Smart Manufacturing Mit mehr Digitalisierung hin zur Netto-Null bei CO2

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Jürgen Grotepass*

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Der CO2-Ausstoß soll bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden und trotzdem soll die Wirtschaft jedes Jahr wachsen. Wieso die Digitalisierung beim gleichzeitigen Erreichen dieser beiden Ziele für die Industrie eine entscheidende Rolle spielen wird.

Der CO2-Austoß muss reduziert werden und durch eine Bepreisung kann er auch zum Kostentreiber werden. Wie 5G, Cloud-Computing und Predictive Maintenance helfen können.
Der CO2-Austoß muss reduziert werden und durch eine Bepreisung kann er auch zum Kostentreiber werden. Wie 5G, Cloud-Computing und Predictive Maintenance helfen können.
(Bild: gemeinfrei // Unsplash)

Vor allem in der deutschen Industrie schlummert großes Potenzial, den Ausstoß von CO2 zu verringern und so zur Erreichung der von der Politik gesetzten Klimaziele beizutragen. Dazu kann die Digitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten. Technologien wie der Mobilfunkstandard 5G oder Cloud-Computing leisten dabei wichtige Dienste. Manchmal allerdings steckt der Teufel im Detail.

In der Industrie schlummert Potenzial zur Einsparung

Das von der Bundesregierung formulierte Ziel ist ambitioniert. Bis zum Jahr 2030 sollen 55 Prozent weniger Emissionen ausgestoßen werden als 1990. Um das zu erreichen, muss zwischen 2019 und 2030 der Ausstoß von 262 Millionen Tonnen CO2 verhindert werden. Dabei spielte die Digitalisierung in den ursprünglichen Plänen der Regierung keine Rolle. Doch gerade in der industriellen Fertigung schlummert nach Berechnungen des Bitkom (‚Klimaeffekte der Digitalisierung‘ – Studie zur Abschätzung des Beitrags digitaler Technologien zum Klimaschutz) ein erhebliches Potenzial zur Einsparung von CO2-Emissionen, das sich mit Hilfe der Digitalisierung heben ließe.

Bei 5G geht es nur am Rande um autonomes Fahren und Privatanwender

Insgesamt sieben Anwendungsbereiche nennt der Bitkom. Einige davon lassen sich verbinden, um den möglichen Effekt signifikant zu steigern. Hilfe leisten dabei vor allem digitale Technologien. Bei dem Hype, der sich um den Mobilfunkstandard 5G gebildet hat, gerät leicht in Vergessenheit, dass die Privatanwender gar nicht im Mittelpunkt der Definition gestanden haben. Seine ganze Leistungskraft kann 5G vor allem im industriellen Umfeld entfalten. Und dabei geht es nicht, oder allerhöchstens am Rande, um das Thema des autonomen Fahrens.

Vorrausschauende Wartung (Predictive Maintenance), eine erste, wirklich ernstzunehmende Anwendung im Internet der Dinge (IoT), kann auf vielfache Weise zur Vermeidung des CO2-Austoßes beitragen. Das Prinzip ist einfach: Sensoren an Produktionsmaschinen nehmen diverse Parameter auf, gleichen diese mit abgespeicherten Daten ab und sorgen auf diese Weise dafür, dass Ausfallzeiten minimiert und der Austausch von Verschleißteilen optimiert wird.

Predictive Maintenance als Klimaschützer

Das hat gleich mehrfache Auswirkungen auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Verschleißteile werden nicht zu früh ausgetauscht, sondern wirklich erst dann, wenn sich ihr Lebenszyklus dem Ende nähert. Entsprechend weniger dieser Teile müssen produziert und beschafft werden. Service-Teams unternehmen Fahrten zum Einsatzort wirklich nur noch dann, wenn es wirklich notwendig ist. Der CO2-Austausch der entsprechenden Fahrzeuge sinkt dementsprechend.

