Servicerobotik Die Servicerobotik legt rekordverdächtig zu
Der Robotermarkt boomt – und ganz vorn dabei: die Servicerobotik. Schlüsseltechnologien, Märkte und wirtschaftliche Anwendungen wurden unlängst im Forum „Industrielle Servicerobotik“ am Fraunhofer-IPA diskutiert.
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Das Forum „Industrielle Servicerobotik“ am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart stieß Mitte Oktober bei Fach- und Führungskräften aus der Automatisierungsbranche und von Dienstleistungsunternehmen auf großes Interesse. Eine erwartbare Entwicklung, zeigen doch die Kurven bei der Neuinstallation von Robotern weltweit aktuell nach oben: Martin Hägele, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme am Fraunhofer-IPA, präsentierte die aktuellen Marktzahlen für Industrie- und Serviceroboter, die die International Federation of Robotics (IFR) jährlich veröffentlicht.
Markt für Servicerobotik wächst
Demnach wuchs der Umsatz für industrielle Serviceroboter im vergangenen Jahr weltweit um 25 %. Fast 60.000 Stück wurden 2016 auf der ganzen Welt verkauft. Sie finden in vielen verschiedenen gewerblichen Einsatzbereichen Verwendung: als fahrerloses Transportfahrzeug in der Logistik, als Melkroboter in der Landwirtschaft, als mobile Auskunft im Einzelhandel oder auch in der Chirurgie.
Von der Landwirtschaft abgesehen wird für professionell genutzte Serviceroboter ein durchschnittlicher Anstieg zwischen 20 und 25 % pro Jahr für den Zeitraum 2018 bis 2020 erwartet. Erfreulich ist das vor allem für die europäische Wirtschaft, denn dort haben 290 der weltweit etwa 700 Hersteller von Servicerobotern – hauptsächlich sind es kleine und mittelständische Unternehmen – ihren Sitz. Zusammen liefern sie knapp 90 % aller Serviceroboter, die weltweit in Landwirtschaft, Bau und Konstruktion Anwendung finden.
Besonders beliebt sind nach wie vor Serviceroboter für den häuslichen Gebrauch. Darunter fallen Saug-, Wisch- oder Rasenmähroboter, die fast zwei Drittel aller privat genutzten Serviceroboter ausmachen. Zukünftige Produktvisionen zielen auf Haushaltsroboter mit höherem Entwicklungsstand, verbesserter Leistungsfähigkeit und größerem Nutzwert, wie etwa Assistenzroboter zur Unterstützung älterer Menschen, für Haushaltsarbeiten und zur Unterhaltung.
Der Mensch bleibt unersetzlich
Grundsätzlich kann sich Dr. Nikolaus Blümlein, Senior Technology Consultant bei einem der größten deutschen Einzelhändler, die Nutzung von Robotersystemen im Einzelhandel vorstellen. Großes Potenzial sieht er vor allem beim Verräumen der Ware – eine körperlich anstrengende Tätigkeit, die viel Arbeitszeit bindet. Es gebe in der Forschung zwar Bemühungen, einen Verräumroboter zu entwickeln, aber bisher noch keine marktreife Technologie zu akzeptablen Kosten. Auch bei der Ladenbildpflege sieht Blümlein in Teilen Möglichkeiten für den Robotereinsatz: So könnten Serviceroboter den Boden reinigen und in begrenztem Maße Artikel in den Regalen erkennen. Sobald es aber darum gehe, die Ware ansprechend in den Regalen zu positionieren und das Geschäft zu dekorieren, sei die menschliche Kreativität und Flexibilität bislang unersetzlich. Blümleins Fazit: Trotz aktuell großer technischer Fortschritte stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis von Servicerobotern in vielen Fällen noch nicht. Dennoch bestehen für Roboteranwendungen im Handel interessante Zukunftsperspektiven.
Dass mobile Serviceroboter technisch in der Lage sind, Waren aus einem Supermarktregal zu nehmen, demonstriert Richard Bormann mit dem rob@work. Das fahrerlose Transportfahrzeug mit Manipulator, am Fraunhofer-IPA entwickelt, ist in der Lage, unter vielen, beliebig angeordneten Produkten das gewünschte zu erkennen, zu greifen und dorthin zu bringen, wo es gebraucht wird. Ähnlich wie Menschen findet der rob@work nur, was in einer Objektdatenbank bereits gespeichert ist. Neue Produkte scannt er deshalb über Sensoren und Kameras ab, extrahiert Merkmalspunkte und führt die Einzelansichten zu einem 3D-Modell zusammen. Mit diesen Daten ist er in der Lage, dasselbe Produkt später verlässlich wiederzuerkennen. Der entsprechende Algorithmus ist so robust, dass der rob@work das geforderte Produkt sogar dann findet, wenn es teilweise verdeckt ist, die Ware ungeordnet herumliegt oder ungünstige Lichtverhältnisse herrschen. Mit diesen Fähigkeiten könnte er zukünftig in Lagern kommissionieren, Inventuren durchführen oder falsch platzierte Ware in Supermarktregalen aufspüren.
Einfachere Programmierung
Roboter arbeiten präzise und rund um die Uhr. Aber intuitiv für den Laien zu programmieren sind sie nicht. Die gängigen Robotersprachen sind für den Laien zu kompliziert, sodass für die Programmierung von Montageaufgaben ein Fachmann nötig ist. Ein solcher Aufwand lohnt nur bei großen Stückzahlen oder hoher Auslastung. Mit diesem Sachverhalt beschäftigt sich Lorenz Halt am Fraunhofer-IPA. Seine Mission: die Programmierung zu vereinfachen.
