EMO Hannover 2017 Smarte Spannmittel als zentrale Akteure der vernetzten Fertigung
Die EMO Hannover 2017 wird das Potenzial der Spanntechnik in einer prozessoptimierten Fertigung aus allen Blickwinkeln beleuchten. Auch hier eröffnen additive Verfahren völlig neue Möglichkeiten. Für die digital vernetzte Fertigung werden intelligente Spannmittel eine zentrale Rolle spielen.
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Er kennt die Branche und weiß, was sie umtreibt. Bernt Ritz, Referent für Technik, Normung und Spannzeuge im VDMA-Fachverband Präzisionswerkzeuge umreißt die Trends, denen sich die Hersteller von Spanntechnik aktuell stellen müssen:
- zunehmende Bearbeitung von Verbundwerkstoffen, Leichtbauteilen, dünnwandigen und miniaturisierten Bauteilen,
- Individualisierung von Werkstücken und damit verbundenen kleineren Losgrößen,
- höhere Rundlaufgenauigkeiten und Wuchtgüten für Werkzeugaufnahmen,
- vollautomatisierbare Fertigungsprozesse und zuverlässige Prozessüberwachung,
- automatisierte Werkstückbestückung,
- Vernetzung und eindeutige Identifizierung von Spanntechnikkomponenten,
- Implementierung von Sensorik zur Datenerfassung und -übertragung sowie
- Online-Konfiguratoren für Spannkomponenten.
Damit ist der Rahmen skizziert, innerhalb dessen sich die Innovationsbestrebungen der Branche im Vorfeld der EMO Hannover 2017 abspielen – und die Innovationsbandbreite der ausstellenden Firmen geht sogar über diesen Rahmen hinaus.
Potenzial vernetzter Spanntechnik
So sagt beispielsweise Jürgen Förster, Prokurist und Vertriebsleiter der AMF Andreas Maier GmbH & Co. KG, Fellbach: „Die Kunden haben mittlerweile größtenteils die Bedeutung und das Potenzial der Spanntechnik in einer prozessoptimierten Fertigung verstanden und verinnerlicht. Lag der Fokus früher zum Beispiel auf schnelleren Werkzeugmaschinen oder längeren Standzeiten der Schneidstoffe, so hat die Spanntechnik heute mindestens den gleichbedeuteten Stellenwert.“
Die Automatisierbarkeit spielt dabei eine große Rolle. Unterschiedliche Abfragemöglichkeiten und somit eine nahtlose Kommunikation mit der Werkzeugmaschine gehören heute zum Standard. „Als System- und Komplettanbieter unterschiedlicher Spannmedien sehen wir den Trend ganz stark in der Kombination der verschiedenen Spannmethoden. Nullpunktspanntechnik bildet oftmals die Basis und wird durch hydraulische, magnetische oder pneumatische Systeme als flexibles Baukastensystem ergänzt“, ergänzt Förster. Die nahtlose Vernetzung und Kommunikation der Spannmittel mit der Werkzeugmaschine sind entscheidende Faktoren für eine optimierte Fertigungslösung im Hinblick auf Industrie 4.0 und den dazugehörigen Komponenten. Die Aufgaben als Spannmittelhersteller sieht der Vertriebsleiter darin, „mit dem vorhandenen Istzustand in der Fertigung des Kunden zu planen und hier die Fertigungsprozesse zu optimieren.“
Dabei habe man die Erfahrung gemacht, dass bei einer frühen Einbeziehung der Mitarbeiter die Kreativität und Optimierungsbereitschaft jedes Einzelnen kaum Grenzen kennt. So sei zum Beispiel zusammen mit einem Hersteller in der Medizintechnik eine Lösung entwickelt worden, bei der das Ergebnis selbst unsere Erwartungen übertroffen habe. Unter anderem hat AMF die Nullpunktspannmodule mit Abfragesensoren ausgestattet. Dadurch ist die automatisierte Fertigung mit Roboterbeladung prozesssicher gewährleistet.