Der Mobilfunkstandard 5G kann hierbei wichtige Dienste leisten. Das Beste daran: Das funktioniert auch ohne, dass es ein flächendeckendes 5G-Netz in Deutschland gibt. Der große Vorteil, den 5G der Industrie bietet, sind niedrige Latenzen. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Reaktionszeit der IT, die Zeit also, die zwischen der Datengewinnung vor Ort, der Datenverarbeitung und der ausgelösten Reaktion vergeht. Hier ist 5G absolut konkurrenzlos. Unternehmen können diesen Vorteil nutzen, in dem sie – unabhängig von den Mobilfunkprovidern – eigene, sogenannte Campusnetze aufbauen. Diese sorgen für geringe Latenzen, wie sie für die Effektive Maschinensteuerung benötigt werden.

Die technischen Daten von 5G-Netzen können sich sehen lassen. Ende-zu-Ende Latenzen von unter 10 ms und ein Datendurchsatz von mehr als 3600 Mbit/s1 sprechen für sich. Mit diesen Eigenschaften eignet sich der Mobilfunkstandard auch, wenn es um größere Flächen in Außenbereichen von Unternehmen oder aber weitläufige Lagerstätten, beispielsweise in Häfen, geht.

Ganz abgesehen von den Leistungsdaten steht 5G – unabhängig von der Anwendung - für einen verkleinerten CO2-Fußabdruck und ein höhres Maß an Nachhaltigkeit. Nicht nur, dass 5G pro übertragenem Bit bis zu 90 Prozent weniger Energie als 4G benötigt, lassen sich in einem 5G-Netz in derselben Zeit erheblich mehr Informationen übertragen als in einem 4G-Netz.

Die Cloud ist inzwischen gesetzt

Neben 5G-Netzen ist dabei die ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Cloud- und Edge-Computing der zweite wichtige Faktor. Dass die Cloud für die Verarbeitung und Speicherung inzwischen auch in der industriellen Produktion das Maß aller Dinge ist, steht außer Frage. Allerdings ist es nicht immer notwendig, sämtliche Daten in die Cloud zu schicken. Vor allem dann nicht, wenn dazu kein öffentliches 5G-Netz zur Verfügung steht. In diesem Fall würde man sich des Vorteils der geringen Latenzen berauben. In die Cloud wandern also wirklich nur die Daten, die sich nicht zur Berechnung eignen.

Den Rest erledigt man via Edge-Computing. Über spezielle Edge-Devices und/oder Industrie-Computer erfolgt die Datenverarbeitung vor Ort (oder im IT-Sprachgebrauch ‚on the Edge‘ – daher die Namensgebung). Das lokale 5G-Campus-Netz sorgt für die entsprechende Geschwindigkeit beim Datentransport.

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Trotzdem darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch die Nutzung der Cloud ihren Beitrag zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks leisten kann. 2020 berechneten Experten der Unternehmensberatung Accenture, dass die Migration in die Public Cloud die globalen CO2-Emissionen um 59 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr reduzieren könne. Das entspräche einer Verringerung der durch den Einsatz von IT verursachten Emissionen um 5,9 Prozent und ist gleichbedeutend mit dem Wegfall von 22 Millionen Autos auf der Straße.

Große Bedeutung kommt der Cloud etwa bei der intensiven Nutzung von digitalen Zwillingen zu. Die industrielle Produktion ist auf dem Weg zu immer mehr Vernetzung, Automation und Flexibilität. Ein wichtiges Glied in dieser Kette ist der digitale Zwilling, der sämtliche Daten eines Produkts stets aktuell zusammenfasst. Auch im Zusammenhang mit der sogenannten Additiven Fertigung (Schlagwort: 3D-Druck), kommt dem digitalen Zwilling erhebliche Bedeutung zu. Man stelle sich nur vor, Bauteile für Maschinen oder Ersatzteile für Flugzeuge müssten nicht per Schiff oder Flugzeug vom Produktions- zum Verarbeitungsort gebracht werden, sondern könnten – je nach Bedarf – direkt vor Ort produziert, respektive mit hochleistungsfähigen 3D-Druckern ausgedruckt werden.

