Versorgungssicherheit Checkliste: Diese 13 Maßnahmen helfen den Unternehmen jetzt gegen Gasengpässe

Ein Gastbeitrag von Dr. Stephan Hofstetter |

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Die Versorgung mit Gas, Strom und Wärme bereitet derzeit vielen Unternehmen Kopfzerbrechen. Die Einkaufsberatung Kloepfel Consulting hat jetzt eine Checkliste gegen Gasengpässe erstellt. Diese beinhaltet Maßnahmen, die Unternehmen bereits erfolgreich in den eigenen Werken und in der Lieferkette umgesetzt haben.

Was tun, wenn Gas, Strom und Wärme knapp werden? Diese Checkliste hilft mit konkreten Maßnahmen.
Was tun, wenn Gas, Strom und Wärme knapp werden? Diese Checkliste hilft mit konkreten Maßnahmen.
(Bild: gemeinfrei / Pixabay)

1. Zweitstoffanlage von Gas auf Öl umstellen

Unternehmen können die Abhängigkeit vom Gas reduzieren, indem sie ihren Zweistoffbetrieb von Gas auf Öl umstellen. Zweistoffanlagen sollten bereits jetzt auf Ölbetrieb umgestellt werden. Dadurch laufen die Unternehmen jedoch Gefahr, ihre Ziele und Verpflichtungen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes nicht mehr einzuhalten. Mit Zweistoffanlagen können rund 15 bis 20 Prozent Gas gespart werden.

Daimler-Truck könnte etwa zwei Drittel des Gasverbrauchs durch Heizöl substituieren. Das letzte Drittel wird für Prozesswärme, etwa in der Härterei, genutzt. Emmisionsschutzauflagen erschweren jedoch die unmittelbare Umsetzung.

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2. Notstromaggregate beschaffen

Die deutsche Bundesregierung empfiehlt Unternehmen mit kritischer Infrastruktur, Notstromaggregate zu beschaffen. Unternehmen unterschiedlicher Größe greifen auf Notstromaggregate zurück. Im Falle eines Stromausfalls startet das Stromaggregat automatisch. Somit kommt es zu keiner Unterbrechung der Stromversorgung. Um sich für einen längeren Stromausfall zu rüsten, kann das Notstromaggregat mit einem Zusatztank ausgestattet werden.

Der Pharma-Konzern Siegfried beispielsweise hat dieses Jahr ein Notstromaggregat in Betrieb genommen, welches im Notfall 50 Prozent des Stromverbrauchs abdecken könnte. Ebenso verfügt das Logistikunternehmen Bertschi über einen Notstromgenerator am Hauptsitz und wird bis Ende 2022 einen zweiten am Containerterminal installieren. Parallel werden bis Ende 2022 die Gebäudedächer des Logistikterminals mit Photovoltaik ausgerüstet, um damit mehr als 50 Prozent des Strombedarfs abzudecken.

Angesichts der unsicheren Gasversorgung und der drohenden Strommangellage bietet der CEO des Schweizer Chemieproduzenten Dottikon ES sogar an, diesen Winter seine dieselbetriebenen Notstromaggregate einzuschalten. Eigentlich sind die Generatoren dazu gedacht, einen Stromausfall zu überbrücken. Sie könnten aber auch bei einer Mangellage eingesetzt werden und Strom produzieren, der ins Netz eingespeist wird. Wenn alle Betriebe mit Notstromaggregaten diese auf 20 Prozent ihrer Kapazität einsetzen würden, könnte allein schweizweit bis zu 1 Gigawatt Strom temporär bis zu 50 Stunden (gesetzliche Einschränkung) überbrückt werden, erklärt der Unternehmer. Das entspricht in etwa einem KKW.

Viele Notstromaggregate sind bereits von den Netzbetreibern zertifiziert. Die Aggregate können abgerufen werden, um mit direkter Einspeisung das Netz kurzfristig zu stabilisieren. Dafür würden die Betreiber entschädigt werden.

