Basiswissen Additive Fertigung – eine erste Bestandsaufnahme
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Was Ihnen die Additive Fertigung jetzt schon bieten kann und worauf wir noch warten müssen.

Die Additive Fertigung ist die industrielle Version des 3D-Drucks und Oberbegriff für ein Sammelsurium an auftragenden Verfahren. Sie eignet sich für die Fertigung von Prototypen (Rapid Prototyping), Endprodukten (Rapid Manufacturing) sowie Werkzeugen und Formen (Rapid Tooling). Ihre Besonderheit liegt darin, dass Bauteile ohne Werkzeuge und Formen entstehen, lediglich ein entsprechend aufbereiteter Datensatz ist notwendig. Der offensichtlichste Unterschied der Additiven Fertigung zu subtraktiven Verfahren ist, dass sie den Werkstoff hinzufügt, anstatt ihn zu entfernen. So wird nicht aus einem Klotz ein Objekt herausgefräst oder -gebohrt, sondern das Objekt entsteht durch punktuelles Verschmelzen oder Verkleben von Pulver beziehungsweise Materialschnüren, Filament bei Kunststoff und Draht bei Metall. Auch beim Spritzguss entsteht ein Objekt durch Zufügen von Material. Allerdings benötigt er Formen, in die er den erhitzten Kunststoff spritzt. Der 3D-Druck arbeitet auf freier Fläche, nimmt höchstens Stützstrukturen zurhilfe, die später abgebrochen oder -gewaschen werden. Zudem kann das überschüssige Material der Pulverbettverfahren im nächsten Druckprozess wiederverwendet werden – nach entsprechender Aufbereitung.
Dieser gezielte Aufbau eines Objektes erweitert die Freiheiten der Konstruktion. Die Grenzen der Konstrukteure und Designer enden nun nicht mehr in den Möglichkeiten der abtragenden Fertigungsmethoden oder des Formenbaus. Ihre Arbeit ist wesentlich näher an der späteren Funktion des Bauteils angelegt als bisher. Dadurch sind derzeit nicht produzierbare Geometrien möglich, die das Bauteil nicht nur funktionsfähiger, sondern auch leichter machen. Das können Teile mit Hohlräumen, integrierten Funktionen, unterschiedlichen Wandstärken oder Freiformflächen sein. Aber auch hier sind dem Design Grenzen gesetzt: Aus einem haarfeinen Kühlkanal mit Biegung lassen sich schlecht die Stützstrukturen entfernen, auf die er angewiesen ist. Eine solche Anwendung wird nur mit einem additiven Verfahren funktionieren, das ohne Stützstrukturen auskommt. Oder einem Verfahren, dessen Stützen mit Wachs aufgebaut sind, wie bei dem Multijet-Drucker von 3D Systems. Das Wachs kann in der Nachbearbeitung weggeschmolzen werden. Allerdings ist das Verfahren nicht für jede Anwendung geeignet, nicht alle Werkstoffe sind nutzbar.
Materialvielfalt wächst, anisotrope Eigenschaften machen Probleme
Vereinfacht ausgedrückt kann jedes Material gedruckt werden, das verklebt, verschweißt oder zusammengeschmolzen werden kann. Für industrielle Zwecke sind Metalle, Kunststoffe, Sand und Keramik üblich, die für das jeweilige additive Verfahren entsprechend aufbereitet werden. Oft bieten die Maschinenhersteller angeblich speziell für ihre Maschinen maßgeschneiderte Werkstoffe an, doch auch bei Materialherstellern sind passende Werkstoffe erhältlich. Ein derzeit noch besonderes Projekt hat Ultimaker ins Leben gerufen. Der niederländische Hersteller von 3D-Desktopdruckern hat sich zu einer Allianz mit mehreren Werkstoffherstellern und seinen Kunden zusammengefunden, mit denen er Kunststoffe auf Kundenwunsch erarbeitet. Die Profile der Werkstoffe werden in die Software Cura eingepflegt und sind somit zugänglich. In puncto Weiterentwicklung von Werkstoffen scheint die Additive Fertigung eine Welle losgetreten zu haben, regelmäßig werden neue Materialien – oder auch bekannte mit weiterentwickelten Eigenschaften – auf den Markt gebracht und immer mehr Unternehmen steigen in die Herstellung 3D-Druck-geeigneter Werkstoffe ein.
Eine Herausforderung an die Konstruktion ist die anisotrope Eigenschaft der Werkstoffe, bedingt durch die additive Technik. Anisotrop bedeutet, dass sich das Material in Aufbaurichtung, also in der Z-Achse, anders verhält als in X/Y-Richtung. Um Verzug und Schrumpfen zu vermeiden, sollten sowohl Konstrukteure als auch die Konstruktions- und Simulationssoftware über die Eigenschaften des jeweiligen Materials informiert sein.
