Digitale Transformation KMU vs Konzerne: Wer ist wie weit in Sachen Digitalisierung?

Von Prof. Dr.-Ing. Gerrit Sames Lesedauer: 4 min

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Beim Digitalisierungsfortschritt der deutschen Industrie, muss man Konzerne und KMU getrennt betrachten, um ein aussagekräftiges Bild zeichnen zu können. Die Technische Hochschule Mittelhessen führte hierzu eine vergleichende Untersuchung durch, deren Ergebnisse Sie hier lesen.

Digitale Transformation in KMU und Konzernen: Wer steht im Vergleich wo?
Digitale Transformation in KMU und Konzernen: Wer steht im Vergleich wo?
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

In der deutschen Medienlandschaft und in der politischen Wahrnehmung wird der Fortschritt von Industrie 4.0 und Digitalisierung vorzugsweise vor dem Hintergrund von großen Unternehmen wie beispielsweise Siemens, Mercedes Group oder Bosch beurteilt. Bedeutsamer ist aber die Entwicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmen, den KMU. Der KMU-Anteil liegt in Deutschland bei 99,4 Prozent (Destatis, 2023); KMU bilden das Rückgrat der deutschen Industrie.

Eine Studie der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) im Zeitraum von Mitte Oktober 2022 bis Mitte Januar 2023 ging der Frage nach, wie es um die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen in Produktionsunternehmen im Mittelstand steht. Grundlage ist eine strukturierte Datenerhebung mit einem Online-Fragebogen. Von 789 angesprochenen Unternehmen konnten 115 Unternehmen zur Teilnehme gewonnen werden.

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Unter KMU sollen hier Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verstanden werden; ab 250 Angestellten aufwärts wird der Begriff NON-KMU verwendet. Aus dem Bereich KMU haben 72 Firmen, aus dem Bereich NON-KMU 43 Firmen teilgenommen.

Die Befragten haben dazu in einem Online-Fragebogen 48 detaillierte Fragen zum Stand der Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen und drei Fragen zur Bedeutung der Digitalisierung für die Strategie und Ausrichtung beantwortet. Die gestellten Fragen folgen einer Likert-Skalierung und wurden überwiegend in 4 Ausprägungsstufen abgefragt.
Stufe 1 war der unterste Level und bedeutet gleichsam „in keinem Maße“, Stufe 2 „in geringem Maße“, Stufe 3 „in hohem Maße“ und Stufe 4 „durchgängig“. In der Auswertung der Ergebnisse wurden Mittelwerte gebildet, die Digitalisierungsgrade repräsentieren.

Digitalisierungsgrad nach Branchen

Betrachtet man die Ergebnisse nach Branchen, dann liegen die Ausrüster für elektrische/elektronischen Baugruppen (18 Teilnehmer) mit einem Digitalisierungsgrad von 2.11 (der Maximalwerte ist 4.0) an erster Stelle, gefolgt vom Maschinenbau- und Anlagenbau (30 Teilnehmer) mit einem Digitalisierungsgrad von 2.05. Auf Rang drei findet sich die Metallerzeugung und -bearbeitung (14 Teilnehmer) mit einem Digitalisierungsgrad von 1.97. Die Digitalisierungsgrade dieser Branchen unterscheiden sich nur unwesentlich; gegenüber früheren Studien der THM hat der Maschinen- und Anlagenbau allerdings etwas aufgeholt (2018: Digitalisierungsgrad Geschäftsprozesse 1.7; 2020: Digitalisierungsgrad Geschäftsmodelle 1.8).

Digitalisierungsgrad Strategie und Ausrichtung

Grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass Fortschritte in der Digitalisierung in einem Unternehmen dann erfolgen, wenn sie auch für die Strategie und Ausrichtung des Unternehmens bedeutsam ist. Es zeigt sich, dass in den drei Fragen die NON-KMU mit Digitalisierungsgraden von circa 3.0 (Abb. 1) deutlich weiter sind als die KMU. Ein Digitalisierungsgrad von 3 bedeutet, dass die Digitalisierung „in hohem Maße“ Einfluss hat.