3. Öl oder Diesel einkaufen und bunkern

Die Unternehmen haben früh begonnen, Öl und Diesel zu beschaffen und für die kommenden Monate zu bunkern, unabhängig vom aktuellen Preisniveau. Allerdings behindern die tiefen Pegelstände in den Flüssen den Nachschub.

Die Veltins-Brauerei hat ebenfalls vorgesorgt. Im Kesselhaus könnte innerhalb einer Stunde von Gas- auf Heizölbefeuerung umgestellt werden. Vorsichtshalber wurden 470.000 Liter Heizöl eingespeichert. Im Ernstfall könnte damit die Brauerei für fünf Wochen ohne Nachtanken betrieben werden.

4. Gaskraftwerke von LNG auf LPG umstellen

Eine bedeutende Maßnahme hat Evonik am größten deutschen Standort in Marl realisiert. Im neuen Gaskraftwerk wird dazu Liquefied Petroleum Gas (LPG) statt Erdgas zur Energieerzeugung genutzt. Diese Maßnahme sichert nicht nur die Energieversorgung und damit die Aufrechterhaltung der Produktion in Marl. Die freiwerdenden Erdgasmengen stehen zugleich zum Auffüllen der Erdgasspeicher zur Verfügung. Unterstützt wird Evonik dabei von bp. Das Energieunternehmen leistet einen wichtigen Beitrag zur LPG-Versorgung am Standort Marl.

5. LNG-Tank auf dem Werksgelände aufstellen

Verflüssigtes Erdgas (LNG) gewinnt als Energieträger für Industrieanlagen zunehmend an Bedeutung. Bisher für Industriebetriebe, die nicht ans Erdgasnetz angeschlossen sind, nun als Vorsorgemaßnahme in der Gasmangellage ist LNG eine sehr gute Lösung, um die Versorgung sicherzustellen. Die Lagerung und Vergasung geschieht in LNG-Satellitenstationen. Dabei handelt es sich typischerweise um Anlagen mit einer Kapazität von 5 bis 200 Tonnen. LNG eignet sich besonders als Bandenergie.

6. Mit benachbarten Unternehmen zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen

Benachbarte Unternehmen sollten Möglichkeiten erkunden, wie sie sich bei der Versorgung mit Wärme, Energie, LPG/Autogas etc. unterstützen können. Beispielsweise könnten Unternehmen die Abwärme von benachbarten Abfallverbrennungen, etc. nutzen.

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7. Solarmodule ausbauen

In der Bäckerei der bio-familia brauchen die Herstellprozesse von Knuspermüsli Wasser sowie thermische und elektrische Energie. Wo früher ein Heizölkessel im Einsatz war, hat das Unternehmen heute die gesamte Warmwasser- und Heizenergieaufbereitung des Produktionsprozesses auf Grundwasserwärmepumpen umgestellt. Damit werden Energiekosten gespart. Das Unternehmen, dessen Dächer mit Solar-Panels ausgestattet sind, ist mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs. Auf 1.000 Quadratmetern wird dadurch rund 125.000 Kilowattstunden PV-Strom produziert. Was nicht mit der eigenen Solaranlage produziert werden kann, wird aus nahegelegenen Trinkwasserkraftwerken bezogen.

Ein weiteres Beispiel: Im Januar 2022 ging eine weitere Solaranlage der Pilatus Flugzeugwerke ans Stromnetz. Das Dach der neusten Holzhalle hat die Fläche von knapp zwei Fußballfeldern und ermöglichte die Installation von knapp 5.000 Solarmodulen. Die Photovoltaikanlage hat eine maximale Leistung von 1.973 Megawatt Peak (MWp).

