Auswirkungen Ukraine-Krieg Das bedeutet der Krieg für die Industrie

Von M.A. Manja Wühr

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Höhere Preise, Produktionsstau und löchrige Lieferketten – der Krieg in der Ukraine sorgt für Rückstau in den Produktionen und verschärft die Probleme in der Beschaffung. Wir haben mit Experten und betroffenen Unternehmen gesprochen.

Lieferanten, Produktion, Preise – der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen auf die Fertigungsindustrie.
Lieferanten, Produktion, Preise – der Krieg in der Ukraine hat weitreichende Auswirkungen auf die Fertigungsindustrie.
(Bild: PX Media - stock.adobe.com)

Der Krieg in der Ukraine ist in erster Linie eine menschliche Katastrophe. Doch auch die Weltwirtschaft spürt massive Auswirkungen: Mit Ausbruch des Krieges kam es bei Energieträgern, Metallen, Feldfrüchten und Holz immer wieder zu Lieferengpässen und Preissprüngen. Doch welche konkreten Folgen erfahren Maschinenbauer und andere Fertigungsunternehmen? Zwei Studien zeichnen ein ernüchterndes Bild von Produktionsstopps, Preiserhöhungen und einem Ende vieler Lieferbeziehungen.

Lieferanten aus Russland

„Trotz der harschen wirtschaftlichen Einschränkungen hat eine Mehrheit auch aus persönlicher Überzeugung die Kontakte zu russischen Unternehmen abgebrochen“, sagt Florian Warring, Experte für Einkauf und Supply Chain Management bei FTI-Andersch. Drei von vier Unternehmen (75 Prozent) haben die Beziehungen zu russischen Lieferanten bis Juni 2022 bereits abgebrochen, so die Ergebnisse des FTI-Andersch Supply Chain Barometer 2022.

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Die Studie hat 100 deutsche Unternehmen aus dem Bereich „Produzierendes Gewerbe“ mit Schwerpunkt Maschinen- und Anlagenbau zu Herausforderungen und den daraus resultierenden Maßnahmen befragt. Bezogen auf die Unternehmensgröße fallen die Zahlen noch extremer aus: Alle betroffenen Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben die bestehenden Geschäftsbeziehungen zu russischen Lieferanten unterbrochen, bei größeren Unternehmen sind es 67 Prozent.

Florian Warring, Florian Warring, Experte für Einkauf und Supply Chain Management bei FTI-Andersch: „Trotz der harschen wirtschaftlichen Einschränkungen hat eine Mehrheit auch aus persönlicher Überzeugung die Kontakte zu russischen Unternehmen abgebrochen.“
Florian Warring, Florian Warring, Experte für Einkauf und Supply Chain Management bei FTI-Andersch: „Trotz der harschen wirtschaftlichen Einschränkungen hat eine Mehrheit auch aus persönlicher Überzeugung die Kontakte zu russischen Unternehmen abgebrochen.“
(Bild: FTI-Andersch)

Solidarisieren sich also kleinere Unternehmen stärker mit der Ukraine? „Diese Erkenntnis sollte nicht zu vorschnellen Urteilen führen“, mahnt Warring. Eine unmittelbare Entflechtung gerade bei größeren Unternehmen, die über deutlich komplexere Lieferketten mit vielen Vorlieferanten verfügen, sei nicht immer kurzfristig realisierbar, so der Supply-Chain-Experte. 18 Prozent der befragten Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern planen dementsprechend, ihre Beziehungen zu russischen Lieferanten innerhalb der nahen Zukunft einzustellen.

Die Konsequenz der Einstellung von Beziehungen zu Lieferanten

28 Prozent der im Rahmen des FTI-Andersch Supply Chain Barometer 2022 befragten Unternehmen mussten die Abnahme von ukrainischen Lieferanten einstellen und damit die Beziehungen unterbrechen. Die Unternehmen ziehen nun Konsequenzen aus dem Ende der Beziehungen zu ihren russischen und ukrainischen Lieferanten: 61 Prozent der befragten Unternehmen nutzen bereits Alternativlieferanten, 49 Prozent bauen aktiv neue Lieferanten auf. Allerdings gibt es erneut einen Unterschied zwischen kleineren und größeren Unternehmen. Während 59 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neue Lieferanten aufbauen, ist dies nur bei 39 Prozent der Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fall.

„Der Aufbau neuer Lieferantenpartnerschaften ist für kleinere Unternehmen, die oftmals über geringere Abnahmemengen verfügen, deutlich schwieriger“, sagt Florian Warring. Hinzu kommt, dass die größeren Unternehmen durch weitere Konsolidierung ihrer Mengen die eigene Priorität bei ihren etablierten Lieferanten nochmal erhöhen: So will nahezu jedes dritte größere Unternehmen (29 Prozent) die absolute Anzahl aktiver Lieferanten nicht erhöhen, sondern reduzieren. Bei kleineren Unternehmen planen diesen Schritt nur 15 Prozent der Befragten.

