Standardisierung in Industrie 4.0 Standardisierung ist der Schlüssel zu Industrie 4.0

Autor / Redakteur: Marco Fuchs / Nora Nuissl

Mit Industrie 4.0 wird der automatisierte Datenaustausch zwischen Unternehmen und Systemen immer wichtiger. Gerade beim Austausch von Produktdaten benötigt es dringend einer Standardisierung. Doch nicht alle Maschinenbauer sind sich der Problematik bewusst.

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Softwareanbieter haben die Möglichkeiten des automatisierten Datenaustausches erkannt. Es gibt auch bereits erste standardisierte Lösungen für Industrie 4.0, wie das Data-Portal des Software-Dienstleisters Eplan.
Softwareanbieter haben die Möglichkeiten des automatisierten Datenaustausches erkannt. Es gibt auch bereits erste standardisierte Lösungen für Industrie 4.0, wie das Data-Portal des Software-Dienstleisters Eplan.
(Bild: Eplan)

Im Jahr 1961 wurden international gültige Maße für ISO-Container festgelegt. Seitdem können Container auf dem ganzen Globus von Schiffen auf Lkw und die Bahn umgeladen werden. Mit Industrie 4.0 wächst auch der Druck auf die deutsche Industrie, „Datencontainer“ für den Datenaustausch zwischen Unternehmen und verschiedenen Systemen zu definieren. „Die Konzepte von Industrie 4.0 werden sehr stark über die Standards entscheiden“, sagt Ulrich Ahle, verantwortlich für Consulting und Systemintegration für die Branche Manufacturing bei Atos. „Unter dem Aspekt Industrie 4.0 sind einheitliche Standards – insbesondere im Engineering – ein Muss“, ergänzt Timm Hauschke, Produktmanager bei Eplan. Es ist also höchste Zeit für die deutsche Industrie, die Schaffung einheitlicher Standards voranzutreiben.

Standardisierter Austausch von Produktdaten in Industrie 4.0 erforderlich

„Es geht um eine Reihe von unterschiedlichen Schnittstellen, die standardisiert werden müssen, beginnend mit der untersten Ebene der Sensoren und Maschinen bis hin zu den Plattformen für die Verarbeitung der gewonnen Daten und Informationen“, erklärt Ahle. Stellvertretend für die Herausforderungen im Bereich der Standardisierung, vor die Industrie 4.0 die deutschen Unternehmen stellt, steht die Problematik beim Austausch von Produktdaten. Denn viele Hersteller bieten elektronische Produktkataloge zwar zum Download an, diese variieren jedoch stark in Qualität und Detaillierung und Formaten. Programme, die diese Katalogdaten in gängige Formate wie Excel- Tabellen oder BMECAD importieren können, funktionieren daher nur unzureichend.

Anwender fordern einheitlichen Standard im Datenaustausch

„Wir möchten alle für den Bauteilesuch-und-Konstruktionsprozess notwendigen Daten eines Kaufteils über eine einfach zu handhabende Plattform in die an unserem Konstruktions- und Produktionsprozess beteiligten IT-Systeme wie ERP, PDM, MCAD und ECAD importieren“, fasst Thomas Fuchs, zuständig für ECAD beim Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer, das Anforderungsprofil vieler Maschinen- und Anlagenbauer zusammen.

Damit dies gelingen kann, ist neben einer einheitlichen Klassifizierung und Attributisierung der Teile auch eine bestimmte Tiefe in der Detaillierung notwendig. „Die IT-Systeme müssen mit allen notwendigen technischen Merkmalen versorgt werden“, erklärt Fuchs. Viele Hersteller erfüllen diese Anforderungen nicht. „Die Detaillierung der Produktdaten ist sehr unterschiedlich“, bestätigt Frank Scherenschlich, Geschäftsführer von Class.Ing, einer Ingenieur-Partnerschaft für Mediendatenmanagement. Die Folge: Das Anlegen der Daten erfolgt manuell und verursacht enorme Kosten. „Als Anwender müssen wir immer mehr den Gesamtpreis aus Gerätepreis und Datenimplementierungskosten berücksichtigen“, sagt Fuchs. Zudem ist eine manuelle Erfassung aller Daten, die für Automatisierungslösungen bereitstehen müssen, kaum noch leistbar.

Ein Beispiel dafür ist das Draht-Routing: Diese Erweiterung führender ECAD-Systeme unterstützt den Anwender bei der optimalen Auslegung und Verdrahtung seiner Schaltschränke. Um von dieser Funktionalität profitieren zu können, werden Zusatzdaten, wie 3D-Modelle, die Koordinaten der einzelnen Anschlüsse eines Gerätes sowie deren spezifizierende Merkmale, wie etwa der klemmbare Drahtquerschnitt, benötigt. Daten, die derzeit großteils noch nicht automatisiert ausgetauscht werden können und auch noch nicht im Fokus des Datenaustausches stehen.

