Verschraubungen Anforderungen an Montage von Flanschen steigen durch EU-weite Normung
Für Flanschverschraubungen gilt künftig die europäische Norm EN 1591. Außer den Konstrukteuren müssen auch die Instandhalter ihre Arbeit an diese Richtlinie für den Rohrleitungsbau anpassen. Die Auswirkungen reichen von der Auswahl des Schraubverfahrens über die Erfassung der tatsächlich aufgewendeten Montagekräfte bis zu einer geplanten Schulungspflicht für das Wartungspersonal.
Anbieter zum Thema
Bisher galt die Flanschberechnungsnorm DIN 2505, künftig die europäische Norm EN 1591. Zunächst fällt bei einem Vergleich der beiden Regelwerke auf, dass die Berechnungstheorie, die beiden zugrunde liegt, vergleichbar ist: Es werden die auf die Flanschverbindung wirkenden Kräfte und der Flanschquerschnitt beziehungsweise das daraus resultierende Widerstandsmoment betrachtet.
Was sich zunächst einmal als Vorteil der alten Norm darstellt, ist, wie einfach die Berechnung vollzogen werden kann. Demgegenüber erscheint die neue Flanschberechnungsnorm DIN EN 1591, Teil 1, auf den ersten Blick komplizierter; doch auf den zweiten Blick werden die Vorteile der neuen Norm deutlich.
Bei dem neuen Regelwerk wird das Gesamtsystem Flansch-Schrauben-Dichtung betrachtet, wobei nicht nur die Kriterien der Festigkeitsbetrachtung zu sehen sind, sondern auch das gesamte Verformungsverhalten und die Dichtigkeit. Die Berechnung der Gebrauchstauglichkeit der Dichtung beruht auf der Elastizitätsanalyse der Beziehung zwischen Belastung und Deformation von allen Teilen der Flanschverbindung.
Dabei wird iterativ die erforderliche, vorhandene sowie maximale Dichtungskraft mit gleichzeitiger Bestimmung der effektiven Dichtungsbreite ermittelt. Es wird eine komplette Kraft-Verformungs-Untersuchung der gesamten Verbindung für Flansche, Dichtung, Schrauben und eventuell vorhandene Klemmteile beziehungsweise für Bund und Losflansche oder Blinddeckel gemacht – also die Nachgiebigkeit der Verbindung untersucht, wobei auch der Einfluss von angeschlossenen Bauteilen wie zylindrischen oder konischen Schalen, Kugeln oder gewölbten Böden bezüglich der Nachgiebigkeit der gesamten Flanschverbindung mit einfließt.
Bei der Auslegung sind beliebig viele Lastzustände möglich: Montage- und Betriebslastfälle sind Muss-Betrachtungen, aber auch Anfahren, Abfahren, Druckstoß und so weiter können mit einbezogen werden. Der Einfluss der Differenzen der Ausdehnungskoeffizienten wird für die gesamte Flanschverbindung berücksichtigt (Schrauben, Flansche und geklemmte Teile). Es können auch nach innen gerichtete Flanschformen, zum Beispiel Blockflansche mit Sackloch, ausgelegt werden.
Flansche werden auf Verformung untersucht
Mit der Untersuchung von Belastung und Deformation der Einzelteile der gesamten Flanschverbindung und der sich ergebenden Verformung beziehungsweise Verdrehung speziell der Flanschblatt-Innenseiten wurde die iterative Berechnung der effektiven Dichtungsbreite eingeführt. Diese findet auch bei der Bestimmung der Dichtungskraft Berücksichtigung.
Weil die effektive Dichtungsbreite beispielsweise bei Flachdichtungen meist kleiner als die Lieferbreite der Dichtung ist, muss weniger Kraft auf die Dichtung aufgebracht werden, um die Mindestpressung zu erreichen. Ein Umstand, der sich sehr positiv auswirken kann.
Außerdem ist die Anwendung der EN 1591 nur in Verbindung mit realen, sprich gemessenen Dichtungskennwerten sinnvoll. Allerdings dürfte dieses Problem durch die von der Dichtungsindustrie aufgebauten Dichtungskennwerte-Datenbank in naher Zukunft vom Tisch sein.
Theorie des Berechnungsteiles der Norm trifft fast die realen Zustände am Flansch
Als wahrer Segen kann die Theorie des Berechnungsteiles der DIN EN 1591 angesehen werden, trifft sie doch nahezu die realen an einer Flanschverbindung auftretenden Zustände. Außerdem ist zu beachten, dass im Rahmen der zunehmenden Sensibilität für Umweltschäden und Immissionsbelastungen das Bewusstsein für die momentan noch rein deutschen Vorschriften der TA-Luft mehr und mehr auch auf europäischer Ebene an Bedeutung gewinnen wird.
