Biegetechnik Neue Materialien mit weniger Ausschuss biegen
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Die Bearbeitung von neuen Materialien mit bestehenden Fertigungsmethoden erweist sich oft als schwierig. An der Technischen Universität München (TUM) hat man sich einer solchen Problemstellung in der Biegetechnik angenommen. Eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung spielt neben einer leistungsstarken Freiformbiegemaschine das innovative IoT- Steuerungsmodul DAU des CNC-Spezialisten Mitsubishi Electric.

Die TUM gehört zu den drei Exzellenz-Universitäten in Deutschland. Zudem liegt sie im europäischen Ranking ganz vorn. Wie an Universitäten üblich, wird auch an der TUM nicht nur gelehrt und geforscht, sondern auch innovativ entwickelt, oft in Zusammenarbeit mit Unternehmen oder wissenschaftlichen Einrichtungen. Diese Forschungen dienen der Technologieweiterentwicklung für neue Anwendungen und Branchen.
Am Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen von Prof. Dr.-Ing Wolfram Volk wird derzeit an Projekten geforscht, die für die Umformtechnik, genauer die Biegetechnik, entscheidende Weiterentwicklungen bringen können. Die Doktoranden Lorenzo Scandola M.Sc., Matthias Werner, M.Sc. und Daniel Maier, M.Sc. untersuchen in eigenständigen Forschungsprogrammen jeweils Teilaspekte des Biegeprozesses.
„Know-how entsteht am Lehrstuhl auch durch solche Projekte“, sagt Matthias Werner. „Wir bewegen uns mit unseren Projekten im Bereich der angewandten Forschung, die direkt der Industrie zu Gute kommt und den Hauptzweck hat, neues Wissen in einem speziellen Wissensgebiet zu generieren, das ein spezielles technisches Problem lösen hilft.“
Konkret erhoffen wir uns Erkenntnisse darüber, wie neue Materialien gebogen werden können, die bisher aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften nicht oder nur schwer gebogen werden konnten wie neuartige Kunststoffe oder Verbundwerkstoffe. Ansonsten bliebe wie bisher die Trial-and-Error-Methode, die zeit- und kostenintensiv ist. Und viel Ausschuss produziert. Insbesondere für die Automobilindustrie wäre eine Kostenersparnis sehr interessant.
Unweit des TUM-Campus‘ in Garching bei München liegt die Versuchswerkstätte, in der diverse Maschinen für praxisbezogene Tests zur Verfügung stehen, seit 2019 auch eine Freiformbiegemaschine der Firma Neu. Die J. Neu GmbH Maschinenbau & Handel ist Hersteller von Biegemaschinen, Langbettfräsmaschinen und Sägetechnik und beliefert unter anderem Unternehmen in der Automobil- und allgemeinen Fahrzeugindustrie, im Maschinen- und Apparatebau sowie im Stahl- und Metallbau.
Das Unternehmen hatte auf eine Anfrage der TUM positiv reagiert und die 6-Achs-Freiformbiegemaschine TYP NSB 090-S für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung gestellt. Die Maschine mit hoher Biegeleistung und einer unbegrenzten Biegerichtung (360 Grad) wurde für das Biegen von Rohren und Profilen aus Stahl, Edelstahl, Aluminium und anderen Materialien mit Durchmesser 6 bis 90 Millimeter konzipiert. Sie verfügt über 6 steuerbare Achsen und eine vollsynchronisierte CNC-Steuerung von Mitsubishi Electric, wodurch eine nahezu unbegrenzte Freiheit für die Fertigung von Biegebauteilen besteht.
Das Interesse von Professor Dr.-Ing. Wolfram Volk an der Freiformbiegetechnologie, kam für die Neu GmbH unerwartet, aber nicht unerwünscht. Im Gegenteil.
Wir sind selbst sehr innovativ. Wir glauben aber, dass die TUM parallel zu unseren eigenen Forschungen neue Ansätze finden kann und die Biegetechnik dadurch ein ganzes Stück voranbringen könnte. Wir sind jedenfalls gespannt auf die Ergebnisse der Untersuchungen.
Bei Daniel Maiers Thema „Eigenschaftsgeregelte Prozessgestaltung des Freiformbiegens unter Berücksichtigung der Halbzeugeigenschaften“ geht es um die Implementierung einer Softsensor-basierten Regelstruktur, die Schwankungen in den mechanischen Eigenschaften der Halbzeuge misst und im Umformprozess darauf reagiert. Es geht im Wesentlichen darum, Abweichungen, die aufgrund von Materialschwankungen entstehen, durch Inline-Mess und Regeltechnik zu kompensieren. Bisher ist eine solche Regelung nicht möglich. Durch Kooperationen mit der Regelungstechnik und Mitsubishi Electric soll sich das ändern.
