China Market Insider Chinas erster selbst gebauter Passagierjet

Ein Gastbeitrag von Henrik Bork

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Airbus und Boeing haben ab jetzt einen Rivalen. Er heißt Comac. Der chinesische Staatsbetrieb hat soeben die Fluglizenz für die C919 erhalten, das erste in der Volksrepublik gebaute Passagierflugzeug.

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(Bild: © Eisenhans - stock.adobe.com)

Die Genehmigung, Ende September von der chinesischen Luftfahrtbehörde CAAC erteilt, sei ein „wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der großen chinesischen Luftfahrtindustrie,“ schreibt die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua in Peking mit deutlichem Stolz.

Um exakt 6.52 Uhr morgens am 14. Mai war das für 158 bis maximal 192 Passagiere entworfene Kurzstrecken-Flugzeug von der Landebahn Nummer 4 des Flughafens Pudong in Shanghai zu seinem ersten Testflug abgehoben, wie nun mitgeteilt wurde. Und nun ist also auch die kommerzielle Lizenz da. Der erste Comac-Kunde, die China Eastern Airlines, soll noch in diesem Jahr mit vier Exemplaren der C919 beliefert werden.

Chinesische Ingenieure hatten zuvor mehr als ein Jahrzehnt lang an diesem neuen Stolz der Nation entwickelt, geschraubt und getestet. Chinas kommunistische Führung hat das Projekt mit umgerechnet etwa 72 Milliarden Dollar subventioniert, schätzt das „Centre for Strategic and International Studies“ (CSIS) in Washington.

Konkurrenz für Boeing und Airbus

Die Implikationen für die globale Luftfahrtindustrie sind enorm. Bisher hatten sich Boeing und Airbus den internationalen Markt für Passagierjets untereinander aufgeteilt. Nun sei man „wahrscheinlich auf dem Weg von einem Duopol zum Triopol”, zumindest für Single Aisle, also Flugzeuge mit nur einem Mittelgang und zumindest bis zum Ende dieses Jahrzehnts, hatte Airbus-CEO Guillaume Faury einem Bericht der Financial Times zufolge kürzlich gesagt.

Dieses „Aus Zwei mach Drei“ der kommerziellen Luftfahrt auf unserem Planeten ist ein wesentlicher Bestandteil des Masterplans „Made in China 2025“, den die Zentralplaner der kommunistischen Partei mit Rücksicht auf Empfindlichkeiten in Washington und Brüssel nicht mehr lautstark betonen, dafür aber im Stillen umso entschiedener umsetzen.

China solle „den Gipfel der irdischen Wissenschaft und Technik“ erklimmen, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping beim Empfang einer C919-Delegation von Comac kurz vor dem Nationalfeiertag am 1. Oktober. Und dies, es musste nicht mehr ausgesprochen werden, möglichst ohne die Amerikaner, die Handels- und Technologiekriege gegen Peking führen, und ohne andere Ausländer.

Comac, die „Commercial Aircraft Corporation of China“, hat ihre Wurzeln in der chinesischen Rüstungs- und Raumfahrtindustrie. 2008 ist ein Teil der Flugzeugsparte des Konzerns “Aviation Industry Corporation of China“ (AVIC), der unter anderem Kampfjets herstellt, ausgelagert worden und als neuer Staatsbetrieb Comac in Shanghai etabliert worden.

China setzt große Hoffungen in Comac

Für die chinesische Führung markiert der Aufstieg von Comac nicht nur einen Meilenstein in ihrem Versuch, sich von der Abhängigkeit von Boeing und Airbus zu emanzipieren. Wegen der Schlüsselstellung der Luftfahrtindustrie geht es vielmehr auch um wichtige Fortschritte für die gesamte High-Tech-Industrie des Landes – angesichts von Sanktionen und Export-Restriktionen aus Washington also aus der Perspektive Pekings um nichts anderes als die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes und somit das künftige Überleben seiner sozialistischen Planwirtschaft.

300.000 Menschen hätten am Design und Bau der C919 in China mitgewirkt, schreibt der chinesische Nachrichtendienst Xinhua Meiri Dianxun. „Die erfolgreiche Entwicklung der C919 werde ein ‚neuer Motor' für die Entwicklung der Luftfahrtindustrie und der fortgeschrittenen Fertigungsindustrie unseres Landes werden“, so die Agentur. Die gerade erteilte Bescheinigung der Flugtauglichkeit für die C919 zeige, dass „China die Fähigkeit hat, unabhängig große Passagierflugzeuge der Weltklasse zu entwickeln”, so der Nachrichtendienst.

Wichtige Teile der C919 stammen von Zulieferern aus dem Ausland.
Wichtige Teile der C919 stammen von Zulieferern aus dem Ausland.
(Bild: Asia Waypoint für MM Maschinenmarkt)

Diese letzte Aussage ist so nicht ganz korrekt, auch wenn Peking seinem Ziel technologischer Autarkie mit dem Abheben der C919 unbestritten um einige wichtige Höhenmeter näher gekommen ist. Denn: „Rein Chinesisch“ ist das chinesische Flugzeug aber noch nicht, denn wichtige Teile wie die Triebwerke, die Bordelektronik, die Kommunikations- und Navigations-Systeme im Cockpit, das Fahrwerk und die Black Box stammen von Zulieferern aus den USA, Frankreich und Deutschland.

