Noch exakter Präzisere Zahnstange-Ritzel-Antriebe durch lernende Fehlerkompensation

Von A. Verl, A. Lechler und L. Steinle

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Maschinenbauer müssen ihre Systeme immer präziser und dynamischer machen. Das ist im Falle von Zahnstange-Ritzel-Antrieben in bestimmten Fällen nicht trivial. Doch es gibt jetzt eine Lösung ...

Maschinen müssen immer dynamischer und dabei präziser arbeiten. Wenn es um lange Wege mit hohen Lasten geht, für die Zahnstange-Ritzel-Antriebe genutzt werden, stieß man bisher an Grenzen. Forscher des ISW der Universität Stuttgart können jetzt aber Abhilfe schaffen.
Maschinen müssen immer dynamischer und dabei präziser arbeiten. Wenn es um lange Wege mit hohen Lasten geht, für die Zahnstange-Ritzel-Antriebe genutzt werden, stieß man bisher an Grenzen. Forscher des ISW der Universität Stuttgart können jetzt aber Abhilfe schaffen.
(Bild: ISW)

An moderne Fertigungsanlagen werden immer höhere Ansprüche im Hinblick auf Präzision und Dynamik gestellt. Für lange Verfahrwege mit großen Lasten sind Zahnstange-Ritzel-Antriebe die Antriebsart der Wahl. Der aber nicht ideale Gleichlauf der Verzahnung beeinträchtigt jedoch die Bahngenauigkeit. Diesem Problem kann durch Methoden des maschinellen Lernens in Verbindung mit einer adaptiven Fehlerkompensation in der Regelung begegnet werden, wie sie am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart ersonnen wurde.

Umkehrspiel und Gleichlauffehler beeinträchtigen die Präzision

Die Fertigungsgüte und Dynamik moderner Produktionsanlagen werden maßgeblich durch die verbauten Antriebssysteme limitiert. Sie definieren die maximalen Vorschubkräfte, statische und dynamische Steifigkeiten sowie die erzielbare Bahn- und Positioniergenauigkeit. Der Markt für hochdynamische lineare Antriebssysteme teilt sich dabei auf Kugelgewindetriebe (KGT), Lineardirektantriebe (LDA) und Zahnstange-Ritzel-Antriebe (ZRA) auf.

Letztere sind die bevorzugte Wahl für Anwendungen mit langen Verfahrwegen und hohen Lasten, weil sich die Achslänge durch Aneinanderreihen stationärer Zahnstangenelemente beliebig skalieren lässt, ohne die bewegte Masse zu erhöhen oder die Steifigkeit zu reduzieren. Diese Vorteile in Kombination mit einer sehr guten Wirtschaftlichkeit haben den ZRA einen festen Platz in vielen industriellen Anwendungen verschafft. Beispielsweise werden sie im Bereich von Portalfräsmaschinen, Laserschneidanlagen oder als Linearachsen zur Erweiterung des Arbeitsraumes von Industrierobotern genutzt.

Die Verwendung von ZRA bringt jedoch auch Nachteile mit sich. Ein zentrales Problem sind etwa durch Umkehrspiel und Gleichlauffehler verursachte Positionsdifferenzen zwischen Antriebsmotor und Schlitten. Diese begrenzen die Regelgüte und reduzieren die Positionier- und Bahngenauigkeit. Um die negativen Auswirkungen des besonders ausgeprägten Umkehrspiels zu reduzieren, kommen heute beispielsweise elektrisch verspannte redundante Antriebe oder mechanisch verspannte Einzelantriebe zum Einsatz, wodurch die Genauigkeit von ZRA bereits deutlich gesteigert werden kann.

Das nicht ideale Gleichlaufverhalten im Fokus der Forschung

In der Folge rückt der nicht ideale Gleichlauf der Verzahnung als zweite dominierende Fehlerquelle in den Fokus. Als Gleichlauffehler werden Differenzen der Positionen des Antriebsmotors und des Schlittens bei gleichförmigen Bewegungen bezeichnet. Um sie zu untersuchen wurden am ISW umfangreiche Versuchsreihen durchgeführt. Dabei wurde ein ZRA mit geringer Geschwindigkeit verfahren und mit verschiedenen durch eine Lastmaschine aufgebrachten Gegenkräften beaufschlagt. Die resultierenden Gleichlauffehler über dem betrachteten Verfahrweg zeigt Bild 2. In der Bewegung ohne zusätzliche Last sind die grundlegenden Kinematikfehler des Antriebssystems ersichtlich. Sie setzen sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen, die unterschiedlichen Ursachen zugeordnet werden können.

