Kommentar Patentrecht Sind Ihre Produkte vor patentrechtlichen Angriffen und „Trollen“ sicher?

Autor / Redakteur: Dr. Heiner Flocke / Mag. Victoria Sonnenberg

Dr. Heiner Flocke, Vorstand patentverein.de e.V., der sich als Selbsthilfeorganisation des industriellen Mittelstands in Patentfragen versteht, über das kommende EU-Einheitspatent.

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Dr. Heiner Flocke, Vorsitzender Patentverein.de e.V.
Dr. Heiner Flocke, Vorsitzender Patentverein.de e.V.
(Bild: patentverein.de e.V.)

Stellen Sie sich vor…

… Sie sind Inhaber eines mittelständischen Unternehmens. Ihre Entwicklung arbeitet an neuen innovativen Projekten, die Ihren Erfolg für die kommenden Jahre sichern sollen. Aber sind diese Produkte gegenüber patentrechtlichen Angriffen und „Trollen“ sicher?

Sie haben allen Grund zur Skepsis und Vorsicht. Das derzeitige nationale „Trennungsprinzip“ in der Patentgerichtsbarkeit birgt ein erhebliches Risiko, insbesondere für die weniger kapitalstarken mittelständischen Unternehmen. Und das sich noch für das laufende Jahr abzeichnende Unitary Patent (EU-Einheitspatent) wird Ihr Budget für Rechtsfragen in Patentangelegenheiten deutlich stärker belasten. Waren bisher die Vorgänge und Investitionen in eigene Erfindungen noch halbwegs überschaubar, wird Ihrem Juristen schwindlig werden, was „opt-in“- und „opt-out“-Szenarien von alten und zukünftigen Patenten angeht. Denn das neue System löst nicht etwas das alte ab, nein, es wird mindestens für sieben Jahre das europäische Bündelpatent neben dem Unitary Patent bestehen bleiben. Agressive Patentinhaber erhalten damit ein erweitertes Schlachtfeld zum Taktieren bis hin zum missbräuchlichen Ausreizen des Patentwesens.

Was ist das „Unitary Patent“ (EU-Einheitspatent)?

Die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 (ABl. EPA 2013, 111) ordnet das europäische Patentwesen neu. Sie schafft ein „europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“, dies wird auch gemeinhin als „Einheitspatent“ oder „EU-Patent“ bezeichnet. Da aber nicht alle europäischen Staaten teilnehmen, wird es nur eine Verordnung und keine Richtlinie sein. Neben dem nationalen Patent und dem europäischen Bündelpatent wird somit für eine Übergangszeit von mindestens sieben Jahren parallel und wahlweise das EU-Patent eingeführt. Letzteres hat den Vorteil, dass die dafür zuständigen Gerichte (Unified Patent Court, UPC) gleichzeitig über Verletzung und Validität eines Patents entscheiden und mit einem technischen von drei Richtern mehr Sachverstand auch in Verletzungsfragen einzieht.

Noch nicht in Kraft getreten

Die oben genannte EU-Verordnung muss von den Parlamenten von mindestens 13 Staaten ratifiziert werden. Zwingend darunter sind Deutschland, Frankreich und Großbritannien, denn diese drei Länder haben die meisten Patente inne. Wegen der noch ausstehenden Zeichnung von Deutschland ist die Verordnung immer noch nicht in Kraft. Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat hatten zwar die Begleitgesetze in der vergangenen Wahlperiode in einem Schnellverfahren ohne Anhörung verabschiedet, jedoch blieben diese Entscheidungen aufgrund einer kurz danach eingereichten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht und damit vor dem Bundespräsidenten hängen. Dieser zeichnete die Gesetze schlussendlich nicht.

