Exoskelette Produktiver im Exoskelett

Autor Mag. Victoria Sonnenberg

Bei Audi und Ford ist der Einsatz von Exoskeletten mindestens genauso beliebt wie im Rehasektor. Im Medizinbereich verhelfen sie Patienten mit Rückenmarksverletzung und Schlaganfall wieder zu mehr Bewegungsfreiheit. Im Automobilsektor, in dem vermehrt Feldversuche gefahren werden, gehören Exoskelette immer mehr zum Industriealltag und verschaffen den Trägern eine größere Wohlfühlzone am Arbeitsplatz – insbesondere bei längeren und anstrengenden Arbeiten.

Anbieter zum Thema

Die Exoskelettweste im BMW-Group-Werk Spartanburg entlastet den Mitarbeiter unter anderem bei längerem Stehen.
Die Exoskelettweste im BMW-Group-Werk Spartanburg entlastet den Mitarbeiter unter anderem bei längerem Stehen.
(Bild: BMW/Fred Rollison Photography)

Als bei der Eröffnungszeremonie der Fußball-WM 2014 in Brasilien ein querschnittsgelähmter Brasilianer mit einem symbolischen Schuss den ersten Ball ins Rollen brachte, blieb dieser Moment wohl nicht nur für den Brasilianer unvergesslich. Der junge Mann trug dabei ein Exoskelett, dessen Bewegungen er kraft seiner Gedanken steuerte. Zwei Jahre später veröffentlichten Forscher des Walk-Again-Projekts eine Studie, die belegt, dass Exoskelette die Genesung fördern. Ihr rehabilitierender Einsatz im Medizinbereich ist daher genauso spannend wie ihr unterstützender Einsatz in der Industrie – denn die entdeckt Exoskelette langsam auch für sich.

Als hochmoderne Assistenzsysteme kommen die Roboter, in die man, wenn man so will, reinschlüpft, gern in der Montage zum Einsatz, in der anstrengende und körperlich extrem belastende Überkopfarbeiten zum Alltag gehören. Indem ergonomisch kräftezehrende Arbeiten auf das Geringste minimiert werden, kann sich der Mitarbeiter auf seine kognitiven Fähigkeiten konzentrieren.

Dass Exoskelette die Produktion schlanker und effektiver gestalten, hat auch Autobauer BMW für sich entschieden, der mit modernen Leichtbaurobotern, Smart Devices, aber auch Exoskeletten nicht nur die Mitarbeiter entlastet, sondern auch das eigene Produktionssystem wandlungsfähiger gestaltet. Die innovativen Exoskelette, die die Mitarbeiter direkt am Körper tragen, funktionieren dabei wie ein zweites Skelett als äußere Stützstruktur für den Körper. Bei der BMW Group kommen sowohl Exoskelette für den Ober- als auch für den Unterkörper zum Einsatz. Wenn man bedenkt, dass am Stammwerk in München täglich 1000 Fahrzeuge (BMWs aus der 3er- und 4er-Produktion) aus der Produktion rollen – das entspricht knapp 5 km Auto (Stoßstange an Stoßstange) die jeden Tag das Werk verlassen – dann bedeutet diese sportliche Produktion für die knapp 9000 Mitarbeiter am Stammsitz täglich Hochbetrieb, aber auch Hochleistung, die erbracht werden muss. In dem weltweiten BMW-Netzwerk sind es 50.000 Mitarbeiter, unterstützt von insgesamt knapp 20.000 Robotern, die dafür sorgen, dass die Autos pünktlich vom Band kommen.

