Konstruktionselemente Risiken von Keramiklagern werden oft überschätzt

Autor / Redakteur: Andreas Kailer / Helmut Klemm

Keramiklager haben sich aufgrund ihrer Verschleiß-, Korrosions- und Temperaturbeständigkeit bei anspruchsvollen Anforderungen und auch schon bei manchen Standardanwendungen trotz höherer Kosten etabliert. Die Optimierung ungeschmierter Reibkontakte wird noch bestehende Vorbehalte weiter abbauen.

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Bild 1: Keramische Werkstoffe werden für Vollkeramiklager und für sogenannte Hybridlager verwendet – bei Hybridlagern bestehen nur die Wälzkörper aus Keramik.
Bild 1: Keramische Werkstoffe werden für Vollkeramiklager und für sogenannte Hybridlager verwendet – bei Hybridlagern bestehen nur die Wälzkörper aus Keramik.
(Bild: Cerobear)

Keramische Werkstoffe sind im Allgemeinen sehr verschleißbeständig, korrosionsbeständig, temperaturbeständig, leicht, steif und elektrisch isolierend – alles Eigenschaften, die für die Anwendung in Gleit- und Wälzlagern sehr vorteilhaft sind. Trotz der im Vergleich zu metallischen Werkstoffen deutlich höheren Kosten haben sich solche technischen Keramiken wie Siliziumnitrid, Siliziumkarbid und Aluminiumoxid schon lange als Lagerungswerkstoffe etabliert. In vielen Fällen werden sie gerade aus Kostengründen bisher allerdings nur in Anwendungsbereichen verwendet, in denen die Vorteile der Keramiken wirklich zum Tragen kommen und sich Einkäufer von den höheren Beschaffungskosten nicht abschrecken lassen.

Kontaktbelastungen führen nur in geringem Maß zu Zugspannungen

Wälzlager aus Keramiken werden als Vollkeramiklager oder auch als Hybridlager verwendet (Bild 1). Hybridlager bestehen aus Stahlringen und Wälzkörpern aus Keramik. Zunächst will es vielleicht gar nicht einleuchten, dass keramische Werkstoffe, die als spröde gelten, in solchen mechanisch hoch belasteten Komponenten meist doch zuverlässig funktionieren. Der Grund für diese Tauglichkeit besteht darin, dass in Wälzlagern die Kontaktbelastungen im Einsatz zwar hoch sind, aber nur in geringem Maß zu Zugspannungen in der Keramik führen – Druckbelastungen sind hingegen unproblematisch.

Darüber hinaus ist die mechanische Festigkeit moderner keramischer Hochleistungswerkstoffe überraschend hoch, und sie nimmt bis zu sehr hohen Temperaturen von 800 °C auch kaum ab. Gerade für solche Bedingungen mit hohen Einsatztemperaturen, wenn Korrosionsbeständigkeit gefordert ist oder Medienschmierung bis zum Trockenlauf vorliegt, haben Vollkeramiklager ihre Nischen gefunden, da andere Werkstoffe unter solchen extremen Bedingungen nicht mehr einsetzbar sind.

Keramiklager leben länger

Auch in Hybridlagern werden Keramiken zunehmend verwendet, insbesondere in der Produktionstechnik, zum Beispiel in Spindeln, wenn hohe Steifigkeit und lange Lebensdauer gefordert sind. Mit solchen Lagern lässt sich eine mehrfach höhere Lebensdauer erreichen als mit konventionellen Stahllagern. Bei einer deutlichen Erhöhung der Lebensdauer lohnt sich der Einsatz auch bei mehrfach höherem Stückpreis sehr schnell, weil sich durch eine Vergrößerung der Wartungsinterwalle auch wertvolle Produktionszeit gewinnen lässt.

In Pumpen für die chemische Industrie sind keramische Lagerwerkstoffe Standard

Der Hauptanwendungsbereich von keramischen Gleitlagerungen und Gleitringdichtungen sind mediengeschmierte Systeme, das heißt, dass Schmierung nur durch vorbeiströmende Medien erfolgt (Bild 2). Ein anschauliches Beispiel dafür sind Pumpen für die chemische Industrie, in denen keramische Lagerwerkstoffe aus Aluminiumoxid, Zirkoniumdioxid oder Siliziumkarbid heute Standard sind.

Für diese Keramiken wirken wässrige Medien wie Schmierstoffe. Bei passender konstruktiver Auslegung lassen sich die Reibwerte auf einem niedrigen Niveau um 0,1 oder sogar noch niedriger stabilisieren. Korrosion und Verschleiß sind sehr gering, sodass im Allgemeinen eine sehr lange Einsatzdauer erreicht wird.

