Aus der Praxis 3D-Drucken für Luxusautos, eigene Produkte und gesunde Mitarbeiter
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Additive Fertigung ist mehr als Bauteile für die Luftfahrt, die Bahn und den Rennsport. Continental druckt auch Blister, Halterungen und Kantenschutz.

- Die Abteilung muss sich selbst tragen und nimmt Aufträge von internen und externen Kunden an.
- Der Prototyp, der besser war als das Original.
- Ein Unfall war ausschlaggebend für ein neues additives Produkt.
Hier wird die technische Ausstattung für Luxusmarken wie Ferrari und Lamborghini entwickelt und gefertigt. 170 Personen arbeiten im hessischen Karben bei Continental Engineering Services, 16 davon bei Adam. Adam steht für Additive Design & Manufacturing. Das junge Team ist „keine just-for-fun-Abteilung, wir müssen Umsatz machen”, stellt Stefan Kammann klar. Er ist Head of Business Center Samples & Mechanical Solutions bei Product Solutions, eine Abteilung von Continental Engineering Services zu der auch Adam gehört. Gerade zu Beginn bedeutete der Anspruch auf eigenen Umsatz, dass intern die Werbetrommel zu rühren, und den Kollegen zu zeigen, dass sich durch Additive Fertigung konventionelle Bauteile verbessern lassen oder ihre Entwicklung und Fertigung beschleunigt werden. „Inzwischen kommen die Kollegen selbst auf Ideen, was wir für sie drucken könnten“, bemerkt Kammann zufrieden.
Besonders, wenn es um den Muster- oder Prototypenbau geht, hat sich Adam inzwischen zur festen Größe bei Continental entwickelt. Dafür bekommen sie CAD-Daten von internen und externen Kunden zugeschickt, diese modifizieren sie passend für die Additive Fertigung und los geht’s. Der Prototypenbau ist in der Branche ein altes Geschäftsfeld, aber trotzdem geschehen noch unvorhergesehen Dinge. So zum Beispiel mit dem Bremssattel. Das Musterteil sollte sich genauso verhalten wie das Original-Gussteil. Das hat nicht funktioniert. Die Belastbarkeit des 3D-gedruckten Musterteils war besser als beim Original, also wird der Bremssattel inzwischen nicht mehr gegossen, sondern gedruckt. Allerdings nur für Kleinserien, denn bei größeren Bestellungen bleibt die konventionelle Fertigung günstiger.
Der SLM-Raum: vom Boden bis zur Decke geschützt
Der Bremssattel wurde in einem Pulverbett gedruckt, genauer gesagt im SLM-Verfahren. Adam besitzt zwei TruePrint 3000 von Trumpf, eine verarbeitet Stahl, die andere Aluminium. Das Restpulver wird zu 100 % wiederverwertet. Für das Verarbeiten von Metallpulver wurde der Raum, in dem die Maschinen stehen, mit einem speziellen Boden ausgestattet, der elektrostatische Aufladung verhindert (ESD), und auch die Decke ist keine gewöhnliche, sondern eine für Reinräume. Sie soll verhindern, dass Pulverpartikel an ihr haften und wieder herunterfallen können. Im Raum nebenan findet das Postprocessing statt: eine Drahterodiermaschine von Knuth, ein Schleiftisch, eine Ofen und diverse Geräte zur Nacharbeit stehen dort bereit.
Inzwischen setzt man auch auf eigene Entwicklungen. Wie etwa die Düse zum Schutzgasschweißen. Bei ihr wurden die Rundungen so berechnet, dass das Schutzgas gleichmäßig verteilt wird. „Das kann nur per Additiver Fertigung hergestellt werden”, betont Kammann.
Kunststoff – alte Verfahren beschleunigen
Spezialisiert ist Adam eigentlich auf Metallbauteile, die per SLM-Verfahren aufgebaut werden. Doch besitzt die Abteilung auch fünf 3D-Kunststoffdrucker. Das hat historische Gründe, denn die erste SLA-Maschine, eine SLA 250 von 3D Systems, kaufte Continental bereits 1996; auf Metalldruck setzt das Unternehmen erst seit 2018. Mit dem den Ultimaker 5 Pro produzieren sie Musterteile und testen, ob diese für eine Serienproduktion geeignet sind. Interne und externe Kunden bestellen beispielsweise Blister bei Adam. Für Blister werden die Formen per SLS-Verfahren auf der P4500 HT von Farsoon gedruckt, darüber wird eine Folie gezogen und schon sind sie fertig. Naja, fast fertig. Da die Folie beim Überziehen Blasen wirft, werden Bohrungen in den gedruckten Grundkörper eingebracht, durch welche die Luft gezogen und die Folie geglättet werden kann.