Im BMW-Group-Werk in Spartanburg (USA) sind derzeit über 66 Exoskelette für den Oberkörper in der Serienfertigung im Einsatz. Die am Oberkörper befestigte Exoskelettweste (mit einem tragekomfortablen Gesamtgewicht von 2,5 kg) verstärkt die Bewegung der Oberarme bei stark ermüdenden Arbeiten. In den Gelenken dieser Weste ist eine mechanische Federunterstützung integriert, die die Kraft der Arme erhöht. Aktuell sind in den BMW-Group-Werken in Deutschland elf Exoskelette für den Unterkörper im Einsatz. Dabei handelt es sich um ein Exoskelett, das wie ein Stuhl die Körperhaltung des Mitarbeiters verbessert, indem es Sitzanteile erzeugt und den Körper bei Montagearbeiten in hockender Haltung und anderen auf Dauer ungesunden Positionen entlastet. Auch lange Stehprozesse werden mit dieser künstlichen Beinunterstützung in Sitzpositionen verwandelt, um so den Mitarbeitern angenehme und flexible Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Dabei besteht das Exoskelett aus beweglichen Schienen, die vom Mitarbeiter an Beine und Rumpf angeschnallt und in verschiedenen Positionen arretiert werden können. Das Exoskelett kommt auch dann zum Einsatz, wenn es in der Produktion fast unmöglich oder äußerst schwer ist, Sitzanteile zu realisieren. In diesem Fall bietet sich ein Exoskelett mit einer sitzhaltenden Funktion an, um dem Träger eine aufrechte Position und auch eine ergonomische Haltung mit Sitzanteil zu ermöglichen. Dabei ist die Rede von passiven Exoskeletten, die bislang im Rehakontext bekannt sind, die aber aktuell vermehrt Lösungen im Produktionsalltag anbieten, die bisher nicht denkbar waren.

Träger und Hersteller realisieren eine größtmögliche Praxistauglichkeit

Für die Industrie bedeutet die Nutzung von Exoskeletten, eine richtige Körperhaltung, aber auch die Kraft des Trägers zu unterstützen. Dabei lässt sich beispielsweise die Sitzhöhe individuell auf den Mitarbeiter einstellen. Diese und weitere Funktionen wurden zusammen mit den Mitarbeitern und dem Hersteller entwickelt, um gemeinsam eine größtmögliche Praxistauglichkeit zu realisieren. Der Automobilist arbeitet in diesem Zusammenhang mit verschiedenen Start-ups zusammen, um die eigenen Ideen aus den Use Cases mit einfließen zu lassen und das Produkt anwendungsgerecht einsetzen zu können, da es kein Exoskelett gibt, das für alle Anwendungen gleich einsetzbar ist. Im BMW-Werk nutzt man das Exoskelett für Arbeitsplätze, an denen der Werkstückträger oder das Fahrzeug zum Mitarbeiter geführt wird, weil die Vorzüge des Exoskeletts da am schnellsten zu realisieren sind, wie beispielsweise in der Cockpitvormontage oder der Achsmontage. Dabei lässt BMW seine Mitarbeiter von der ersten Stunde an aktiv an der Gestaltung des Exoskeletts mitwirken, was sich das positiv auf die Akzeptanz des Trägers auswirkt.

„Exoskelette bergen ein hohes Identifikationspotenzial, da sie für die gegebene Anwendung Teil des Trägers werden. Dies kann jedoch auch als beklemmend empfunden werden. Daher ist die Endnutzereinbindung in den Entwicklungsprozess bereits zu frühen Zeitpunkten essenziell“, erklärt Dipl.-Ing. Marius Fabian, Gruppenleiter Antriebssysteme und Exoskelette am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in der Abteilung Biomechatronische Systeme. Am Fraunhofer-IPA arbeitet man derzeit an dem Stuttgarter Exo-Jacket 2.0, das als Hebehilfe im industriellen Umfeld zum Einsatz kommen soll.

„Zu handhabende Lasten von bis zu 30 kg sollen dabei zu einem gewissen Prozentsatz vom Exoskelett getragen werden, um ergonomisch bedenkliche Lastspitzen in besonders gefährdeten Körperregionen wie Schulter, Nacken und Lendenwirbelsäule zu reduzieren. Dabei wird durch die Antriebe das Drehmoment in Abhängigkeit vom Bewegungszyklus nach Bedarf zugeführt, welcher zur Laufzeit bestimmt werden soll. Dies ist mit passiven Systemen nicht möglich“, so Fabian weiter. Entgegen der Vorstellung vieler, dienen weder das Exo-Jacket 2.0 vom Fraunhofer-IPA noch andere Exoskelette dazu, den Werker zum Ironman zu machen. Der Fokus liegt nicht auf der Stärke, sondern auf dem Schutz vor Langzeitschäden bei repetitiven Tätigkeiten. „Es ist wichtig, das klar zu kommunizieren, um von Anfang an überzeichneten Vorstellungen entgegenzuwirken“, fährt Fabian fort.