Eine Machine druckt mehrere unterschiedliche Bauteile gleichzeitig
Da die additiven Verfahren ohne Formen und spezielle Werkzeuge zur Herstellung eines jeden Bauteils auskommen, können auf einer Maschine mehrere unterschiedliche, individualisierte Objekte gedruckt werden – gleichzeitig. Lediglich der Werkstoff muss oft, speziell bei Metallen, derselbe sein. Arbeitet ein Kunststoffdrucker mit mehreren Düsen, sind verschiedene Filamente möglich. Unterschiedliche Aufträge zeitgleich auf einer Maschine zu bearbeiten, ist besonders für die Auftragsfertigung ein wirtschaftlicher Pluspunkt, denn hier kann der Bauraum von Maschinen bei guter Auftragslage komplett ausgelastet werden. Doch diesen Vorteil können nicht alle Verfahren ausspielen. Speziell im 3D-Metalldruck gibt es Verfahren, bei denen der Aufbau der Maschine die Bearbeitung nur eines Bauobjektes zur gleichen Zeit erlaubt. Auch Hybridmaschinen, also eine Kombination von 3D-Drucker und zerspanender Maschine, sind nicht in der Lage, mehrere Bauteile zeitgleich zu fertigen.
Ein weiterer Punkt fällt der Geschwindigkeit zu. Die Additive Fertigung produziert Prototypen und Kleinserien nicht nur schneller, weil für Arbeitsaufträge keine speziellen Werkzeuge oder Formen hergestellt werden müssen. Da der Druckprozess an sich automatisiert ist, muss kein Maschinenbediener ihn überwachen, es kann also auch über Nacht und ohne Aufsicht gefertigt werden. Dadurch schrumpfen Herstellungszeiten von mehreren Wochen auf wenige Tage. Auswirkung haben diese Vorteile auch auf den Prototypenbau. Denn ist der Prototyp noch nicht ideal, ändert man die entsprechende Stelle in den Konstruktionsdaten und druckt das nächste Modell. Oder gleich mehrere, um verschiedene Ideen zu testen. Hilfreich ist natürlich auch, dass die Qualität des Prototyps der des Endbauteils entspricht.
Von Kleinserie bis Losgröße 1 sind alle Varianten unkompliziert möglich
Auch die Vision von Losgröße 1 gehört zu den Vorteilen der Additiven Fertigung. Eine personalisierte Fertigung von Brillen, Schuhen, Schmuck oder Uhren wird bereits umgesetzt. Auch die Medizin profitiert davon, Implantate für Knochen und Zähne sind auf den jeweiligen Patienten abgestimmt druckbar. Hier spielt der 3D-Druck seinen Vorteil, ohne Werkzeuge und Formen zu produzieren, voll aus; zudem ist es ein entscheidender Punkt für das industrielle Umfeld im Vergleich mit Spritzguss. „Ohne Zweifel liefert der Spritzguss die schnellsten Herstellungszeiten, bezogen auf Stückzahl pro Minute. Allerdings darf hier die Zeit für die Vorbereitung und die Herstellung der Gussform nicht außer Acht gelassen werden”, erklärt Apium Additive Technologies. „Im Vergleich dazu liegt die reine Herstellungszeit für ein 3D-gedrucktes Teil zwar ungleich höher, die Herstellung bedarf allerdings keiner Vorbereitungszeit, da lediglich die Datei des Bauteils eingelesen werden muss.” Deswegen sieht der Kunststoffhersteller die Stärke der Additiven Fertigung in kleinen Stückzahlen oder individuellen Teilen, die von Spritzgussverfahren hingegen bei größeren Mengen. Das CNC-Fräsen verliere in einem solchen Vergleich allein schon, weil ein Bauteil dabei öfter umgespannt werden müsse.
Automatisierung bis Nachbearbeitung
Der Vorteil von Losgröße 1 für die Industrie liegt nicht nur im Endkundenprodukt. Der neben dem Prototyping wohl für viele interessanteste Bereich ist das unendliche Feld der Ersatzteile. Manche Komponente wird schon länger nicht mehr hergestellt, auch im Lager ist sie nicht mehr vorrätig. Die bisherige Lösung hieß: mit subtraktiven Verfahren teuer und langwierig nachfertigen lassen. Per Reverse Engineering lassen sich relativ einfach CAD-Daten eines alten Bauteils erstellen, die dann für ein additives Verfahren optimiert werden können. Gleichzeitig lohnt es sich möglicherweise, über eine konstruktive Veränderung des Ersatzteils nachzudenken: Können mehrere Bauteile in eines integriert werden, sind Funktionserweiterungen möglich und sinnvoll oder bietet sich ein anderes Material an?
