Interview Schweiz: „Die Schweizer Industrie wird nicht untergehen“

Autor Stéphane Itasse

Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) durchlebt schwere Zeiten. Wie sich die Situation der Branche genau darstellt und welche weiteren Entwicklungen zu erwarten sind, verrät Peter Dietrich, Direktor des Verbandes Swissmem, im Exklusivinterview mit MM MaschinenMarkt.

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„Ich befürchte, dass die erneute Frankenstärke in der Schweizer MEM-Branche sichtbare Spuren hinterlassen wird“, sagt Swissmem-Direktor Peter Dietrich.
„Ich befürchte, dass die erneute Frankenstärke in der Schweizer MEM-Branche sichtbare Spuren hinterlassen wird“, sagt Swissmem-Direktor Peter Dietrich.
(Bild: Thomas Enzeroth)

Wie ist die aktuelle Lage der Schweizer MEM-Industrie und wohin steuert die Branche?

Die Situation ist angespannt. Die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) exportiert rund 80 % ihrer Produkte. Davon gehen fast 60 % in die Staaten der EU. Aufgrund der erneuten, massiven Aufwertung des Schweizer Frankens sanken die Umsätze in der Schweizer MEM-Industrie im ersten Quartal 2015 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 8,1 %. Besonders stark brachen die Auftragseingänge ein, die sich um 17,1 % reduzierten. Noch viel belastender für die Unternehmen ist der massive Druck auf die Margen. Fast zwei Drittel der Unternehmen rechnen wegen der Überbewertung des Frankens mit Margeneinbrüchen von mindestens vier Prozentpunkten. Das führt dazu, dass einige Firmen für 2015 mit einem operativen Verlust rechnen. Ich befürchte, dass die erneute Frankenstärke in der Schweizer MEM-Branche sichtbare Spuren hinterlassen wird. Ich glaube aber nicht, dass es zu einer Deindustrialisierung der Schweiz kommen wird. Ich rechne viel eher mit einem beschleunigten Strukturwandel. Ich bin aber zuversichtlich, dass die große Mehrheit der Firmen diese erneute Herausforderung erfolgreich meistern werden.

Welche Auswirkungen hatte die Freigabe des Franken-Wechselkurses am 15. Januar 2015?

Erlauben Sie mir einleitend einen kurzen Rückblick, um das Ausmaß der Wechselkursveränderung der letzten Jahre vor Augen zu führen. Zwischen 2008 und August 2011 wertete sich der Schweizer Franken (CHF) gegenüber dem Euro von 1,59 auf 1,12 CHF auf. Im August 2011 erreichte die Talfahrt des Euros kurz die Parität, worauf die Schweizer Nationalbank im September 2011 den Mindestkurs von 1,20 CHF pro Euro festlegte. Am 15. Januar 2015 folgte mit der Aufhebung dieses Mindestkurses eine erneute, schockartige Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro um fast 20 %. Im Endresultat hat der Euro gegenüber dem Franken innerhalb weniger Jahre ein Drittel an Wert verloren. Das bedeutet, dass die Produkte der MEM-Industrie rein währungsbedingt im Euroraum um ein Drittel teurer geworden sind. Das ist ein massiver Konkurrenznachteil. Die Schweizer Unternehmen haben in den vergangenen Wochen rasch reagiert und werden versuchen, diesen Nachteil in den kommenden Monaten Schritt für Schritt zu kompensieren.

Wie haben die Unternehmen denn auf den Währungsschock reagiert?

Um die negativen Auswirkungen der Frankenstärke zu dämpfen, haben die Unternehmen der MEM-Industrie mit einer Vielzahl von Maßnahmen reagiert. Im Vordergrund standen Produkt- und Prozessverbesserungen wie Effizienzsteigerungen (64 % der Firmen), rigoroses Produktkostenmanagement (57 %) und Maßnahmen zur Forcierung der Innovation (48 %). Es fällt zudem auf, dass über die Hälfte der Unternehmen (51 %) nach der Entscheidung der Schweizer Nationalbank gezwungen waren, die Preise zu senken, um nicht aus dem Markt gedrängt zu werden. Das ist einer der Gründe für die teilweise massiven Margenverluste. Bisher wurden Maßnahmen, welche die Mitarbeitenden direkt betreffen, nur sehr zurückhaltend ergriffen. Ich befürchte aber, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einem Anstieg bei der Kurzarbeit sowie zu Stellenabbau kommen wird, falls sich der Franken nicht spürbar abschwächt.

Welche Bereiche der MEM-Industrie sind von der Aufwertung nicht berührt und warum?

Am wenigsten betroffen sind Unternehmen, die international breit aufgestellt sind und dadurch das Währungsrisiko einfacher mit gezielten Maßnahmen absichern können. Eine weitere Kategorie sind Firmen, die in ihrem Markt eine Alleinstellung haben und entsprechend auch Preiserhöhungen bei ihren Kunden durchsetzen können.

Wie sind Ihrer Einschätzung nach für deutsche Unternehmen die längerfristigen Aussichten einer Zusammenarbeit mit Schweizer Unternehmen?

Die Schweizer MEM-Industrie wird nicht untergehen. Sie hat in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass sie mit schwierigen Situationen umgehen kann. Die Schweizer Firmen werden deshalb auch künftig absolut verlässliche Geschäftspartner für deutsche Unternehmen bleiben und die gewohnt hohe Service- und Produktqualität liefern. Daran wird die Frankenstärke nichts ändern. Im Gegenteil. Die Unternehmen werden das Streben nach noch besseren Produkten und Dienstleistungen noch verstärken. Denn nur so können Schweizer Firmen im Ausland höhere Preise und damit wieder ausreichende Gewinnmargen erzielen. Wem die Ausrichtung auf dieses verschärfte Umfeld gelingt, wird mittelfristig an Wettbewerbskraft gewinnen.

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