Porträt DIN-Norm Es begann mit einem Kegelstift
Jeder Ingenieur hat während seiner Arbeit schon unzählige Stunden damit verbracht Normenkataloge zu durchstöbern. Und auch nach 100 Jahren hat die Normung noch nicht ausgedient.
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Nach Normalkonstruktion strebe ich schon seit 15 Jahren. Es ist aber schwer. Jede Bahn und Direktion hat ihre Liebhabereien.“ So beklagte sich Werner Siemens Ende des 19. Jahrhunderts bei seinem Bruder Carl. Aber erst mit dem 1. Weltkrieg erkannte man in Deutschland die Notwendigkeit von Normen. Der Krieg war eine Materialschlacht. Maschinen und der effiziente Einsatz von Ressourcen wurden immer wichtiger. Und damit kam auch der Wunsch nach einheitlichen Standards auf. 1918 wurde dieser Wunsch erfüllt. Gerade einmal ein Jahr nach der Gründung des Normenausschusses der Deutschen Industrie – das heutige Deutsche Institut für Normung, kurz DIN – wurde die erste deutsche Norm veröffentlicht.
DIN 1 legte die Maße und Werkstoffe für Kegelstifte fest. Zunächst hatte der Ausschuss 120 Maschinenbauunternehmen zu ihren praktischen Erfahrungen mit Kegelstiften befragt. Von den 120 Unternehmen antworteten 80 auf die Umfrage. Alle sprachen sich für eine Vereinheitlichung der Kegelstifte aus. Die Festlegung der Kegelsteigung der Stifte auf 1 zu 50 war dabei besonders wichtig. „In den Anfängen der Normung – vor circa 100 Jahren – konnte durch die Normung die industrielle Arbeitsteilung organisiert werden. Verschiedene Hersteller konnten so Produkte mit gleichen Spezifikationen herstellen“, erklärt Dr. Gerhard Steiger vom VDMA. Somit war man beim Kauf von Werkzeug nicht mehr an die Kegelstifte des Herstellers gebunden. Die DIN 1 wurde 1981 das letzte Mal herausgegeben und ging 1992 still und leise in die europäische Norm DIN EN 22339 über. Dennoch bleibt sie der Startschuss für ein ganzes Heer an Normen. Werner Siemens hat die Einführung der Normung allerdings nicht mehr miterlebt. Erst 1925 wurde die erste Einheitslokomotive an die Reichsbahn geliefert.
Normung sorgt für wirtschaftlichen Aufschwung
Über die Jahre hinweg hat das DIN ganze Arbeit geleistet. Ende 2017 umfasste das deutsche Normenwerk 34.102 Normen. Wobei 85 % der Normenprojekte einen europäischen oder internationalen Hintergrund haben. „In den 60ern und 70ern wurden vermehrt internationale Normen geschaffen, um den Marktzugang in anderen Ländern zu vereinfachen. In Europa gab es dann in den 80ern noch einmal einen Aufschwung an europäischen Normen durch den Binnenmarkt“, erzählt Steiger. Spätestens alle fünf Jahre überprüft das DIN alle Normen darauf, ob sie noch zeitgemäß sind. Bis eine Norm festgelegt wird, muss jedoch einiges an Zeit und Geld investiert werden: „Im Schnitt dauert es zwischen 18 und 36 Monaten eine Norm zu entwickeln. Das hängt von der Komplexität ab“, erklärt Oliver Boergen, Pressesprecher des DIN e.V., „Finanziert wird der Normungsprozess durch vier Erlösquellen. Wir erzielen etwa 60 % unserer Erträge aus dem Verkauf von Normen über unseren Verlag, den Beuth Verlag. Als Verein haben wir auch noch die Mitgliedsbeiträge unserer rund 2500 Mitglieder. Hinzu kommen noch Projektmittel der öffentlichen Hand und unsere vierte Erlösquelle sind Projektmittel von Unternehmen.“
Sich als Unternehmen am Normungsprozess zu beteiligen, kann durchaus Vorteile haben: „Zum einen kann ein Unternehmen so natürlich Einfluss auf die Inhalte der Norm nehmen. Und da man am Entstehungsprozess beteiligt ist, hat man am frühesten neue Informationen. So kann sich das Unternehmen frühzeitig auf die neue Norm einstellen und zum Beispiel die Produktionsabläufe anpassen“, betont Boergen. Aber auch ohne an der Entwicklung einer neuen Norm direkt beteiligt zu sein, bringt Normung einige Vorteile für die Unternehmen. Laut einer Studie des DIN e.V. von 2000 entspricht der wirtschaftliche Nutzen von Normung etwa 1 % des Bruttoinlandsprodukts. Anders gesagt: Jeder Euro, der in Normung investiert wird bringt den 40-fachen Ertrag. Doch Normung steigert nicht nur die Effizienz. Sie sorgt für kürzere Auftragsabwicklung und eine vereinfachte Fertigung. Hinzu kommt, dass die Anwendung von Normen das Produkthaftungsrisiko senkt und die Nachfrage nach Produkten steigt, wenn sie mit bestehenden Produkten oder Systemen kompatibel sind.
Fortschritt braucht Normen
Um diesen Nutzen auch weiterhin zu gewährleisten, muss der Normungsprozess mit der Zeit gehen. „Zur Zeit unserer Gründung - also vor 100 Jahren - war der Bereich, in dem die meisten Normungen stattfanden ganz klar der Maschinenbau. Aktuell sind es durch die Digitalisierung vor allem neue, schnellwachsende Bereiche. Zum Beispiel erarbeiten wir gerade eine einheitliche Terminologie zum Thema Blockchain“, resümiert Boergen. „Heutzutage sind vor allem die Digitalisierung und die Standardisierung von Schnittstellen in der Industrie 4.0 ein wichtiger Bereich der Normung. Denn ohne Normung ist auch die Industrie 4.0 nicht realisierbar. Wir brauchen eine gemeinsame Terminologie, um Entwicklungen voranzutreiben“, bekräftigt Steiger.
Allerdings hat sich der Normungsprozess seit der ersten Norm 1918 doch etwas verändert. „Früher hatte man bei der Normung eine überschaubare Beteiligung. Da waren die Maschinenbauer unter sich. Heute ist es umso wichtiger Brücken zu anderen Bereichen, wie der IT- und der Automatisierungsbranche zu schlagen. Denn meiner Meinung nach, ist es nur möglich vernünftige Ergebnisse zu erzielen, wenn die Normen einen realistischen Praxisbezug haben. Und viele Themengebiete sind heutzutage nun einmal interdisziplinär“, so Steiger. Gerade wenn Menschen aus vielen unterschiedlichen Branchenzweigen zusammenarbeiten müssen, ist eine einheitliche „Sprache“ erfolgsentscheidend. Daher ist Normung noch genauso wichtig wie vor 100 Jahren.
* Fabiane Hörmann ist freie Mitarbeiterin aus 90451 Nürnberg
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