Unternehmensübernahme ABB ergänzt fehlendes Segment durch Übernahme von B&R

Mit der Absicht, den österreichischen Automatisierungsspezialisten B&R (Bernecker und Rainer Industrie-Elektronik GmbH) zu übernehmen, überraschte ABB. Doch bei genauerem Hinsehen ist es eine Ergänzung des fehlenden Segments im Angebot des international tätigen Konzerns. Wir sprachen mit dem ABB-Vorstandsmitglied Dr. Peter Terwiesch über die Hintergründe und über die weitere Vorgehensweise.

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ABB übernimmt B&R: Dr. Peter Terwiesch (r.), Mitglied im Vorstand der Konzernleitung von ABB, im Gespräch mit MM-Redakteur Reinhold Schäfer.
ABB übernimmt B&R: Dr. Peter Terwiesch (r.), Mitglied im Vorstand der Konzernleitung von ABB, im Gespräch mit MM-Redakteur Reinhold Schäfer.
(Bild: Christina Rüttinger)

Als Energietechnikkonzern und Produzent elektrischer Bauteile sowie als Anbieter für Leitsysteme und Messtechnik ist ABB seit Langem bekannt. Für die Fertigungsindustrie waren auch bisher schon die Motoren und die Roboter von ABB sehr interessant. Was dem Konzern aber fehlte, um als Automatisierungsunternehmen in der Fertigungsindustrie wahrgenommen zu werden, war die Steuerungssparte. Um diese will man sich nun mit dem Kauf von B&R komplettieren.

Warum hat ABB sich so lange Zeit gelassen und sich erst jetzt dazu entschlossen, das im Vergleich zu Siemens noch fehlende Steuerungssegment für Maschinen- und Fabrikautomation dazu zu kaufen?

Im Zuge von Industrie 4.0 wird es immer wichtiger, unseren Kunden ein komplettes Automatisierungsportfolio anbieten zu können. Dies kann einerseits durch Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, aber eben auch oder durch geeignete Zukäufe unterstützt werden. In diesem Fall hat alles gepasst. Wir können ein Unternehmen erwerben, bei dem auch die Inhaber ein Interesse an der Perspektive für die nächste Entwicklungsstufe des Unternehmens haben und es veräußern, unter der Voraussetzung, dass das erfolgreiche Geschäftsmodell von B&R weitergeführt und weiterentwickelt wird. Und das ist auch unser Interesse.

Auf dem Markt gibt es ja noch weitere Automatisierungsunternehmen mit ähnlichem Portfolio. Warum hat sich ABB gerade für B&R entschieden?

Bei B&R hat eben alles gepasst. Es gibt keine großen Überschneidungen und B&R bietet sowohl IPC-Technik als auch SPS-Technik an – hier hat der Kunde die Wahl und kann auch für bereits entwickelten Steuerungscode noch entscheiden, ob er auf der SPS oder dem IPC ausgeführt werden soll. Das Portfolio beider Unternehmen ergänzt sich perfekt, denn ABB ist ein führender Anbieter von Automations-, Digitalisierungs- und Elektrifizierungslösungen für Versorgungsunternehmen sowie Kunden in der Industrie und im Transport- und Infrastruktursektor und B&R ist ein führender Anbieter von Lösungen für die Maschinen- und Fabrikautomation in verschiedenen Industrien wie Kunststoff, Verpackung sowie Nahrungsmittel und Getränke. Dazu kommt das gemeinsame Bekenntnis zu einer offenen Plattformarchitektur. Dies erhöht die Auswahl und Flexibilität für die Kunden bei gleichzeitiger Verbesserung der Konnektivität in zunehmend digitalisierten Industrien.

Was verspricht sich Ihr Unternehmen nun genau von der geplanten Übernahme?

In der Branche der Maschinen- und Fabrikautomation spielt B&R eine wichtige Rolle. Dies ist nicht nur für uns ein Glücksfall. Mit der Übernahme bietet sich für beide Unternehmen und damit für unsere Kunden eine einmalige Chance: Einerseits schließen wir eine schon lange existierende Lücke im Angebot von ABB und andererseits bietet sich für B&R die Möglichkeit, die internationale Präsenz, das digitale Angebot und natürlich das zusätzliche Portfolio von ABB für weiteres Wachstum zu nutzen.

Dazu kommt noch, dass B&R ein Experte ist, wenn es um die Entwicklung von Automatisierungs- und Softwarelösungen geht. Darüber hinaus haben die Mitarbeiter auch ein hohes Anwendungswissen in der Maschinen- und Fabrikautomatisierung. B&R hat zudem eine große Kundenbasis von mittlerweile etwa 4000 Maschinenbauunternehmen, was für uns ein weiterer Vorteil ist.

Können Sie das noch etwas präzisieren?

