EU-Lieferkettengesetz Lieferkettengesetz: EU-Entwurf verschärft deutsche Vorgaben
Anbieter zum Thema
Die EU- Kommission hat einen Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. Dieser sieht weitreichendere Sorgfaltspflichten für deutlich mehr Unternehmen vor als das deutsche Pendant. Rechtsanwalt Dr. José A. Campos Nave, Geschäftsführender Partner bei Rödl & Partner, hat für uns die wichtigsten Fragen beantwortet.

Ob Zwangsarbeit der Uiguren, Kinderarbeit in Kobaltminen oder illegale Rodungen in Amazonien oder Indonesien – noch immer werden Mensch und Umwelt zugunsten wirtschaftlichen Erfolgs ausgebeutet. Viele Unternehmen haben sich schon heute zu internationalen Sozial- und Umweltstandards verpflichtet – aber bei weitem noch nicht alle. Nun hat die EU-Kommission einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz angenommen. Doch was bedeutet der Entwurf für deutsche Unternehmen? Dr. José A. Campos Nave, Geschäftsführender Partner bei Rödl & Partner, hat für uns die wichtigsten Fragen rund um das EU-Lieferkettengesetz beantwortet.
Was ist unter dem EU-Lieferkettengesetz zu verstehen?
Am 23.02.2022 hat die Kommission einen Legislativvorschlag für ein„EU-Lieferkettengesetz“ vorgelegt. Dabei handelt es sich um den Entwurf einer EU-Richtlinie. Das heißt, der Richtlinienentwurf muss in einem nächsten Schritt durch das Europäische Parlament und den Rat gebilligt werden und nach Annahme durch die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren in innerstaatliches Recht umgesetzt werden.
Für welche Unternehmen und für welche Sektoren gilt der vorgestellte Gesetzentwurf?
Inhaltlich werden die Pflichten in der Lieferkette sektorübergreifend allen Unternehmen auferlegt, die folgende Kriterien erfüllen:
- EU-Unternehmen: alle EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit (sog. Gruppe 1) sowie andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind und die nicht beide Schwellenwerte der Gruppe 1 erfüllen, aber mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. EUR weltweit haben (sog. Gruppe 2).
- In der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 und Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften.
- Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fallen nicht direkt in den Anwendungsbereich des Kommissionsentwurfs. (Anm. d. Red.: Unter KMU versteht die Europäische Kommission Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Umsatz bis zu 50 Mio. EUR)
Welche Sorgfaltspflichten sieht der Gesetzentwurf vor?
Die EU-Lieferkettenrichtlinie sieht einen wirksamen Schutz der Menschenrechte vor, die in internationalen Übereinkommen verankert sind. Arbeitnehmern muss Zugang zu sicheren und gesunden Arbeitsbedingungen gewährt werden. Daneben sind negative Umweltauswirkungen, die gegen die wichtigsten Umweltübereinkommen verstoßen, zu vermeiden. In diesem Zusammenhang wird ausdrücklich auf das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens Bezug genommen, das im Rahmen jeglichen unternehmerischen Handelns Berücksichtigung finden soll. In Bezug auf den Schutz von Klima und Umwelt geht die EU-Lieferkettenrichtlinie somit wesentlich über die Sorgfaltspflichten des deutschen Lieferkettengesetzes hinaus, das Umweltaspekte allenfalls mittelbar berücksichtigt.
Wieweit reichen die Sorgfaltspflichten?
Die Achtung der internationalen Verpflichtungen hinsichtlich des Schutzes der Menschenrechte und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung sowie der internationalen Handelsregeln soll umfassend über die gesamte Lieferkette gelten. Unternehmen müssen nicht nur im eigenen Geschäftsbereich die Folgen ihrer Entscheidungen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt berücksichtigen, sondern – im Grundsatz – über die gesamte globale Lieferkette sicherstellen, dass die Sorgfaltspflichten eingehalten werden.
In welcher Form sollen die Unternehmen diese Sorgfaltspflichten erfüllen?