Bild 2: Aufgezeichnete Gleichlauffehler eines Zahnstange-Ritzel-Antriebs für verschieden hohe Lasten.
Bild 2: Aufgezeichnete Gleichlauffehler eines Zahnstange-Ritzel-Antriebs für verschieden hohe Lasten.
(Bild: ISW)

So zeigt sich zunächst eine Drift der Fehlerkurven entlang des Verfahrweges, die durch Montage- und Fertigungstoleranzen der Zahnstangenelemente verursacht wird. Zusätzlich zur Drift stellt sich eine niederfrequente Oszillation ein, die mit den Ritzelumdrehungen korreliert. Diese ist auf periodische Verschiebungen des Wälzpunkts aufgrund von toleranzbedingten Rundlauffehlern des Ritzels und Übertragungsfehler des vorgelagerten Getriebes zurückzuführen.

Die dritte Fehlerkomponente stellt eine hochfrequente Oszillation mit geringerer Amplitude dar, deren Periode der Zahneingriffsfrequenz entspricht. Die Ursache dafür sind Abweichungen der Zahnflankengeometrie von der idealen Evolventenform, bedingt durch Fertigungstoleranzen sowie gezielt aufgebrachte Profilmodifikationen, die beispielsweise zur Steigerung der Tragfähigkeit dienen. Während die beiden anderen Fehlerkomponenten weitgehend unabhängig von der Last sind, gilt das für die Zahneingriffsfehler nicht. Durch die lastabhängige Verformung der Zahnflanken verändern sich die Kontaktflächen und damit das Gleichlaufverhalten.

Infolgedessen ist das Gleichlaufverhalten von ZRA positions- und lastabhängig sowie aufgrund der starken Einflüsse von Fertigungs- und Montagetoleranzen für jedes System individuell und damit nicht vorab modellierbar.

Weil die Gleichlauffehler innerhalb des Antriebsstrangs auftreten, können sie auch durch eine Lageregelung mithilfe eines Linearmesssystems zur Bestimmung der Tischposition nicht vollständig ausgeregelt werden. Bild 3 zeigt die resultierenden Bahnfehler für Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit. Während die Positionsdrift korrigiert wird, können insbesondere die periodischen Abweichungen der Zahneingriffe nicht vollständig unterdrückt werden.

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Bild 3: Durch Gleichlauffehler verursachte Bahnabweichungen für verschiedene Geschwindigkeiten mit direkter Lagereglung.
Bild 3: Durch Gleichlauffehler verursachte Bahnabweichungen für verschiedene Geschwindigkeiten mit direkter Lagereglung.
(Bild: ISW)

In diesem Zusammenhang ist auch eine Geschwindigkeitsabhängigkeit erkennbar, bei der die mit zunehmender Geschwindigkeit steigenden Fehlerfrequenzen in größeren Bahnabweichungen resultieren. Wie zuvor angesprochen, ist eine zuverlässige Vorhersage dieser Abweichungen zur Laufzeit mit dem aktuellen Stand der Forschung nicht möglich, weshalb keine praktischen Ansätze zur Fehlerkompensation existieren. Die Folgen sind eine mangelhafte Oberflächenqualität von Bauteilen sowie die Schwingungsanregung von Maschinenstrukturen.

Die lernende Fehlerkompensation bringt den Präzisionsschub

Um diesem Problem zu begegnen, wurde am ISW eine adaptive Kompensation der lastabhängigen Gleichlauffehler zur Steigerung der Bahngenauigkeit von ZRA entwickelt. Um das Auftreten von Bahnabweichungen zu verhindern, wird die üblicherweise eingesetzte Kaskadenregelung um einen Kompensator ergänzt. Dieser ist, wie in Bild 4 dargestellt, parallel zum Lageregler angeordnet und modifiziert den Geschwindigkeitssollwert durch ein Korrektursignal. Im Kompensator wird basierend auf der aktuellen Position und der momentanen Geschwindigkeit fortlaufend die im nächsten Zeitschritt erwartete Ist-Position berechnet. Basierend darauf wird mithilfe von Modellen des Gleichlaufverhaltens die zu erwartende Veränderung des Gleichlauffehlers ermittelt. Der Geschwindigkeitssollwert wird anschließend so angepasst, dass diese Differenz ausgeglichen wird.