„Wir freuen uns auf die diesjährige EMO in Hannover und präsentieren dort unsere Kompetenz und unser Know-how in den verschiedensten Bereichen der Spanntechnik. Darüber hinaus ist das Thema 'kostengünstige Automatisierungslösungen vorhandener Werkzeugmaschinen' ein Kernthema. Low-cost-Automatisierung inklusive Beladen, Greifen, Speichern, Spannen und Kennzeichnen ist hier der Leitgedanke“, sagt Förster.
Die Wahl des richtigen Spannmittels
„Abhängig von den eingesetzten Zerspanwerkzeugen werden die Werkzeugspannmittel immer spezifischer. Das heißt, parallel zur Entwicklung von Präzisionswerkzeugen findet eine Diversifizierung der Spannmittel statt, die einander bedingen“, erläutert Rolf Ehrler, Produktmanager Spannmittel und Fräswerkzeuge der Gühring KG, Albstadt. Die Rolle smarter Spannmittel in der vernetzten Fertigung sieht er eher skeptisch: „Smarte Aufnahmen (sensorisch und intelligent) werden erforscht, sind aber wegen fehlender Vernetzung noch nicht flächendeckend einsetzbar.“ Er plädiert dagegen für optimal ausgelegte und ausgewählte Spannmittel, mit denen sich Zerspanungswerkzeuge wesentlich besser nutzen und zu mehr Zerspanleistung und längerer Standzeit pushen lassen. Auf der EMO Hannover 2017 wird Gühring ein Future Display zeigen, dass sich ganz der Smart Factory widmet. Dort wird es unter anderem auch durch Additive Manufacturing gefertigte Spannmittel zu sehen geben.
Extrem schlanke Spannfutter dank additiver Fertigung
In einer digital vernetzten Fertigung wird die Spanntechnik eine zentrale Rolle spielen. Denn für den optimalen Prozess muss die Schneide oft näher an die Wirkstelle am Bauteil gebracht werden als dies bisher möglich war. Dafür sind Spannfutter notwendig, die ohne Leistungsverlust extrem schlank gebaut sind. Dieser Forderung kommt die Mapal Dr. Kress KG, Aalen, unter anderem mit den Hydrodehnspannfuttern mit schlanker Kontur nach. Sie machen die Hydrodehnspanntechnik genau dort nutzbar, wo bisher nur Schrumpffutter im Einsatz waren. Möglich macht dies die additive Fertigung: Auf den konventionell gefertigten Grundkörper wird per selektivem Laserschmelzen der Funktionsbereich aufgebracht.
Da die Trockenbearbeitung einen immer größeren Anteil an den Fertigungsprozessen einnimmt – unter anderem aus Umweltaspekten – ist die Thermostabilität der Spannfutter elementar. Dank der additiven Fertigung kann auf die temperaturkritische Lötstelle zwischen Spannhülse und Grundkörper verzichtet werden. So können die Spannfutter bei Betriebstemperaturen bis zu 170°C prozesssicher eingesetzt werden. „Durch die additive Fertigung entstehen ganz neue Konzepte für die Spanntechnik, die einen Mehrwert für den Kunden in Sachen Prozesssicherheit und Kosten bieten. Wir nutzen diese Technologie schon heute für die Serienfertigung. Die Grenzen des Möglichen wurden und werden dadurch kontinuierlich neu definiert“, fasst Jochen Schmidt, Produktmanager Spanntechnik bei Mapal zusammen.
Alle Systemkomponenten digital vernetzen
Auch er ist der Ansicht, dass in der Massenfertigung zunehmend Spannfutter gefordert sein werden, die in intelligente Fertigungsstrukturen mit hohem Automatisierungsgrad integrierbar sind: „Hier müssen sich alle Systemkomponenten digital vernetzen lassen.“ Werkzeugspannfutter sind in der Regel nur in Direktspannung im Einsatz – auch für kleine Durchmesser. „Mithilfe der additiven Fertigung ist es uns gelungen genau solche Futter anzubieten: Hydrodehnspannfutter mit schlanker Kontur für die Direktspannung von Werkzeugen ab 3 mm Durchmesser“, so Schmidt weiter.