Hierzu ist ganz klar zu sagen, dass das Regelwerk der DIN EN 1591 momentan die einzige weltweit vorhandene Berechnungsvorschrift darstellt, die der Anforderung zum Beispiel nach Berücksichtigung von Leckageklassen Rechnung trägt. Nur durch den Berechnungsansatz, außer den Mindestpressungen für die Dichtung das gesamte Verformungsverhalten der einzelnen Komponenten der Flanschverbindung zu betrachten, kann ein solcher Dichtheits-Aspekt überhaupt hinterleuchtet werden.
Derzeit noch nicht verpflichtend, aber nicht minder interessant ist das Thema Schulung, das in der EN 1591, Teil 4, aufgegriffen wird und für erhebliche Veränderungen in den Unternehmen im Qualitätsmanagement sorgen wird. Denn der öffentliche Druck wird steigen, wie in anderen Ländern nur noch gelerntes Personal Flansche montieren zu lassen.
Beispiel Petrochemie Norwegen: Hier ist es selbstverständlich, dass das Montagepersonal, das auf den Plattformen arbeitet, qualifiziert wird. Der Hintergrund dieser Ausbildungsmaßnahmen ist darin zu sehen, dass man die Schadensfälle, die in Norwegen im Internet detailliert mit der Angabe der Leckagemengen veröffentlicht werden müssen, minimieren will. Das geht jedoch nur, wenn die Güte der Werkzeuge und die Qualifikation der Menschen, die die Werkzeuge anwenden, auf ein immer höheres Niveau gebracht werden.
Instandhalter soll Wissen über Flansch-Verschraubungen nachweisen
Flansche an Rohrleitungen werden meist verschraubt. Deshalb ist hier ein besonderes Augenmerk gefragt. Teil 4 der DIN EN 1591 definiert die teilweise sehr komplexen Schraubverfahren, über die ein Monteur detailliertes Wissen nachweisen sollte:
- manuelles drehmomentgesteuertes Anziehen,
- hydraulisches drehmomentgesteuertes Anziehen,
- Anziehen der Verbindung mit hydraulisch betriebenen Spannwerkzeugen.
Außerdem muss man noch für bestimmte Anwendungen das pneumatische und elektrisch-drehmomentgesteuerte Anziehen hinzurechnen. Allerdings gelten hier aufgrund besonderer Rahmenbedingungen, beispielsweise des Ex-Schutzes, gesonderte Einsatzbedingungen.
Kräfte und Momente bei der Flanschverbindung realistisch berechnet
Im verpflichtenden Teil 1 der Norm wird deutlich gemacht, dass die Berechnungsmethode besonders bezüglich der Betrachtung der Kräfte und Momente, die auf die Flanschverbindung wirken, reale Ansätze macht: Der Einfluss von äußeren Axialkräften und Biegemomenten im Gesamtsystem findet für jeden Lastfall Berücksichtigung. Das Torsionsmoment am Schraubenschaft wird bei der Schraubenbelastung berücksichtigt.
Als sehr wichtiger Punkt geht die Streuung für die Ermittlung der Schraubenkräfte beziehungsweise Anzugsmomente in Abhängigkeit vom Schrauben-Anzieh-Verfahren in die Betrachtung ein. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass mit steigender Genauigkeit der Messung des Anzugsmoments die erforderliche Schraubenkraft bei der Montage präziser eingehalten werden kann. Die Schmierung fließt künftig in den Streuwert (mib) ein.
Flanschverbindungen für die Chemie müssten gesondert geprüft werden
Alle Neuerungen aus dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie als sehr verschraubungsintensiven Branchen landeten früher oder später auch in der Chemie, ohne dass allerdings wirklich geprüft wurde, ob diese Verfahren die besonderen Anforderungen an eine Flanschverbindung überhaupt erfüllen können.
Ein Beispiel: In vielen Publikationen, die sich mit dem Verschrauben von Flanschen beschäftigen, wird auf die VDI-Richtlinie 2230 verwiesen. Schraubverfahren wie das streckgrenzgesteuerte Anziehen werden empfohlen. Ein Anziehen bis zur Streckgrenze der Schraube kann in der Chemie aber nur dann eingesetzt werden, wenn die Dichtung im Kraftnebenschluss verbaut wird und der Flansch keine thermische Zusatzlast erfährt.
