Konstruktionsautomatisierung Zeit für die Fertigungsvorbereitung halbieren
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Losgröße 1 zu Kosten der Massenproduktion: Das kann nur zur Realität werden, wenn man die Fertigungsvorbereitung automatisiert und damit Kosten einspart. Mit der „Designchain“ hat das Fraunhofer-IPA ein Konzept entwickelt, das mit Konfiguratoren oder Konstruktionsautomatisierung genau das verspricht.

In den vergangenen Monaten ließ sich ein spannendes Phänomen beobachten: volle Auftragsbücher trotz gesamtwirtschaftlichen Abschwungs. Haben die Unternehmen durch die Pandemie verlernt, Aufträge effizient abzuarbeiten, oder sind nach wie vor die gestörten Lieferketten schuld am gebildeten Auftragsstau?
Abgesehen von der Schuldfrage steigt der Anteil der Fertigungsvorbereitung, bezogen auf den Gesamtaufwand, bei sinkender Losgröße. Bild 2 veranschaulicht deutlich die Herausforderung bei Mass Customization und die damit verbundene zunehmende Bedeutung einer automatisierten Fertigungsvorbereitung zur Kostenreduktion. Ziel der Mass Customization ist die Fertigung der Losgröße 1 zu Kosten der Massenproduktion.
Aus Sicht des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA liegt dort großes Potenzial, um die Effizienz in der Abwicklung eines Auftrages zu steigern. So spart man spart Zeit und setzt in gleicher Zeit mehr Fertigungsaufträge um.
Konstruktionsautomatisierung statt ineffizienter Prozessflüsse
Aktuell sind an der Fertigungsvorbereitung verschiedene Fachbereiche beteiligt – darunter Konstruktion und Produktion – und noch mehr von ihr direkt betroffen (z. B. Rechnungswesen). Häufig ist die Zusammenarbeit von einer „Hol-Mentalität“ charakterisiert: Das bedeutet, dass insbesondere bei abteilungsübergreifenden Prozessen Informationen zuerst zusammengesucht werden müssen. Ineffiziente Prozessflüsse und lange Durchlaufzeiten des Kundenauftrags durch das Unternehmen sind die Folge.
Zudem erfordert die Fertigungsvorbereitung ein erhebliches Maß an domänen- oder unternehmensspezifischem Wissen. Aus diesem Grund ist beispielsweise die Technologieauswahl, Arbeitsplan- oder Zeichnungsableitung nach wie vor eine hauptsächlich manuelle Aufgabe.
Anwendungen wie Konfiguratoren oder Konstruktionsautomatisierung versprechen genau dort anzusetzen: sich wiederholende Tätigkeiten zu digitalisieren, zu automatisieren oder zu standardisieren. Dies sind wichtige Bausteine, deren Nutzen jedoch sehr anwendungs- und abteilungsspezifisch sind. Beispielsweise ist es für den Arbeitsplaner unerheblich, ob das 3D-Modell oder die Zeichnung automatisiert generiert wurde. Erst mit der Betrachtung des Prozesses von den Kundenanforderungen bis in die Fertigung ergeben sich substanzielle Vorteile für das Unternehmen. Vor diesem Hintergrund beschäftigen wir uns mit dem Thema Designchain.
Auch komplexe CAD-Modelle regelbasiert erzeugen
Unter der Designchain versteht das Fraunhofer-IPA den automatisierten digitalen technischen (Auftragsabwicklungs-)Prozess von der Aufnahme individueller Kundenanforderungen über die Konstruktion und technische Vorbereitung bis in die Produktion. Beispielsweise bieten Konfiguratoren die Möglichkeit, innerhalb der Designchain variantenreiche Produkte abzubilden. Dieses Überführen von Kundenanforderungen in Produktmerkmale bzw. technische Parameter ermöglicht es, auch komplexe CAD-Modelle, wie beispielsweise Module für Großanlagen, regelbasiert zu erzeugen. Aus diesen Modellen lässt sich dann mit CAM-Tools der notwendige NC-Code für die Maschinensteuerung einer Werkzeugmaschine ableiten. Mithilfe einer automatisierten CAx-Kette werden somit fertigungsrelevante Dokumente digital in die Produktion übergeben. Dieser vollständig automatisierbare Prozess erlaubt es, Varianten immer auf der Basis von aktuellen Versionsständen zu erzeugen.
Da sich eine vollumfängliche Automatisierung der Prozesskette nur mit hohem Aufwand umsetzen lässt, bearbeitet das Fraunhofer-IPA aktuell in verschiedenen Projekten einzelne Bausteine der Designchain. Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Realisierung ist das Projekt bei der Ceratizit Besigheim GmbH.
