Industrielle Schalttechnik NFPA- und UL-Normen sind Voraussetzung für Anlageninbetriebnahme in USA
Wer Schaltschränke und elektrische Ausrüstung in die USA liefern will, sollte die UL 508A als Standard für „Industrial Control Panels“ und die NFPA 79 als Standard für „Industrial Machinery“ erfüllen. Denn wer nach gültigen Normen arbeitet, kann dort wesentlich einfacher Maschinen und Anlagen in Betrieb nehmen.
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Wer Schaltschränke und elektrische Ausrüstung von industriellen Maschinen nach Nordamerika liefern will, muss wissen: Ohne behördliche Betriebserlaubnis darf dort keine industrielle Anlage in Betrieb gehen (Bild 1). Deshalb ist es besonders wichtig, die vorhandenen Gesetze und die geforderten Codes einzuhalten, die durch die zuständigen Behörden der jeweiligen Bundesstaaten, Landkreise oder Gemeinden kontrolliert werden.
Hintergrund dieser strikten Vorgehensweise ist, dass Gefahren und Risiken für Menschen, Anlagen und Gebäude unter allen Umständen vermieden werden müssen. Für Anlagenbauer bedeutet das, dass sie durch ihre Konstruktion und die Einhaltung der Normen die elektrische Sicherheit, den Brandschutz und die mechanische Sicherheit garantieren müssen. Die wichtigste Grundlage dafür ist der National Electrical Code (NEC), der in den USA gesetzlich als Stand der Technik akzeptiert wird. Vergleichbar ist der NEC mit dem VDE 0100 beziehungsweise der IEC 60364. Darauf sind viele weitere Normen und Vorschriften zurückzuführen. Der NEC wird von der National Fire Protection Association (NFPA) unter dem Arbeitstitel NFPA 70 herausgegeben.
Underwriters Laboratories ist in den USA die bekannteste Prüforganisation
Beispielsweise beschreibt die NFPA 70 die Vorkehrungen, die getroffen werden müssen, damit elektrisch betriebene Maschinen und Anlagen den erforderlichen Brandschutz besitzen. Die NFPA ist die wichtigste normenstellende Organisation, die unterschiedliche Vorschriften und Richtlinien herausgibt wie zum Beispiel NEC, NFPA 79, NFPA 70E und NFPA 70B. Darüber hinaus gibt es die Underwriters Laboratories (UL), die Standards veröffentlicht und Produkte approbiert, und zwar gemäß ihren eigenen und anderen Standards, wie zum Beispiel auch CSA. Für Hersteller von Maschinen und Anlagen ist auch hier zu beachten: Prinzipiell ist vom Gesetzgeber nicht unbedingt vorgeschrieben, dass alle Geräte durch UL approbiert sein müssen, aber UL ist in den USA die bekannteste Prüforganisation und wird überall akzeptiert.
UL 508A und NFPA 79 sind besonders zu beachten
Daraus abgeleitet gibt es zwei fachspezifische Normen, die besondere Beachtung finden. Auch der entsprechende Geltungsbereich innerhalb von Maschinen und Anlagen ist wichtig: Für Industrial Control Panels verweist der NEC im Artikel 409 auf die UL 508A und für Industrial Machinery im Artikel 670 auf die NFPA 79 (Bild 2). Anlagenbauer tun also gut daran, sich im Vorfeld zu informieren und die Konstruktionen entsprechend auszulegen. Dazu bietet zum Beispiel Siemens Eintagesveranstaltungen an, in denen die wichtigsten Aspekte einer normengerechten Auslegung der Elektrotechnik vermittelt werden.
In der Tat gibt es einige wesentliche Unterschiede zwischen den Erwartungen in Europa und den Forderungen in den USA. In Amerika müssen eingesetzte Produkte zertifiziert und gelistet sein. Die Prüfung eines ordnungsgemäßen Maschinen- beziehungsweise Anlagenaufbaus übernehmen dort unabhängige NRTL (Nationally Recognized Testing Laboratories) beziehungsweise Electrical Inspectors (AHJ: Authority Having Jurisdiction). Eine erfolgreiche Abnahme setzt voraus, dass zertifizierte Komponenten gemäß den Anwendernormen UL 508A und NFPA 79 richtig eingesetzt und zu einem Schaltschrank beziehungsweise einer Maschine zusammengebaut werden. Nur wenn die Betriebserlaubnis eines AHJ vorliegt, darf eine Maschine oder Anlage in Betrieb genommen werden. Die Verantwortung liegt beim Betreiber, nicht beim Hersteller der Maschine.