Hersteller werden für die Standardisierung in Industrie 4.0 sensibilisiert

Die Hersteller werden allerdings zunehmend für die Problematik sensibilisiert: „Große Konzerne wie Siemens, Schneider Electric, ABB oder Rittal haben in der Problemstellung die Chance erkannt, durch digitale Gerätedaten Mehrwerte für den Anwender zu schaffen und sich von anderen Anbietern zu differenzieren“, sagt Hauschke. Diese Einschätzung teilt auch Scherenschlich. Gerade bei kleineren Anbietern mit weniger als 2000 Mitarbeitern sieht er aber noch Nachholbedarf: „Man merkt, dass es da noch große Lücken gibt, auch weil kein Kümmerer vorhanden ist, der das Thema übernimmt.“

Standardisierung nimmt an Bedeutung zu

Die Wiederverwendbarkeit von Projektdaten über unterschiedliche Entwicklungswerkzeuge hinweg spielt auch bei Bosch Rexroth eine Rolle. „Standardisierung ist ein bedeutendes Thema im Unternehmen“, berichtet Mike Niedermayr, Produktmanager für Engineering Software bei Bosch Rexroth. Das Unternehmen bietet seinen Kunden bereits ein breites Portfolio an Eplan-Gerätedaten für fast alle Steuerungs- und Antriebstechnikprodukte, sieht aber noch Entwicklungspotenzial: „Wir sind dabei weiter zu lernen, der Kundennutzen steht im Vordergrund.“ Gerade die Kunden hätten durch ihre Wünsche den Prozess angestoßen und stünden während der Entwicklung im Dialog mit dem Anbieter. „Auf der SPS IPC Drives haben wir beispielsweise die Anforderung an unsere Gerätedaten mit den Anwendern diskutiert“, sagt Niedermayr.

Das Eplan Data Portal als erster Standard in Industrie 4.0

Bis Ende 2015 will das Unternehmen das bestehende Produktportfolio im Eplan Data Portal optimieren und um Neuprodukte ergänzen. „Das Eplan Data Portal ist die Plattform, mit der wir im europäischen Raum die meisten Nutzer erreichen“, meint Niedermayr im Hinblick auf den hohen Marktanteil des Softwareanbieters. Aktuell haben die Nutzer der Plattform Zugriff auf rund eine halbe Million Gerätedaten von 72 Herstellern. „Elementare Grundlage für Standards sind einheitliche digitale Gerätedaten. Diese schaffen wir mit dem Eplan Data Portal“, sagt Hauschke. „Hersteller erhalten einen zusätzlichen Vermarktungskanal für ihre Produkte und die Anwender profitieren von standardisierten Gerätedaten“, fasst er die Vorzüge des Portals zusammen.

Auch andere ECAD-Anbieter haben den Trend erkannt. So können Anwender von Aucotecs Engineering Base Gerätedaten im Eplan-Data-Format importieren, während für E3 von Zuken ein eigenes Portal bereitsteht. Noch sind längst nicht alle Anbieter bei dieser Entwicklung im Boot: „Nicht alle Hersteller haben den Trend erkannt. Hier betreiben wir weiter Aufklärungsarbeit“, sagt Hauschke. Wie Aucotec unterstützt auch Eplan den E-Class-Standard. So hat das aktuelle Eplan-Release 2.4 eine E-Class-Schnittstelle.

Klassifizieren mit E-Class in Industrie 4.0

Der Verein E-Class vereinheitlicht bereits seit 2001 die klassifizierenden Daten von Produkten, damit diese unternehmensübergreifend entlang der Lieferkette verwendet werden können. Im Hinblick auf Industrie 4.0 wird die Bedeutung des Vereins weiter zunehmen. „Im Rahmen von Industrie 4.0 wird der Bedarf nach diesen Standards weiter steigen und es werden sich meiner Einschätzung nach zunehmend mehr Unternehmen anschließen“, prognostiziert Ahle.

„Wir haben eine breite Unterstützung in der Industrie, dennoch ist das Ganze kein Schnellläufer“, stellt Henning Uiterwyk, General Manager von E-Class, fest. Scherenschlich bestätigt das: „Durch die Anfragen merken wir, dass E-Class im Maschinenbau sehr gefragt ist.“ Laut Scherenschlich beschreiben heute 60 bis 70 % der Hersteller ihre Serienprodukte mit der E-Class-Klassennummer. Die detaillierte, aufwendige Version mit Merkmalen wird dagegen erst von schätzungsweise 15 bis 20 % der Hersteller erstellt. Für Scherenschlich ist dennoch klar: „Für mich ist es nur eine Frage der Zeit, bis E-Class sich als Standard durchsetzt.“

E-Class standardisiert den Austausch von Katalogdaten

Die ultimative Lösung ist E-Class für viele Anwender allerdings nicht. Derzeitige Standardisierungs-bestrebungen sind vor allem auf den Austausch von Katalogdaten ausgerichtet. „Wir benötigen echte Konstruktionsdaten wie 3D-Modelle in der notwendigen Detaillierung sowie vollständige und korrekte Bauteilmerkmal-Daten“, fordert Erwin Stark, zuständig für Klassifizierung bei Koenig & Bauer. Bis vor 54 Jahren der ISO-Container schließlich genormt wurde, war im Vorlauf viele Jahre verhandelt worden. Auch das Ringen um die modernen Datencontainer wird Industrie 4.0 noch eine Weile begleiten.

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