Damit Montageroboter auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen profitabel arbeiten, haben Halt und andere Experten vom Fraunhofer-IPA die Software „pitasc“ entwickelt. Sie ermöglicht es Menschen ohne spezielle Vorkenntnisse, Robotersysteme in kurzer Zeit für neue Montageaufgaben zu rüsten. Pitasc liefert fertige Programmbausteine, die wie Makros nur noch zusammengesetzt werden müssen. Außerdem verleiht die Software Montagerobotern neue Fähigkeiten: Sie können jetzt durch die einfache Einbindung von Sensorinformationen anspruchsvolle Fügeprozesse ausführen.
Cloud-basierte Navigation
Bessere Navigation mit weniger Hardware – so lässt sich das Forschungs- und Entwicklungsgebiet von Felipe Garcia Lopez vom Fraunhofer-IPA zusammenfassen. Sein Ansatz: Alle fahrerlosen Transportfahrzeuge, die in einer Produktionshalle zum Einsatz kommen, sind über die Cloud miteinander vernetzt. Dieser virtuelle, zentrale Cloud-Service kann für jeden einzelnen mobilen Serviceroboter rechenintensive Navigationsalgorithmen ausführen. Stationäre Laserscanner in der Werkshalle und die Sensoren jedes einzelnen Roboters liefern in Echtzeit die Daten, die für die Pfadplanung und -optimierung nötig sind. So kann ein fahrerloses Transportfahrzeug in einer dynamischen Umgebung spontan jedem Hindernis ausweichen, sogar dann, wenn es mit den Sensoren, die dafür nötig sind, selbst gar nicht ausgestattet ist.
Damit entfallen physikalische Leitlinien auf dem Boden der Werkshalle und andere starre Installationen, die bisher für die Navigation nötig waren, zugleich aber die Flexibilität von Produktionsanlagen einschränkten. Die Cloud-basierte Navigation erlaubt also wandlungsfähige Werkshallen und liefert gleichzeitig in Echtzeit Daten, mit denen Produktionsplaner digitale Schatten erzeugen können.
Wie zuverlässig die Cloud-basierte Navigation bereits funktioniert, demonstriert Garcia Lopez im Applikationszentrum Industrie 4.0 am Fraunhofer-IPA. Nach Lust und Laune stellt er sich dort sowohl den physisch vorhandenen als auch den simulierten Servicerobotern in den Weg – und sie umfahren ihn mit gebührendem Sicherheitsabstand.
Individualisierte Produkte und wandlungsfähige Montagehallen – dahin geht der Trend in der Industrie. Zusammen mit Bär Automation hat das Fraunhofer-IPA deshalb ein omnidirektional bewegliches fahrerloses Transportsystem entwickelt, das in einer dynamischen Umgebung millimetergenau frei navigiert. Es kommt in der R8-Manufaktur von Audi zum Einsatz, befördert Karosserien von der einen zur anderen Montagestation und ersetzt so die Fließbänder, die keine flexible Produktion zulassen. Dank leistungsfähiger, schnellladender Energiespeicher ist das fahrerlose Transportsystem rund um die Uhr im
Einsatz.
Zwischen zwei Welten
Die Produktsicherheit ist in Normen, Richtlinien und Gesetzen geregelt. Aber allgemein gültige Vorschriften gebe es bisher nur für fahrerlose Transportfahrzeuge und für klassische Industrieroboter, die an einem festen Ort immer dieselbe Aufgabe erledigen, berichtet Theo Jacobs, der sich am Fraunhofer-IPA mit der Sicherheit von Robotersystemen beschäftigt. Industrielle Serviceroboter – also fahrerlose Transportfahrzeuge mit Manipulator, die eng mit Menschen zusammenarbeiten – bewegen sich hingegen zwischen zwei Welten. Allgemein gültige Normen gibt es für sie nicht, weil sie so viele verschiedene Aufgaben wahrnehmen.
Herstellern von mobilen industriellen Servicerobotern bleibe also derzeit nichts anderes übrig, als die Normen für fahrerlose Transportfahrzeuge und Manipulatoren miteinander zu kombinieren und im Zweifelsfall die strengere Vorschrift anzuwenden. Als gelungenes Beispiel dafür führt Jacobs einen mobilen Serviceroboter an, der in einem abgesperrten Bereich autonom Spülmaschinentests durchführt. Wird er an neue Aufgaben herangeführt, ist die mobile Plattform abgeschaltet und der Manipulator bewegt sich nur, solange ein Mitarbeiter den Zustimmschalter gedrückt hält.
Mit der Sicherheit von Mensch-Roboter-Kooperationen hat sich auch Dr. Hansruedi Früh, Gründer und Geschäftsführer der F&P Personal Robotics AG, beschäftigt. Sein Unternehmen im schweizerischen Glattbrugg entwickelt kollaborative Serviceroboter, die in der Industrie und im Gesundheitswesen zum Einsatz kommen. Diese P-Robs sollen Menschen mit Behinderungen bei der Arbeit unterstützen und dem Pflegepersonal in Krankenhäusern assistieren. Frühs Ansatz in Sachen Sicherheit: Der P-Rob wird mit sehr niedriger Spannung betrieben und ist mit einer weichen Lederhülle überzogen. Unter dieser Haut befinden sich Sensoren, die auf Berührungen reagieren und so die persönliche Kommunikation zwischen Mensch und Roboter unterstützen.
* Hannes Weik M. A. ist Redakteur mit dem Themengebiet Robotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme, in 70569 Stuttgart, Tel. (07 11) 9 70 38 74, hannes.weik@ipa.fraunhofer.de
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