Anpassungsprojektierung am Beispiel Schaltschrank
In der Praxis bedeutet das, dass vor dem Inverkehrbringen von Maschinen und Anlagen eine Reihe konstruktiver Details streng beachtet werden müssen. Am Beispiel eines Schaltschranks lässt sich exemplarisch darstellen, wo Anpassprojektierungen von IEC- auf UL-Standard vorzunehmen sind (Bild 3). Selbst erfahrene Schaltschrankprojekteure, die die IEC-Vorschriften kennen, müssen die Forderungen amerikanischer Kunden berücksichtigen. Dazu zählt die Netztrenneinrichtung ebenso wie die Schrankbeleuchtung sowie Steckdosen und die Türverriegelung. Selbst Aderleitungen und Aderbeschriftungen sowie Klemmen müssen entsprechend den amerikanischen Normen angepasst werden. Auch das Gehäuse – also der Schaltschrank selbst – muss den US-amerikanischen Anforderungen entsprechen. Grundsätzlich gilt: Bis auf wenige Ausnahmen müssen alle im Schaltschrank eingesetzten Geräte entweder mit „UL listet“ oder „UL recognized“ gekennzeichnet sein. Dementsprechend müssen Motorcontroller, Transformatorschutz, Gerätesicherungen sowie die Netztrenneinrichtung und die Energieverteilung im Schaltschrank ausgewählt werden. Das alleine reicht aber noch nicht aus: Es gilt zusätzlich eine Reihe von Auswahl- und Aufbauvorschriften, die genau eingehalten werden müssen. Beispielsweise darf die Steuerspannung nach NFPA 79 maximal 120 V betragen.
Neben der reinen Substitution von Geräten mit entsprechenden Zertifizierungen ergeben sich an vielen Stellen gravierende Unterschiede zwischen der IEC-Welt und den Anforderungen auf dem nordamerikanischen Markt. Dazu zählen unter anderem:
- Netzformen in Nordamerika/USA,
- Branch Circuit – Feeder Circuit,
- Einspeisung / Einspeisesysteme,
- SCCR – Short Circuit Current Rating,
- Motorabzweige nach UL,
- Absicherung sonstiger Verbraucher/Lasten,
- Steuerstromkreise nach UL,
- Leitungen, Kabel und flexible Anschlussleitungen,
- Verdrahtungsmethoden, Leitungsverlegung,
- Kennzeichnung und Sicherheitshinweise,
- technische Dokumentation.
Einige Punkte des Eintagesseminars von Siemens, werden nachfolgend aufgezeigt.
Die unterschiedlichen Netzformen in den USA beachten
In den USA gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Netzformen. Wichtig dabei ist, zwischen Slash und Straight Raiting zu unterscheiden. Das hat nämlich gravierende Auswirkungen auf die Auswahl der Kurzschlussschutzgeräte. Grundsätzlich gilt, dass die ausgewählten Geräte mindestens diesen Spannungsanforderungen entsprechen müssen.
Bei Slash Rating handelt es sich um ein Netz mit geerdetem Sternpunkt, dem sogenannten „Grounded Wye“ (zum Beispiel 480Y/277 V oder 600Y/347 V). Bei Straight Rating ist ein Netz in Dreieckschaltung vorhanden, das geerdet (Corner Grounded Delta) oder ungeerdet sein kann, oder ein ungeerdetes Sternnetz (zum Beispiel 480 oder 600 V). Indes unterscheidet man zwischen der Spannung, die an der Einspeisung auftritt (Distribution Voltage) und der Spannung am Verbraucher beziehungsweise der Last, die den Spannungsabfall berücksichtigt (Utilization Voltage). Die Norm geht davon aus, dass in einem 480-V-Netz am Verbraucher 460 V anstehen.