Von der Konstruktion bis zum fertigen Blister benötigen wir nur noch eine Woche.
Auch beim Vakuumguss bringt die Additive Fertigung dem Unternehmen Vorteile. Die Urmodelle für die Silikonwerkzeuge druckt man hier per SLA mit einer P6000 von 3D Systems. Das ermöglicht andere Geometrien und Werkzeuge in einem Stück herzustellen, wo zuvor mehrere Teile nötig waren. Das Endteil wird dann in PU gegossen.
Passend für die eigenen Produkte
Continental Engineering Service hat eine Produktgruppe entwickelt, auf die Kammann sichtlich stolz ist: Radarsensoren für Spezialanwendungen. Sie werden beispielsweise auf Schiffen und in der Luftfahrt eingesetzt. Die eigens auf die Sensoren beziehungsweise deren Aufgabe eingerichtete Radarmesskammer hebt Kammann als Besonderheit hervor. Auch bei den Radarsensoren profitiert man von den Additiven Fertigern im Haus: Die verhältnismäßig kleinen Serien wollen gut verpackt und später vom Kunden auch sicher befestigt werden. Dafür werden einerseits Blisterverpackungen mit additiven Modellen hergestellt und andererseits befinden sich die speziell auf die jeweilige Serie zugeschnittenen Halterungen, mit denen Anwender die Sensoren anbringen können, in der letzten Testphase.
Werkstoffe nah am Kunden
Die Kunden von Continental Engineering Services kommen aus Industrie und Automotive. Soll in der Branche ein neues Material eingeführt werden, geht dem meist ein langwieriges Prozedere voraus. „Wir verarbeiten spezielle Materialien, die möglichst nah an die originalen Werkstoffe aus dem Spritzguss herankommen. So grenzen wir uns von unserem Wettbewerb ab und erleichtern unseren Kunden die Einführung der neuen Materialien“, sagt Kammann. Beispielsweise wird auf der Farsoon-Maschine P4500 HT der Kunststoff PA6 mF verarbeitet, der das in der Automobilindustrie übliche schwarze PA6 ersetzt.
Drucken für die Sicherheit
Allerdings finden sich auch im Arbeitsalltag, also abseits von Kundenaufträgen, viele praktische Anwendungen für die Additive Fertigung mit Kunststoff, so wie der Rollwagenschutz. Ein Kollege hatte sich an den scharfen Kanten die Achillessehne verletzt. Also entwickelte das Team von Adam eine Kanten-Entschärfung. Per Reverse Engineering wurde sie konstruiert und im Verfahren Materialextrusion (MEX) mit TPU im Ultimaker gebaut. Jetzt sind die scharfen Metallkanten unter einer abgerundeten Kunststoffschicht verborgen und die Unfallgefahr ist gemindert. Als zusätzlichen Vorteil stabilisiert der Schutz den Wagen.
Die Neuanschaffung
Erst seit kurzem steht auch eine Figure 4 bei Adam. Der DLP-Drucker von 3D Systems druckt Bauteile mit einer sehr glatten Oberfläche, wie der Schuhtest beweist. Doch die Oberflächenqualität bezahlt man an anderer Stelle. So ist auf der Figure 4 noch kein Windows 10 installiert, wodurch die Druckdaten am Rechner vorbereitet und dann per USB-Stick zum Drucker getragen werden müssen. Ist das für die Anwender derzeit noch eine zumutbare Situation, so haben nicht nur Mitarbeiter bei Adam kritisch angemerkt, dass das Harz nur von 3D Systems bezogen werden darf. Um das sicherzustellen hat der US-amerikanische Hersteller die Maschinen mit einem QR-Code-Reader versehen. Auf den Harz-Flaschen findet sich der dazugehörige Code. Nur, wenn ein zum System passender QR-Code eingelesen wird, kann man drucken. Noch testen die Mitarbeiter von Adam, für welche Anwendungen die Maschine geeignet ist.
Mittlerweile setzt auch Porsche beim ikonischen 911er 3D-gedruckte Kolben ein, um die Leistung des Motors noch weiter zu steigern.
* Weitere Informationen: Continental Engineering Services in 61184 Karben www.conti-engineering.com
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