Vergleichbar mit dem deutschen Lieferkettengesetz, müssen Unternehmen eine Risikoanalyse durchführen und bestimmte obligatorische Maßnahmen im Unternehmen umsetzen, namentlich:
- die Sorgfaltspflicht zum integralen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen,
- tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln,
- potenzielle Auswirkungen verhindern oder abschwächen,
- tatsächliche Auswirkungen abstellen oder sie auf ein Minimum reduzieren,
- ein Beschwerdeverfahren einrichten,
- die Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht kontrollieren und
- öffentlich über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht kommunizieren.
Gibt es eine zentrale Stelle, die die Einhaltung des Gesetzes überprüft?
Die Aufsicht und Durchsetzung der Vorgaben der EU-Lieferkettenrichtlinie obliegt den jeweils zuständigen nationalen Behörden. Die Mitgliedstaaten sind in diesem Zusammenhang angehalten, verantwortliche Stellen zu schaffen. In Deutschland überprüft mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine bereits etablierte Behörde die Einhaltung des deutschen Lieferkettengesetzes und damit auch perspektivisch die Einhaltung der Vorgaben der EU-Lieferkettenrichtlinie. Daneben wird ein europäisches Netzwerk aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden geschaffen.
Mit welchen Konsequenzen müssen Firmen rechnen, wenn sie den Sorgfaltspflichten nicht entsprechen?
Die EU-Lieferkettenrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten geeignete Sanktionen festzulegen, sollten Unternehmen gegen die jeweiligen nationalen Vorschriften zur Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie verstoßen. Gleichsam sind die Mitgliedstaaten angehalten, deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und die Bemühungen des Unternehmens berücksichtigen. Werden Bußgelder verhängt, sieht die Lieferkettenrichtlinie vor, dass sich deren Höhe nach dem Umsatz des Unternehmens richtet, ohne die Bußgeldhöhe (bislang) genauer zu definieren.
Ist eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Haftung vorgesehen?
Verstoßen Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten und entsteht hierdurch ein Schaden, wird eine zivilrechtliche Haftung für diese Schäden begründet. Wichtig: Lassen sich Unternehmen durch den Vertragspartner die Einhaltung der Sorgfaltspflichten versichern und werden in diesem Zusammenhang angemessene Überwachungsmaßnahmen etabliert, kann die zivilrechtliche Haftung wiederum beschränkt werden. Vorausgesetzt, dass es nicht offensichtlich oder zu erwarten war, dass der Schaden unter diesen Umständen eintritt. Für Unternehmen ist es ratsam, in der Lieferkette einen wirksamen Mechanismus aus vertraglichen Verpflichtungen und risikobasierten Überwachungsmaßnahmen zu etablieren.
Wann wird das Gesetz in Kraft treten?
Da EU-Richtlinien keine unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten besitzen, sondern von der Umsetzung in nationales Recht abhängig sind, ist das Datum des Inkrafttretens schwer zu prognostizieren. Insbesondere ist offen, wie lange der Prozess der Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie in das nationale Recht der Mitgliedstaaten dauern wird.
Bereits jetzt zeichnet sich politischer Widerstand durch verschiedene Mitgliedstaaten ab, die weiteren Druck auf die Lieferketten vermeiden wollen. Ferner wird die Dauer der Umsetzung in den einzelnen Ländern durch den Umstand beeinflusst, ob in dem jeweiligen Land bereits ein Lieferkettengesetz existiert. In Deutschland ist dies mit dem sogenannten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz der Fall. Es muss entsprechend durch den Gesetzgeber an die Vorgaben der EU-Lieferkettenrichtlinie angepasst werden.
Zusammenfassend sind Unternehmen, die sich bereits jetzt auf das sogenannte „EU-Lieferkettengesetz“ vorbereiten möchten, gut beraten, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz dem Compliance-Management im Unternehmen zugrunde zu legen und sich auf die – sehr wahrscheinlichen – Verschärfungen der EU-Lieferkettenrichtlinie einzustellen.
* Die Autorin arbeitet als Fachredakteurin „Management“ für die Vogel Communications Group.
(ID:48043947)