Mit einem marktreifen Exoskelett steht bereits der Robotik-Spezialist German Bionic Systems in den Startlöchern und plant für den 5. Dezember 2017 den offiziellen Verkaufsstart nach fünfjähriger Entwicklungsarbeit am German Bionic Cray. „Das Konzept für das Exoskelett German Bionic Cray entstand im Zuge eines Forschungsprojektes, unter anderem in Kooperation mit dem Autobauer Fiat, und war ursprünglich vor allem für den Einsatz in der Automobilindustrie gedacht“, so Dr. Peter Heiligensetzer, Gründer und CEO von German Bionic Systems. Inzwischen hat sich das Spektrum der Anwendungsszenarien stark erweitert. „Dies liegt zum Teil daran, dass wir Anfragen aus Bereichen bekommen, wie beispielsweise der Pflege, dem Logistiksektor oder der Schwerindustrie, die wir anfangs nicht als Zielgruppe für unser Produkt identifiziert hatten“, fährt Heiligensetzer fort.

Mit Exoskeletten das Risiko von Arbeitsunfällen verringern

Exoskelette sollen künftig dann zum Einsatz kommen, wenn menschliche Arbeit nicht sinnvoll durch Automatisierung oder Robotiksysteme ersetzt werden kann. „Exo- oder Außenskelette sind Mensch-Maschine-Systeme, die menschliche Intelligenz mit maschineller Kraft kombinieren, indem sie die Bewegungen des Trägers unterstützen oder verstärken. Da intelligente Mensch-Maschine-Systeme das Risiko von Arbeitsunfällen und überlastungsbedingten Erkrankungen signifikant verringern, werden Krankenstände zukünftig reduziert und Unternehmen und staatliche Gesundheitssysteme finanziell entlastet“, so Heiligensetzer weiter. Für diese neuartige Technologie, die die menschliche Arbeitskraft nachhaltig in die Industrie 4.0 integrieren soll, prognostiziert eine aktuelle Studie von ABI Research bereits für das Jahr 2025 ein Marktvolumen von 1,9 Mrd. US-Dollar. Bester Zeitpunkt also, um mit Exoskeletten an den Markt zu gehen. Für den Anfang produziert German Bionic Systems das Exoskelett für die DACH-Region. „Bis Ende November werden wir die erste Serie unserer ‚Guided Testings‘ mit Partnern aus der Industrie abgeschlossen haben. Hierbei geht es neben dem Praxistest unter realen Produktionsbedingungen auch darum, die Akzeptanz der Exoskelette bei den Mitarbeitern in den Unternehmen auszuloten“, sagt Heiligensetzer. Die Tests sind den Angaben zufolge bislang sowohl in Hinblick auf Funktion als auch auf Akzeptanz positiv verlaufen.

Comau arbeitet mit IUVO und Össur an einem neuen Exoskelett

Roboterhersteller haben das Potenzial von Exoskeletten ebenfalls erkannt, so auch Comau, der erst kürzlich die Kooperation mit dem IUVO, einem Spin-off-Unternehmen des Bio Robotics Institute (Scuola Superiore Sant’Anna), bekannt gab. Bereits seit 2015 arbeitet Comau mit dem Institut zusammen, um innovative Produkte im Bereich der Robotik zu entwickeln. IUVO ist eine Spin-off-Gesellschaft des Instituts, die sich zum Ziel gesetzt hat, tragbare, intelligente und interaktive Technologien zu realisieren, mit denen die Lebens- und Arbeitsqualität der Menschen verbessert werden soll. „Die Investition von Comau in IUVO war demnach die natürliche Folge einer bereits konsolidierten Partnerschaft mit dem Bio Robotics Institute. Diese Investition wurde über die Einrichtung eines Joint Ventures, in dem Comau Mehrheitsgesellschafterin ist, mit der Gesellschaft Össur getätigt“, sagt Giuseppe Colombina, Teil des Teams, das mit IUVO zusammenarbeitet.