Vor- und Nachteile für den Mittelstand

Die Idee der Schaffung eines EU-Patentsystems ist aus Sicht des Patentvereins grundsätzlich zu begrüßen. Das beschlossene neue europäische Patentsystem, bestehend aus dem neuen vereinheitlichten Patentgericht (Unified Patent Court, UPC) und dem EU-Patent, enthält zwar den Ansatz der Vereinheitlichung von Verletzungs- und Überprüfungsverfahren. Es wird aber mit seinen Wahlmöglichkeiten und Optionen das Patentsystem noch komplizierter machen und spezialisierte Anwälte erfordern, d.h. auch die Kosten erhöhen. Hochrechnungen für beide europäischen Systeme im Vergleich verheißen also nicht eine Kostensenkung der Gebühren sondern eine Steigerung. Das ist in keinem Falle mittelstandsfreundlich.

„Law-Shopping“

Patentklägern wird neben dem bekannten „Forum-Shopping“, also der Wahl des Gerichtsstands durch den Kläger, durch das neue parallele Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung auch ein „Law-Shopping“ eröffnet. Mit den neuen Wahlmöglichkeiten kann der Kläger das alte System mit getrennter Rechtsprechung zu Verletzung und Validität eines Patents oder das vereinheitliche Verfahren für ein EU-Patent bemühen. Das alles wird dem Mittelstand nicht gerecht, der gemessen an den Anmeldezahlen im Verhältnis zur Großindustrie weiter aus dem Patentsystem gedrückt wird. Damit gerät er aber in ein gefährliches Abseits. Mehr als 50 % der Patentanmeldungen entfallen auf nur 3% der Anmelder als Konzerne. Selbsthilfe und Schutzmaßnahmen sind gefragt, die darauf abzielen, das Risiko des Angreifers und Klägers aus zweifelhaften Patenten deutlich zu erhöhen.

„Freedom to Operate“ – Defizite des Patentwesens beheben

Innovation braucht insbesondere im produzierenden Mittelstand mehr denn je „Freedom to Operate“. Wir brauchen dagegen definitiv keine Behinderung durch zudem oft zweifelhafte Patente, die zu einer Patentflut anschwellen oder Patentdickichte bilden. Diese sind deswegen durchaus zweifelhaft, da die derzeitige Vernichtungsrate vor den Einspruchs- und Patentgerichten zwischen 30 % und 70 % auffallend hoch ist. Das heißt „jedes zweite erteilte Patent ist potenziell rechtswidrig“.

Jetziges System verändern

Patentämter allein werden diese Defizite im System kaum beheben können oder wollen. Aber warum Verletzungsrichter sich oft ohne technische Gutachter auf die vermeintliche Qualität und Validität der Patente verlassen, bleibt rätselhaft. Eine Patentvernichtung nach gründlicher Überprüfung erfolgt oft erst nach mehreren, nicht selten über fünf Jahren. Dies ist zu spät für den Beklagten im Verletzungsverfahren. Auch zweifelhafte Patente geben vom ersten Tag ihrer Erteilung dem Patentinhaber einen durchsetzbaren Ausschließlichkeitsanspruch, der tangierte Neuprodukte praktisch unverkäuflich macht und Existenzen vernichten kann. Andererseits besteht für den Patentinhaber und Angreifer im Verletzungsverfahren nur ein geringes und kalkulierbares Kostenrisiko. Er übernimmt bei einer Niederlage vor deutschen Gerichten je nach Streitwert vergleichsweise moderate Gerichts- und Anwaltskosten, kann aber allein durch die Klageerhebung ihn störende Innovationen Dritter beschädigen und vom Markt fernhalten. Dies alles könnte die Politik durch eine Aussetzung des Patentverletzungsprozesses in § 145 PatG regeln. Einfacher geht es nicht – wir erwarten das Handeln der Bundespolitik.

*Dr. Heiner Flocke leitet das Unternehmen iC-Haus GmbH in Bodenheim bei Mainz, das auf die Herstellung von integrierten Schaltkreisen (ASSPs/ASICs) für Industrie- und Automotive-Anwendungen spezialisiert ist. iC-Haus hat etwa 300 Mitarbeiter in Deutschland und ist international vertreten. Dr. Flocke ist Vorstand des im Jahre 2003 gegründeten patentverein.de e.V., der sich als Selbsthilfeorganisation des industriellen Mittelstands in Patentfragen versteht.

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