Maschinen mit CFK-„Gefühl“
Die spanende Bearbeitung von Faserverbundwerkstoffen (FVK), allen voran die des Leichtbaulieblings carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK), gehört heute noch zu den am häufigsten genutzten Methoden. CFK birgt aber zerspanungstechnische Tücken, die bei der Metallbearbeitung nicht auftreten, sich aber auf die Fräsanlage oder das Fräsergebnis negativ auswirken. Was Maschinenbauern außer dem eigenen Know-how bei der Konzeptionierung von FVK-gerechten Zerspanungssystemen hilft, ist nicht nur eine dafür geeignete Steuerung.
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Die Bearbeitung von Leichtbaumaterialien, wie beispielsweise von Faserverbundwerkstoffen, stellt ganz andere Anforderungen an Werkzeugmaschinen als die übliche Metallverarbeitung. Ein Werkzeugmaschinenbauer aus dem Unterallgäu stellt sich aber seit Jahren erfolgreich dieser Herausforderung und konstruiert seine Fräsmaschinen speziell für die Fertigung von Bauteilen aus carbonfaserverstärkten Kunststoffen für den Einsatz in der Automobilindustrie. Zuverlässige, leistungsfähige Steuerungs- und Antriebstechnik sind dabei unerlässlich.
Der Leichtbau hält aktuell in vielen Industriebranchen Einzug und deshalb wird es immer relevanter, sich mit den Eigenarten seiner besonderen Vertreter auszukennen. Denn verstärkt kommen statt Metallen andere Materialien zum Einsatz, mit denen sich die Masse der üblichen Metallkomponenten reduzieren lässt. Die Entwicklung geeigneter Werkzeugmaschinen stellt Konstrukteure dabei vor ganz neue Hürden, weil die Späne, die bei der mechanischen Bearbeitung entstehen, besonders effizient abgesaugt werden müssen. Denn einerseits sind sie elektrisch leitfähig und so in der Lage, einen Kurzschluss in Systemen zu verursachen, und andererseits sind die Maschinenbediener davor zu schützen, diese gesundheitsschädlichen Späne und Stäube einzuatmen. Die Siemens AG als Komponentenlieferant für Werkzeugmaschinen stellt sich deshalb gemeinsam mit deutschen Maschinenherstellern den Herausforderungen.
Kein Standard – Anlage ist speziell auf CFK-Karosseriebearbeitung getrimmt
Die HG Grimme Systech GmbH in Wiedergeltingen hat eine Werkzeugmaschine entwickelt, die diese verbundwerkstoffspezifischen, praktischen Probleme zu lösen imstande ist. Der Maschinenname G-DT-F/SB steht für Gantry-Drehtisch-Fräsanlage/Schrägbett. Die als Fünf-Achs-Fräsmaschine konstruierte Anlage, die von einer Siemens Sinumerik 840D sl gesteuert wird, ist im Zuge dessen speziell für die Bearbeitung von Pkw-Karosseriebauteilen aus carbonfaserverstärktem Kunststoff konzipiert worden. „Wir hatten in diesem Bereich schon Erfahrung angesammelt, haben uns aber für dieses Projekt zusätzlich ganz spezielle Abhilfemaßnahmen überlegt, um die Maschine so zu optimieren, dass sie die Verarbeitung von Carbonwerkstoffen auch langfristig meistert“, erklärt Wolfgang Grimme. Er ist auch der Maschinenschöpfer und Ideengeber und gleichzeitig Geschäftsführer des Unternehmens und damit Chef von knapp 80 Mitarbeitern. Anspruchsvolle Aufgaben ist er gewohnt, denn neu konstruierte Maschinen haben hier keinen Prototypenstatus, sondern gehen meist als Unikat direkt zu den Kunden, die im Extremfall auch auf der anderen Seite des Globus sitzen. Darum wird hier großer Wert auf hochwertige Maschinenkomponenten und zuverlässige Partner gelegt.
Sinumerik-Steuerungen kommen umfangreich und insbesondere bei allen komplexen Maschinen zum Einsatz, weil sie die erforderliche Leistungsfähigkeit mitbringen, wie Grimme sagt. Für die Werkzeug- und Formenbaumaschinen setzt man auch deshalb auf Steuerungen von Siemens, weil sie mit Shopmill über eine integrierte Arbeitsschrittprogrammierung verfügen, die speziell für die Fertigung von Einzelteilen und Kleinstserien optimiert ist. Die Reparaturserviceverträge von Siemens versetzen dieses vergleichsweise kleine Maschinenbauunternehmen so in die Lage, auch weltweit verteilte Abnehmer bei Bedarf verlässlich unterstützen zu können.
