Forschung Kantenrissempfindlichkeit von Formplatinen gesenkt
Kantenrisse sind einer der häufigsten Fehler bei der umformtechnischen Herstellung von Blechbauteilen aus Stahl oder Aluminium. Mit einem neuartigen Fräsprozess ist es gelungen, diese Kantenrissempfindlichkeit signifikant zu reduzieren. Das Verfahren übertrifft in dieser Hinsicht sowohl das konventionelle Scherschneiden als auch das Wasserstrahl- oder das Laserschneiden.
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Vor dem Umformen und Tiefziehen von Karosserie- und Blechbauteilen müssen häufig Formplatinen aus einem Coil oder aus Blechtafeln geschnitten werden. Für diesen Trennvorgang wird meist das Scherschneiden herangezogen, da hierbei mit kurzen Prozesszeiten eine wirtschaftliche Herstellung von Formplatinen möglich ist, wie das MN Coil Servicecenter zusammen mit dem Institut für Umformtechnik der Universität Stuttgart und der Forschungsgesellschaft für Umformtechnik mitteilt. Nachteil des Scherschneidens ist jedoch, dass durch den Trennprozess das Materialgefüge am Platinenrand als Folge von lokalen Umformungen erheblich vorbelastet wird. Das Umformvermögen an der Schereinflusszone wird dadurch reduziert und die Rissgefahr erhöht. Die deformierte Schereinflusszone enthält stark kaltverfestigte Randzonen, welche sich je nach Material und Schneidparameter bis zu mehreren Zehntelmillimetern in Platinenrichtung erstrecken können. Werden Schnittkanten nach dem Scherschneiden umgeformt, besteht daher die Gefahr einer Rissbildung ausgehend von der Bauteilkante (Bild 2).
Kantenrisse bei hoch- und höchstfesten Stähle sowie Aluminium häufig
Als kantenrissempfindlich gelten insbesondere Leichtbauwerkstoffe wie hochfeste Blechgüten oder auch Aluminiumwerkstoffe. Experimentell lässt sich die Kantenrissempfindlichkeit von Blechwerkstoffen mithilfe des Lochaufweitungsversuchs nach ISO16630 für geschlossene Schnittlinien ermitteln. Bei gerader Schnittlinie kann der am Institut für Umformtechnik der Universität Stuttgart entwickelte Diaboloversuch (Bild 3) zur Charakterisierung der Kanten verwendet werden. Hierbei wird ein Blechstreifen über einen diaboloförmigen Prüfkörper gezogen, wodurch Zugspannungen im Randbereich des Probenkörpers entstehen. Der Versuch ist beendet, sobald mittels eines optischen Messsystems ein Riss am Rand des Blechstreifens detektiert wird. Die Auswertung der kurz vor Riss gemessenen Hauptumformgrade erfolgt üblicherweise mit dem Messsystem Gom-Aramis.
Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass die frühzeitige Entstehung von Kantenrissen von der Wahl des Fertigungsverfahrens der Schnittkanten abhängt. Während schergeschnittene Kanten aufgrund der vorbelasteten Randzonen bei vergleichsweise niedrigen Dehnungswerten zu Rissen neigen, entstehen Kantenrisse bei gefrästen, drahterodierten oder lasergeschnittenen Blechplatinen erst bei höheren Dehnungswerten.
Das MN Coil Servicercenter hat ein High-Speed-Cutting-(HSC-)Verfahren für Blechplatinen patentiert, welches für die Erzeugung präziser Schnittkanten geeignet ist. Es kann für Blechdicken zwischen 0,5 mm und 5,0 mm flexibel eingesetzt werden. Eine Absaugglocke am Fräskopf entfernt Verunreinigungen während des Fräsens von der Platinenoberfläche. Wesentlich für das Verfahrens ist somit die Kombination aus High-Speed-Cutting und der Schmutzabsaugung.
Ein weiterer Vorteil im Vergleich zu konventionellen Schneidverfahren liegt in der Spanntechnik der Platine auf dem Arbeitstisch. Im Gegensatz zu den üblichen Fakir-Vakuum-Tischen entstehen keine Beschädigungen oder Oberflächenbeeinträchtigungen an der Platine. Ein Vorteil dieses werkzeugungebundenen Trennverfahrens liegt in der Flexibilität und dem hohen Automatisierungsgrad, der es erlaubt, selbst kleine Losgrößen schnell und kostengünstig herzustellen. Bei Losgrößen bis zu 50.000 Stück pro Jahr ist dieses Verfahren kostengünstiger als die konventionelle Herstellung.