Bild 4: So sieht die Reglerkaskade aus, mit der man Gleichlauffehler bei Zahnstange-Ritzel-Antrieben kompensieren kann.
Bild 4: So sieht die Reglerkaskade aus, mit der man Gleichlauffehler bei Zahnstange-Ritzel-Antrieben kompensieren kann.
(Bild: ISW)

Wie zuvor angesprochen, stellt hierbei insbesondere die Modellierung der lastabhängigen Verformungen eine erhebliche Herausforderung dar. Während die Kinematikfehler im Rahmen einer einmaligen Vermessung bei der Inbetriebnahme aufgezeichnet werden können, ist dies mangels Möglichkeit zum Aufbringen definierter Lasten für die lastabhängigen Verformungen nicht möglich.

Die starke Individualität durch Fertigungs- und Montagetoleranzen verhindert zudem eine zufriedenstellende Beschreibung durch analytische oder numerische Modelle. Abhilfe schaffen Methoden des maschinellen Lernens. Dabei wird der Effekt genutzt, dass die Gleichlauffehler im Gegensatz zu anderen Fehlergrößen der Lageregelung stets in derselben Charakteristik über Achsposition und Last hinweg auftreten. Durch eine entsprechende Signalvorverarbeitung werden diese sich wiederholende Fehlermuster erfasst und anschließend in offline durchgeführten Trainingsintervallen durch nichtlineare Regressionsmodelle abgebildet.

Auf die Anwendung optimierte Modelle sind dabei durch eine hohe Generalisierbarkeit in der Lage, auf Basis von wenigen Datensätzen den gesamten Betriebsbereich zufriedenstellend zu approximieren. So kann das individuelle Gleichlaufverhalten von beliebigen Systemen zuverlässig abgebildet werden. Die Regressionsmodelle werden anschließend auf die Steuerung übertragen und in Echtzeit mitgerechnet, um in Kombination mit den aufgezeichneten Kinematikfehlern die zu erwartenden Gleichlauffehler bereitzustellen.

Durch fortlaufenden Abgleich der parametrierten Modelle mit den im Betrieb gemessenen Fehlergrößen können im Rahmen eines Condition Monitorings Verschleiß, Schadensfälle und Temperatureinflüsse beobachtet werden. Ergänzend dazu können die Regressionsmodelle jederzeit an neue Gegebenheiten angeglichen werden, um eine konstante Qualität der Fehlerkompensation zu gewährleisten. Die erwartete Steigerung der Bahngenauigkeit des Antriebssystems konnte experimentell nachgewiesen werden, wie Bild 5 exemplarisch anhand von zwei Lastzuständen beweist. Sowohl der Peak-to-peak-Fehler (P2P) als auch die aufsummierte absolute Bahnabweichung konnten in Versuchen in etwa halbiert werden.

Bild 5: Vergleich der Bahngenauigkeit mit und ohne Fehlerkompensation unter verschiedenen Lasten.
Bild 5: Vergleich der Bahngenauigkeit mit und ohne Fehlerkompensation unter verschiedenen Lasten.
(Bild: ISW)

Folgendes Fazit kann daraus gezogen werden:

Das nicht ideale Gleichlaufverhalten von Zahnstange-Ritzel-Antrieben führt zu Bahnabweichungen und Schwingungsanregung. Die Gleichlauffehler sind dabei positions- und lastabhängig und lassen sich analytisch aufgrund starker Einflüsse von Fertigungs- und Montagetoleranzen nicht präzise abbilden. Durch Methoden des maschinellen Lernens können die individuellen Abweichungen im Betrieb aber erfasst und in der Achsregelung kompensiert werden. Auf diese Weise kann die Bahngenauigkeit unmittelbar verbessert werden.

Das zugrunde liegende Forschungsprojekt wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert – 447112572.

* Prof. Dr.-Ing. Alexander Verl leitet das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart. Dr.-Ing. Armin Lechler ist stellvertretender Institutsleiter, und M. Sc Lukas Steinle forscht am ISW als Wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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