„Die Nachfragemacht durch weitere Bündelung zu erhöhen, kann für größere Unternehmen durchaus eine sinnvolle Strategie sein“, sagt Florian Warring. „Allerdings dürfen sie dabei nicht ihre eigenen, zum Teil kleineren Lieferanten in der Wertschöpfungskette aus den Augen verlieren: Gelingt es diesen wiederum nicht, bei ihren Vor-Lieferanten entsprechend mit Gütern und Dienstleistungen versorgt zu werden, kommt irgendwann auch die Produktion der größeren Abnehmer ins Stocken. Wir raten Unternehmen darum, spätestens jetzt die gesamte Supply Chain mit allen Wertschöpfungsstufen und Unterlieferanten transparent zu machen und zu prüfen, wo innerhalb dieser Kette den eigenen Partnern Unterstützung angeboten werden kann. Neben der gemeinsamen Beschaffung ausgewählter Güter und Dienstleistungen spielt hierbei vor allem auch die aktive Begleitung hinsichtlich des Einsatzes alternativer Materialien und Herstellungsverfahren eine wichtige Rolle.“

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Statement: Marc Setzen, CEO von Proxes

Proxes stellt Maschinen sowie Prozesslinien für die Lebensmittel-, Pharma-, Kosmetik- und Chemieindustrie her. Für MM Maschinenmarkt sprach CEO Marc Setzen über die direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges in der Ukraine.

Marc Setzen, CEO von Proxes
Marc Setzen, CEO von Proxes
(Bild: Proxes)

Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen hatten weitreichende Konsequenzen für unsere Geschäfts- und Lieferantenbeziehungen in Russland. Während wir noch eine Nachfolgeregelung für unseren Standort in St. Petersburg gesucht haben, wurden einzelne Komponenten und Ersatzteile unserer Lebensmittelanlagen als Dual Use eingestuft und vielen somit unter die sanktionierten Technologien. Das führte dazu, dass wir den Standort schließen mussten und unsere Geschäftsbeziehungen zu russischen Dienstleistern eingestellt haben.

Mit dem Krieg haben wir auch die Ukraine bis auf Weiteres als Absatzmarkt verloren. Denn ich kann meine Montage- und Servicetechniker nicht in ein Kriegsgebiet schicken. Zudem sind auch die Reisemöglichkeiten sowohl für Ukrainer als auch für Russen gerade sehr eingeschränkt.

Noch härter treffen uns hingegen die indirekten Folgen des Krieges – vor allem in der Lieferkette. So hat die Rüstungsindustrie einen enormen Aufschwung erfahren. Was für uns zur Folge hat, dass ein langjähriger Lieferant für Steuerungen innerhalb einer Woche seine Lieferungen eingestellt hat. Daher mussten wir auf andere Steuerungen umstellen, was mit umfangreichen Programmierungsarbeiten verbunden ist. Das konnten wir nur leisten, weil wir kurzfristig Fachkräfte aus dem Ruhestand rekrutieren konnten.

Die Versorgung mit den Steuerungen mag ein extremes Beispiel sein, aber definitiv kein Einzelfall. Immer wieder erleben wir, dass Liefertermine nicht eingehalten werden. Daher haben wir eine Task Force aufgebaut, die schnell und sehr flexibel einzelne Bauteile beschaffen soll – etwa aus Restbeständen verschiedener Händler.

Auch wenn wir versuchen es zu vermeiden, so geht nichtsdestotrotz der Backlog in den Produktionen hoch. Das strapaziert zum einen unsere Lager- und Stellfläche. Zum anderen erfordert es von unseren Mitarbeitern eine hohe zeitliche Flexibilität. Unseren Kunden kommunizieren wir offen und ehrlich die aktuelle Situation. Das schafft Vertrauen und Planungssicherheit.

Ich rechne nicht damit, dass sich die Situation in absehbarer Zeit entspannt. Wie hart es wirklich wird, wird sich wohl zum Winteranfang zeigen. Mit steigender Inflation – vor allem bei Strom und Gas – wird die Kaufkraft der Verbraucher zurückgehen. Das werden wir dann auch in der Nachfrage für unsere Lebensmittelmaschinen merken. Die Vorzeichen stehen derzeit nicht auf überproportionalem Wachstum.

