Technologieplattform Die Zeit ist reif für die offene Automatisierung

Von Ines Stotz

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Die Digitalisierung verändert die Art, zu produzieren. Doch übliche Insellösungen bremsen den Innovationsschub. Deshalb plädiert Schneider Electric für eine neue Ära: die, der offenen Automatisierung.

Das Stahlskelett des über 100 Jahre alten Schöneberger Gasometers steht, als Symbol für die vergangene Energieversorgung, inmitten des Berliner Euref-Campus – heute als Symbol der Energiewende.
Das Stahlskelett des über 100 Jahre alten Schöneberger Gasometers steht, als Symbol für die vergangene Energieversorgung, inmitten des Berliner Euref-Campus – heute als Symbol der Energiewende.
(Bild: Schneider Electric)

Was für eine Aussicht: Die 78 m Höhe auf das Gasometer in Schöneberg auf über 400 Stufen zu erklimmen, hat sich gelohnt – mit einem 360°-Panoramablick über die deutsche Hauptstadt. Der Himmel scheint zum Greifen nahe, die Zukunft liegt dem Besucher buchstäblich zu Füßen. Denn der denkmalgeschützte Speicher für Stadtgas steht inmitten des Euref-Campus – einem Ort mit eigenem Geist. Das Stadtquartier dient seit gut zehn Jahren als eine Art Reallabor für Klimaschutz, Mobilität und Energieeffizienz. Hier wird smarte Zukunft nicht nur erforscht, sondern gelebt. Denn: Energieeffiziente Gebäude, intelligentes Lastmanagement unter Einbeziehung von erneuerbaren Energien und E-Mobilität haben hier schon 2014 die Klimaziele der Bundesregierung von 2050 erreicht. Was zeigt, dass die Energiewende machbar und bezahlbar ist.

Energiemanagement auf dem Euref-Campus

Zu den rund 150 Firmen, Forschungseinrichtungen und Start-ups, die auf dem Campus tätig sind, gehört auch Schneider Electric. Die Ecostruxure-Lösungen des Unternehmens bilden das Rückgrad des Energiemanagements. „Der hohe Digitalisierungsgrad dieser Produkte ist entscheidend für den Erfolg dieses Projektes“, sagt Euref-Chef Reinhard Müller. Das kommt nicht von ungefähr. Das Unternehmen hat bereits vor zehn Jahren mit seinem Framework Ecostruxure die Weichen für eine digitale Zukunft gestellt. Zudem hat CEO Jean-Pascal Tricoire verkündet, dass Schneider schon ab 2025 CO2-neutral sein will und möchte mit seinen Maßnahmen zeigen, dass Nachhaltigkeit auch profitabel sein kann. Beispielsweise lassen sich, wie der Campus beweist, 70 % Energie in einem Gebäude einsparen – das ist echtes Geschäft. Was auch eine Studie des VDMA bestätigt: Danach steckt im Klimaschutz bis zum Jahr 2050 für den Maschinenbau ein zusätzliches Potenzial von 10 Mrd. Euro.

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Entscheidend: Toolbox und Anwendernähe

Für das Unternehmen steckt das Werkzeug dafür in der offenen, IoT-fähigen Systemarchitektur Ecostruxure, die nach und nach mit Leben gefüllt wird. Dies geschieht auch mit strategischen Zukäufen, die vorhandene Lücken schließen. Aktuelles Highlight ist die Akquise von Proleit, einem Systemintegrator mit eigener Softwarelösung, fokussiert auf die Themen Milchverarbeitung und Brauereien. Dort soll vor allem mit dem Know-how der Anwendung dem Anwender ein Mehrwert geboten werden. Damit das gelingt, kümmern sich von den 560 Mitarbeitern allein 70 Ingenieure nur um die Prozesse des Anwenders. Jürgen Siefert, Vice President Industrial Automation DACH bei Schneider Electric findet das spannend: „Durch Proleit können wir wesentlich mehr Leistung bieten. Dabei hilft unser Prinzip, zuerst ausführlich mit dem Anwender zu sprechen, bevor unsere Ingenieure in die Toolbox greifen.“

Und das wird spannend: Das Unternehmen will Zeichen setzen als Spezialist für Energiemanagement und Automation. Ausgehend von der Erfindung der SPS von Richard Morley im Jahr 1968, wurde die Entwicklung der SPS mitgeprägt und stets weiterentwickelt.