Besonderheiten bei der Einspeisung gilt es zu beachten
Gemäß UL 508A und NFPA 79 muss jeder Schaltschrank mit einem Hauptschalter ausgerüstet sein. Zusätzlich ist eine mechanische oder elektrische Türverriegelung erforderlich. Im Gegensatz zur IEC-Welt muss auch bei geöffneter Schaltschranktür durch eine bewusste Handlung ein Einschalten des Hauptschalters möglich sein. Dazu ist eine zusätzliche, überlistbare Handhabe am Schalter erforderlich. Als Hauptschalter können unter anderen Leistungsschalter nach UL 489 oder Lasttrennschalter nach UL 98 oder UL 977 – optional mit Sicherungen – eingesetzt werden. Siemens bietet dazu ein breites Spektrum von approbierten Hauptschaltern der Reihe Sentron an.
Branch und Feeder Circuit entscheiden über Schaltgeräte
Für den Einsatz der Schaltgeräte ist es entscheidend, ob diese im Verteilerstromkreis (Feeder Circuit) oder im Abzweigkreis (Branch Circuit) eingebaut werden sollen (Bild 4). Der Branch Circuit endet, ausgehend von der Last, beim ersten Kurzschlussschutzorgan. Die genaue Grenze bildet dort die Einspeiseklemme des Kurzschlussschutzorgans. Die Einspeiseklemme gehört noch zum Feeder Circuit, alles darunter gehört zum Branch Circuit.
Leitungsdimensionierung ist abhängig vom Verbraucherabzweig
Die Normen fordern für den Feeder Circuit erhöhte Luft- und Kriechstrecken (> 250 V: 1" Luft- und 2" Kriechstrecke) zwischen den Phasen. Leistungsschalter nach UL 489 erfüllen die geforderten Luft- und Kriechstrecken auf der Ein- und Abgangsseite und dürfen demzufolge auch komplett im Feeder Circuit eingesetzt werden. Währenddessen befindet sich bei klassischen Motorabzweigen, bestehend aus Motorschutzschalter nach UL 508 Type E und Schütz, nur die Einspeiseseite des Leistungsschalters im Feeder Circuit. In diesem Fall muss entsprechendes Zubehör (zum Beispiel eine Type E-Einspeiseklemme) zur Erhöhung der Luft- und Kriechstrecken eingesetzt werden.
Die UL 508A unterscheidet zwei Abzweigvarianten, nämlich den Einzelabzweig (Single Motor Circuit) und den Gruppenabzweig (Motor Groups). Je nachdem, für welche Abzweigvariante man sich entscheidet, ergeben sich gravierende Unterschiede bei der Leitungsdimensionierung – insbesondere bei der Auslegung der Motorleitung – und der Dimensionierung eines vorgeordneten Schutzorgans. Um den Projektierungsaufwand so gering wie möglich zu halten, empfiehlt Siemens die Aufbauvariante als Einzelabzweig.
Bei diesen Abzweigen unterscheidet man den „manual self protected combination motor controller nach UL 508 Type E“ (nur ein Motorschutzschalter) und den „Self protected combination motor controller nach UL 508 Type F“ (beinhaltet ein zusätzliches Schütz). Neben der einfachen Komponentenauswahl erspart diese Aufbautechnik ein vorgeordnetes Schutzorgan, denn diese Funktion wird vom Motorschutzschalter übernommen.
Die Zuleitungen des Abzweigs innerhalb und außerhalb des Schaltschranks sind lediglich auf 125 % des Motorvolllaststroms auszulegen. Für diesen Aufbau sind vom Hersteller geprüfte Kombinationen, bestehend aus Leistungsschalter und Schütz, zu verwenden. Dazu hat Siemens eine Vielzahl von Kombinationen im Angebot. Zur einfachen Projektierung stehen für die Baureihe Sirius Auswahltabellen zur Verfügung, die alle in den USA üblichen Spannungsfelder abdecken und je nach Spannung bis zu 65 kA Kurzschlussfestigkeit erfüllen.
Drei Arten von Steuerstromkreis
In den Normen werden drei Arten von Steuerstromkreisen definiert, nämlich Class 1, Class 2 (UL 508A und NFPA 79) und Low-Voltage Limited Energy Circuit (nur UL 508A). Steuerstromkreise der Class 1 können eine direkte Netzzuleitung haben oder auf der Abgangsseite eines Lasttrafos oder eines separaten Steuertrafos/Netzgeräts gebildet werden. Sie sind üblicherweise auf 15 A begrenzt. Die UL 508A limitiert den Class-1-Steuerstromkreis auf 600 V, die NFPA 79 auf 120 V. Werden Steuerstromkreise vor dem Hauptschalter abgegriffen, ist eine eigene Trenneinrichtung vorzusehen.
