Geschäftsbeziehungen Darauf müssen Sie achten, wenn sie Verhandlungen online führen
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Ständige Preissteigerungen und Lieferverzögerungen führen dazu, dass immer häufiger und immer härter verhandelt werden muss. Wie das insbesondere online gelingen kann – und wann es besser ist, persönlich vorbeizukommen.

Preissteigerungen beim Material von 300 Prozent, gerissene Lieferketten durch Lockdown, fehlende Container und Mitarbeiter in Quarantäne. Hatte schon die Pandemie die Geschäftsbeziehungen zwischen Partnern belastet, hat der Krieg in der Ukraine die Krise massiv verschärft. Vielerorts liegen die Nerven innerhalb der Wertschöpfungsketten seit Monaten blank. Das stellt höchste Ansprüche an das Verhandlungsgeschick aller Beteiligten. Rhetoriktrainer Peter Flume zeigt auf, wie man insbesondere online erfolgreich verhandelt. Und wann es besser ist, persönlich vorbeizukommen.
Kennenlernen und sondieren
„Jede Verhandlung beginnt mit einer Sondierungsphase“, sagt Flume. In dieser Phase schaffen Verhandlungspartner die Basis für den kommenden Prozess: Sie lernen sich kennen, festigen die Beziehung, stiften Vertrauen und stecken Visionen ab. „Das ist virtuell und auch vor Ort umsetzbar“, sagt der Rhetoriktrainer. Welche Variante Verhandlungspartner wählen, hängt dabei vor allem davon ab, wie gut sie sich vor den Sondierungen schon kennen. Und auch davon, wie persönlich der Verhandlungsprozess gestaltet werden soll.
„Eine positive Entwicklung der vergangenen beiden Jahre war, dass sich die Industriebetriebe mittlerweile technisch gut aufgestellt haben und der Umgang mit virtuellen Meetings nun üblich ist“, sagt Stephanie Kropf, Program Director der Management School St. Gallen. „So können Teilnehmer zeitlich und örtlich flexibel zugeschaltet werden.“
Jedoch sei das Virtuelle bei den ersten Schritten nicht immer empfehlenswert. Zur Online-Sondierung rät Flume nur, wenn sich beide Seiten schon persönlich kennen oder bereits eine Zusammenarbeit besteht. „Beim ersten Kennenlernen ist die menschliche Komponente wichtig. Sie kann ausschlaggebend für den weiteren Verlauf sein“, weiß der Experte. Zusätzlich haben Sondierungsgespräche vor Ort einen formellen Charakter, den Online-Meetings bisher nicht ersetzen.
Aktuell haben viele Firmen vor allem deshalb hohen Sondierungsbedarf, weil bewährte Lieferanten ausfallen. Das hat verschiedene Ursachen:
- Der Partner hat sich schlecht bevorratet und wird nun seinerseits nicht mehr beliefert.
- Seine Vorprodukte liegen in Asien auf Halde und werden nicht mehr verschifft.
- Der Produzent in der Ukraine kann kriegsbedingt nicht mehr liefern oder
- der Partner in Russland unterliegt dem Embargo.
Durch Kontakt- und Reisebeschränkungen bleibt zudem manchmal keine Wahl zwischen online und onsite. In diesen Fällen rät der Rhetoriker unbedingt von einfachen Telefongesprächen ab. „Hier ist die Video-Komponente essenziell: Gesichter bringen Nahbarkeit und helfen beim Überbringen schlechter Botschaften, wenn man zum Beispiel von jetzt auf nachher die Preise um 30 Prozent anpassen muss“, sagt der Experte.
In diesen Notlagen ist das E-Meeting zwar ausreichend, es sollte jedoch ein persönliches Treffen folgen. „Eine Zumutung wird umso glaubwürdiger, wenn ich bereit bin, mich meinem Gegenüber persönlich zu stellen“, sagt Flume. Denn am Bildschirm entstandene und gelebte Geschäftsbeziehungen haben nicht dieselbe Ernsthaftigkeit und Bindekraft wie persönliche Kontakte.
Angebote vorlegen und diskutieren
Auf das gegenseitige Kennenlernen und erste Einschätzen folgt die Vorlage eines Angebots beim Geschäftspartner. „Das kommt beim Partner immer schriftlich an, meist also per Mail“, so der Rhetoriktrainer. Für die darauffolgende Besprechung und Diskussion der einzelnen Punkte sieht Flume viele Vorteile im Online-Format: „Beim Diskutieren des Angebots hilft es, die emotionale Komponente auszublenden. So kann es leichter fallen, für die eigenen Interessen einzustehen und eine gesunde Distanz zu wahren.“
Im direkten Gespräch seien Zugeständnisse durch erhöhte Empathie wahrscheinlicher. Das gilt sowohl für erfahrene Verhandelnde als auch für Frischlinge. „Egal, ob auf dem Bildschirm oder im Konferenzraum: Eine gute Verhandlungsfähigkeit ist natürlich immer Voraussetzung“, weiß der Experte. Dazu gehöre einerseits die passende Atmosphäre, die der Verhandelnde schaffen muss. Und anderseits brauche es klare Ziele und Durchhaltevermögen. Zusätzlich wichtig für die professionelle Wirkung im Online-Prozess sei die technische Affinität.