Die weiteren 48 Fragen der Untersuchung lassen sich in die Module „Planung und Steuerung durch intelligente Produktionssysteme“ (11 Fragen), Geschäftsmodellaspekte (8 Fragen), Strategische und organisatorischen Einbettung von Industrie 4.0 (15 Fragen), und Intelligente Anlagen und Produkte (14 Fragen) gliedern. Im Folgenden stelle ich ausgewählte Ergebnisse aus den Modulen „Planung und Steuerung durch intelligente Produktionssysteme“ und „Geschäftsmodellaspekte“ kurz vor.

Planung und Steuerung durch intelligente Produktionssysteme

Ein wichtiger Aspekt der Digitalisierung ist die Nutzung von Daten aus dem Produktionsbereich. Abbildung 2 zeigt, dass NON-KMU erkennbar weiter sind; die Digitalisierungsgrade mit Werten von 2.53 bis 2.81 erreichen fast die Einordnung „in hohem Maße“. KMU liegen hier deutlich niedriger.

Mit den Fragen zu Systemen der PPS (Produktionsplanung und Steuerung) wurde die Durchgängigkeit von Datenflüssen ohne Medienbrüchen erhoben (Abb. 3). NON-KMU können bereits in hohem Maße Kundenaufträge digital ins eigene ERP-System (Enterprise Ressource Planning) übernehmen, KMU sind davon noch weit entfernt. Die Verknüpfung des Datenflusses zwischen CAD-Systemen (Computer Aided Design) und ERP ist bei KMU und NON-KMU noch ausbaufähig. Bei der automatischen Rückmeldung des Fertigungsfortschritts von der BDE-Ebene (Betriebsdatenerfassung) bis zur ERP-Ebene ist der Unterschied nicht so ausgeprägt.

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Digitale Layouts von Anlagen und Maschinen als Voraussetzung für digitale Zwillinge, die Erfassung von Maschinenzuständen durch Sensoren, und die automatische Identifikation von Objekten in der Fertigung wurde unter dem Begriff „Digitale Fabrik“ zusammengefasst (Abb. 4).

Besonders die in der Theorie gerne propagierte Vision von Industrie 4.0, dass Werkstücke Informationsträger sind und sich eigenständig ihren Weg durch die Fertigung bahnen, würde zumindest in klaren Ansätzen eine durchgängige automatische Identifikation erfordern. Davon sind sowohl die KMU als auch die NON-KMU weit entfernt.

Geschäftsmodellaspekte

Die Digitalisierung bietet viele Chancen zur Erweiterung des bestehenden Geschäftsmodells. Insgesamt lässt sich leider feststellen, dass weder bei den KMU noch bei den NON-KMU der Studie die Erweiterung des Leistungsangebots eine große Rolle spielt (Abb. 5). Besonders auffallend ist der niedrige Digitalisierungsgrad zu Pay-Per-X- Ansätzen.

Deutliche Unterschiede zwischen KMU und NON-KMU hingegen werden beim Thema Plattform erkennbar. Hier gab es nur die Antwortmöglichkeiten 1 (in keinem Maße) oder 4 (durchgängig). Die NON-KMU Unternehmen sind mit einem Digitalisierungsgrad von 3.08 deutlich weiter (Abb. 6).

KMU stehen vor wachsenden Herausforderungen

Ein Digitalisierungsgrad von 3.0 würde nach vielen Jahren von Industrie 4.0 und Digitalisierung eine angemessene Größenordnung darstellen. Dieser Wert wird nur in wenigen Aspekten von NON-KMU erreicht. Generell ist der Digitalisierungsgrad von NON-KMU deutlich höher als bei KMU. Insbesondere für KMU werden daher die Herausforderungen immer größer, da es im Markt keine Stagnation geben wird. Die Bedeutung der KMU ist gerade für die Industriestruktur in Deutschland von enormer Bedeutung.

Interessierte können die vollständige Studie kostenfrei an der Technischen Hochschule Mittelhessen abrufen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf unserem Partnerportal Industry of Things erschienen.

* Prof. Dr.-Ing. Gerrit Sames ist Dekan des Fachbereichs Wirtschaft an der Technischen Hochschule Mittelhessen in Gießen. Außerdem ist er zweiter Vorsitzender im Vorstand des Smart Electronic Factory e.V.

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