Entwicklungen aus von der EU oder dem BMBF geförderten Forschungsvorhaben ein.

In dem laufenden EU-Forschungsvorhaben „Colrobot“ arbeitet das IFF an neuen Technologien zur Arbeitsraumüberwachung bei mobilen Assistenzrobotern. In dem vom BMBF geförderten Projekt „Isabel“ wurden vom Fraunhofer-IFF neue Ansätze im Bereich der Schlüsseltechnologie Sensorik und Perzeption erforscht, um das Erkennen und Lokalisieren von handzuhabenden Objekten effizient zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurden spezielle Lichtfeldkameras und intelligente Algorithmen entwickelt, die bei unterschiedlichsten Umgebungsbedingungen zuverlässig zum Einsatz kommen können.

Ziel des Fraunhofer-IFF ist es, mit dem zukunftsweisenden Assistenzroboter Annie verschiedene Szenarien der Intralogistik sowie von Montage- und Prüfprozessen umzusetzen und in die Industrie zu überführen.

Assistenzroboter Valeri – Mobiler Roboter in der Flugzeugindustrie

Ein weiterer mobiler Assistenzroboter wurde im Rahmen des von der EU geförderten Forschungsprojektes Valeri unter Koordination des Fraunhofer-IFF entwickelt. In dem Valeri-Projekt wurde am Beispiel des Auftragens der Dichtmasse am Flugzeugrumpf und beim Prüfen von Bauteilen am Airbus-DS-Standort in Sevilla demonstriert, dass mobile Assistenzroboter im industriellen Umfeld effizient und zuverlässig eingesetzt werden können. Menschen und Roboter arbeiten dabei direkt nebeneinander, oftmals sogar an demselben Bauteil. Der Projektpartner Kuka hat einen Roboter „Omni-Rob“ durch eine drehbare, vertikale Linearachse ergänzt, sodass der komplette Assistenzroboter Valeri zwölf Freiheitsgrade und einen menschenähnlichen Arbeitsraum besitzt. Das Fraunhofer-IFF entwickelte taktile Sensoren und ein kamerabasiertes Arbeitsraum-Überwachungssystem zur Gewährleistung der sicheren Mensch-Roboter-Kollaboration. Zuvor ermittelten die Forscher maximal zulässige Geschwindigkeiten für den Roboter, um die biomechanische Belastungsgrenzen für die eventuell kontaktierten Körperteile nicht zu überschreiten. Diese Vorgehensweise ist wichtig, denn nur mit einer solchen Validierung können kollaborierende Roboter im Absicherungsmodus Kraft-und-Leistungsbegrenzung laut ISO/TS 15066 eingesetzt werden. Die taktilen Sensoren können zudem für die haptische Interaktion mit dem Roboter verwendet werden. Über den Kontakt direkt am Roboter kann der Bediener alle Freiheitsgrade des Roboters intuitiv und einfach bewegen, um ihn zu teachen oder einfach mal beiseite zu schieben. Das Arbeitsraum-Überwachungssystem besteht aus einem Tiefenbildsensor mit drei Stereokamerapaaren. Es erfasst die Bewegung des Werkzeugs am TCP und legt ein virtuelles Schutzfeld nur um diesen zu überwachenden Bereich, bei dem keine Kollision mit dem Menschen auftreten darf.

Optische Arbeitsraumüberwachung von Mensch-Roboter-Arbeitsplätzen

Im EU-Projekt „FourByThree“ wird die vom Fraunhofer-IFF patentierte Technologie zur optischen Arbeitsraumüberwachung von Mensch-Roboter-Kooperationsarbeitsplätzen bei vier Endanwendern in industriellen Szenarien eingesetzt. Dazu wird das auf Projektor- und Kameratechnik basierende System optimiert sowie die Software erweitert, um den Anforderungen hinsichtlich der Einsatzfähigkeit in verschiedensten Umgebungen bei hoher Verfügbarkeit und bezüglich der funktionalen Sicherheit zu genügen. Einen weiteren Aspekt stellt zudem die Flexibilität und Anpassbarkeit des Systems an unterschiedlichste Mensch-Roboter-Kooperationsarbeitsplätze dar, aufgrund dessen modular erweiterbare Projektor-Kamera-Einheiten entwickelt werden, die in einfacher Weise an die Anforderungen der jeweiligen Szenarien adaptiert werden können. Neben der Gewährleistung der Sicherheit wird diese Technologie weiterhin als Visualisierungs-, Werkerassistenz- und Interaktionssystem eingesetzt und stellt somit dem Werker eine Vielfalt an Möglichkeiten zur Darstellung von Informationen, Unterstützung und der intuitiven Kommunikation mit dem Roboter zur Seite.

Die Assistenzrobotik findet aktuell den Weg in die Industrie. Mobile Assistenzroboter werden zunächst zu Demonstrations- und Testzwecken in der Industrie zum Einsatz kommen. Solche erste Anwendungen mit stationären Industrierobotern wurden bereits umgesetzt. In naher Zukunft wird die Mensch-Roboter- Kollaboration in der Industrie Alltag sein. Doch der Weg zu den mobilen Assistenzrobotern, die in unterschiedlichsten Umgebungen den Menschen mit unterschiedlichen Aufgaben unterstützen, ist noch mit Forschungsarbeiten verbunden. MM

* Prof. Dr. techn. Norbert Elkmann ist Leiter Geschäftsfeld Robotersysteme am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Dipl.-Ing. Christoph Walter, José Saenz M. Sc. und Dipl.-Inf. Christian Vogel sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraunhofer-IFF; Kontakt: Tel. (03 91) 4 09 02 22, norbert.elkmann@iff.fraunhofer.de

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