Beim Bau von Unikaten ist es außerdem immer wieder notwendig, auch Komponentenlieferanten in konstruktive und funktionale Überlegungen miteinzubeziehen, sodass sich hier eine unkomplizierte und gute Zusammenarbeit entwickelt hat. Hinzu kommt eine Grundhaltung im Unternehmen, die Grimme folgendermaßen zusammenfasst: „Schwierigen Anfragen und Aufgabenstellungen stehen wir stets offen gegenüber, denn unsere Mannschaft reizt die Herausforderung. In dieser Hinsicht sind wir immer schon ein bisschen risikofreudig gewesen.“
Vom Maschinenkonstrukteur zum Absaugungsspezialisten
Und eine der kniffligsten Aufgaben bei der Konstruktion der G-DT-F/SB betraf die Absaugung. Diese Maschine verzichtet auch auf die Verwendung von Kühlschmierstoffen, arbeitet also trocken. Verschiedene Absaugsysteme haben die Aufgabe, die Carbonspäne und -stäube möglichst dort zu entfernen, wo sie entstehen: Entlang der Fräskontur sind zur Absaugung im Millimeterabstand große Bohrungen in die Spannvorrichtung eingelassen und um den Fräskopf herum ist eine Bürstenabsaugung angebracht. Dadurch gelangt ein Großteil des Staubs erst gar nicht in den Maschinenraum. Zusätzlich ist die abgeschottete Maschinenkabine mit einer Schwebestaubabsaugung versehen, welche die Luft nach Passieren einer Filteranlage zu 99,99 % gereinigt wieder ins Gebäude zurückführt. Was sich zunächst einfach anhört, ist tatsächlich mit großem Aufwand verbunden, weil die Absaugung insgesamt nur effektiv funktionieren kann, wenn mittels verschiedener Druckanlagen unterschiedliche Strömungen erzeugt werden. Grimme berichtet: „Das alles haben wir noch durch Brandmelder in der Absaugung und Filterbruchüberwachungen abgesichert. Obendrauf kommt ein sogenannter Polizeifilter, der – wie der Name sagt – als letzte Rettung die Luft gefiltert ins Gebäude zurückgibt, falls alles andere versagen sollte.“
Ohne Absicherung gegen Staub bleibt der Schaltschrank verschlossen
Trotz all dieser Maßnahmen, herrscht in einer Werkshalle, in der CFK verarbeitet wird, niemals Reinraumatmosphäre. Mit vertretbarem Aufwand lässt sich nicht verhindern, dass ein gewisser Anteil des Frässtaubs der Maschine entweicht. Und da schon ein einziger Span – selbst wenn er nur etwas über einen Zentimeter lang und dünner als ein menschliches Haar ist – einen Kurzschluss auslösen kann, ist es bei der CFK-Verarbeitung strikt verboten, einfach einen Schaltschrank zu öffnen: „Für einen Kurzschluss ist keine Späneansammlung notwendig, sondern es reicht ein einziger Span an der falschen Stelle, wie etwa auf einem Halbleiterelement aus, um Schaden zu verursachen. Der Kurzschluss bahnt sich auch nicht langsam an, sondern plötzlich knallt es im wahrsten Sinne des Wortes“, so Grimme.
Anlagenbediener beim Zerspanen vor Staub und Spänen schützen
Damit es erst gar nicht zum Ausfall kommt, ist jedes einzelne zu- oder abführende Kabel abgedichtet und mit einer eigenen Schelle ausgestattet. Der Schrank schließt also möglichst dicht. Zusätzlich herrscht darin ein Überdruck. Findet beim Öffnen aber ein Druckausgleich statt, wird unweigerlich Luft aus der Halle in den Schrank gesaugt. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, vor dem Öffnen um den Schrank herum Staub abzusaugen – obwohl der Schrank in diesem Fall extra circa 6 m von der Maschine entfernt platziert wird. Auch Siemens, als Hersteller der eingesetzten Antriebskomponenten Sinamics S120 sowie der Steuerungstechnik der Werkzeugmaschine, arbeitet an diesen werkstoffspezifischen Problemen: Lösungen könnten sein, Kurzschlüsse beispielweise durch entsprechende Schutzlackierungen zu verhindern oder eine möglichst große Entfernung zwischen den Elementen zu schaffen, die nur von sehr langen Spänen überbrückt werden können.