Dagegen handelt es sich bei Class 2 um Steuerstromkreise mit begrenzter Energie und einer maximalen Spannung von 30 V. Spezielle Komponenten, wie zum Beispiel Sensoren oder Signalgeber, schreiben teilweise diesen Steuerstromkreis vor. Dort können auch ungelistete Geräte und Leitungen verwendet werden. Low-Voltage Limited Energy Circuits sind Steuerstromkreise mit sicherer Kleinspannung von maximal 30 Veff oder 42,4 Vpeak oder DC-Spannung und einer Leistung von maximal 100 VA. Sie erfordern Transformatoren oder Netzgeräte mit galvanischer Trennung oder Batterien. Auch dort können ungelistete Geräte und Leitungen verwendet werden.
Short Circuit Current Rating (SCCR) ist zwingend erforderlich
NEC fordert zwingend die Angabe des Kurzschlusswerts SCCR (Bild 1). Durch dessen Angabe am Schaltschrank soll sichergestellt werden, dass dieser nur an Netze angeschlossen wird, die einen kleineren Kurzschlusswert haben. Bei der Kurzschlussfestigkeit ist nicht nur der Leistungsschalter relevant, sondern die Kurzschlussfestigkeit jedes einzelnen Geräts. Relevante Komponenten im Hauptstromkreis sind zum Beispiel Leistungsschalter, Schütze, Sanftstarter, Überlast-relais, Klemmen, Stromschienen, Steuertrafos und Frequenzumrichter. Strombegrenzende Eigenschaften von Leitungen und anderen Komponenten dürfen nicht berücksichtigt werden. Der Kurzschlusswert SCCR, der von der schwächsten eingesetzten Komponente bestimmt wird, muss auf dem Typschild des Schaltschranks angegeben sein.
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Digitalisierung
Industrie 4.0 verständlich erklärt
Vier Abnahmemöglichkeiten vor der Inbetriebnahme
Ist alles perfekt ausgelegt, konstruiert und umgesetzt, gibt es für den Original Equipment Manufacturer (OEM) vier Abnahmemöglichkeiten, um die Maschine beziehungsweise Anlage in den USA in Betrieb zu nehmen. Jede der vier Abnahmemöglichkeiten besitzt bestimmte Vorteile bezüglich Kostenaufwand, Zeitaufwand und Möglichkeiten zu Änderungen im Hauptstromkreis. Eine entsprechende Empfehlung gibt Aufschluss darüber, welche Methode in welcher Situation ratsam ist. Entweder ist der Schaltschrank mit einem Label eines Nationally Recognized Testing Laboratoriy (NRTL) gelistet (Empfehlung: bei sehr hohen Stückzahlen) oder der Steuerungsbauer lässt sich als Schaltschrankbauer zertifizieren (zum Beispiel nach UL oder Intertek; bei vielen unterschiedlichen Anlagen eventuell sinnvoll). Eine weitere Möglichkeit ist die Vorab-Abnahme durch einen Inspektor eines Nationally Recognized Testing Laboratory (NRTL) (zum Beispiel UL, Intertek, TÜV Süd, TÜV Rheinland) in der eigenen Fertigung (bei etwas weniger guten UL-Kenntnissen) oder eine Field Evaluation beziehungsweise AHJ-Abnahme vor Ort in den USA (bei guten UL-Kenntnissen).
Die dargestellten Aspekte einer normgerechten Konstruktion und Ausführung von elektrischen Maschinen und Anlagen können lediglich als Einführung in die UL-Welt verstanden werden. Zum Selbststudium bietet Siemens ein Online-Tool an, das die Unterschiede von IEC- und UL-Welt beschreibt (http://www.automation.siemens.com/mcms/topics/en/application-consulting/underwriters-laboratories/Documents/interaktive-presentation-UL-IEC_de.pdf). Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, ist eingeladen, die Seminare von Siemens zu besuchen. MM
* Die Autoren sind Mitarbeiter bei der Siemens AG in der Division Digital Factory, Jürgen Werning am Standort in Laatzen und Jürgen Heiker in Hamburg, Martin Berger ist bei der Business Unit Control Products in Fürth beschäftigt
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