Zerspanung Fräskonzept spart eine ganze Bearbeitungsschicht
Das Siemens-Werk in Erfurt ist Kompetenzzentrum für luftgekühlte Generatoren. Die Wellen darin sind bis zu 65 t schwer und 250.000 Euro teuer – Experimente verbieten sich folglich. Ein neu entwickeltes Konzept für das Fräsen der Stromzuführungstaschen spart eine komplette Bearbeitungsschicht und funktioniert mit nur zwei Standardwerkzeugen.
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Als Kompetenzzentrum war für das Erfurter Generatorenwerk klar, dass die Bearbeitungszeit verkürzt werden musste. Das stellt eine echte Herausforderung für jeden Hersteller von Präzisionswerkzeugen dar. Die Generatorwellen, Rotoren genannt, bringen bis zu 65 t auf die Waage, sind bis zu 16 m lang und haben Durchmesser von mehr als 1 m. Trotzdem drehen sie sich später mit 3000 und 3600 min-1, um die geforderte Frequenz von 50 oder 60 Hz zu erreichen. Sie benötigen an schwer zugänglicher Stelle jeweils zwei um 180° versetzte Stromzuführungstaschen, die gefräst werden.
Fehler lassen sich nicht reparieren, dadurch werden die Wellen an dieser kritischen Stelle geschwächt. Gibt es Ausschuss? „Nein, den darf es bei Stückkosten von bis zu 250.000 Euro nicht geben“, erklärt kategorisch Frank Sänger, CNC-Programmierer im Industrial Engineering bei Siemens Power Generation. Länger als eine komplette Arbeitsschicht dauerte es in der Vergangenheit, die beiden Stromzuführungstaschen in die Wellen einzubringen. Zum Vergleich: Die gesamte Fräsbearbeitung einer solchen Welle ist mit etwa acht Tagen im Dreischichtbetrieb angesetzt. Dabei beträgt das Zerspanungsvolumen der Taschen nur jeweils etwa 350 cm³ und die Form ist auch nicht sehr komplex.
Auskraglänge führte zum Rattern
Die Herausforderungen lagen zum einen bei den Generatorwellen, die aus zähem und entsprechend schwer zu bearbeitendem Nickel-Chrom-Molybdän-Stahl bestehen. Zum anderen sitzen die Taschen an einem Durchmesserabsatz auf dem kleineren Durchmesser. Die Folge: „Um die Taschen in die Wellen einzubringen, brauchen wir eine Auskraglänge des Werkzeugs von 4,5 × D, also mehr als dem Vierfachen des Werkzeugdurchmessers.“ Damit sei, so Frank Sänger weiter, das Rattern praktisch vorprogrammiert. „Wir hatten immer wieder Probleme mit der Oberflächenqualität und konnten beim Schlichten nur mit sehr geringer Zustellung fahren.“
Drei Bearbeitungsschritte waren nötig, um die Taschen herzustellen: Ein High-Feed-Fräser übernahm das Schruppen. Dabei blieb eine Menge Material stehen, das zunächst mit einem Rundplattenfräser entfernt werden musste, bevor derselbe Fräser die Endkontur schlichtete. „Teilweise brauchten wir sogar vier Bearbeitungsschritte, deshalb war die Laufzeit zu lang“, beschreibt Sänger die Ausgangssituation.
Großkunden fordern immer häufiger Komplettlösungen, um ein konstant effizientes Arbeiten zu gewährleisten. Das war auch bei Siemens der Fall. Der Kunde wünscht die komplette Ausarbeitung für einen ganz bestimmten Anwendungsfall. Er möchte nicht nur ein Werkzeug haben, sondern Kollisionsbetrachtung, Schnittdaten und Zeitenberechnung, damit er beurteilen kann, ob die Maßnahme wirtschaftlich sinnvoll ist. So bat auch Siemens mehrere Werkzeuglieferanten um Konzeptvorschläge. Alle, auch die erste Walter-Lösung, setzten auf Sonderwerkzeuge, um der ungewöhnlichen Bearbeitungssituation Herr zu werden. „Das war uns nicht recht, denn Sonderwerkzeuge sind nicht nur teurer, sondern haben auch längere Lieferzeiten“, war Sänger zunächst enttäuscht.
Igelfräser konnte nicht überzeugen
Für Walter ist es wichtig seinen Kunden aktiv zur Seite zu stehen. Die Mitarbeiter von Walter sind gut ausgebildete Kräfte, die sich im Detail mit den praktischen Prozessen auskennen. Alexander Deck, Anwendungstechniker bei Walter, versuchte die Aufgabe mit den Standardwerkzeugen zuerst mit einem Igelfräser zu lösen. Tests waren jedoch nicht überzeugend. Der Gedanke, einen Heli-Fräser mit eingelöteten Schneiden einzusetzen, wurde aufgrund der relativ empfindlichen Schneiden auch verworfen.
Deck kam eine Idee: „Warum nicht das Eckfrässystem F4042 benutzen und mit einer Wendeplatte mit Eckenradius den größeren Radius in den Ecken der Taschen herstellen?“ Vorteil: Die Wendeplatten mit 4 mm Eckenradius statt Rundplatten mit 10 mm Radius benötigen viel weniger Druck und erzeugen entsprechend weniger Schwingungen und damit Rattermarken. Das erforderte allerdings eine spezielle CNC-Programmierung. Sollte das System funktionieren, musste es also eine Paketlösung aus Werkzeug und CNC-Programm sein.
Die Bearbeitungsstrategie basiert auf dem sogenannten Radius-Interpolationsfräsen, einem Punkt-zu-Punkt-Verfahren, bei dem Kreise durch interpolierte gerade Wegstrecken entstehen. Der Programmieraufwand von gut einer Woche lohnte sich. Seit März läuft das System aus Werkzeug und Programm bestens, erste Erfahrungen mit der Standzeit sind sehr gut, wie Frank Sänger bestätigt: „Neben der drastisch reduzierten Bearbeitungszeit verwenden wir die Wendeschneidplatten jetzt statt für eine Welle für zwei Wellen, die Standzeit hat sich in etwa verdoppelt.“ Eingesetzt wird das System derzeit für etwa 35 Wellen pro Jahr. Aber schon jetzt steht fest: „Das Programm ist so variabel, dass es für alle Stromzuführungstaschen und Radien verwendet werden kann. Wir werden das System also sukzessive auf die anderen Maschinen übertragen und letztlich alle 120 bis 140 Wellen pro Jahr so fertigen.“
Oberflächen auf Anhieb ohne Makel
Siemens legt nicht nur Wert auf Schnelligkeit, sondern auch auf absolut sichere Prozesse. Auch in dieser Disziplin überzeugt der Walter-Prozess. Die Oberflächen sind auf Anhieb makellos. „Der Prozess ist weitgehend ausgereizt, eine weitere Optimierung würde an anderer Stelle Nachteile bringen“, glaubt Sänger. MM
* Michael Hartsch ist Key Account Manager bei der Walter AG in 72072 Tübingen, Tel. (0 70 71) 7 01-0, info@walter-tools.com
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