Nun, wir erweitern mit der Übernahme unser Angebot um die sehr innovativen Produkte und Softwarelösungen von B&R in den Bereichen der speicherprogrammierbaren Steuerungen, der Industrie-PC und der Servoantriebe. Damit wird ABB zu einem Komplettanbieter in der Branche. Wir werden zukünftig der einzige Anbieter sein, der seinen Kunden in der Industrieautomatisierung das gesamte Portfolio, angefangen von der Mess- und Steuerungstechnik über die Antriebe, Robotik und Digitalisierung bis zur Elektrifizierung, direkt aus einer Hand anbieten kann.

Mit dieser Übernahme setzen wir unsere Next-Level-Strategie weiterhin konsequent um. Mit unserem dann einzigartigen Digitalangebot und unserer installierten Basis mit mehr als 70 Mio. verbundenen Geräten, 70.000 Steuerungssystemen und jetzt mehr als 3 Mio. automatisierten Maschinen und 27.000 Fabrikinstallationen ermöglichen wir es unseren Kunden auf der ganzen Welt, die Chancen, die sich ihnen durch Industrie 4.0 bieten, zu ergreifen.

Wie soll denn das Unternehmen in den Konzern integriert werden?

Nach Abschluss der Transaktion wird B&R als globale Geschäftseinheit „Maschinen- und Fabrikautomation“ unter der Leitung des B&R-Geschäftsführers Hans Wimmer Teil der ABB-Division Industrieautomation. Für beide Unternehmen sind das Management und die Mitarbeiter von B&R und von ABB zentral für zukünftiges Wachstum und die erfolgreiche Integration zuständig. Die beiden Gründer von B&R, Erwin Bernecker und Josef Rainer, werden das Unternehmen beratend begleiten und so Kontinuität gewährleisten. Somit ist die Transaktion auch für B&R und seine Mitarbeiter äußerst positiv, denn Eggelsberg, der bisherige Unternehmenssitz von B&R, wird zukünftig zum globalen Zentrum für Maschinen- und Fabrikautomation von ABB werden. Der Gründungsstandort des Unternehmens wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen.

Auch wirtschaftlich gesehen ist B&R ein interessantes Unternehmen ...

Ja, das Unternehmen ist in 70 Ländern aktiv und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 600 Mio. US-Dollar in einem Marktsegment von 20 Mrd. US-Dollar für Maschinen- und Fabrikautomation. Wie erfolgreich das Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren war, lässt sich auch an der durchschnittlichen Umsatzsteigerung von 11 % festmachen. Alleine seit dem Jahr 2000 hat B&R seinen Umsatz verfünffacht.

Wie wird auch zukünftig das bisher schnelle Wachstum von B&R gewährleistet?

Wir werden unsere bestehenden ABB-Aktivitäten in den Bereichen SPS und Servo-Antriebe in die neue Geschäftseinheit einbringen. ABB wird zudem die erfolgreiche B&R-Wachstumsgeschichte fortschreiben. Wir peilen für diese Geschäftseinheit mittelfristig ein Umsatzziel von mehr als 1 Mrd. US-Dollar an.

Wie sieht es denn mit den Investitionen – prozentual am Umsatz gemessen – bei B&R im direkten Vergleich zu ABB aus?

B&R investiert mehr als 10 % des Umsatzes in Forschung & Entwicklung und beschäftigt dort mehr als 1000 Mitarbeiter in diesem Bereich und in der Anwendungsentwicklung. Im Vergleich dazu investiert ABB jährlich 1,5 Mrd. US-Dollar in F&E und beschäftigt rund 30.000 Forscher, Entwickler und Anwendungsingenieure, dies sind rund 5 % des Umsatzes von 34 Mrd. US Dollar. Auch in Zukunft planen wir umfangreiche Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Wie hoch war denn die B&R-Investition? Branchenkenner sprechen von 3 Mrd. Euro. Mussten ABB dazu einen Kredit aufnehmen?

Über den Verkaufspreis haben wir Stillschweigen vereinbart. Doch die Transaktion folgt einer branchenüblichen Bewertung. Die Übernahme können wir vollständig mit Barmitteln tätigen. dazu gehen wir davon aus, dass sich die Transaktion bereits im ersten Jahr positiv auf den operativen Gewinn je Aktie auswirken wird.

Wann wird die vollständige Übernahme voraussichtlich erfolgt sein?

Die Übernahme unterliegt natürlich den üblichen regulatorischen Genehmigungen. Ich gehe davon aus, dass diese voraussichtlich im Sommer 2017 erfolgt.

ABB ist ja schon bisher in Österreich tätig. Was ändert sich mit der Übernahme?

Wir sind seit über 100 Jahren in Österreich tätig. Mit dieser Akquisition werden wir auch zum größten Unternehmen im Bereich der Industrieautomation in Österreich. Das starke Bekenntnis zur zukünftigen Rolle von B&R und seinem Hauptsitz in Eggelsberg als Teil von ABB ist auch ein starkes Signal für Österreich und insbesondere für Oberösterreich. Ich bin davon überzeugt, dass der geplante Ausbau der Forschungs- und Entwicklungs- sowie der Produktionsaktivitäten in Eggelsberg und Gilgenberg Österreich als Hightech-Industriestandort stärken wird.

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