Gefräste Blechkanten deutlich weniger rissempfindlich
Zudem weisen die mit dem HSC-Verfahren geschnittenen Kanten eine deutlich reduzierte Rissempfindlichkeit im Vergleich zu scher-, wasserstrahl- und lasergeschnittenen Blechkanten auf. Der Diaboloversuch ermöglicht dabei eine vergleichende Bewertung der Kantenrissempfindlichkeit der unterschiedlich geschnittenen Blechkanten. Dazu wurde an der Forschungsgesellschaft für Umformtechnik in Stuttgart eine Kantenrissstudie durchgeführt. Einen Überblick über die Versuchsparameter in dieser Studie gibt Tabelle 1:
Tabelle 1 | |
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Beschreibung/Spezifikationen | |
Legierung | AL6 OUT TZ-E (1,10mm), 6016-U/T4 (1,70mm), AW-5182 (1,75mm) |
Kantenzustand | laserstrahlgeschnitten, wasserstrahlgeschnitten, HSC, Scherschneidwerkzeug neu, Scherschneidwerkzeug alt |
Quelle: MN Coil Servicecenter |
Da Scherschneidwerkzeuge mit mehr Pressenhüben zu Schneidkantenverschleiß beziehungsweise -verrundungen neigen, wurden zwei Spezifikationen für Schneidkantenzustände (neu und alt) untersucht. Die Spezifikation „Scherschneidwerkzeug neu“ beinhaltet scharfkantige Schneidmesser ohne messbaren Schneidkantenradius. Die Spezifikation „Scherschneidwerkzeug alt“ berücksichtigt den Einfluss verschlissener Schneidkanten. Hierzu wurden Schneidmesser mit einer definierten Verrundung (84 μm) an der Schneidkante verwendet. Einen Überblick über die Schneidparameter zeigt Tabelle 2:
Tabelle 2 | |
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Beschreibung/Spezifikationen | |
Laser | CO2-Laser mit einer Leistung von 6 kW, Schneidgas Stickstoff bei 8 bar, Schnittgeschwindigkeit von 6 m/min, Brennweite 250 mm, Düsendurchmesser 1,4 mm |
Wasserstrahl | Systemdruck von 4000 bar, Wasserdüsendurchmesser 0,25 mm, Abrasivdüsendurchmesser 0,76 mm, Schnittgeschwindigkeit von 2 m/min, Sandmenge 300 g/min, Sandgüte von 8 Mesh |
HSC | HSC-Fräsverfahren der Firma MN-Coil |
Scherschneidwerkzeug neu | Schneidspalt von 0,06 mm, Schnittgeschwindigkeit von 133,33 mm/s, keine Schneidkantenverrundung, kaum Gratbildung |
Scherschneidwerkzeug alt | Schneidspalt von 0,06 mm, Schnittgeschwindigkeit von 133,33 mm/s, Schneidkantenverrundung von 300 μm, gemessene Grathöhe von bis zu 84 μm, höherer Glattschnittanteil verglichen zum neuen Werkzeug |
Quelle: MN Coil Servicecenter |
Scherschneiden beeinträchtigt Umformbarkeit am meisten
Die höchste logarithmische Formänderung respektive die höchste Restumformbarkeit ist stets bei jenen Proben festzustellen, die mittels des HSC-Fräsverfahrens hergestellt wurden. Akzeptable Ergebnisse wurden ebenfalls mit lasergeschnittenen Proben erzielt. Diese weisen jedoch im Durchschnitt immer noch eine um 20 % geringere Restumformbarkeit im Vergleich zum HSC-Verfahren auf. Erwartungsgemäß erreichen die schergeschnittenen Proben die geringsten logarithmischen Formänderungen.
Um die potenziellen Vorteile des HSC-Verfahrens herauszuarbeiten, wurde zudem die Tiefziehsimulation (Bild 4) mit der Software Autoform R7 aufgebaut. Am Beispiel eines Ziehteils mit offenem Kopf ist es mit den Simulationsergebnissen möglich, die Risikowahrscheinlichkeit eines Kantenrisses bei schergeschnittener und gefräster Platinenkante nachzuvollziehen. In der Beispielsimulation wird für die schergeschnittene Kante ein Riss vorhergesagt („Edge Crack“ > 1), wohingegen das umgeformte Bauteil mit gefräster Platinenkante noch eine hohe Restumformbarkeit und einen „Edge-Crack“-Wert von 0,624 aufweist. Während die Herstellung des Bauteils mit schergeschnittenen Blechkanten zu Reißern führen würde, lässt es sich mit HSC-gefrästen Kanten fehlerfrei herstellen.
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