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Liebherr-Aerospace, die im schönen Lindenberg im Allgäu und in Toulouse beheimatete Tochter der Liebherr-Unternehmensgruppe, liefert das Fahrwerk. Das amerikanische Unternehmen Arconic liefert Aluminium-Komponenten für den Rumpf. Die Triebwerke liefert die amerikanisch-französische CFM International (ein Gemeinschaftsunternehmen von General Electric und Safran). Und so geht es weiter – siehe Infografik.

„Obwohl es als heimatliches Gewächs verkauft wird, sind die meisten Teile der C919 importiert und stammen von ausländischen Herstellern“, schreibt die South China Morning Post. Drei Fünftel aller Zulieferer für das Flugzeug kommen aus den USA, ein Drittel aus Europa und von den 14 chinesischen Zulieferern sind sieben Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Herstellern, heißt es bei CSIS in Washington.

Erst kopieren, dann substituieren?

Aber so ist das ja immer, wenn ein Land seinen Aufstieg in den erlauchten Kreis der globalen High-Tech-Nationen anstrebt – erst wird abgekupfert und kopiert, was das Zeug hält und dann substituiert man die ausländischen Lieferanten nach und nach durch heimische. Erinnert sei in diesem Kontext etwa an die amerikanischen Spione mit ihren Bleistiften, die einst in englischen Textilmanufakturen Skizzen der Webmaschinen auf ihre Zeichenblocks warfen, um damit schnell zurück über den Atlantik zu segeln, wo die Fabriken dann eins zu eins nachgebaut wurden.

Im Zeitalter der Globalisierung ist das so nicht mehr nötig. Der erwähnte zweite Schritt, die „heimische Substitution“ der Zulieferer, ist schon in Vorbereitung, sowohl was die C919 betrifft, als auch die gesamte chinesische Luftfahrt-Industrie. Auch da helfen ausländische Konzerne den Chinesen sehr gerne, solange sie mitverdienen dürfen. So gründeten General Electric und der Rüstungskonzern Avic in China ein Joint-venture zur Produktion von Luftfahrtelektronik.

Und bei Airbus ist man ebenfalls stolz auf sein Joint-Venture mit Avic, für das die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Ministerpräsident Li Keqiang zuletzt im September 2019 mit viel Tamm-Tamm einen weiteren strategischen Kooperationsvertrag unterzeichnet haben. Das Gemeinschaftsunternehmen in Tianjin baut Passagierflugzeuge vom Typ A319 und A320 mit europäischer Spitzentechnologie. Die chinesischen Ingenieure, die da gerade ausgebildet werden und Praxis-Erfahrungen sammeln, sind in Zukunft bestimmt auch bei der Personalabteilung von Comac herzlich willkommen.

Die in Tianjin gebaute A320 ist interessanterweise eines von zwei „ausländischen“ Produkten, die Comac mit dem Bau der C919 langfristig ersetzen will. Das zweite ist die 737 von Boeing.

Schonfrist bis 2035

Peking hat aber auch schon im Jahr 2016 das chinesische Unternehmen Aero Engine Corporation of China (AECC) gegründet und damit beauftragt, komplett eigene, also chinesische Triebwerke für die C919 zu entwickeln. All das dauert ein wenig, ebenso wie die Ausweitung der Produktionskapazitäten und der in der zivilen Luftfahrtindustrie mindestens ebenso wichtigen Infrastruktur für die Wartung. Wer zivile Flugzeuge verkaufen will, der muss 365 Tage im Jahr und rund um die Uhr erreichbar sein und das nötige Netzwerk besitzen, um Störungen beheben und die Sicherheit der Passagiere gewährleisten zu können.

In China werden staatliche Fluggesellschaften zweifellos unverbindliche „Empfehlungen“ von der Partei bekommen, künftig ihre Jets für Inlandsflüge bei Comac zu bestellen – denen die Parteisekretäre in den Zentralen der Unternehmen dann wohl besser Folge leisten. Doch es wird noch eine Reihe von Jahren dauern, bis Boeing und Airbus für einen großen Teil ihres Geschäftes auf dem Weltmarkt mit Comac konkurrieren müssen – nicht zuletzt weil dafür die Luftfahrtbehörden in den USA und in Europa ebenfalls Lizenzen für die C919 erteilen müssen.

In dem neuen Zentrum der chinesischen Luftfahrtindustrie rund um Comac in Lingang bei Shanghai wächst gerade das industrielle Ökosystem, das eines Tages die Produktion der C919 in solchen Stückzahlen stemmen soll, dass das Flugzeug und seine Nachfolger Airbus und Boeing wirklich das Fürchten lehren können.

Bis 2035 dürfte Comac mit Hilfe dieses Industrieparks in Lingang in der Lage sein, mehr als 200 große kommerzielle Flugzeuge pro Jahr zu produzieren, sagt die Agentur Xinhua voraus. Zumindest bis dahin wird es in China noch Aufträge für alle geben, möglicherweise sogar noch länger, sogar für Boeing und Airbus und die meisten Zulieferer der C919 aus aller Herren Länder.

* Henrik Bork ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking. „China Market Insider“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Vogel Communications Group, Würzburg, und der Jigong Vogel Media Advertising in Beijing.

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