Ceratizit verkürzt Durchlaufzeit bei Sonderwerkzeugen
Die Ceratizit-Gruppe entwickelt und fertigt hoch spezialisierte Zerspanungswerkzeuge, Wendeschneidplatten, Stäbe aus Hartstoffen und Verschleißteile. Die Anforderungen der Kunden sind sehr verschieden und führen damit auch bei Hochpräzisionswerkzeugen zu einer hohen Variantenvielfalt, wie in Bild 1 zu erkennen. Zudem erwarten die Kunden gleichbleibend kurze Lieferzeiten, unabhängig von der Komplexität ihrer Produktanforderungen. Diese Herausforderungen führen bei Thomas Reindl, Standortleiter der Ceratizit Besigheim GmbH, zu folgender Einschätzung: „Wir müssen die Prozesse zu unseren Kunden komplett neu denken: Die automatisierte Kunde-zu-Kunde-Auftragsabwicklung ermöglicht die schnelle Fertigung kundenindividueller Produkte. Das Fraunhofer-IPA begleitet uns hierbei mit einem systematischen Ansatz und einem pragmatischen Vorgehen.“
Ceratizit und das Fraunhofer-IPA realisierten bereits einige Maßnahmen zum Auftragsmanagement, der Produktkonfiguration von Sonderwerkzeugen und der Designchain. Diese führten zu einer Verkürzung der Durchlaufzeit und Verbesserung der Termineinhaltung.
Die Sonderfertigung von Bohrwerkzeugen ist geprägt von hohen Qualitätsansprüchen an die Hochpräzisionswerkzeuge, wie auch von der Schwierigkeit, Skaleneffekte durch die Kundenindividualität nutzen zu können. Ceratizit konnte bereits im Vorfeld des Projektes auf einen Baukasten für die Konstruktion und Bearbeitungsplanung zurückgreifen, der wesentliche Konstruktionsvorgänge und zugehörige Bearbeitungsoperationen über einen Konfigurator erzeugt. Für die durchgehende Automatisierung der Tätigkeiten auf dem Shopfloor galt es, die manuell vorliegenden Prüfschritte während der Zerspanung zu automatisieren und in die vorgelagerte technische Prozessplanung einzugliedern.
Automatisierung qualitätssichernder Schritte erhöht Anlagenverfügbarkeit
Die Automatisierung der manuellen Prüfschritte mit Musterplatten und Fühlerlehrenband wurde durch eine Messoperation mit einem 3D-Messtaster der Blum-Novotest GmbH realisiert. Mithilfe des Messtasters und der Softwareapplikation „Vectorprobing“ können zusammen mit neu entwickelten Messprozeduren komplexe Geometrien abgetastet und Beziehungen der Messpunkte untereinander auf der Maschinensteuerung errechnet werden. Auf Basis der Messergebnisse wird das zugehörige Werkzeug korrigiert und eine notwendige Nacharbeit direkt durchgeführt. Damit dies möglich wird, muss das Messprogramm im Rahmen der technischen Prozessplanung die Messkoordinaten und die Informationen zu der Qualitätsanforderung erhalten.
Die zu vermessenden Geometrieelemente liegen in einer Grundähnlichkeit vor. Diese ermöglicht einen parametrischen Modellaufbau der Geometrieelemente, der die Messpunkte enthält. Somit können die Messpunkte automatisch ausgeschleust und der Bearbeitungsmaschine bereitgestellt werden. Neben dem Erzeugen der Messpunkte aus dem parametrischen Modell ist der Messprogrammaufruf mit der Übergabe der Informationen zu den Qualitätsanforderungen in den Konstruktions- und Bearbeitungsplanungsbaukasten integriert. Aus der Konstruktion ist die Position der Messaufgabe sowie der Toleranzen bekannt und der Bearbeitungsbaukasten liefert das Werkzeug und den Messprogrammaufruf an der richtigen Stelle im Bearbeitungsprogramm.
Die Automatisierung der qualitätssichernden Schritte auf dem Shopfloor ist ein wichtiger Schritt, um die Anlagenverfügbarkeiten bei Einzelstückfertigung und kleinen Losgrößen zu erhöhen. Mit dieser Lösung können personenreduzierte Schichten realisiert und die zunehmend schwieriger werdende Personalverfügbarkeit entschärft werden.
Automatisierung rechnet sich mit steigender Variantenzahl
Die technische Prozessplanung soll für mehr Automatisierung sorgen: Ohne eine durchgängige CAx-Kette muss die Inspektionsaufgabe für jedes Sonderteil manuell in die Bearbeitungsprogramme auf Basis von technischen Zeichnungen programmiert werden. Mit der vorgestellten Digitalisierung und Teilautomatisierung im Zusammenspiel mit den bestehenden unternehmensinternen Lösungen lässt sich die Zeit für die technische Prozessplanung durch das Frontloading im Rahmen der Designchain minimieren.
Durch die Betrachtung der gesamten Prozesskette verspricht sich das Fraunhofer-IPA eine Zeitersparnis von bis zu 50 Prozent in der Fertigungsvorbereitung. Bild 4 stellt die Zusammenhänge exemplarisch dar: je höher die unternehmenseigene Variantenanzahl, umso eher rechnet sich der initiale Aufwand zur Digitalisierung und Automatisierung der Prozesskette.
Das Angebot des Fraunhofer-IPA umfasst im ersten Schritt den Designchain-Quick-Check. Hier wird gemeinsam erfasst, wie „Designchain-ready“ der technische (Auftragsabwicklungs-)Prozess im Unternehmen gestaltet ist.
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