Prozesswärme Industrie vertraut auf Solarwärme

Autor / Redakteur: Dr. Benedikt Vogel / Silvano Böni

Viele Produktionsbetriebe benötigen in Fertigungsprozessen Wärme. Liegt der Bedarf im Temperaturbereich unter 150 °C, kann die Nutzung von Solarwärme sinnvoll sein.

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Parabolrinnen-Kollektoren konzentrieren die Sonnenstrahlung auf ein von Wasser durchströmtes Absorberrohr und erhitzen das Wärmeträgermedium auf bis zu 112 °C. Die Kollektoren verwerten Direktstrahlung, nicht aber Diffusstrahlung.
Parabolrinnen-Kollektoren konzentrieren die Sonnenstrahlung auf ein von Wasser durchströmtes Absorberrohr und erhitzen das Wärmeträgermedium auf bis zu 112 °C. Die Kollektoren verwerten Direktstrahlung, nicht aber Diffusstrahlung.
(Bild: Emmi)

Gut ein Zehntel des Schweizer Energiekonsums entfällt auf die Bereitstellung von Wärme in Industrieunternehmen. Zwei Drittel davon sind Prozesse wie beispielsweise Erhitzen, Reinigen, Destillieren, Sterilisieren, Bleichen oder Färben. „Wird die Prozesswärme bei Temperaturen bis zu 150 °C benötigt, ist eine Bereitstellung über Solarkollektoren in der Schweiz sinnvoll“, sagt Dr. Mercedes H. Rittmann-Frank, Wissenschaftlerin am Institut für Solartechnik SPF der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR). In der Schweiz bieten vier Industriebranchen besonders gute Voraussetzungen für den Einsatz von Solarwärme: die Lebensmittel-, Textil-, Papier- und Pharmaindustrie. Eine Studie der HSR und der Westschweizer Fachhochschule HEIG-VD (Yverdon-les-Bains) hat 2019 das theoretische Potenzial für solare Prozesswärme in diesen vier Branchen mit 4 Terrawattstunden beziffert. Das sind 9 Prozent des gesamten Energiebedarfs der Schweizer Industrie.

Von 2012 bis 2016 hat sich die Zahl der Solarthermie-Anlagen zur Erzeugung von Prozesswärme weltweit von 120 auf 700 mehr als verfünffacht. Eingesetzt werden sie in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, im Maschinenbau und in der Textilbranche. Seit dem Jahr 2011 wird Solarwärme auch in der Schweiz genutzt. Damals nahm der Milchverarbeitungsbetrieb Lesa in Bever (GR) die erste Anlage in Betrieb. Der 190 °C heiße Dampf wird für die Reinigung der Produktionsanlagen eingesetzt. Wenig später stellten Betriebe der Milchverarbeiter Cremo SA (in Fribourg) und Emmi AG (in Saignelégier/JU) ebenfalls teilweise auf Solarwärme um. Unterdessen gibt es landesweit gut ein halbes Dutzend Anlagen zur Bereitstellung industrieller Solarwärme.

Mehrjähriges Monitoring von fünf Anlagen

In einem vom Bundesamt für Energie unterstützten Monitoringprogramm hat ein HSR-Forscherteam seit 2014 fünf dieser Anlagen begleitet. Der erste Teil der Studie „Evaluation von Solaren Prozesswärmeanlagen in der Schweiz“ (EvaSP) wurde 2017 abgeschlossen, der zweite Teil lief von 2018 bis Mai 2020. Gemäss den Auswertungen liefern die Anlagen Quadratmeter-Erträge von bis zu 80 kWh pro Monat, wobei im Sommerhalbjahr rund 30 bis 45 Prozent der eingestrahlten Energie als Wärme genutzt werden. Die Firmen produzieren mit Solarkollektoren 15 bis 220 MWh Prozesswärme pro Jahr und decken damit bis zu 44 Prozent ihres Prozesswärmebedarfs.

Die fünf untersuchten Anlagen nutzen drei verschiedene Kollektorarten. Als „sehr positiv“ bewerten die Forscherinnen und Forscher in ihrem Schlussbericht die Leistung der Vakuumröhren-Kollektoren, die bei der Firma Zehnder in Gränichen (AG) zum Einsatz kommen. Diese Technologie ist aus dem Wohnbereich gut erprobt, hat aber den Nachteil, dass nur Temperaturen bis 90 °C möglich sind. Höhere Temperaturen bis zu 190 °C lassen sich mit konzentrierenden, nachgeführten Parabolrinnen-Kollektoren erzielen. Diese Art von Kollektoren, die in drei untersuchten Anlagen (Lesa/Bever, Emmi/Saignelégier, Cremo/Fribourg) eingesetzt werden, liefern laut Experteneinschätzung „zufriedenstellende bis gute Energiebeträge“.

