Politik Der European Green Deal – Perspektive für die Industrie!

Autor Sebastian Hofmann

Mit einem billionenschweren Paket will die EU-Kommission Europa bis 2050 klimaneutral machen. In der Industrie sorgt der Green Deal allerdings für Ablehnung und Unsicherheit. Ein Produktionswissenschaftler erklärt, warum Betriebe ihn vor allem als Chance begreifen sollten.

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Der Green Deal soll zum europaweiten Klimagesetz werden. Das Ziel: die EU bis 2050 klimaneutral machen.
Der Green Deal soll zum europaweiten Klimagesetz werden. Das Ziel: die EU bis 2050 klimaneutral machen.
(Bild: © M-SUR - stock.adobe.com)

Nachhaltigkeit in der Industrie ist ein neuer Trend? Nicht für Prof. Christian Brecher. Ihn beschäftigt die ressourcenschonende Produktion schon seit Jahrzehnten. Als Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) arbeitete er bereits mit bei der Diskussion zur Einteilung von Werkzeugmaschinen auf die EU-Energieklassen und war wissenschaftlicher Koordinator für zahlreiche Energieeffizienzprojekte. Wir haben mit dem studierten Maschinenbauer darüber gesprochen, was der Green Deal jetzt für Unternehmen bedeutet und wie wichtig die Industrie für dessen Gelingen ist.

Herr Prof. Brecher, über den Green Deal wurde in den letzten Wochen viel gestritten. Was halten Sie von dem Maßnahmenpaket?

Ich denke, der Deal ist eine einzigartige Chance – wenn er sinnvoll umgesetzt wird. Der produzierenden Industrie bietet er einen finanziellen Rahmen für die Entwicklung neuer und nachhaltiger Geschäftsmodelle, Systeme und Produkte. Nutzen Unternehmen ihn richtig, können sie damit entscheidende Wettbewerbsvorteile erwirtschaften und ganz neue Wertschöpfungsnetzwerke erschließen.

Wo genau lässt sich dieses Potenzial mit dem Deal ausschöpfen?

Zuerst einmal in den Bereichen Ressourceneffizienz sowie Digitalisierung. Wer seine Produktions- und Steuerungsdaten clever beschreibt und auswertet, kann damit hohe Produktivitätssteigerungen herausholen. Das zahlt – ganz im Sinne des Green Deals – auf die Nachhaltigkeit ein, lohnt sich aber auch monetär für die Betriebe. Zudem sehe ich Potenziale beim Thema Kreislaufwirtschaft.

Was kann hier noch runder laufen?

In vielen Branchen denkt man heute noch zu kurzfristig. Die Lebenszyklen von Produkten und Anlagen sollten Entscheider deutlich längerfristig und umfassender planen. Dies beginnt bereits bei der Produktauslegung und -entwicklung. Es geht bis zur Fragestellung, wie sich mit sinnvoller Instandhaltung Laufzeiten verlängern lassen. Ich frage mich immer, welche technischen Systeme und Dienstleistungen sich heute mit I4.0-Ansätzen verbinden lassen und wie diese wertschöpfender gestaltet werden können.

Und wie konkret hilft da der Green Deal?

Zu den Ideen, die ich gerade beschrieben habe, liegen in einigen Unternehmen schon konkrete Pläne vor. Allerdings hapert es bei der Umsetzung. Das Geld, das die EU jetzt bereitstellen will, dürfte diesen Prozess deutlich beschleunigen.

Trotzdem ist die Industrie von dem EU-Vorhaben alles andere als begeistert. Heftige Kritik gab es zum Beispiel von BDI-Präsident Kempf. Er warnte vor der Verschärfung von Klimazielen und Carbon Leakage. Liegt Herr Kempf hiermit also falsch?

Definitiv nicht, denn obwohl ich die Chancen des Deals durchaus betont habe, sehe ich auch die Risiken. Die Botschaft der Industrie ist deshalb sinnvoll und wichtig: „Macht es, aber macht es kooperativ mit uns!“ Erfolgreich umsetzen können wir den Green Deal nur mit wettbewerbsfähigen Unternehmen. Alleine strengere Auflagen zu beschließen ohne die technische Machbarkeit zu bewerten, ist nicht der richtige Weg.

Sie spielen darauf an, dass europäische Betriebe ins Ausland abwandern könnten, wenn hier zu stark reglementiert wird. Wie lässt sich das verhindern?

Indem man die Industrie und die Wissenschaft mit ins Boot holt. Es ist wichtig, dass man gemeinsam über technologische und wirtschaftlich umsetzbare Ansätze diskutiert und darüber, wie der Deal umgesetzt werden kann. Alleingänge oder die Durchsetzung von Einzelinteressen haben hier noch keinem geholfen.

Schwingt da auch ein gewisser Pessimismus in Ihrer Aussage mit?

Pessimismus würde ich nicht sagen. Aber es gab eben schon andere EU-Vorhaben, wo man mehrere Interessengruppen zusammenbringen wollte und in der Rückschau hat das nicht funktioniert. Hin und wieder – und das wird auch künftig so sein – ist ein Verhandlungspartner „ausgebüchst“ und hat einen Sonderweg beschritten.

Vor allem in der Industrie weiß doch heute aber jeder, wie wichtig Anstrengungen zur Nachhaltigkeit sind, oder?

Ich glaube, nein ich hoffe, dass die meisten das schon verstanden haben.

Sie glauben oder Sie hoffen?

Ich glaube zumindest – und das zeigt mir auch die Diskussion mit der kommenden Generation –, dass sich diese Haltung heute kaum noch jemand leisten kann. Das würde mich schon sehr nachdenklich machen.

Warum?

Die Herausforderungen durch den Klimawandel können wir nur lösen, wenn wir alle gemeinsam anpacken. Jeder Betrieb kann mit seinem Wirken zu mehr Nachhaltigkeit beitragen – und obendrein Kosten sparen. Wer sich damit ernsthaft noch nicht beschäftigt, sollte den Green Deal als Anlass nehmen, spätestens jetzt damit anzufangen.

Vielen Dank für das interessante und informative Gespräch, Herr Prof. Brecher!



Info: Was ist der European Green Deal?


Der Green Deal soll ein europaweites Klimagesetz werden und dafür sorgen, dass die EU als erster Kontinent bis 2050 klimaneutral ist. Einen finalen Entwurf für das Maßnahmenpaket will die EU-Kommission im März 2020 vorlegen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat jedoch bereits einige Eckpunkte präsentiert. Das sind die fünf wichtigsten:

  • Der Deal hat einen finanziellen Umfang von einer Billion Euro. Kommen wird das Geld von öffentlichen und privaten Investoren.

  • Die EU verschärft ihre Emissionsziele. Statt nur um die bislang beschlossenen 40 % soll der Ausstoß bis 2030 um 50 bis 55 % verringert werden (verglichen mit dem Referenzjahr 1990).

  • Es gibt ein eigenes Umbauprogramm für die Industrie. Angedacht sind Investitionen in Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und Importhürden für klimaschädlich produzierte Ware.

  • Dabei stehen energieintensive Industrien wie die Stahl- und Zementproduktion besonders im Fokus.

  • Im Rahmen des sogenannten „fairen Übergangsmechanismus“ fließen 100 Mrd. Euro in strukturschwache Regionen, die von CO2-intensiver Energie und Industrie abhängig sind.

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