Liegen die Daten in der Cloud, so kann von jedem Ort der Welt auf sie zugegriffen werden. Natürlich sind zur Sicherung der Daten (und damit des geistigen Eigentums) umfangreiche Maßnahmen erforderlich. Am Ende kommt es aber kostengünstiger – sowohl für den Hersteller, als auch für den oder die Nutzer (der keine aufwendige Lagerhaltung mehr benötigt) und die Umwelt profitiert ebenfalls. Noch steckt diese Entwicklung in den Kinderschuhen, in der Luftfahrtbranche allerdings gibt es die ersten vielversprechenden Ansätze mit Verschleißteilen aus Kunststoff, die im Innenraum von Passagierfliegern verbaut werden.

Der Green Deal fordert weitere Maßnahmen

Damit leistet moderne IT auch einen wichtigen Beitrag, wenn es um den ‚Product Carbon Footprint‘ (PCF), eine von vielen neuen regulatorischen Anforderungen der Europäischen Union im Rahmen der Sustainable Products Initiative (SPI), die Teil des Green Deals ist. Für die produzierende Industrie bedeutet das, dass sie künftig aufgefordert ist, dementsprechende Produktinformationen in Form eines Digitalen Produktpasses (DPP) zur Verfügung zu stellen.

Kein Wunder also, wenn Vertreter der Digitalwirtschaft inzwischen gern gesehene Mitarbeiter in entsprechenden Normierungsgremien sind. So hat eine Arbeitsgruppe des ZVEI mit dem ‚PCF@Control-Cabinet‘ ein Konzept für die technische Umsetzung eines Digitalen Produktpasses am Beispiel eines Schaltschrankes entwickelt. Mit diesem DPP4.0-Konzept ist die Industrie in der Lage, geforderte Produktinformationen zu dokumentieren und zur Verfügung zu stellen. Das DPP4.0-Konzept des ZVEI basiert auf zwei wesentlichen, im Rahmen der Industrie 4.0-Initiative entwickelten Säulen.

So ist der Grundgedanke von Industrie 4.0 die Verknüpfung der OT- und IT-Ebene (Operational Technology und Information Technology). Jedes Asset der OT-Ebene (Hardware und Software) wird dabei durch die Verknüpfung mit der sogenannten Asset Administration Shell (AAS) zu einer I4.0-Komponente, wodurch eine allgemeine Interoperabilität zwischen allen I4.0-Komponenten geschaffen und die I4.0-Komponente mit der IOT-Welt in einer Plug-and-Play-Art verbunden wird. Die AAS stellt dabei ein Rahmenformat zur Beschreibung der Assets in einer standardisierten und semantisch eindeutigen Form dar und fungiert dadurch als digitaler Zwilling des Assets. Die beschriebenen Merkmale und Eigenschaften des jeweiligen Assets sind in der AAS in Teilmodellen zusammengefasst.

In der angedachten endgültigen Ausbaustufe soll der Produktpass in Form eines QR- oder Date-Matrix-Codes direkt im jeweiligen Gerät zu finden sein. Allein dieser Aufkleber sorgt im Vergleich zu gedruckten Beipackzetteln für einen großen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Auch wenn der vom ZVEI in Zusammenarbeit mit Siemens entwickelte Schaltschrank, der auf der Hannover Messe 2022 seine Premiere feierte, noch ein Prototyp ist: Der eingeschlagene Weg ist die richtige Antwort auf die drohende CO2-Bepreisung seitens der EU. Auch, und darüber sind sich alle Beteiligten einig, wenn noch viele weitere Schritte gegangen werden müssen.

* Prof. Dr. Jürgen Grotepass arbeitet als CSO (Chief Strategy Officer Manufacturing) bei Huawei Technologies am Europäischen Forschungszentrum in München.

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