Electrosuisse-Tagung zu Produktkonformität Product Compliance – oder welchen „Reisepass“ braucht mein Produkt?

Redakteur: Sergio Caré

Nicht nur Menschen, sondern auch Handelsgüter müssen sich „ausweisen“, wenn sie in einem neuen Land Fuß fassen wollen. Doch welcher Ausweis gilt für welches Produkt? Und wer stellt die nötigen Papiere aus? Antworten auf diese und viele andere Konformitätsfragen gab es an der Electrosuisse-Tagung „Product Compliance“ am 26./27. Oktober in Bern.

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Wie bereite ich meine Produkte für den Auftritt auf dem internationalen Parkett vor? Diese Frage stand im Zentrum der Product-Compliance-Tagung in Bern.
Wie bereite ich meine Produkte für den Auftritt auf dem internationalen Parkett vor? Diese Frage stand im Zentrum der Product-Compliance-Tagung in Bern.
(Bild: iStock/nicomenijes)

Sichere, leistungsstarke Geräte und einen fairen Wettbewerb – das wollen alle. Die damit einhergehenden Vorschriften, Richtlinien und Normen bringen Hersteller, Importeure und Händler allerdings schon mal an ihre Grenzen: Ist mein Produkt nun eine Maschine, ein Gerät oder dank Internetzugang gar eine Funkanlage? Darf ich die Konformitätsprüfung selbst durchführen oder muss ich mich an eine Prüfstelle wenden? Und wenn ja, was dann?

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Die Flut von immer neuen Gesetzen, Vorschriften und Bestimmungen ist überwältigend. Also Augen zu und durch – und hoffen, dass es schon gut gehen wird? Oder nichts dem Zufall überlassen und jeden Spezialfall absichern?

An der „Product Compliance“-Tagung von Electrosuisse und Globalnorm GmbH Berlin lernten die zahlreich erschienenen Teilnehmenden differenziertere Wege im Umgang mit dem komplexen Thema kennen. Gastgeber Jürg Rellstab, Leiter Zertifizierung Produkte bei Electrosuisse, führte durch ein Tagungsprogramm, das nicht nur technische, sondern auch politische, rechtliche und organisatorische Aspekte der Product Compliance beleuchtete. Einige Highlights der modular aufgebauten Veranstaltung seien hier hervorgehoben.

Eintrittsticket für den EU-Markt

Die Europäische Union ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz. 60 Prozent der Exporte gehen in den europäischen Wirtschaftsraum. Viele Handelshemmnisse konnten in den letzten Jahren durch bilaterale Verträge abgebaut werden. Im Gegenzug verpflichtete sich die Schweiz, die europäischen CE-Richtlinien zu übernehmen. Was EU-Neulinge (und Konsumenten!) oft nicht wissen: Die Hersteller bringen die CE-Kennzeichnung selbst auf ihren Produkten an. Sie bezeugen damit, dass sie die Richtlinien und Verordnungen der EU „in gutem Treu und Glauben“ einhalten. Die CE-Kennzeichnung ist also kein neutrales Prüf- oder Qualitätslabel.

Wer jedoch für Stichproben der Marktaufsichtsbehörden oder für eine allfällige Haftungsklage gewappnet sein will, muss dafür sorgen, dass, wo CE draufsteht, auch CE drin ist. Dazu gehört selbstverständlich mehr als ein korrekt angebrachter CE-Kleber. Welche Produkte unter die CE-Kennzeichnungspflicht fallen, wo Information und Unterstützung zu den betreffenden Richtlinien und Verordnungen zu finden sind und wie sich Konformitätsprojekte effektiv abwickeln lassen, erfuhren die Teilnehmenden im Basis-Seminar CE-Richtlinien.

Nichttarifäre Handelshemmnisse – ein Thema mit Zukunft

Aus der Perspektive der Politik und der Behörden beleuchtete Christophe Perritaz, Leiter „nichttarifarische Maßnahmen“ beim Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO), den internationalen Marktzugang.Da die technischen Vorschriften mit der EU weitestgehend harmonisiert sind, konnte im MRA (Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen) der Marktzutritt für 20 Produktbereiche erheblich vereinfacht werden. Doch eine so weitgehende Harmonisierung ist nicht mit mehreren Partnern möglich. Mit den außereuropäischen Handelspartnern wird die regulatorische Zusammenarbeit deshalb zum Beispiel durch Freihandelsabkommen gefördert. Ziel dieser Abkommen ist die gegenseitige Anerkennung spezifischer Sektoren sowie langfristig eine größere Konvergenz der gesamten technischen Gesetzgebung. Allerdings sorgen die rasch zunehmende Produktvielfalt, sowie die Tendenz vieler Märkte „sich nach innen zu wenden“ laufend für neue Vorschriften. Das Thema „technische Handelshemmnisse“ wird deshalb trotz aller Verhandlungserfolge auch in Zukunft aktuell bleiben.

Besser kein russisches Roulette spielen!