Aus dieser Kooperation zwischen dem Automatisierungsspezialisten Comau und Össur, einem Hersteller von innovativen Lösungen im Segment der nichtinvasiven Orthopädie, sowie dem angesehenen Forschungsinstitut entstehen tragbare Exoskelette, die in der Lage sein sollen, die Arbeit von Fachkräften in der Industrie und im Dienstleistungsbereich zu unterstützen und zu optimieren, aber auch den Lebensstandard von beeinträchtigten Patienten zu erhöhen. „Kurzfristig gesehen erwarten wir wichtige Entwicklungen im Bereich der Projektierung und Nutzung tragbarer Technologien für die Industrie. Die große Aufmerksamkeit, die Comau den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten widmet, auch in Partnerschaften mit großen Unternehmen, Universitäten und Start-ups, ist ein wichtiger Impuls für das Ergreifen dieser neuen Initiative und die Investition in IUVO gewesen“, erklärt Colombina den Schritt in Richtung Exoskelette.

Comau engagiert sich bereits seit vielen Jahren nachhaltig in der Entwicklung von innovativen, kollaborierenden Technologien. In der ersten Zeit der Partnerschaft mit dem Institut Sant’Anna entstanden bereits die ersten Anwendungen kollaborierender Robotik für industrielle Nutzungen. Den Anfang bildeten anthropomorphe Kleinroboter mit verschiedenen Nutzlasten, die eine sichere Kooperation mit den Arbeitern in der Industrie gewährleisten sollten, gefolgt von Konzepten für echte Industrie-Cobots in größerer Ausführung, die Lasten bis zu 170 kg am Gelenk tragen können. Ein Beispiel hierfür ist Aura (Advanced Use Robotic Arm), eine Technologie, die darauf abzielt, die Zusammenarbeit – synergisch und sicher – zwischen Mensch und Roboter innerhalb einer Produktionsanlage zunehmend konkreter zu gestalten. „Im Anschluss daran widmete sich das Ingenieurteam unter anderem der Projektierung von Exoskeletten, die den Arbeitern bei der Erfüllung ihrer Aufgaben innerhalb eines Produktionswerks helfen sollen. Dank dieses Tools ist es nämlich möglich, die Qualität der Arbeit der einzelnen Fachkräfte in der Fabrik zu verbessern und, in allgemeinerer Hinsicht, den Produktionsprozess zu optimieren, in welchem die Fachkraft einen aktiven Beitrag leistet“, so Colombina weiter.

Wenn das Hochheben oder Hochhalten des Arms weniger ins Gewicht fällt

Das erste Produkt, das für den industriellen Markt entwickelt wurde, ist ein Exoskelett für die oberen Gliedmaßen – Arme und Schultern – das Fachkräfte bei der Arbeit innerhalb eines Werks oder an einer Produktionslinie unterstützen soll. „Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Vorteile einer interaktiven Auflage, mit welcher der Arm einer Person, die an einer Montagelinie arbeitet, gestützt wird, sodass das Hochheben oder Hochhalten des Arms weniger ins Gewicht fällt und sich weitaus bequemer gestaltet“, fügt Colombina an. Dadurch kann eine präzise und ergonomische Arbeitsposition länger und mit weniger Kraftaufwand eingenommen werden, was auch insgesamt zu einer Verbesserung des Wohlbefindens der Person an ihrem Arbeitsplatz führen soll. Zurzeit befinden sich Exoskelettprototypen für den industriellen Gebrauch in der Phase der Validierung. Comau plant, das Exoskelett bis spätestens zum Ende der ersten Hälfte 2018 zur Marktreife zu bringen.

(ID:44968604)