Grundsätzlich ist auszuführen, dass die Antwort auf die Frage, welche Werkzeuge und Montageverfahren eingesetzt werden, um einen Flansch zu verschrauben, im Wesentlichen von folgenden Faktoren beeinflusst wird: Größe und Anzahl der Schrauben, Größe des Flansches, Druckstufe, Dichtung sowie Sensibilität des druckführenden Produktes.
Prozessindustrie lehnt sich an den Maschinenbau an
Bei einer Betrachtung der heute in der Chemie eingesetzten Schraubverfahren muss man feststellen, dass keines der renommierten Verfahren die steigenden Anforderungen erfüllen kann. Erst durch den Einsatz von neuen Verbindungselementen kann das drehmomentgesteuerte Anziehen so weit optimiert werden, dass die Forderungen der Konstruktion und der Dichtungshersteller nach einer gleichmäßigen und genauen Dichtkraft erfüllt werden können.
Darüber hinaus lässt sich das drehmomentgesteuerte Anziehen sehr gut dokumentieren. Durch die Messung des Drehmomentes (Druck) und des Drehwinkels (Anzahl der Hübe) kann die Qualität der Verbindung beurteilt werden (Bild 1 – siehe Bildergalerie). Eine Tatsache, die heute bereits bei der Verschraubung von Armaturen in der Kernenergie genutzt wird.
Die Dehnmutter Clamp (Bild 2) und die Disc (Bild 3) bieten zwei der wenigen Lösungsmöglichkeiten weltweit, um die Dichtheit von Flanschen in Kombination mit dem drehmomentgesteuerten Anziehen zu gewährleisten. Erstgenannte sichert eine kalibrierte, vorspannkraftgesteuerte Aufbringung der Schraubenkraft, ohne dabei Biegung und Torsion für die Schraube hervorzurufen. Disc bietet eine hohe Vorspannkraftgenauigkeit, ist seitenlastfrei zu verwenden und kommt ebenso wie Clamp ohne Gegenhalt aus, bietet also eine erhöhte Sicherheit.
Dies führt automatisch zum Stichwort simultanes Anziehen: Bei der Verwendung mehrerer Werkzeuge (Bild 4) – empfohlen sind bei zwölf Schrauben zwei, bei 16 Schrauben vier und bei 36 Schrauben acht Werkzeuge – kann der Flansch beim Anziehen der Schrauben nicht mehr kippen und damit die Dichtung einseitig belasten (Bild 5).
Die Wahl des richtigen Schraubverfahrens und die fachgerechte Montage durch geschultes Personal ermöglichen komplett neue Konstruktionsoptionen für Flansche – sicherer, kleiner sowie kostengünstiger und in der Montage schneller.
Norm für Flansche ist noch nicht in allen Teilen verbindlich
Doch das, was um den Jahrtausendwechsel begann, ist immer noch nicht durchgängig gültig. Die DIN EN 1591 ist noch nicht in allen ihren Teilen 1-4 endgültig verabschiedet (Stand Februar 2008), obwohl sich die internationalen Experten bereits seit mehreren Jahren darum bemühen. Das Ziel ist eindeutig: die Dichtigkeit von Flanschverbindungen zu erhöhen, denn seit Beginn ihrer Nutzung vor mehreren Jahrzehnten ist jedem bewusst, dass diese Verbindungsart zu Undichtigkeiten führt.
Allerdings kam es immer wieder zu Irritationen. Ein Beispiel ist eine Entwicklung, die im Oktober 2001 begann, als der Teil 2 zur DIN EN 1591 veröffentlicht wurde: Hier wurde mit Kennwerten operiert, die schon von ihrer Bezeichnung her ungewohnt waren. Außerdem konnten die Dichtungshersteller die geforderten neuen Kennwerte für ihre Dichtungen nicht liefern. Dies soll erst jetzt durch die Veröffentlichung der mittlerweile gemessenen Dichtungskennwerte nach DIN EN 13555 zur Anwendung für die DIN EN 1591 nachgeholt werden.
Dipl.-Ing. Beate Schettki-Schäferdieck ist beratende Ingenieurin bei Contractor IBM BS GmbH, in 45478 Mülheim, Patrick Junkers ist Geschäftsführer der Hytorc-S, eines Bereichs der Barbarino & Kilp GmbH, in 82152 Krailling.
(ID:242100)