Nach Strategie verhandeln
In der Phase der aktiven Verhandlung steht oder fällt der Erfolg mit der strategischen Wahl des Formats. So können Verhandelnde im Voraus festlegen, in welchen Verhandlungsrunden sie Nähe oder Distanz schaffen wollen und in welchem Umfeld sich Dynamiken für sie leichter beherrschen lassen.
„Verhandlungsschwache Unternehmer, die Dynamiken nur schwer lenken können, sollten lieber eine virtuelle Verhandlung ansetzen“, rät der Nürtinger. So lasse sich die Standhaftigkeit des Verhandelnden eher garantieren. Und dadurch können potenziell schädigende Zugeständnisse in der Entscheidungsphase vermieden werden.
Auch ein Vorteil des Online-Formats im Spiel mit Dynamiken: Entscheider können flexibel dazugeschaltet werden, um die Verhandlung in eine bestimmende Richtung zu lenken. „Dass die Chefetage ab einem gewissen Punkt des Prozesses dazukommt, ist auch vor Ort üblich. Bei virtuellen Meetings lässt sich die Chef-Karte aber flexibler einsetzen.“
Unternehmen der Fertigungsindustrie, die stark über den Preis einkaufen, empfiehlt der Rhetoriker das Verhandeln in Präsenz, um emotionale Nähe herzustellen. „Ist der Verhandelnde empathisch, eloquent und überzeugend, sollte er das Gespräch unbedingt vor Ort führen“, sagt der Rhetoriker. Dabei lassen sich auch die körperlichen Signale des Gegenübers leichter lesen als im virtuellen Raum. „Die Mimik und Gestik kann man dann deuten und so die passende Strategie wählen.“
Kommt es zum Abschluss der oft in mehrere Meetings aufgeteilten Verhandlungen, rät Flume immer zum persönlichen Treffen. „Dann kann die Geschäftsbeziehung durch kleine Rituale vertieft und gefestigt werden.“ Beispielsweise durch den besiegelnden Handschlag, das abschließende Abendessen oder einen Rundgang durch den Betrieb und die Fertigungshallen.
Sind die Gegebenheiten erst einmal geklärt, kommt es zum abschließenden Schritt des Verhandlungsprozesses – die Beschlüsse kommen aufs Papier. „Dabei müssen die zuständigen Juristen nicht am selben Ort sein“, so Flume. Im Gegenteil: Verträge im virtuellen Raum zu finalisieren, bringt viele Vorteile mit sich. So können beispielsweise Dokumente auf dem Bildschirm geteilt und gemeinsam bearbeitet werden. Oder die Zuständigen können weitere Involvierte bei Fragen zuschalten. Sogar die finalisierende Unterschrift findet oft nur noch im Netz statt – nämlich per E-Signatur.
Fazit: Wann ist die Online-Verhandlung sinnvoll?
„Das kommt ganz auf die Werte des Unternehmens und die festgelegte Strategie an“, sagt Flume. Unternehmer, deren Fokus auf der Kundenbindung- und pflege liegt, sollten hauptsächlich in Präsenz oder hybrid verhandeln. „Häufig nehmen wir uns für persönliche Gespräche mehr und ausreichend Zeit, während virtuelle Verhandlungen in einem starr definierten Terminkorsett stattfinden“, fügt Kropf von der Management School St. Gallen hinzu. Wer bei Verhandlungen mehr Wert auf Flexibilität und eine gesunde Distanz für den kühlen Kopf legt, sollte eher zum Online-Format greifen.
„Die strategische Mischung aus online und onsite scheint ideal“, fasst Flume zusammen. Die Herausforderung bestehe für die Fertigungsindustrie aktuell jedoch noch darin, neu für sich zu definieren, wie diese hybriden Verhandlungsprozesse aussehen sollen – also wann es sinnvoll ist, virtuelle Verhandlungen zu führen und an welchen Stellen auch weiterhin ein persönliches Treffen zielführender ist. „Bei allen Vorteilen muss man sich jedoch bewusst sein, dass online verhandeln nach neuen Spielregeln abläuft und somit neue Herausforderungen mit sich bringt“, schließt Kropf ab.
* Nele Ruppmann ist freie Journalistin aus Stuttgart
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