Es stellte sich schnell heraus, dass die gewünschte Prozessregelung mit der im Standard an der Maschine installierten Steuerungsgeneration nicht machbar war. Diese verfügt bis dato nicht über die Möglichkeit, in Echtzeit in den Prozess einzugreifen. „Wir haben Anfang 2020 bei Mitsubishi Electric um Unterstützung für diesen Prozess gebeten“ sagt Daniel Maier. „Und es stellte sich heraus, dass dort gerade an einer solchen Einheit gearbeitet wurde, die man für die Regelstruktur verwenden kann.“ Den Kontakt zu den Softwareentwicklern in der Zentrale in Ratingen stellte Vertriebsingenieurin Claudia Wonneberg her, die in der Mitsubishi Electric Vertriebsniederlassung Süddeutschland tätig ist.
Bei Mitsubishi Electric wusste man sofort, dass das neu entwickelte Data Acquisition Unit-Modul, kurz DAU, für das TUM-Projekt ideal geeignet wäre. Der angefragte Einsatzfall war für Christoph Krekels, Spezialist für CNC-Applikationen bei Mitsubishi Electric, sehr interessant: „Das ist ein hochkomplexes Thema und wir sehen uns hier definitiv als Vorreiter. Wir haben die DAU entwickelt, weil wir langfristig einen Bedarf dafür gesehen haben.“
Eineinhalb Monate dauerte es, die DAU in der Biegemaschine zu implementieren und in den Regelkreis aufzunehmen. Das definierte Ziel ist, Positionsdaten in Echtzeit auszulesen und zu verarbeiten und daraus neue Prozessanforderungen zu erstellen.
Eine Optimierung durch Feedback und eine adaptive Kontrolle wären ein echter Mehrwert für das Freiformbiegen. Auch andere Branchen können die Neuentwicklung nachher für sich nutzbar machen.
Die DAU kann verschiedene Antriebsdaten (Position, Geschwindigkeit, Last etc.), externe Sensordaten und RIO (Remote Input/Output) mit hoher Geschwindigkeit und garantierter Zeitsynchronisation zwischen den Daten abtasten, erfassen und sammeln. Die gesammelten Daten können z. B. zur Überwachung des Maschinenbetriebs, zur Diagnose der Bearbeitung oder zur vorbeugenden Wartung genutzt werden.
„Die TUM forscht daran, den Biegeprozess mithilfe von externen Sensoren zu optimieren, die das Materialverhalten der Werkstücke während des Biegevorgangs analysieren“, erläutert Christoph Krekels. Die DAU bietet hier den Vorteil, dass alle Daten permanent synchronisiert werden. Besonders wichtig ist dabei die Synchronisation der Positionsdaten mit den Sensordaten, um einen genauen Bereich am Rohr identifizieren zu können, der untersucht werden soll. Ist dort zum Beispiel das Material nach der Biegung zu „dünn“ muss der Prozess optimiert werden.“ Auch ein Reagieren auf Chargenschwankungen soll dann möglich sein. Ziel ist es, die Produktion fehlerhafter oder qualitativ schlechter Werkstücke in der Serie zu reduzieren und damit die Produktivität der Maschine zu verbessern.
Die DAU kann auch zur Werkzeugüberwachung in einem Bearbeitungsprozess eingesetzt werden. Wenn ein Werkzeug das Werkstück berührt bzw. bearbeitet, entstehen Vibrationen. Diese werden über angeschlossene Sensoren (z. B. Beschleunigungssensor) am analogen Eingang (AI Input der DAU) erfasst. Anomalien können detektiert werden, die den Verschleiß des Werkzeugs beurteilen. Somit kann das Werkzeug rechtzeitig gewechselt werden, um die Qualität der Bearbeitung des Werkstücks zu garantieren.
Die neuen Interfaces sind eine Sensation. Auch wenn das Projekt noch ganz am Anfang steht, können wir doch schon sagen, dass die ersten Ergebnisse sehr vielversprechend sind.
Bis Ende 2023 soll die zweite Phase des Projekts beendet sein. Dann muss der Regelkreis laufen, wenn auch noch nicht in Echtzeit. Die dritte Phase, die Überführung der Theorie in die industrielle Praxis, soll bis 2025 abgeschlossen sein. Die Projektbeteiligten sind zuversichtlich, dass der Zeitplan eingehalten werden kann. Dass die Zusammenarbeit gewinnbringend für alle Beteiligten sein wird, darin ist man sich schon heute einig.
* Andrea Jäger ist freie Autorin
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