Dem Schutz der Mitarbeiter dient zusätzlich zu den Absaugsystemen die Konstruktion der Maschine als Doppel-Gantry mit Schrägbett. Die CNC Sinumerik unterstützt alle hier zur Anwendung kommenden Maschinenkinematiken. Der Maschinenbediener muss den Arbeitsraum während der Produktion nicht betreten, sodass er nicht nur besser vor dem gesundheitsschädlichen CFK-Staub, sondern auch vor den Bearbeitungsgeräuschen geschützt ist. Während er das eine Bauteil auf seiner Seite des Dreh-Tandemtisches von außerhalb aufspannt, findet gleichzeitig auf der Maschineninnenseite die Bearbeitung eines zweiten statt.
Im Vergleich mit klassischen Werkzeugmaschinen in Portal- oder Gantry-Bauweise ist hier sowohl der Platzbedarf als auch der Reinigungsaufwand deutlich geringer: Die Späne fallen auf ein Förderband und werden direkt abtransportiert. Das Bauteil kommt praktisch niemals mit Schmierstoffen in Berührung, weil diese am nahezu senkrecht aufgespannten Bauteil vorbeitropfen.
Das ist immer von Vorteil, hier jedoch in besonderem Maße, da in der Mischung von Schmierstoff und Carbonstaub ein extrem zäher, sehr schwer zu entfernender Film entsteht. Die Position des Bauteils in der Maschine lässt auch ein besonders ergonomisches Handling zu, denn der Maschinenbediener muss sich nicht bücken, sondern er kann das Werkstück im Stehen an die Spannvorrichtung drücken.
Maschinen machen CFK erfolgreicher
Bei all den nötigen Schutzvorrichtungen und CFK-spezifischen Aspekten darf aber nicht vergessen werden, dass die Maschine sehr effizient ihre eigentliche Aufgabe erfüllt: die Bearbeitung von Pkw-Karosserieteilen aus Carbon. Zielvorgabe war es, 160 Stück am Tag in hoher Qualität zu fertigen. In der zweikanaligen Ausführung mit Doppel-Gantry und zwei Fräsköpfen wird mit neun Minuten Bearbeitungszeit pro Werkstück genau das erreicht. Mit einer Wiederholgenauigkeit von 0,08 mm, Beschleunigungswerten von 3500 mm/s und Fahrgeschwindigkeiten von 55 m/min entstehen in diesem Takt komplette Pkw-Seiten- und andere Karosserieteile aus CFK.
Diese Werte sind nur durch genaue Abstimmung der Mechanik mit dem hochdynamischen Umrichter Sinamics S120 zu erreichen. Die Taktzeiten zeigen, wie effektiv und wirtschaftlich diese Werkzeugmaschine arbeitet. „Hinten wird gefräst, vorne wird entnommen, gesäubert und bestückt. Die Drehung des Tischs dauert 3 bis 4 s und danach geht der nächste Produktionszyklus schon wieder los. Das ist zwar nicht zu vergleichen mit der klassischen Automobilfertigung auf Transferstraßen, doch in der CFK-Bearbeitung muss uns das erst einmal jemand nachmachen“, betont Grimme.
In dem erfinderischen Maschinenbaubetrieb aus dem Unterallgäu ist mit dem Konzept der Fräsmaschine G-DT-F/SB samt allen Absaugsystemen eine Maschine entstanden, die auf viele verbundwerkstoffspezifischen Probleme eingeht: weniger Staub, Späne und Lärm, weniger klassischer Reinigungsaufwand am Bauteil und in der Maschine.
Leichtbauwerkstoffe sind in breitem Umfang einsetzbar
Im praktischen Einsatz seit der Inbetriebnahme im letzten Quartal 2014 zeigt diese Werkzeugmaschine zudem, dass sie die Anforderungen an Effizienz und Ergonomie erfüllt. Alles spielt sich auf einer sehr geringen Stellfläche ab und ist mit zuverlässigen Maschinenkomponenten ausgestattet. Und damit schwindet die allgemein verbreitete Behauptung, dass dem breiten Einsatz von Leichtbauwerkstoffen fehlende funktionierende Lösungen zur Be- und Verarbeitung im Weg stehen. MM
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