Exoskelette Exoskelette werden immer attraktiver für die Industrie
Exoskelette kombinieren menschliche Intelligenz mit maschineller Kraft, ihr Marktpotenzial ist riesig. Arbeitskräftemangel und Krankheitsprävention sind die Treiber dieser jungen Technik. Die ersten bionischen Helfer sind auch schon Smart-Factory-kompatibel.
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Es ist zwanzig Jahre her, dass Lego mit der Erfindung der Bionicles seine existenzbedrohende Absatzkrise überwand. Auf den Leib montiert erinnern die Exoskelette mit ihren Trägern heute an die vom dänischen Spielwarengiganten zum Leben erweckten biomechanischen Fantasiewesen. Und tatsächlich stellt die Erfindung der Exoskelette oder der „Wearable Robotics“ für Arbeitszwecke eine beabsichtigte Fusion von Mensch und Maschine dar. Denn trotz zahlreicher Ansätze zur Automatisierung von Produktionsprozessen bleibt der Mensch immer noch ein enormer Erfolgsfaktor. Dies liegt an der Verbindung seiner intellektuellen und bislang unkopierbaren biomechanischen Fähigkeiten: hohe Kraftschlüsse und ultrakurze Winkelbeschleunigungen gekoppelt mit motorischer Agilität und Variabilität, und das ohne Programmierungsaufwand.
Zudem sind manche Abläufe nur mit erheblichem finanziellem oder zeitlichem Aufwand und enormer „Hardware“ zu automatisieren – im Handwerk ist das ohnehin nicht möglich. Exoskelette, die es seit rund zwei Jahren seriell gefertigt gibt, helfen nun, eine Automatisierungslücke zu schließen. „Initial für die Entwicklung von Exoskeletten waren sicherlich Montagearbeiten in der Automobilindustrie, wo auch viel über Kopf montiert wird. Hier haben wir eng mit Volkswagen zusammengearbeitet, übrigens auch an der legendären Fertigungsstraße ML 1 in Wolfsburg, wo einst der Käfer montiert wurde. Mittlerweile machen passive Exoskelette im Handwerk aber ein Drittel des Absatzes aus“, berichtet Dr. Sönke Rössing, Leiter von Ottobock Industrials.
„Ein Punkt, der für den Einsatz der Helferskelette spricht, ist der Arbeitskräftemangel. Natürlich ist es für Unternehmen zunehmend interessant, qualifizierte Kräfte in Arbeit zu halten, denn vielerorts können sich die Arbeitnehmer mittlerweile aussuchen, wo und unter welchen Bedingungen sie arbeiten“, kommentiert Rössing die rasante Nachfrage nach Exoskeletten. Weiterer Impuls für die Dynamik in diesem Markt ist der Aufschrei der Krankenkassen, Betriebe und Berufsgenossenschaften: Arbeitsbedingte muskulo- skelettale Erkrankungen (MSE) sind in Deutschland der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit und damit treibender Faktor für Unternehmen und Gesundheitssysteme, stellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fest und beziffert allein die
Produktionsausfallkosten durch Krankheiten des Bewegungsapparats für das Jahr 2016 mit 17,2 Mrd. Euro. „Ab dem Alter von 40 Jahren steigen die Muskelskelett-Erkrankungen enorm an. Exoskelette dienen dazu, den Werkern die Arbeit zu erleichtern, ermöglichen akut einen entspannteren Feierabend und helfen, langfristig orthopädischen Krankheiten vorzubeugen“, fasst Rössing zusammen.
Trotzdem gibt es auch kritische Töne: „Wir wissen nicht, was diese Systeme langfristig machen“, sagt Sascha Wischniewksi, wissenschaftlicher Direktor und Leiter der Fachgruppe Human Factors Ergonomie an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. „Wenn ich ein Exoskelett drei, vier Monate jeden Tag trage: Verändert sich mein Bewegungsverhalten dadurch? Die Kräfte sind nicht weg, wirken nur auf eine andere Körperregion.“ Belastbare Langzeitstudien gibt es aufgrund der „Jugend“ dieser Technologie noch nicht.
Smarte Exoskelette sind die Show Cars der Branche
Momentan überwiegt noch die Nachfrage nach „einfachen“ Stützsystemen: „Für die meisten Handwerker und Mittelständler ist entscheidend, dass die Exoskelette innerhalb weniger Minuten angepasst und einsetzbar sind, die Systeme also ‚ready to use‘ sind. Gerade für KMUs, wo jede Arbeitskraft zählt, muss die Kosten-Nutzen-Rechnung sofort aufgehen. Für aufwendige Implementierungsphasen ist dort kein Platz“, weiß Rössing aus der bisherigen Praxis. Trotzdem berichtet Armin G. Schmidt, CEO von German Bionic: „Unser Cray X wurde vom Markt begeistert aufgenommen und das Interesse der Unternehmen am ersten intelligenten Kraftanzug wächst rasant.“ Wenn man in Rechnung stellt, dass bei BMW weltweit rund 50.000 Mitarbeiter und 20.000 Roboter in der Produktion arbeiten und auf einen Produktionsstandort gerade erst einmal mehrere Dutzend Exoskelette kommen, ist die Luft nach oben leicht erkennbar. So prognostiziert etwa das unabhängige ABI-Research-Institut bis 2028 ein Marktvolumen für die bionischen Helfer von 5,8 Mrd. US-Dollar. „Wir erwarten bei passiven Exoskeletten nun ein doppelstelliges Wachstum pro Jahr. In diesem Jahr dürfte der Markt zwischen 50 und 100 Mio. Euro liegen, bis 2025 dürfte das Volumen auf 2 bis 3 Mrd. Euro angestiegen sein“, schätzt Rössing die kommenden Jahre ein.
Logisch ist, dass in Zukunft auch die Exoskelette in Richtung Smart Factory und Industrie 4.0 gehen: Mit dem Cray X von German Bionic ist schon ein solches Produkt auf dem Markt. Auf der diesjährigen Hannover Messe präsentierte der Hersteller das erste vernetzte Roboter-Exoskelett für den Einsatz im industriellen Internet der Dinge (IIoT). Zudem existiert mittlerweile mit der German Bionic IO auch eine „interdisziplinäre Plattform, um die wissenschaftlichen Grundlagen für die nächsten Entwicklungsstufen der Bionik zu legen“, berichtet Prof. Dr. med. Herbert Schuster, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Verbands der Exoskelett-Industrie (VDEI e.V.). Sönke Rössing sieht das Thema der smarten Skelette so: „Aktive vernetzte Exoskelette sind meines Erachtens für die Breite der Anwendungen noch nicht ganz ausgereift, sie zeigen aber, was in Hinblick auf die Industrie 4.0 machbar ist, die sind in der Regel auch über 5 Kilo schwer... Natürlich gibt es da den Ah- und Oh-Effekt wie bei den Show Cars auf Automobilmessen.“
* Tilo Michal ist Texter, Redakteur, Pressesprecher sowie Workshop-Trainer und Inhaber der Agentur Strichpunkt e. K., Tel. (01 71) 7 84 49 60, pressesprecher67@web.de
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