Wie mache ich mein Unternehmen fit für die Product Compliance? Diese Frage stand im Zentrum des Referates von Michael Loerzer, Geschäftsführer der Globalnorm GmbH Berlin. Der Regulatory-Affairs-Spezialist warnte davor, dass die Relevanz von Konformitätsthemen in vielen Unternehmen zwar bekannt ist, die Verantwortlichkeiten aber alles andere als geklärt und entsprechend lückenhaft sind. Mit eindrücklichen Beispielen aus seiner langjährigen Beratungspraxis zeigte Loerzer auf, mit welch schmerzhaften Folgen Unternehmen etwa im Falle einer Haftungsklage konfrontiert sind. Loerzer verglich den nachlässigen Umgang mit der Product Compliance mit russischem Roulette. Er führte die Teilnehmenden anhand einiger Schlüsselfragen durch die Themen, die jedes Unternehmen für sich klären sollte. Etwa: Wer ist im Unternehmen für die Beschaffung der entsprechenden Informationen zuständig? – Qualität? Entwicklung? Produktmanagement? Diese Aufgabe sollte auf keinen Fall unterschätzt werden, denn es gehören so unterschiedliche Themen wie Maschinensicherheit, Energieffizienz (Öko-Effizienz) sowie Richtlinien zur Verwendung gefährlicher Stoffe (RoHS), zur Nutzung des Funkspektrums (RED), zur Verpackung u. a. m. dazu. Wird diesen Fragen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, kann es schon mal vorkommen, dass die eine oder andere Neuerung untergeht oder falsch interpretiert wird.

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Michael Loerzer empfahl größeren Unternehmen für die Konformitätsthemen einen Product Compliance Officer zu benennen. Er machte gleichzeitig aber auch klar, dass dieser das Thema niemals als „One-Man-Show“ abwickeln kann. Product Compliance betrifft eine Vielzahl von Prozessen im Unternehmen und braucht entsprechende Mittel sowie die Unterstützung von „ganz oben“. Auch deshalb, weil die Product-Compliance-Organisation nicht nur präventiv agieren muss, sondern auch für den Fall eines Marktausschlusses, eines Rückrufs oder einer Haftungsklage gewappnet sein sollte.

Für kleinere Unternehmen besteht die Möglichkeit, das komplexe Thema zusammen mit externen Spezialisten anzugehen.

Alles fließt – neue Richtlinien im Bereich EMV und Funk

Normen und Richtlinien sind keine statischen Größen. Produktvielfalt und Innovationsdichte bedingen laufend Anpassungen. Urs von Känel, Geschäftsbereich-Leiter für Labor- und Medizingeräte, beriet die Teilnehmenden in Sachen Umsetzung der neuen EMV-Richtlinien (2014/30/EU). Neu muss der Hersteller seine EMV-Risikoabwägungen in einer Risikoanalyse dokumentieren. Von Känel stellte einen pragmatischen Ansatz vor, die Bemühungen um die Schutzziele glaubhaft auszuweisen.

Praxishilfe erhielten die Teilnehmenden auch von Rudolf Klein, dem Geschäftsleiter des EMV-Testhauses in Straubing (D). Klein informierte über die neue Funkanlagenrichtlinie (2014/53/EU). Die Radio Equipment Directive (RED) ist für sehr viele Hersteller relevant, denn die Zahl von „Combined Equipment“, von Geräten und Maschinen mit drahtloser Funktechnik (WLAN, Bluetooth), nimmt ständig zu. Neu müssen solche Geräte – etwa ein Gasgrill, der mit dem iPhone kommuniziert – ihre Konformität nach den Bestimmungen für Funkanlagen ausweisen. Konformitätsthemen wie EMV oder Niederspannung tauchen auf dem Konformitätsnachweis dieser Geräte nicht mehr auf. Da viele Kunden umfassende Informationen zu den beiden Richtlinien schätzen, riet Klein dennoch dazu, diese weiterhin – auf einem separaten Beiblatt – auszuweisen.

Vom notwendigen Übel zum Wettbewerbsvorteil

Zum Schluss der Tagung hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich am Speakers Corner mit den Experten zu ihren individuellen Fragen auszutauschen. Die angeregten Gespräche zeigten, dass Electrosuisse und Globalnorm mit dem Tagungsthema „Product Compliance“ den Nerv vieler Unternehmen getroffen hatten.

Fazit der Referate und Gespräche: Im Umgang mit der sperrigen Product Compliance gibt es einen gangbaren Weg zwischen den beiden Extremen „Alles“ oder „Nichts“. Am besten man verankert das Thema weit vorne im Produktentwicklungsprozess. Wer Konformitätsthemen ganz am Schluss noch rasch abhaken will, riskiert teure Sonderserien und steht im Schadensfall auf dünnem Eis. Wer sich rechtzeitig Gedanken über die konkreten Anwendungsgebiete und die wichtigsten Exportländer seiner Produkte macht, schränkt den Prüfaufwand sinnvoll ein und erspart sich böse Überraschungen. Und die Product Compliance wird von der ungeliebten Formalität zum wirksamen Hebel für den erfolgreichen Marktauftritt.

Mehr dazu an der nächsten Product-Compliance-Tagung am 18./19. April 2018 in Bern.

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