Künstliche Intelligenz Standzeiten beim Mikrofräsen in Titanlegierungen optimieren

Von Volker Marquardt |

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Im Rahmen des KInCNC-Projektes wurde im Verbund mit dem KSF (Kompetenzzentrum für spanende Fertigung) der Hochschule Furtwangen die Überwachung von Hartmetall-Mikrofräsprozessen mithilfe von KI-Verfahren untersucht.

Bild 1: Übersicht Versuchsaufbau und Datenquellen. Ein erheblicher Aufwand im KInCNC-Projekt war die qualifizierte Datenaufbereitung.
Bild 1: Übersicht Versuchsaufbau und Datenquellen. Ein erheblicher Aufwand im KInCNC-Projekt war die qualifizierte Datenaufbereitung.
(Bild: Synop Systems UG)

Erstmals wurde am KSF eine CNC-Maschine mit einer Sinumerik-Edge-Datenschnittstelle für ein Forschungsprojekt eingesetzt. Diese Sinumerik-Erweiterung ermöglicht es, dass Maschinendaten mit bis 1 Millisekunde (1 Kilohertz) Sample-Rate zur Verfügung stehen. Zur Entwicklung der KI-Verfahren wurden umfangreiche Versuchsreihen zur Erzeugung von Prozess- und Sensordaten ausgeführt.

Der Aufwand für Datenerzeugung und Datenaufbereitung wird oft unterschätzt. Jede Datenquelle speichert die Daten in unterschiedlichen Formaten, Zeitstempeln und zeitlicher Auflösung. Die resultierenden Prozessdaten wurden zusätzlich mit den Versuchsstammdaten kombiniert. Als Ergebnis stand ein Instant-Analytics Data File mit allen aufbereiteten Informationen für die Datenanalyse und Entwicklung von KI-Algorithmen bereit. Die im Projekt eingesetzte Haas-CNC-Maschine wird über eine Siemens Sinumerik 840D sl gesteuert, welche mit einer sogenannten Sinumerik Edge Box ausgestattet ist. Bestehende Sinumerik-Steuerungen liefern Daten in einer variierenden Datenrate von ca. 20 bis 150 Millisekunden, je nach Performance der CPU. Für die Prozessanalyse ist aber eine höhere Auflösung der Daten und eine äquidistante Datenrate gewünscht. Sinumerik Edge erfüllt diese Anforderungen, in einer einstellbaren Datenfrequenz von 1.000 oder 500 Hertz werden Daten äquidistant aufgezeichnet und auf unterschiedlichen Wegen bereitgestellt.

Im ersten Schritt der Datenanalyse ging es darum, welche der resultierenden Prozessdaten eine gute Aussagekraft bezüglich eines Verschleißes oder eines sich anbahnenden Bruches haben. Im Umfeld des Mikrofräsens in Titanlegierungen bestand die These, dass die Maschinendaten (Strom, Leistung, Drehmoment) keine eindeutigen Signale erzeugen, weil z. B. der Strom für die Spindelführung dem zusätzlichen Strom für den Fräsprozess überlagert ist. Deshalb wurden mithilfe des Synop Analyzers die einzelnen Datenquellen miteinander verglichen.

Bild 2: Das rote Signal stellt das Drehmoment Z-Achse dar. Das Signal in pink entspricht dem Mittelwert der Y-Achsenwerte der Kraftmessplatte.
Bild 2: Das rote Signal stellt das Drehmoment Z-Achse dar. Das Signal in pink entspricht dem Mittelwert der Y-Achsenwerte der Kraftmessplatte.
(Bild: Synop Systems UG)

Sowohl durch eine FFT-Analyse als auch durch den analogen Vergleich der beiden Signale wurde festgestellt, dass das 1-Kilohertz-Drehmoment-Signal der Sinumerik eine bessere Aussagekraft hat als die Daten des Acoustic Emission Sensors (AE) oder der Kraftmessplatte. Für die Entwicklung der KI-Algorithmen wurde somit das Z-Drehmoment als Eingangswert (Feature) verwendet. Je nach Anlage und Prozess kann jedes andere Signal, welches den Prozess signifikant abbildet, verwendet werden. Der große Vorteil ist, dass ohne zusätzliche externe Messmimik ein aussagefähiges Prozessmonitoring möglich wird.

