Mensch-Maschine-Interaktion Wenn die Maschine weiß, wie es ihrem Nutzer geht

Redakteur: Beate Christmann

Dank eines voranschreitenden Automatisierungsprozesses übernehmen Maschinen immer mehr Aufgaben des Menschen. Fraunhofer-Forscher haben nun ein Diagnoseverfahren entwickelt, durch das Maschinen Nutzerzustände in Echtzeit erkennen und entsprechend reagieren können.

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Für Fluglotsen ist es besonders wichtig, dass Mensch und Maschine gut interagieren: Eine Software des Fraunhofer-FKIE erkennt, wie leistungsfähig der Mensch ist, und gibt die Information an den Computer weiter.
Für Fluglotsen ist es besonders wichtig, dass Mensch und Maschine gut interagieren: Eine Software des Fraunhofer-FKIE erkennt, wie leistungsfähig der Mensch ist, und gibt die Information an den Computer weiter.
(Bild: Fraunhofer-FKIE)

Das Smartphone-Display, das nicht in den Ruhezustand wechselt, solange sein Nutzer den Blick darauf gerichtet hat; der Saugroboter, der bei der Fahrt über den heimischen Teppich den Füßen seines Besitzers ausweicht; oder das Auto, das ein lautes Signal ertönen lässt, wenn sein Fahrer die Spur verlässt – immer häufiger treten Maschinen mit Menschen in Interaktion. Jedoch ist es mit der Kommunikation nicht immer so einfach wie in den genannten Fällen. Vor allem dann nicht, wenn die Maschine den physischen oder gar emotionalen Zustand ihres Nutzers erkennen soll.

Weil Maschinen aber immer mehr Aufgaben im Alltag übernehmen, sollten sie idealerweise auch in der Lage sein, den Menschen bei Fehlverhalten zu unterstützen. Voraussetzung dafür ist, dass die Maschine versteht, wie es dem Menschen geht, der sie bedient. Fraunhofer-Forscher haben ein Diagnose-Verfahren entwickelt, das Nutzerzustände in Echtzeit erkennt und den Maschinen mitteilt.

Ganzheitliches Modell der Nutzerzustände und Ursachen

Die Diplom-Psychologin Jessica Schwarz vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE ist in ihrer Doktorarbeit der Frage nachgegangen, wie sich Nutzerzustände sehr genau ermitteln lassen, welchen Einfluss diese auf mögliches Fehlverhalten haben und wie automatisierte Systeme diese Information nutzen können. Dabei bedeute beispielsweise eine gestiegene Herzrate nicht automatisch, dass ein Mensch gestresst ist, erklärt die Wissenschaftlerin. Schwarz untersuchte daher, welche Faktoren konkret Einfluss auf die Leistungsfähigkeit des Menschen nehmen.

Sie konzipierte ein ganzheitliches Modell, das Nutzerzustände und deren Ursachen umfassend abbildet. Darin unterscheidet sie zwischen sechs Bereichen: Beanspruchung, Motivation, Situationsbewusstsein, Aufmerksamkeit, Müdigkeit und emotionaler Zustand. Zu deren Erfassung setzt sie physiologische und verhaltensbasierte Messmethoden ein und kombiniert sie zusätzlich mit äußeren Faktoren wie Aufgabenstellung, Umgebungsbedingungen, Automationsgrad und Tageszeit sowie individuellen Angaben zur Person.

Theorieüberprüfung per Flugsimulation

Die theoretischen Erkenntnisse überprüfte die Doktorandin in Experimenten, in denen sie Probanden vor folgende Aufgabe stellte: Sie mussten sich in Fluglotsen hineinversetzen und in einer Computersimulation Flugzeuge sicher durch einen virtuellen Luftraum steuern. Dabei wurden als Stressfaktoren die Anzahl der Flugzeuge erhöht, Anweisungen der „Lotsen“ nicht erwidert und Hintergrundlärm eingespielt. Individuelle Faktoren wie Erfahrungsgrad, Fähigkeiten und Befinden hatte Schwarz zuvor erfasst. EEG-Sensoren auf dem Kopf, ein Eyetracker und ein EKG-Brustgurt zeichneten die Körperdaten der Probanden auf. „Zuvor hatten wir intensive Gespräche mit echten Fluglotsen geführt, um deren Herausforderungen mit Mensch-Maschine-Schnittstellen so genau wie möglich nachstellen zu können“, erzählt Schwarz.

Industriepartner gesucht

Es entstand eine Diagnoseschnittstelle, die in Echtzeit erkennt, wann einzelne Einflussfaktoren kritische Werte erreichen, und das der Maschine mitteilt. „Automatisierte Systeme erhalten so sehr genaue Informationen über die aktuelle Leistungsfähigkeit des Nutzers und können darauf reagieren“, beschreibt Schwarz den Mehrwert ihrer Software.

Bis Ende des Jahres will das FKIE das Forschungsprojekt abschließen. Schon jetzt sind die Forscher auf der Suche nach Industriepartnern. „Die Technologie ist bereits sehr nah an der Anwendung. Das Know-how ist da, um für individuelle Einzelfälle konkrete Produkte zu entwickeln“, sagt Schwarz. Mögliche Einsatzgebiete finden sich bei allen hochautomatisierten Aufgaben, in denen kritische Nutzerzustände ein Sicherheitsrisiko darstellen, beispielsweise monotone Überwachungsaufgaben in Leitwarten oder Trainingssysteme für Piloten, die mit der Technologie optimiert werden können.

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