Alle untersuchten Anlagen sind Pilotanlagen und damit Investitionen, die auch dazu dienen, aus Fehlern und Störungen zu lernen. Die von den HSR-Forschenden festgestellten Fehlfunktionen betrafen bewegliche Teile (bei Parabolrinnen-Kollektoren), Fehler bei der Systemintegration sowie bei der Datenübertragung und -speicherung, wobei Letztere nicht direkt mit der Kollektortechnologie in Verbindung stehen. Die festgestellten Probleme konnten in der Regel behoben werden. Die Untersuchungen zu Degradation und Verschmutzung zeigen keine ungünstigen Befunde. Der Schlussbericht zieht denn auch ein positives Fazit: „Die untersuchten Anlagen zeigen vielversprechende Ergebnisse, die Schweiz sollte das Potential für diese CO2-neutrale Wärmeerzeugung nutzen.“

Ruf nach Standardisierung

Vor dem Hintergrund der Herausforderungen speziell bei der Systemintegration wünschen sich die HSR-Forschenden «einfachere und standardisierte Integrationskonzepte». Bisher sind Solaranlagen zur Erzeugung von industrieller Prozesswärme jeweils Einzelanfertigungen. Entsprechend aufwändig sind die Voruntersuchungen zur Auslegung und Einbindung neuer Anlagen. Da verschiedene Industriebetriebe ähnliche Prozesse und Prozessanforderungen haben, stellt sich die Frage, ob sich Solarwärmeanlagen in einem gewissen Maß standardisieren und damit Planungs- und Herstellungskosten sparen ließen. Das ist die zentrale Fragestellung des auf zwei Jahre angelegten Forschungsprojekts BillySolar, das seit Frühjahr 2019 an der HSR läuft. Der Projektname bringt die übergeordnete Zielsetzung auf den Punkt: Lassen sich Anlagen aus einer kleinsten, universell einsetzbaren Wärmeeinheit zusammensetzen, quasi wie ein Billy-Regal von Ikea?

Auf dem Weg zu diesem Ziel wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Wärmebedarf von industriellen Prozessen verstehen und in Industriebetrieben wiederkehrende Prozesse mit ähnlichem Wärmebedarfsprofil identifizieren, also Prozesse, bei denen Wärmemenge, Temperatur und Tagesverlauf vergleichbar sind. Um dies zu tun, wurden über die Werksleiter von sechs Emmi-Produktionsstätten mittels Fragebogen die Angaben zu den jeweils eingesetzten Prozessen erhoben. Zusätzlich untersuchten Forschungspartner der Hochschule Luzern (HSLU) Energieflussanalysen von industriellen Prozessen (sogenannte Pinch-Analysen) aus der Lackier-, Galvanik-, Textil- und Lebensmittelindustrie, die in einer HSLU-Datenbank abgelegt sind.

Standardmodul mit 100 m² Fläche

So identifizierten die Forscherinnen und Forscher Prozesse, die für die Beschickung mit solarer Prozesswärme in Frage kommen. Zusätzlich erstellten sie die Solarthermie-Anlagen und alle zugehörigen Komponenten mit der Simulationssoftware Polysun. Im nächsten Schritt konnten sie die Parameter der Anlagen (Art der Kollektortechnologie, Kollektorfeldfläche, Volumen Wärmespeicher) nun beliebig variieren und so die energetischen Kennzahlen und die Kosten der jeweiligen technischen Umsetzung (Anlage-, Integrations- und Montagekosten) bestimmen. Mit den Simulationen gelangten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Schluss, dass das kleinste Standardmodul für industrielle Solarthermie-Anlagen auf 100 m² Kollektorfläche und einen Warmwasserspeicher mit 10 m³ dimensioniert werden könnte.

Diese Grösse ist das Ergebnis einer energetischen und wirtschaftlichen Optimierung; bei dieser Anlagengrösse sind die Kosten pro Kilowattstunde produzierter Wärme am tiefsten, wie die Forscherinnen und Forscher zeigen konnten. Für Firmen ist es somit am vorteilhaftesten, wenn sie sich – je nach Wärmebedarf – für 100 m² oder ein Vielfaches dieser Kollektorfläche entscheiden. Bei der vorgeschlagenen Standardgröße handelt es sich um ein Zwischenergebnis, das im Zuge des Projekts bestätigt und verfeinert werden muss. Zu klären bleibt, ob beziehungsweise wie sich solche Standardeinheiten in einen bestimmten Industriebetrieb konkret integrieren lassen und welche finanziellen Anreize allenfalls nötig sind, um der Solarthermie im industriellen Sektor trotz der Mehrkosten gegenüber fossilen Energieträgern Vorschub zu leisten. HSR-Forscherin Rittmann-Frank ist optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass diese vor allem aus der Milchindustrie abgeleitete kleinste Produktionseinheit auf andere Branchen übertragbar ist und auch dort eine sinnvolle Größe zur Erzeugung von Prozesswärme darstellt.“

* Dr. Benedikt Vogel ist Wissenschaftsjournalist im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) in 3063 Ittigen (Schweiz), Tel. (+41) 58 46 08 15 2, contact@bfe.admin.ch

* Dieser Beitrag erschien ursprünglich beim Schweizer Maschinenmarkt

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