Auf der EMO Hannover 2017 wird der Fokus bei Mapal unter anderem auf anwendungsorientierten Spannfuttern liegen: Direktspannung von kleinen Durchmessern mit Hydrodehnspanntechnik, sehr schlanke Futter, aber auch schwingungsgedämpfte Werkzeugsysteme.
Baukastensysteme für flexible Anwendungen
Einen „Trend zu hoch kompatiblen Baukastensystemen, mit denen sich jede einzelne Spannaufgabe intelligent und wirtschaftlich lösen lässt und die zugleich eine hohe Durchgängigkeit zwischen unterschiedlichen Maschinen gewährleisten“, konstatiert Markus Michelberger, Vertriebsleiter Spanntechnik der Heinz-Dieter Schunk GmbH & Co. Spanntechnik KG, Mengen. Die Faktoren Automatisierung, Flexibilisierung und Digitalisierung werden künftig zu maßgeblichen Erfolgskriterien in der Produktion: „Mithilfe von Sensoren werden Spannmittel schon bald in der Lage sein, permanent die Spannkraft zu überwachen. Fällt die Spannkraft ab oder kommt es zu Vibrationen, werden die Zerspanungsparameter automatisch angepasst, um einen sicheren Prozess und eine maximale Effizienz zu gewährleisten.“ So werde beispielsweise das intelligente Magnos-Force-Measuring-System, das als Technologiestudie auf der EMO Hannover zu sehen sein wird, bei Magnetspannlösungen eine kontinuierliche Spannkrafterfassung sowie eine darauf abgestimmte Anpassung der Prozessdaten ermöglichen. Darüber hinaus, so Michelberger weiter, „forcieren wir mit dem weltweit ersten elektrisch gesteuerten 24V-Nullpunktspannmodul den Trend zur fluidfreien, hochvernetzten Werkzeugmaschine.“
Additiv gefertigte Komponenten werden auch seiner Meinung nach in den kommenden Jahren sukzessive an Bedeutung gewinnen: „Bestes Beispiel sind unsere leistungsdichten Universalgreifer, die aufgrund ihrer hohen Greifkräfte zum Teil auch als Spannmittel eingesetzt werden.“ Mit dem webbasierten 3D-Designtool 'E-Grip' wurde erstmals eine Lösung für additiv gefertigte Greiferfinger entwickelt. Das lizenzfreie Webtool verkürzt den Zeitaufwand für die Konstruktion individueller Greiferfinger auf gerade einmal 15 Minuten. Vergleichbar mit einem Online-Fotodienst konfiguriert der Bediener die gewünschten Greiferfinger über den Upload einer eigenen Step- oder STL-Datei und die Angabe diverser Variablen, beispielsweise zur Greifertype, zum Gewicht, zur Einbaulage des Greifers oder zur Fingerlänge. Nach Abschluss des Bestellvorgangs werden die Greiferfinger additiv gefertigt und innerhalb einer Woche geliefert.
Fertigungssysteme von morgen – so das generelle Credo – sind vollständig vernetzt und erfassen unter anderem auch mithilfe der Spannmittel und Greifsysteme permanent sowohl den eigenen Status als auch den ihrer Umwelt. „Unser Ziel ist es die exponierte Position unserer Module 'closest-to-the-part' zu nutzen, um künftig jeden einzelnen Prozessschritt detailliert zu überwachen und die Anlagensteuerung sowie das übergeordnete ERP-System permanent mit Prozessdaten zu versorgen“, erläutert Michelberger. Zu den Highlights auf der EMO Hannover zählen bei Schunk unter anderem ein weiterentwickelter Systembaukasten für die Werkstückdirektspannung sowie ein Systemprogramm für die stationäre Werkstückspannung, erweitert um Spannmittel mit intelligenten elektrischen Antrieben.
* Walter Frick ist Fachjournalist aus Weikersheim
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