Leichtbau

Hochbelastete CFK-Strukturteile kosteneffizient im Spritzguss fertigen

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Langkohlefaserverstärktes Polyamid im Einsatz

Bei dem im Rahmen des Projektes eingesetzten Materials handelt es sich um ein langkohlefaserverstärktes Polyamid mit 40 % Fasergewichtsgehalt und einer Ausgangsfaserlänge von 10 mm vom Typ EMS Grivory GCL-4H der Ems-Chemie AG, Domat/Ems, Schweiz. Die Kalibrierung des Materialmodells erfolgt auf Basis von Zugstäben in Fließrichtung und quer dazu, die aus einer Platte mit den Abmessungen 250 mm x 200 mm x 4 mm gefertigt wurden. Durch die langen Fließwege und die Wanddicke von 4 mm sind bei der Platte ähnliche geometrische Relationen wie am Validierungsbauteil bzw. der Federbeinaufnahme gegeben.

Simulation und Versuch im Vergleich

Bild 5 zeigt die Spannungs-Dehnungs-Verläufe der Versuche bei 23 und 80 °C im Vergleich mit den Simulationsergebnissen.

  • Die graue Fläche zeigt hierbei das mechanische Verhalten in Fließrichtung und die orangene Fläche in transversaler Richtung, jeweils mit der einfachen Standardabweichung. Der E-Modul beträgt in Fließrichtung 20.200 MPa (23 °C) bzw. 11.800 MPa (80 °C) und quer dazu 14.400 MPa (23 °C) bzw. 7.900 MPa (80 °C).
  • Die Festigkeiten liegen bei Raumtemperatur bei 246 MPa bzw. 202 MPa und bei 80 °C bei 148 MPa bzw. 112 MPa.
  • Zusätzlich zu den Prüfergebnissen sind die entsprechenden Simulationsergebnisse in 0° und 90° mit verwendetem Versagenskriterium abgebildet.

Es lässt sich erkennen, dass sowohl das Spannungs-Dehnungs-Verhalten als auch das Versagenskriterium gut mit den Versuchen übereinstimmen.

Bild 5: Vergleich des Spannungs-Dehnungs-Verhaltens von Prüfungen mit der Simulation bei 23 °C und 80 °C .
Bild 5: Vergleich des Spannungs-Dehnungs-Verhaltens von Prüfungen mit der Simulation bei 23 °C und 80 °C .
(Bild: HS Osnabrück)

Materialmodell ermöglicht Vorhersagen

Mit diesem Materialmodell kann nun eine Aussage über das Konzept des Demobauteils bzw. der Federbeinaufnahme unter Berücksichtigung der Anisotropie getroffen werden. Um Bindenähte im Bereich der Lageraufnahme zu vermeiden, soll das Bauteil über einen Schirmanguss gefüllt werden. Der Schirmanguss führt neben der gleichmäßigen Füllung auch zu einer geringeren Scherung der Schmelze als beispielsweise Punktangüsse, wodurch die Fasern weniger geschädigt werden und bessere mechanische Eigenschaften im Bauteil vorhanden sind.

Weiterhin kann der Nachdruck durch ein solches Angusssystem flächig und lange wirken. Das Angusssystem und die prognostizierte Faserorientierung für das Demobauteil sind in Bild 6a zu sehen. Hier zeigt sich, dass der Schirmanguss zu einer gleichmäßigen Faserorientierung führt und die Fasern weiterhin in den Rippen entlang des Lastpfades orientiert sind. Die Faserorientierung in Kombination mit den hohen mechanischen Eigenschaften der Langkohlefasern sorgt dafür, dass der Auslastungsgrad beim kritischen statischen Lastfall und 80 °C kleiner als 1 ist und kein Versagen prognostiziert wird (Bild 6b). Es ist zu sehen, dass die Materialausnutzung relativ homogen ist bei stets ausreichender Sicherheit für die Betriebsfestigkeitsanforderungen.