Neues Programmierkonzept für die SPS

„Heute trauen wir uns den nächsten großen Schritt zu gehen“, kündigt Jürgen Siefert ein neues Programmierkonzept an: Ecostruxure Automation Expert – das weltweit erste softwarezentrierte industrielle Automatisierungssystem. Bei Schneider Electric ist man überzeugt, dass die Zeit reif ist für solch einen Schritt.

Denn die Industrie steckt in einem tiefgreifenden Wandel. Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens, der Augmented Reality, der Echtzeitanalyse und des IIoT versprechen neue Chancen. Aber: Geschlossene Automatisierungsplattformen, basierend auf der viele Jahre erfolgreichen IEC 61131-3, schränken die Umsetzung dieser Versprechen bislang ein.

Sie erschweren die Einführung von Best-of-Breed-Technologien, behindern die Integration von Drittanbieterkomponenten und machen Aufrüstung und Wartung zu einer kostspieligen Angelegenheit. Wo die IT längst auf offene Plattformen setzt und sich rasch weiterentwickelt, gilt dies nicht für industrielle Technologien. Vielmehr leidet die Industrie bis heute unter einem Mangel an Anpassungsfähigkeit, Modularisierung und Interoperabilität.

„Das Denken in der OT-Welt muss sich grundlegend ändern.“
Interview zu Ecostruxure Automation Expert

Jürgen Siefert, Vice President Industrial Automation DACH, Schneider Electric betont im Gespräch mit der Redakteurin: „Wenn der Wind der Veränderungen weht, kann man eine Mauer bauen oder Windräder. Wir setzen auf die Windräder.“
Jürgen Siefert, Vice President Industrial Automation DACH, Schneider Electric betont im Gespräch mit der Redakteurin: „Wenn der Wind der Veränderungen weht, kann man eine Mauer bauen oder Windräder. Wir setzen auf die Windräder.“
(Bild: Schneider Electric)

Herr Siefert, Sie haben einen Paukenschlag angekündigt ...

„... ja, das haben wir. Wir als Schneider Electric wollen mit unserer Automatisierungsarchitektur ‚Ecostruxure Automation Expert‘ die Automatisierung vollständig offen machen – ein Weitsprung in der Branche. Der Sprung wird nicht von heute auf morgen vollendet sein. Wir starten zunächst mit dem Release 20.2 und erweitern das Portfolio sukzessive im eigenen Haus, aber auch in Partnerschaft mit anderen Unternehmen.

Werden weitere Anbieter Ihren Ansatz übernehmen?

Genau davon gehen wir aus. Und auch davon, dass Endanwender ihn einfordern werden. Schon seit Längerem laufen Gespräche, wann wir dieses Thema umsetzen werden. Dabei gibt es Marktteilnehmer, die hoch interessiert sind und welche, die schon einen Schritt weiter sind, als nur Interesse zu zeigen.

Was ist Ihr Hauptargument in den Gesprächen?

Wir setzen ja auf einen etablierten Standard, der IEC 61499. Damit Herstellerunabhängigkeit zu erreichen, ist ein großer Vorteil, das nützt unseren Anwendern und deren Anwendern. Sich über spezielle Hardware oder über proprietäre Software zu differenzieren – diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. IT-Leute lachen seit Jahren darüber, dass in der OT-Welt nach wie vor proprietäre Systeme als Zukunft angepriesen werden. Im Gegenteil: Das Denken in der OT-Welt muss sich grundlegend ändern!

Müssen Sie auch im eigenen Haus Überzeugungsarbeit leisten?

Klar. Denn dieses Thema ist brandneu. Gut dabei war: Diese Entscheidung wurde top-down getragen und gefällt. Das heißt, dieses Thema wurde von unserem CEO Jean-Pascal Tricoire gesetzt. Priorität ist jetzt, alle Mitarbeiter auf diese Reise mitzunehmen. Eine große Anzahl Early Adaptors haben wir schon fit gemacht. Sie ziehen auch die anderen nach und nach mit. Man kann zwar versuchen, sich gegen Umbrüche zu wehren. Aber wie ein Kollege so treffend formulierte: Wenn der Wind der Veränderung weht, kann man eine Mauer bauen – oder Windräder. Wir setzen eher auf die Windräder.