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Zunächst ist es notwendig, ein zyklisch sich wiederholendes Muster in den Drehmomentdaten zu erkennen. Im zweiten Analyseschritt geht es darum, eine Verhaltensveränderung des gefundenen Musters über die Laufzeit oder Stückzahl der Prozesse zu identifizieren und zu bewerten. Synop Systems hat im Rahmen des KInCNC-Projektes einen neuen „Self-Learning-Process-Scoring“-Algorithmus (SLPS4Z) für Zerspanungsprozesse entwickelt und validiert. Mit diesen Algorithmen können Zerspanungsprozesse sowohl asynchron als auch synchron nach mehreren Zielvorgaben analysiert und prognostiziert werden. Asynchron bedeutet, dass Prozesse im Nachhinein analysiert werden, um z. B. Prozessparameter, Werkzeug-Wechselintervalle oder Zusammenhänge zwischen Qualität und Prozess zu verstehen und zu optimieren. Synchron bedeutet, dass eine Überwachungssoftware während des Zerspanungsprozesses mitläuft, die die Prozessstabilität in Echtzeit überwacht und eine Warnung ausgibt, wenn leichte Instabilitäten auftauchen, bzw. einen Alarm gibt und eventuell den Prozess sogar automatisch anhält, wenn ein noch schwereres Problem (z. B. Werkzeugbruch, rapider Verschleiß, Maschinenschaden) in unmittelbarer Zukunft droht.

Bild 3: Schematischer Anlauf des „Self-Learning-Prozess-Scoring“ – aus 1-5 Eingangssignalen werden neue Daten abgeleitet und aus einer Kombination dieser wird ein einzelner Prozess-Stabilitätskennwert null bis eins errechnet.
Bild 3: Schematischer Anlauf des „Self-Learning-Prozess-Scoring“ – aus 1-5 Eingangssignalen werden neue Daten abgeleitet und aus einer Kombination dieser wird ein einzelner Prozess-Stabilitätskennwert null bis eins errechnet.
(Bild: Synop Systems UG)

Im Folgenden wird der Algorithmus anhand der erzeugten KInCNC-Daten in Form einer Linien-Grafik am Beispiel des Werkzeugs 8 (Messreihen 124 bis 129) erläutert. Das zur Überwachung ausgewählte Signal war Torque_Z, d. h. das Drehmoment des Fräswerkzeugs um die vertikale Achse (Z). x-Achse ist die Zeit in Millisekunden (wobei nur Arbeitszeiten der Maschine mitgezählt wurden. Pausen- und Rüstzeiten wurden nicht aufgezeichnet). Es werden sechs Messreihen zu je sechs Fräslinien, nach jeweils sechs Messreihen erfolgte eine Umrüstung, in der das Werkzeug abkühlte und ein neues Werkstück eingespannt wurde. In der 6. Linie der 6. Messreihe ging das Werkzeug zu Bruch.

Bild 4: Datenausschnitt Messreihe 124 bis 129, der Algorithmus erkennt eigenständig ein wiederkehrendes Muster (Fräsline), zählt diese (blaue Linie) und berechnet die zeitliche Länge des Musters, eine Fräslinie dauerte ca. 4,5 Sek.
Bild 4: Datenausschnitt Messreihe 124 bis 129, der Algorithmus erkennt eigenständig ein wiederkehrendes Muster (Fräsline), zählt diese (blaue Linie) und berechnet die zeitliche Länge des Musters, eine Fräslinie dauerte ca. 4,5 Sek.
(Bild: Synop Sytems UG)

Nach Ausführung des SLPS4Z Algorithmus wird die o. g. Messreihe mit dem resultierenden Prozessstabilitäts-Score dargestellt.