Es ist somit klar, dass keramische Komponenten aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften in vielen Einsatzgebieten vorteilhaft sind, und es gibt bereits viele Anwendungen, in denen Keramik als Standardmaterial verwendet wird. Weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeit ist allerdings erforderlich. In Bezug auf tribologische Anwendungen ist zum Beispiel ein wichtiges Merkmal, dass keramische Werkstoffe im Allgemeinen in ungeschmierten Reibkontakten mit anderen metallischen und nichtmetallischen Werkstoffen zwar nicht stark verschleißen; allerdings sind unter solchen Bedingungen auch die Reibungskoeffizenten eher hoch.

Kristalline Diamantschichten zur Reibminderung sinnvoll

Eine mögliche Abhilfemaßnahme ist die Beschichtung von Keramikoberflächen oder der Oberflächen der Kontaktpartner mit reibmindernden Stoffen. Für solche Fälle sind inzwischen Beschichtungsprozesse entwickelt worden, mit denen reibmindernde diamantähnliche Kohlenstoffschichten oder auch kristalline Diamantschichten auch auf Keramik aufgebracht werden können, sodass Einsatzsituationen, in denen ein Mangel an Medienschmierung besteht, überbrückt werden können.

Auch bei Hybridlagern ist die Reibmodifizierung der Lager durch Beschichtung sinnvoll. Hierdurch können nochmals weitere Verbesserungen hinsichtlich der Reibzahlen, der Laufstabilität und der Lebensdauer erzielt werden. Allerdings steigt bei derartigen Lösungsansätzen die Komplexität, weil Werkstoffe, Beschichtung, Schmierstoffe und Konstruktion aufeinander abgestimmt werden müssen, was derzeit nur über Versuch und Irrtum zu lösen ist. Hier ist also neben der Optimierung der Einzelkomponenten auch die Betrachtung ihres Zusammenwirkens unerlässlich, um zu optimalen Systemlösungen zu gelangen.

Eine technische Herausforderung, der sich die Werkstoff- und Lagerhersteller derzeit stellen, ist die Realisierung von Hybridlagern mit größeren Keramikwälzkörpern, etwa für die jüngste Generatoren von Windkraftanlagen. Mechanisch hochfeste Kugeln aus Keramik sind derzeit bis zu Durchmessern von 2 Zoll sicher herstellbar.

Bedarf an Lösungen für Lagerungen in Hochtemperaturanwendungen nimmt zu

Schließlich ist ein wachsender Bedarf an Lösungen für Lagerungen in Hochtemperaturanwendungen festzustellen. Genügend Potenzial gibt es dafür zum Beispiel in der Stahlindustrie, in der Luftfahrt, in der Automobiltechnik oder auch im Bereich Energie. In diesen Branchen sind keramische Werkstoffe für viele Anwendungsfelder prädestiniert – bisher sind sie allerdings noch mit dem Nachteil behaftet, dass trotz der hervorragenden Oxidations- und Verschleißbeständigkeit die Reibung häufig noch zu hoch ist. In der Werkstoffforschung geht es deshalb auch darum, Keramikkomposite oder Nanokomposite zu entwickeln, deren Zusatzstoffe reibmindernd wirken.

Wie sich keramische Lager unter Belastung verhalten, lässt sich durch Ausprobieren, aber auch mithilfe neuer Methoden der numerischen Simulation herausfinden (Bild 3). Dafür wurden Simulationsmethoden entwickelt, mit denen nicht nur mechanisch-thermische Belastungen am Bauteil, sondern auch Veränderungen an der Keramik aufgrund der tribologischen, mechanischen und thermischen Belastungen modelliert und berechnet werden können.

Nutzbringend sind diese Methoden nicht nur für die Einschätzung des Einsatzverhaltens und der Lebensdauer, sondern auch für die Optimierung von keramischen Werkstoffen und Bauteilen im Hinblick auf verschiedenste Anwendungsbereiche.

Nutzen von Keramiklagerungen wird sich herausstellen

Die Hürden für den Einsatz von Keramiklagerungen sind vielfach noch hoch, zumal häufig lediglich die Kosten der Lager mit konventionellen Lagern oder – schlimmer noch – die Entwicklungskosten für die Lagerungen mit bestehenden Lösungen verglichen werden, ohne die Vorteile genau einzuschätzen. Die Risiken werden aufgrund von eher intuitiven, unbegründeten Vorbehalten gegenüber dem Werkstoff Keramik in der Regel stark überschätzt. Bei einer fairen Betrachtung und realistischen Beurteilung des technischen Potenzials wird sich jedoch noch in vielen Systemen neben ihrem technischen auch ihr wirtschaftlicher Nutzen erweisen.

* Dr. Andreas Kailer ist Gruppenleiter für die Bereiche Verschleißschutz und Technische Keramik am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in 79108 Freiburg.

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