Bionik Wie die Bionik-Objekte bei Festo entstehen

Von Ute Drescher |

Mit teilweise spektakulären Bionik-Objekten erreicht Festo viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Ihre Entwicklung treibt ein vergleichsweise kleines Team im Festo Bionic Lab voran – ein Blick hinter die Kulissen mit Entwicklungsleiterin Karoline von Häfen.

Anbieter zum Thema

Rainer Mugrauer führt vor, wie der Flughund in die Luft geht.
Rainer Mugrauer führt vor, wie der Flughund in die Luft geht.
(Bild: Stefanie Michel)

Nahezu jeder Besucher der Hannover Messe wird sie kennen, die spektakulären Shows, mit denen das Automatisierungsunternehmen Festo dem Publikum jedes Jahr seine Bionik-Objekte auf der weltgrößten Industriemesse präsentiert. Im Jahr 2018 etwa war es der Flying Fox, der nach dem Vorbild des Flughunds über den Köpfen der begeisterten Zuschauer seine Runden drehte. Mit Hilfe einer integrierten On-Board-Elektronik und einem externen Motion-Tracking-System bewegt sich das ultraleichte Flugobjekt teilautonom in einem abgesteckten Luftraum. Trotz seiner Spannweite von 228 cm und einer Körperlänge von 87 cm wiegt der künstliche Flughund nur 580 g.

Für die Zukunft der Industrieautomatisierung aber sicher relevanter als der Flying Fox ist der Bionic Mobile Assistant. Er ist ein vielversprechendes Konzept für ein pneumatisches Robotersystem, das sich autark im Raum bewegt und Gegenstände erkennen, adaptiv greifen und gemeinsam mit dem Menschen bearbeiten kann.

Inspiriert von der menschlichen Hand

Das gesamte System, entwickelt in Kooperation mit der ETH Zürich, ist modular aufgebaut und besteht aus drei Subsystemen: einem mobilen Roboter, einem elektrischen Roboterarm und der Bionic Soft Hand 2.0. Dieser pneumatische Greifer ist von der menschlichen Hand inspiriert; eine erste Version stellte Festo auf der Hannover Messe 2019 vor.

Die Kernfrage, der die Entwickler und Ingenieure in Festos Bioniklabor nachgehen, ist dabei grundsätzlich immer: „Welche faszinierenden Vorbilder in der Natur finden wir und was können wir von ihnen lernen“, erklärt Karoline von Häfen. Die Designerin leitet das Bionik-Team in Esslingen, das sich aus Vertretern sehr unterschiedlicher Disziplinen zusammensetzt. „Wir haben Designer, Entwickler, Mechatroniker, Softwareentwickler, Elektronikentwickler oder auch Biologen, und zwar angefangen bei Berufsanfängern bis hin zu ‚alten Hasen‘“, zählt von Häfen auf.

Einfach und schnell starten

Gemeinsam entwickeln und bewerten sie unterschiedliche Ideen, die die Automatisierung voranbringen könnten. „Darum wird im Team wirklich gerungen“, berichtet von Häfen. Doch die Designerin hält sich nur ungern zu lange mit der Ideenfindung auf. Stattdessen hält sie es für wichtig, „einfach und schnell zu starten, aus Büroklammern, Streichhölzern und Notizzetteln etwas zu bauen“ und diese ersten Ideen dann in kurzen Iterationen im Team zu diskutieren, zu verwerfen, weiterzuentwickeln und reifen zu lassen. „Nur so werden sie besser“, sagt Karoline von Häfen. Wichtig sei vor allem, die verschiedenen Disziplinen immer wieder zusammenzubringen. „Systemintegration betreiben wir nicht erst ganz am Schluss unserer Entwicklung, sondern ständig während der Entwicklungsphase“.

Der Austausch beschränkt sich allerdings nicht allein auf das Team. „Wir präsentieren regelmäßig unseren Projektfortschritt“, erzählt von Häfen. Das geschieht nicht mit Hilfe von Powerpoint-Präsentationen, sondern viel eher mit Führungen durchs Labor, sodass die Gäste die Entwicklungsobjekte begreifen können. „Besonders wichtig sind uns kritische Fragen“, sagt von Häfen. „Die bringen uns voran.“

Nicht jede Idee führt zum Erfolg

Da nicht jede Idee gleich zum Erfolg führt, verfolgt das Bionik-Team in der Regel mehrere Ansätze, die nicht nur eine Relevanz für die Automatisierung haben sollten, sondern im Idealfall auch mehrere Entwicklungsziele miteinander verbinden. Von Häfen erklärt das am Beispiel der Soft Hand.

Damit die Bionic Soft Hand 2.0 die Bewegungen der menschlichen Hand naturgetreu ausführen kann, sind auf engstem Raum kleinbauende Ventiltechnik, Sensorik, Elektronik und mechanische Komponenten integriert. Die Finger und der opponierbare Daumen bestehen aus flexiblen Balgstrukturen mit Luftkammern, umhüllt von einem festen und zugleich nachgiebigen Textilgestrick. Die Ansteuerung der pneumatischen Finger erfolgt über eine kompakte Ventilinsel mit Piezoventilen, die direkt an der Hand angebracht ist.

Die Hand trägt einen Handschuh mit taktilen Kraftsensoren an den Fingerkuppen, der Handfläche und den Außenseiten der Roboterhand. So kann sie fühlen, wie hart das Greifgut ist und wie gut es in der Hand liegt, und ihre Greifkraft – genau wie wir Menschen – an den jeweiligen Gegenstand anpassen.

Handschuh verleiht der Hand „Gefühl“

Zusätzlich sitzt am Inneren des Handgelenks eine Tiefenkamera zur visuellen Objekterfassung. „Wir können mit der Soft Hand also unter anderem unsere Ideen zur Objekterkennung, zur Regelungstechnik oder zur Ventiltechnik zeigen“, macht Karoline von Häfen deutlich.

Bei den Ergebnissen aus dem Bioniklabor handelt es sich aber nie um zu Ende entwickelte Serienprodukte. „Sie genügen nie den Anforderungen an ein freigegebenes, verkaufsfähiges Produkt“, betont von Häfen. Es ginge vielmehr darum, neue Möglichkeiten zu zeigen, ohne den vollständigen Lösungsweg zu kennen. „Wir trampeln einen schmalen Pfad, der gerade so zu erkennen ist“, macht von Häfen klar. „Es dauert, bis daraus ein gepflasterter Fußweg entsteht, der auch im Winter geräumt werden kann.“

Mit dem Bionic Mobile Assistant und seinen Subsystemen hat das Team um von Häfen viele Fragen zur zukünftigen Zusammenarbeit von Mensch und Roboter beantwortet. Nun muss die Umsetzung.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf unserem Partnerportal www.konstruktionspraxis.de

(ID:47692574)