Bild 6: Prognostizierte Faserorientierung an der Oberfläche (a) und Auslastungsgrad des Demobauteils für den kritischen Lastfall (quasi-statisch) bei 80 °C (b).
Bild 6: Prognostizierte Faserorientierung an der Oberfläche (a) und Auslastungsgrad des Demobauteils für den kritischen Lastfall (quasi-statisch) bei 80 °C (b).
(Bild: HS Osnabrück)

Im Rahmen dieser Ergebnisse erfolgte

  • die Spritzgießsimulation mit Moldflow, Autodesk, Inc., San Rafael, USA,
  • die Struktursimulation mit Abaqus, Dassault Systèmes SE, Vélizy-Villacoublay, Frankreich und
  • das Mapping und die Materialmodellierung mit Digimat, MSC Software Corporation, Santa Ana, USA.

Fazit und Ausblick

Zusammengefasst konnte durch eine zweistufige Topologieoptimierung ein erstes, kunststoffgerechtes Design der Federbeinaufnahme entwickelt werden, welches eine homogenere Spannungsverteilung als das Referenzbauteil aufweist. Der kritische Bereich rund um die Lageraufnahme wurde losgelöst von der gesamten Federbeinaufnahme weiter optimiert und Simulationen unter Berücksichtigung der anisotropen Eigenschaften zeigen, dass die optimierte Geometrie den statischen Lastfällen bei 80 °C Stand hält.

Diese verwendeten Materialmodelle weisen eine gute Übereinstimmung mit uniaxialen Zugversuchen auf und sollen an diesem Bauteil mit dreidimensionalen praxisnahen Spannungszustände validiert werden.

Leichtbaupotenzial weiter ausschöpfen

Aktuell wird das Werkzeug gefertigt. Neben der Validierung der quasi-statischen Materialmodelle für Raumtemperatur und 80 °C sollen auch Lebensdauer und Crash-Versuche an diesem Bauteil durchgeführt werden. Diese Ergebnisse sollen dann auch mit Simulationsmodellen zur Bewertung der Betriebsfestigkeit (isotrop und anisotrop) und mit dehnratenabhängigen Materialmodellen verglichen werden.

Die an diesem Bauteil gewonnen Erkenntnisse sollen anschließend auf die Federbeinaufnahme übertragen werden, sodass beispielsweise die Wanddicken für größeres Leichtbaupotenzial weiter optimiert werden können. Bei der Übertragung auf die Federbeinaufnahme ist zu berücksichtigen, dass die Lasten dort lastfallabhängig teilweise asymmetrisch eingeleitet werden und die rotationssymmetrische Struktur daher nicht direkt übertragen werden kann.

Literaturverzeichnis

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[6] D. Häffelin, K. Wagener, O. Beutler, F. Lutter, U. Jecmeniza: Nicht zu bremsen – Vollkunststoff-Bremspedal mit multiaxialer Faserverstärkung im Serieneinsatz, Kunststoffe 03/2017, 2017
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[14] MSC Software: Digimat User’s Manual, MSC Software Belgium SA, 2017
[15] S. W. Tsai, E. M. Wu: A General Theory of Strength for Anisotropic Materials, Journal of Composite Materials 5.1., S.58-80, 1971

* Prof. Dr.-Ing. Thorsten Krumpholz, Professur für Kunststofftechnik, Leiter des Labors für Kunststoff-CAE und Faserverbundkunststoffe, Hochschule Osnabrück; Philipp Land, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Kunststoff-CAE und Faserverbundkunststoffe, Hochschule Osnabrück; Alexander Pluznikov, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Mechanik und Messtechnik, Hochschule Osnabrück; Jan-Marc Tiemann, M.Sc., wissenschaftlicher Mitarbeiter im Labor für Materialdesign und Werkstoffzuverlässigkeit, Hochschule Osnabrück

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