8. Windkraftanlagen auf dem Betriebsgelände in Erwägung ziehen

Für das eine oder andere Industrieunternehmen ist die Investition in Windkraftanlagen eine Option. Allerdings mussten Unternehmen zum Teil jahrelange Verzögerungen hinnehmen, bis die Windanlagen bewilligt wurden. Die eher mittelfristige Maßnahme bringt jedoch Versorgungssicherheit. So betreibt Arbonia, spezialisiert auf Gebäudetechnik, eine eigene Photovoltaikanlage und eine Windturbine, die rund 12 Prozent der 107 Gigawattstunden Strom abdecken.

9. Lieferkette durchleuchten und Risiken bei (Vor-)Lieferanten durch Gasengpässe identifizieren und Maßnahmen vereinbaren

Im Gespräch mit Lieferanten werden gasrelevante Risiken in den Wertschöpfungsketten identifiziert und Maßnahmen zur Behandlung abgestimmt. Kann die Gasversorgung technisch nicht sichergestellt beziehungsweise zeitnah substituiert werden, so wird eine erhöhte Bevorratung der kritischen Vormaterialien verhandelt. Dadurch soll eine mögliche Gasmangellage im kommenden Winter überbrückt werden. Um kurzfristig den hohen Ressourcenbedarf für die vielen Lieferantengespräche schultern zu können, werden externe Dienstleister wie Kloepfel Consulting hinzugezogen. Sie bringen auch den fachtechnischen Blick in die gasrelevanten Fertigungsprozesse mit ein.

10. Alternativen zu (Vor-)Lieferanten mit Gasengpässen sourcen

Außereuropäische Hersteller sind von der Gassituation nicht direkt betroffen. In Branchen mit bestehenden Importströmen sind Lösungsansätze zeitnah möglich. Die Verfügbarkeit von Kapazitäten und auch notwendige Kundenfreigaben von Werkstoffen begrenzen diese Option.

11. Lager mit Material, welches von Gasengpässen betroffen ist, aufstocken, um Produktionsausfälle zu vermeiden

Naheliegender Weise ziehen Unternehmen Bestellungen vor und erhöhen die Bevorratung mit gasrelevantem Vormaterial. In der Serienfertigung ist das eher möglich als im Sondermaschinenbau mit projektspezifischen Einzelanfertigungen.

12. Energiesparmaßnahmen prüfen lassen

Die weltweit tätige Franke Gruppe hat etwa 60 Effizienzmaßnahmen umgesetzt. Zu den Bedeutendsten zählt der Umstieg von einer Gasheizung auf Holzschnitzel. Mit dieser Maßnahme heizt Franke am Hauptsitz CO2-neutral und spart Jahr für Jahr über eine halbe Million Euro an Energiekosten ein. Durch eine effiziente Abwärmenutzung kann darüber hinaus eine nahe gelegene Wohnsiedlung mit überschüssiger Abwärme versorgt werden.

Weitere Maßnahme: Die Innentemperatur in Gebäuden auf maximal 19 Grad begrenzen. Ein Grad weniger Raumtemperatur bedeutet 5 bis 6 Prozent weniger Gasverbrauch.

13. Umstellung auf Gas aus Biomasse

EMS Chemie nutzt seit vielen Jahren Gas aus Biomasse. Erdgas wird nur noch in geringen Mengen benötigt, und auch die könnten durch Öl oder Strom ersetzt werden.

Fazit: Die energieintensiven Produktionen aus der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie zeigen, dass es zahlreiche Wege gibt, sich sicher und kalkulierbar mit Gas, Strom und Wärme zu versorgen. Notstromaggregate, PV-Anlagen oder die Bevorratung von Heizöl oder Gas – sind auch Optionen für produzierende Industrieunternehmen mit teilweise ebenfalls energieintensiven Prozessen, etwa in der Metallbe- und verarbeitung. Im Kampf gegen Produktionsstillstand und explodierende Energiekosten lohnt es sich über den Tellerrand zu schauen.

* Der Autor ist Partner bei Kloepfel Consulting.

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