Betriebe rechnen mit weiterer Verschärfung

IAB-Forscher Duncan Roth: „Viele Betriebe müssen ihre Preise erhöhen oder erwarten Preiserhöhungen und müssen Personalanpassungen durchführen.“
IAB-Forscher Duncan Roth: „Viele Betriebe müssen ihre Preise erhöhen oder erwarten Preiserhöhungen und müssen Personalanpassungen durchführen.“
(Bild: IAB)

Der Anteil der Betriebe, die aufgrund der wirtschaftlichen Belastung durch den Ukraine-Krieg Personalanpassungen vorgenommen haben, stieg im Juni um gut 3 Prozentpunkte gegenüber Mai. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) aufgrund einer repräsentativen Betriebsbefragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“. Sie wurde im Zuge der russischen Invasion der Ukraine Fragen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges ergänzt. „Viele Betriebe müssen ihre Preise erhöhen oder erwarten Preiserhöhungen und müssen Personalanpassungen durchführen“, berichtet IAB-Forscher Duncan Roth.

Viele Betriebe sahen sich gezwungen aufgrund der wirtschaftlichen Belastungen ihre Preise zu erhöhen. 73,0 Prozent der Betriebe im Verarbeitenden Gewerbe haben im Juni ihre Preise erhöht. Das ist im Vergleich zum Mai ein Anstiegt um acht Prozentpunkte. Ähnlich stark reagieren die verarbeitenden Betriebe mit Personalmaßnahmen. Im Vergleich zum Mai stiegen diese um 9 Prozentpunkte.

IAB-Direktor Bernd Fitzenberger: „Gleichwohl legen die Rückgänge der Einstellungen nahe, dass die Betriebe von einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Lage ausgehen.“
IAB-Direktor Bernd Fitzenberger: „Gleichwohl legen die Rückgänge der Einstellungen nahe, dass die Betriebe von einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Lage ausgehen.“
(Bild: IAB)

Viele Unternehmen müssen auch ihre Produktions drosseln. Laut ABI insgesamt 14 Prozent der von ihnen befragten Betriebe. Besonders stark traf es das verarbeitende Gewerbe mit 18,1 Prozent im Juni. Das ist im Vergleich zum Vormonat ein Anstieg um 6 Prozentpunkte. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der FTI-Andersch Supply Chain Barometer 2022: 14 Prozent der befragten Maschinen- und Anlagenbauer hat seine Produktion zumindest zeitweise eingestellt. „Gleichwohl legen die Rückgänge der Einstellungen nahe, dass die Betriebe von einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Lage ausgehen“, schlussfolgert IAB-Direktor Bernd Fitzenberger.

Statement: Dr. Frank Hornung, CEO der Edelmann Group

Die Edelmann Group konzipiert und produziert mit weltweit über 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Premium-Verpackungen wie Faltschachteln für Medikamente und Kosmetik. Für MM Maschinenmarkt sprach CEO Dr. Frank Hornung über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Beziehungen zu Lieferanten.

Dr. Frank Hornung, CEO Edelmann Group
Dr. Frank Hornung, CEO Edelmann Group
(Bild: Edelmann Group)

Der Ukraine-Krieg hat für die Edelmann Group glücklicherweise kaum direkte Auswirkungen auf Lieferantenbeziehungen in Russland und der Ukraine. Wir haben zwar Gespräche mit einem potenziellen Lieferanten in Russland geführt. Diese aber mit Ausbruch des Krieges eingestellt.

Wir spüren die Auswirkungen des Konflikts eher indirekt, dafür massiv. Einige unserer Lieferanten beziehen Rohstoffe aus Russland. Ein Beispiel: Unsere Faltschachteln werden alle bedruckt. Diese Druckbilder werden mithilfe einer Aluminiumplatte übertragen. Da Aluminium zu einem großen Teil aus Russland kommt, werden die Lieferketten unserer Lieferanten für Aluminiumplatten durch den Konflikt und seine Folgen gestört.

Noch dramatischer wirkt sich jedoch die Energiefrage aus. Papier und Karton – also unser wichtigster Rohstoff – ist ein sehr energieintensives Produkt. Das heißt die Energiekosten machen einen hohen Anteil an den Gesamtkosten aus. Bei den rasant steigenden Energiekosten sehen wir durchaus die Gefahr, dass der ein oder andere Lieferant seine Produktion zumindest zeitweise einstellen muss. Das würde sich auch negativ auf unsere Produktion auswirken.

Schwierigkeiten in der Lieferkette mussten wir schon vor dem Ausbruch des Krieges meistern. Der boomende Onlinehandel, die Bemühungen Plastik durch Karton zu ersetzen und die mangelhafte Qualität von Recyclingprodukten haben die letzten Jahre zu einer Papierknappheit geführt. Auf diese Situation stellen wir uns ein. Unsere Devise heißt: Partnerschaften ausbauen und Alternativen stärken. Konkret haben wir unser Netzwerk an Lieferanten stark erweitert und durch unsere Pharmakunden qualifizieren lassen. Gleichzeitig haben wir die Beziehungen zu einigen strategischen Partnern gefestigt, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten.

* Die Autorin arbeitet als Fachredakteurin „Management“ für die Vogel Communications Group.

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