Automatisierung und Vernetzung wurden bisher vernachlässigt
Außer den bereits erwähnten Problemen bietet die Additive Fertigung noch weitere Herausforderungen. Da fehlt es zum einen an Automatisierung. Sicher, der Druck an sich läuft komplett alleine, aber in einer additiven industriellen Produktion ist der Drucker keine abgeschottete Insel. Material will zugeführt und abgeführt werden und jemand muss das gedruckte Bauteil zum Nachbearbeitungsprozess bringen, die Bauplatte säubern und für den nächsten Baujob vorbereiten; derzeit alles Schritte, die Menschen erledigen – und durch die es auch zu Stillstandszeiten kommt. Unternehmen wie EOS, Concept Laser (respektive GE Additive), Trumpf und Arburg arbeiten daran, mit fahrerlosen Transportsystemen und Roboterarmen die Bestückung und das Entnehmen zu automatisieren. Eine andere Lösung hat der Auftragsfertiger Fit für sich entwickelt: In seiner Produktion wird das Pulver über Rohre der Maschine zugeführt und das überschüssige abtransportiert. Aber insgesamt steckt das Thema automatisierte Additive Fertigung noch in der Lösungsfindungs- und Entwicklungsphase.
Der andere Problemfall kann grob mit Vernetzung überschrieben werden. Viele 3D-Drucker-Hersteller haben nicht bedacht, dass ihre Maschine ein Bestandteil einer Produktionskette sein könnte und daher sowohl passende Schnittstellen für ERP und MES benötigt als auch auf Big Data und Cloud-Services vorbereitet sein sollte. Dazu braucht die Maschine ebenso eine entsprechende Sensorik wie für Qualitätssicherungsprozesse. Auch zum Thema Rückverfolgbarkeit hat die Branche noch keine Antwort.
Von Software bis Nachbearbeitung – die Bausteine der Additiven Fertigung
Es reicht also offensichtlich nicht, sich einen 3D-Drucker zu kaufen und ein bisschen Additive Fertigung zu machen. Zuerst sollte man wissen, was man additiv fertigen will. Für den Einsatz im F&E-Bereich bieten sich andere Drucker an als für die Ersatzteilfertigung oder gar Produktherstellung. Von dieser Entscheidung hängt auch die Frage nach Peripheriegeräten und Schnittstellen des Druckers ab. Außerdem bestimmt der Werkstoff das Verfahren und somit auch den 3D-Drucker.
Zu beachten ist auch die Durchgängigkeit der Konstruktionssoftware. Denn die CAD-Modelle der Bauteile müssen für den Druck aufbereitet werden. Also wird der Datensatz in ein anderes Format transferiert, meistens STL oder AMF. Hier geht es darum, das Modell im Bauraum auszurichten, die benötigten Stützstrukturen einzuplanen und es in druckbare Schichten zu zerlegen. Danach kann bei der Übertragung in die Maschine herstellerabhängig eine zweite Datenumwandlung folgen. Der Umwandlungsschritt von CAD-Daten in ein Format der Datenaufbereitung erübrigt sich, wenn man ein Bauteil mit einem 3D-Scanner einliest, der ein 3D-Modell im STL-Format erstellt. Außerdem rät unter anderen Kaj Führer, Leiter vom Systemhaus Technik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, von der Konstruktion in CAD-Programmen ab. Für ihn ist die Topologieoptimierung eher für additive Prozesse geeignet, unter anderem da Lastpfade besser festgelegt werden können. Wer weiterhin CAD-Daten bevorzugt, der sollte auf die Unternehmen achten, die an einer durchgängigen Software arbeiten, wie Dassault Systèmes oder Autodesk.
Endlich kann das Bauteil gedruckt werden. Das heißt, die Bauplattform muss eingelegt und der Werkstoff an die Maschine angebunden sein. Während des Drucks achten bei einigen Maschinen bereits Programme auf Fehler und brechen möglicherweise den Druck ab. Nach dem Baujob will bei Pulverbettverfahren das überschüssige Material entfernt und einem Recyclingprozess zugeführt werden. Hier benötigt man also auch entsprechende Aufbereitungsgeräte. Außerdem wird das Bauteil von der Bauplattform entfernt und nachbearbeitet. Für beide Vorgänge gibt es – abhängig von Verfahren, Material, Funktion des Bauteils und Stützstrukturen – entsprechende Maschinen, die womöglich noch angeschafft werden müssen.
Nicht vernachlässigen darf man die Kosten für die Aus- und Weiterbildung der Konstrukteure und das vielleicht zusätzliche Personal, dessen Aufgabe eine manuelle Nachbearbeitung ist. Je nachdem für welche Aufgabe die Additive Fertigung im Unternehmen vorgesehen ist, müssen auch Prozess- und Personalstrukturen verändert und Räume entsprechend ausgebaut werden. Um es mit den Worten von David Dahl, Anwendungstechniker der Composite Solutions Group bei Stratasys USA, auszudrücken: „Wenn man entscheiden muss, wie die Additive Fertigung in bestehende Prozesse eingegliedert werden soll, kann man ein wenig Angst bekommen.”
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Ersatzteile
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