Bild 5: rot: analysiertes Signal, schwarz: Prozess-Stabilitätsscore, die Stabilitätserkennung funktioniert wie gewünscht: keine Falschalarme oder Falschwarnungen. Bruch wird durch einen Alarm in Linie 35 korrekt vorhergesagt und durch einen weiteren Alarm in Linie 36 richtig erkannt.
Bild 5: rot: analysiertes Signal, schwarz: Prozess-Stabilitätsscore, die Stabilitätserkennung funktioniert wie gewünscht: keine Falschalarme oder Falschwarnungen. Bruch wird durch einen Alarm in Linie 35 korrekt vorhergesagt und durch einen weiteren Alarm in Linie 36 richtig erkannt.
(Bild: Synop Systems UG)

Der von dem Algorithmus aus allen gesammelten Informationen berechnete kombinierte Prozessstabilitätswert, beschreibt die Stabilität des aktuellen Prozesszyklus im Vergleich zu den zwei Vorzyklen (1.0=extrem stabil, 0.0=extrem instabil). Die zwei horizontalen Linien sind die Schwellenwerte 0.55 (Warnschwelle) und 0.35 (Alarmschwelle).

Fazit: es gibt eine Lernphase von vier bis sechs Zyklen, in der das System zunächst etwas unsicher ist, der Stabilitätswert schwankt zwischen 0.6 und 1.0. Danach gibt es eine Phase, in der das Analysesystem sich stabilisiert hat und keine Probleme sieht. Der Stabilitätswert ist durchgehend oberhalb von 0.8. Mit einer Ausnahme in Linie 17. Hier hat das analysierte Signal einige sehr untypische Zacken (Vibrationen) gemeldet. Vermutlich hat sich hier kurzzeitig am Werkzeug eine Aufbau-Schneide gebildet. Der sich anbahnende Werkzeugbruch durch Verschleiß wird in Linie 35 korrekt vorhergesagt, indem die Stabilitätszahl zum ersten Mal seit der initialen Lernphase die Warnschwelle und gleich auch noch die Alarmschwelle nach unten durchbricht.

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Zusammenfassung:

Der Algorithmus wurden auf allen sinnvollen Versuchsreihen validiert. Das Überwachungssystem funktioniert erstaunlich präzise: Wenn mindestens 5 volle Zyklen zum Einlernen des aktuellen „Normalprozesses“ vorhanden sind, sind mindestens 80 Prozent aller Warnungen und annähernd 100 Prozent aller Alarme berechtigt (und umgekehrt übersieht das System auch keine aufkommenden Werkzeugbrüche).

Sowohl mit den Daten aus dem KinCNC-Projekt als auch mit weiteren Datenzeitreihen aus den Bereichen Schlichten und Bohren konnte dieser automatisierte Überwachungsansatz als praxistauglich validiert werden.

Wesentliche Vorteile gegenüber anderen Verfahren:

  • Es ist kein vorheriger Trainingsprozess der KI durch Fachexperten oder Data Analysten notwendig.
  • Warn- bzw. Alarmmeldungen können beinahe Echtzeit (d. h. spätestens ca. 2 Sekunden nach dem Eintreffen der Prozessdaten) geliefert werden.
  • Nur ein mitlaufendes Zeitfenster an Daten des laufenden Produktionsprozesses wird benötigt.
  • Auf externe Messetechnik kann verzichtet werden.

Idealerweise sind hochfrequente, äquidistante Daten die Basis für die Prozessüberwachung. In anderen Versuchen wurden auch verwendbare Erkenntnisse mit Daten im Bereich von 20 bis 100 Millisekunden erreicht. Mit zunehmender Performance der eingesetzten CPUs in den CNC werden immer mehr Hersteller hochfrequenten Daten liefern, womit sich neue Use-Cases umsetzen lassen.

Das KSF hat im Rahmen des Projektes ein alternatives KI-Modell getestet. Dieses verfolgte einen anderen Ansatz.

Quelle: KInCNC-Abschlussbericht Intern Synop Systems UG (haftungsbeschränkt)

* Volker Marquardt ist Mitgründer der Synop Systems UG

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