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Die Lösung: Offene Automatisierung

„Je mehr die OT- mit der IT-Welt verschmilzt, desto größer wird der Druck, das aufzubrechen und in eine neue Richtung zu denken“, sagt Michael Gieselmann, Senior Product Manager, Industrial Automation bei Schneider Electric. Er gibt zu, dass das nicht business as usual ist und für den OT-ler nicht einfach wird, umzudenken. Dennoch steht fest: „Nur mit vollständig offenen Automatisierungsstandards lässt sich das Potenzial des IIoT voll ausschöpfen.“

Die Welt der offenen Automatisierung besteht aus Softwarekomponenten, die auf dem IEC-61499-Standard basieren und dem Ansatz der Hardware-Unabhängigkeit folgen. Michael Gieselmann: „Die Einführung einer herstellerübergreifenden und einheitlichen Automatisierungsschicht bietet der Industrie neue Möglichkeiten für Wachstum und Modernisierung.“ Mit dieser Idee will Schneider Electric eine neue Ära der Industrieautomation einläuten.

Das bedeutet: Um die Versprechen von Industrie 4.0 zu verwirklichen, müssen Technologiemodelle neu überdacht, Plattformen geöffnet, Software von Hardware entkoppelt, Agilität und Skalierbarkeit der Systeme radikal verbessert werden. „Das ist unser Ziel und da wollen wir hin – unabhängig vom Hersteller die automatisierte Verknüpfung zwischen den verschiedenen Steuerungen realisieren“, verdeutlicht Gieselmann.

Der Ecostruxure Automation Expert:

  • ermöglicht Automatisierungsanwendungen mit anlagebezogenen, portablen und praxisbewährten Softwarekomponenten, unabhängig von der zugrunde liegenden Hardware-Infrastruktur,
  • erlaubt es, Anwendungen auf die Hardware-Systemarchitektur seiner Wahl zu verteilen – hochgradig verteilt, zentralisiert oder beides – bei minimalem bis gar keinem Programmieraufwand,
  • unterstützt bewährte Software-Best-Practices, um Automatisierungsanwendungen, die mit IT-Systemen zusammenarbeiten, einfacher erstellen zu können.

„Jetzt ist die richtige Zeit, spannend.“
Was ein Entwicklungsdienstleister für Automatisierungstechnik dazu sagt:

„Wir sind sehr neugierig und freuen uns darauf, das System zu testen. Eine gewisse differenzierte Betrachtungsweise ist freilich angebracht.

Pauschal geschlossene Systeme als innovationsfeindlich bezeichnen, greift zu kurz. Gutes Gegenbeispiel ist das I-Phone und IOS. Es kommt darauf an, was man daraus macht. Ein weiterer Punkt, und der Charme proprietärer Systeme, sind deren Funktionssicherheit und die besseren Möglichkeiten, sich zu differenzieren.

Allerdings: geht es um Anwendungen in Richtung Industrie 4.0/ IIoT, ist es völlig richtig, dass wir damit an unsere Grenzen stoßen. Neue Technologien sind zwingend notwendig. Man darf Ecostruxure Automation Expert also als Umbruch und revolutionären neuen Ansatz bezeichnen. Und der Zeitpunkt ist der richtige. Spannend.“

Ecostruxure Automation Expert: Die erste Version

Die erste Version unterstützt klassische Automatisierungsplattformen wie SPSen der Modicon-Serie, Frequenzumrichter der Altivar-Reihe und Industrie-PC. Erstmals lassen sich zudem komplexe Regelalgorithmen für mehrere Antriebe programmieren und an den Antriebsregler verteilen – ohne zentrale SPS. Ein virtualisierter Softwarecontroller, der in Docker-basierten Linux-Containern läuft, unterstützt verteilte Informations- und Steuerungssysteme in Edge-Computing-Architekturen. Aufbauend auf der IEC 61499 werden Softwareobjekte (Composite Automation Types) zur Modellierung von Anlagen verwendet. Dabei werden Echtzeitsteuerfunktionen mit zusätzlichen Anwendungen wie der Mensch-Maschine-Schnittstelle kombiniert.

Automatisierung schneller umsetzen

Dieser objektorientierte Ansatz soll Kosten- und Leistungsvorteile bieten, Entwicklern mehr Spielraum durch die Automatisierung von Routineaufgaben geben und Doppelarbeiten über Tools hinweg verhindern. „Ein Vergleich“, so Gieselmann, „hat dabei eine zwei- bis siebenfach kürzere Umsetzungszeit gegenüber klassischen Automatisierungssystemen ergeben.“

Entscheidend sei nun die Arbeit an gemeinsamen, offenen Standards, um die herstellerübergreifende Interoperabilität zu realisieren und Schnittstellen von der Lieferkette über die Fertigung und Produktion bis hin zum Endanwender zu gewährleisten. Schneider Electric fordert damit OEMs, Integratoren und Endanwender in der gesamten Industrie auf, eine offene Automatisierung einzuführen und zu verwirklichen. Gieselmann ist sich sicher: „Jetzt ist es an der Zeit!“

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